20. Februar 2011

Stratfors Analysen: Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 2: Jordanien und Bahrain

Im ersten Teil habe ich mich, weitgehend gestützt auf Informationen von Stratfor, mit der Lage in Ägypten und in den drei Ländern des Maghreb befaßt.

Es folgt heute der Blick auf Jordanien und Bahrain. Ich verwende wie stets in dieser Rubrik (siehe Fußtext) überwiegend Material von Stratfor, ergänze es aber durch weitere Informationen. Für Bewertungen bin ich verantwortlich; sie finden sich so nicht unbedingt bei Stratfor.


Jordanien: Jordanien ist das einzige verbliebene Königreich der Haschemiten, einer uralten arabischen Dynastie, die sich auf den Propheten zurückführt. Im Mittelalter stellte sie über Jahrhunderte den Emir von Mekka.

Die jetzige Herrschaft der Haschemiten in Jordanien geht auf den Ersten Weltkrieg zurück.

Bis dahin gehört das heutige Jordanien, wie der größte Teil Arabiens, zum Osmanischen Reich, wobei die Macht des Sultans im fernen Istanbul mehr oder weniger weit in die Wüste hineinreichte. Der jetzige König Abdullah II ist der Ur-Urenkel des Emirs Hussein bin Ali, der sich im Ersten Weltkrieg als Verbündeter der Engländer am Aufstand gegen die Osmanische Herrschaft beteiligt hatte (eindrucksvoll, wenn auch mit viel Phantasie, in Szene gesetzt in Lawrence von Arabien).

In dieser Monarchie mit einer langen Tradition herrschen ganz andere Verhältnisse als in den vom Sozialismus geprägten Ländern Tunesien und Ägypten; die Lage ähnelt eher derjenigen in Marokko. Wie in Marokko ist die Opposition legal. Der politische Zweig der Moslem-Bruderschaft, die Islamische Aktionsfront (IAF), ist eine zugelassene Partei; auch wenn diese Partei sich - wie anders - mehr Einfluß wünscht.

Wie in Ägypten ist in Jordanien die Moslem-Bruderschaft die stärkste Oppositionsgruppe. Sie reagierte sehr schnell auf die Vorgänge in Tunesien und begann mit Aktionen in Gestalt von friedlichen Demonstrationen und Sit-Ins. König Abdullah antwortete seinerseits fast sofort: Die Subventionen für Güter des täglichen Bedarfs wurden erhöht, die Regierung ausgewechselt.

Abdullah betreibt eine vorsichtige Öffnung zum Islamismus, zieht aber klare Grenzen. Der neue Premierminister Marouf al-Bakhit, ein Militär, bildete ein Kabinett unter Einschluß von Ministern, die dem Islamismus nahestehen. Die IAF gehört dieser Regierung nicht an, hat aber angekündigt, sie vorläufig zu tolerieren und abzuwarten, wie sie sich verhalten werde. Inzwischen organisiert sie weiter friedliche Demonstrationen.

Nach der Einschätzung von Stratfor akzeptiert die IAF diese ihr vom König genehmigte Rolle; einen Sturz des Königs strebt sie nicht an.

Neben der IAF haben die Führer der Beduinenstämme großen Einfluß im politischen Leben. Sie nutzten jetzt die Gunst der Krise und beschwerten sich über Korruption. Der König regelte die Sache auf ruhige Art, indem er die Subsidien für die Stämme erhöhte.


Bahrain: Die letzten Tage haben gezeigt, daß die Situation dort ganz anders ist als in Jordanien, nämlich explosiv. Anders als in Tunesien und Ägypten liegt der Grund aber überhaupt nicht in Sozialismus-bedingter Armut und Unterdrückung.

Die Probleme dieses reichen, kleinen (so viele Einwohner wie München) Ölstaats, der sich auf 33 Inseln erstreckt, sind sehr ähnlich denjenigen des Irak: Eine Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten; der persische Einfluß; Konflikte zwischen Islamisten und säkularen Kräften.

Regiert wird das Land - wie Jordanien und Marokko eine konstitutionelle Monarchie - von der sunnitischen Al-Khalifa-Dynastie; aber ungefähr zwei Drittel der moslemischen Bevölkerung sind Schiiten. Zwanzig Prozent der Bevölkerung sind Nichtmoslems; vor allem Christen und Hindus. Das Land hat zahlreiche Gastarbeiter, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.

Wie im Irak gibt es in Bahrain einen schiitischen und einen sunnitischen Fundamentalismus, die sich zwar einerseits gegenseitig bekämpfen, die aber andererseits gemeinsam gegen den Säkularismus gerichtet sind.

Die jetzigen, teilweise blutigen Demonstrationen, die vor einer Woche begannen, werden hauptsächlich von Schiiten veranstaltet, die mehr Rechte für sich fordern. Daß die Auseinandersetzungen so erbittert geführt werden, dürfte auch damit zusammenhängen, daß (wie einst im Irak Saddam Husseins) der Sicherheitsapparat in der Hand der sunnitischen Minderheit ist; ungefähr 90 Prozent der Sicherheitskräfte sind Sunniten.

Wenn schiitische Demonstranten Todesopfer zu beklagen haben, dann ist dieses Beklagen oft eine Quelle weiterer Zusammenstöße; der schiitische Islam ist eine Kultur des Märtyrertums. Begräbnisse führen leicht zu neuen Demonstrationen.

Nach dem Urteil von Stratfor wird es zu neuen, wahrscheinlich auch blutigen Auseinandersetzungen kommen; es sei aber unwahrscheinlich, daß am Ende der Sturz der Monarchie stehen werde. Die Dynastie Al-Khalifa hat schon manche Krisen überstanden.

So klein das Land ist - die dortigen Unruhen sind von größter geopolitischer Bedeutung, denn Bahrain liegt am Schnittpunkt des Konflikts zwischen dem Iran auf der einen und den USA sowie Saudi-Arabien auf der anderen Seite.

Der Inselstaat liegt unmittelbar vor der Küste Saudi-Arabiens, mit dem die Hauptinsel durch eine Dammstraße, den König-Fahd-Damm, verbunden ist. Auf der anderen Seite des Golfs, 250 km von Bahrain entfernt, liegt Persien. Saudi-Arabien fürchtet, daß eine Machtübernahme der Schiiten in Bahrain seine eigene schiitische Minderheit in den Küstenprovinzen unruhig werden lassen könnte. Die USA, deren 5. Flotte in Bahrain stationiert ist, fürchten eine Ausweitung der Macht des Iran.

Stratfor wurden Informationen zugespielt, nach denen sich bereits saudische Spezialeinheiten in Bahrain befinden, um einen eventuellen Aufstand niederzuschlagen. Nach der Analyse von Stratfor ist dies aber Desinformation, die vom Iran verbreitet wird. Damit soll der Vorwand dafür geschaffen werden, daß der Iran seinerseits den Schiiten zur Hilfe kommt; vor allem Al Wefaq, der größten schiitischen Oppositionsgruppe.



Der Vergleich zwischen Jordanien und Bahrain zeigt - wie der Vergleich zwischen den vier Ländern, mit denen ich mich im ersten Teil befaßt habe -, wie verschieden die Probleme in den einzelnen Regionen Arabiens sind, die jetzt zu Konflikten führen. Das alles in das Klischee zu pressen "Das unterdrückte Volk fordert mehr Demokratie" ist oberflächlich, ja irreführend.

Bahrain wie Jordanien sind kleine Länder - Jordanien hat auch nur ungefähr sechs Millionen Einwohner -; und beide sind konstitutionelle Monarchien. (Allerdings führt sich die Al-Khalifa-Dynastie nicht auf den Propheten zurück, sondern entstand erst im 18. Jahrhundert). Beide Länder haben, wie jedes Land des Nahen Ostens, ein Problem mit einer islamistischen Opposition. Damit enden aber bereits die Gemeinsamkeiten.

Jordanien hat ein Brutto-Nationalprodukt pro Kopf von 6.000 Dollar; Bahrain von 27.000 Dollar.

Jordanien hat sich seit dem Friedensschluß mit Israel 1994 aus allen Konflikten heraushalten können; Bahrain befindet sich, wie geschildert, mitten in der heißesten Konfliktzone des Nahen Ostens.

In Jordanien regiert ein aufgeklärter Monarch, der eine schrittweise Demokratisierung eingeleitet hat. Zum Beispiel gibt es dreißig legale Parteien; von der extremen Linken (der bereits seit 1993 legalen Kommunistischen Partei) bis zur extremen Rechten (der erwähnten IAF als der politischen Organisation der Moslem-Brüder).

Die Monarchie in Bahrain ist zwar auch konstitutionell; und es gibt Fortschritte bei der Demokratisierung. Aber das Land ist unter der Kontrolle der Khalifa-Dynastie, der neben dem König der Premierminister und ungefähr die Hälfte des Kabinetts angehören; dazu der Armeechef und der Parlamentspräsident. Hinzu kommt die geschilderte sunnitische Vorherrschaft vor allem im Sicherheitsapparat.

Die jetzigen Unruhen haben, nicht verwunderlich vor diesem Hintergrund, ganz verschiedene Ursachen. In Bahrain findet so etwas wie ein Stellvertreter-Krieg zwischen Persien und Saudi-Arabien statt, die jeweils eine Seite des schiitisch-sunnitischen Konflikts unterstützen. In Jordanien kann keine Rede von einer solchen kritischen Situation sein; hier versuchen lediglich zwei Gruppen - die Moslem-Brüder und die Stammesführer - vor dem Hintergrund der allgemeinen Krise des Nahen Ostens vom König Zugeständnisse zu erreichen.



Wenn die Verhältnisse, wenn die Konflikte so verschieden sind - wie kommt es dann aber, daß seit der Revolution in Tunesien fast synchron in der gesamten Region Unruhen ausbrechen?

Das hat wohl wenig mit Ursachen zu tun, aber viel mit Auslösern. Im Zeitalter von Al Jazeera, Facebook und Twitter breiten sich nicht nur Informationen, sondern auch Emotionen und Stimmungen schnell aus. Die Unzufriedenheit hat viele, sehr unterschiedliche Ursachen. Aber der Funke springt über; so, wie Funken von einem brennenden Heuhaufen in ein Treibstofflager fliegen können, obwohl diese aus ganz unterschiedlichen Gründen leicht brennbar sind. (Wird fortgesetzt).



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