25. März 2011

Zitat des Tages: Des Ministers Brüderle Wahrheit. Die Unehrlichkeit hier, die Heuchelei da

Herr Dr. Keitel machte darauf aufmerksam, dass derzeit eine Meldung über den Ticker laufe, wonach die Bundesregierung am Nachmittag ein Moratorium der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke bekannt geben wolle. Der Minister bestätigte dies und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle laut Protokoll am vorletzten Montag, dem 14. März vor dem Präsidium des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin.


Kommentar: Zehn Tage seit der Sitzung hat es gedauert, bis dieses Protokoll, das am vergangenen Montag an die Teilnehmer versandt worden war, der "Süddeutschen Zeitung" zugespielt wurde - oder bevor sie es veröffentlicht hat; gestern nämlich. Oder anders gesagt: Es hat gedauert bis drei Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Die Kettenreaktion wurde punktgenau gezündet, und nun läuft sie ab wie beabsichtigt: Die Opposition, die ihr nahestehenden Medien heucheln Empörung.

Brüderle hat nichts gesagt als das, was jeder weiß: Die Regierung hat dieses Moratorium, für das es keine sachliche Rechtfertigung gibt, unter dem Druck der öffentlichen Meinung beschlossen. Sie hat das getan, weil sie fürchtete, in der gegenwärtigen Atmosphäre allgemeiner Panikmache sonst bei den Landtagswahlen unterzugehen; denjenigen am vergangenen Sonntag in Sachsen-Anhalt, denen übermorgen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Daß dies ein kluges Manöver war, kann füglich bezweifelt werden. Die Leut san ja net blöd. Jedem mit einem IQ über 80 mußte klar sein, daß der nukleare Unfall in Fukushima nicht plötzlich in die Köpfe der Kanzlerin und ihrer Minister eine Einsicht hineinbefördert hatte, die ihnen zuvor verschlossen geblieben war.

Jeder konnte erkennen, daß da eine Regierung angesichts der von den Medien geschürten Stimmung in der Bevölkerung die Flucht nach vorn, das heißt die Flucht zurück zur rotgrünen Atompolitik, angetreten hatte; jedenfalls erst einmal.

Nicht weniger als 69 Prozent der Befragten sahen das so; in einer Umfrage von Emnid für den Sender N24, die gestern veröffentlicht wurde. Was der großen Mehrheit der Deutschen klar ist, das hatte der Minister Brüderle den Spitzen des BDI gesagt. Ja keine dummen Leute, gewiß nicht dümmer als die 69 Prozent. Hätte Brüderle ihnen Schmus erzählen sollen statt der Wahrheit?



Er hat ihnen selbstverständlich die Wahrheit gesagt, und er hat sie ihnen vertraulich gesagt, wie sich das bei einer Präsidiumssitzung des BDI versteht. Das ist ja keine Pressekonferenz.

Aber nun hat es eine undichte Stelle gegeben. Eine Woche nach der Sitzung hatte der Hauptgeschäftsführer des BDI, Werner Schnappauf, das Protokoll an die Teilnehmer versandt, wie das so üblich ist. Mit dem Vermerk "Vertraulich". Eines der rund vierzig Exemplare fand den Weg zur "Süddeutschen Zeitung". Schnappauf versuchte zu retten, was zu retten ist, und behauptete nun, das von ihm selbst versandte Protokoll sei an dieser Stelle falsch.

Eine offenkundige Notlüge, und natürlich eine unwirksame. Die Leut san ja net saublöd.

Nun ist sie also gezündet, die Kettenreaktion, und in der Opposition sagen die üblichen Verdächtigen das auf, was in solchen Fällen aufgesagt wird: "Betrügerisches Wahlkampfmanöver von Schwarz-Gelb" (der Vorsitzende der Partei "Die Linke" Klaus Ernst); "Wer bei dieser Bundesregierung auf der Suche nach der Wahrheit ist, der wird im Hinterzimmer beim Treffen mit den Bossen fündig" (Claudia Roth; Vorsitzende der Partei "Die Grünen"); die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin sei "in einer zentralen Frage beschädigt" (der Fraktionschef derselben Partei, Jürgen Trittin); "Offensichtlicher kann man Wahlbetrug nicht vorbereiten" (der stellevertretende SPD-Fraktionsvize im Bundestag Ulrich Kelber).



So ist das im Berliner Politikbetrieb. Die Regierung veranstaltet ein unehrliches Manöver, das auffliegt. Die Opposition reagiert, indem sie noch einen draufsetzt an Unehrlichkeit; indem sie nunmehr Empörtheit heuchelt.

Die meisten Deutschen nehmen der Regierung ihr Manöver nicht ab. Die meisten Deutschen dürften auch der Opposition nicht abnehmen, daß sie jetzt wirklich überrascht und entrüstet ist. Irgendwie hebt sich das gegenseitig auf. Was bleibt, ist freilich wieder einmal der Eindruck, daß viele Politiker uns, die Wähler, für deutlich dümmer halten, als wir es sind. Sofern unser IQ 80 übersteigt.
Zettel



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