Die Wahl ist entschieden, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist. Dann hat Rot-Rot-Grün eine eigene Mehrheit.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gestern vor der Bundespressekonferenz zur bevorstehenden Landtagswahl in NRW. Ein Video dazu können Sie sich bei FAZ.Net ansehen.
Kommentar: Auch wenn man Sigmund Freuds Psychoanalyse skeptisch gegenübersteht, kann man seine Theorie der Fehlhandlungen und speziell der Versprecher plausibel finden: Während wir sprechen, entstehen in unserem Gehirn ständig neue Gedanken. Einige davon schaffen es bis zur Formulierung in der Sprache, andere werden verworfen oder unterdrückt, weil wir sie unpassend finden. Aber manchmal mißlingt das Unterdrücken, und solch ein Gedanken setzt sich gegen unseren Willen doch in Sprache um.
Freuds klassisches Beispiel ist der Versprecher, daß etwas "zum Vorschwein gekommen" sei. Da hat der Sprecher offensichtlich gedacht, daß der betreffende Vorgang eine Schweinerei gewesen sei; aber so deutlich hatte er es denn doch nicht sagen wollen. Der unterdrückte Gedanke hat sich aber, befördert durch sprachliche Ähnlichkeit, in das intendierte "Vorschein" eingeschmuggelt; es entstand das, was die Linguistik Blend nennt, eine Mischform aus zwei Wörtern.
Sigmar Gabriels gestriger Versprecher ist ein klassischer Freud'scher Versprecher. Denn natürlich weiß Gabriel, weiß die Führung der SPD in NRW, daß mit großer Wahrscheinlichkeit die SPD allein mit den Grünen nach den Wahlen keine Regierungsmehrheit haben wird. Und natürlich beabsichtigt man, wenn es denn für eine Mehrheit gemeinsam mit den Kommunisten reicht, diese auch zum Regieren zu nutzen.
Nur sagen darf man es nicht. Man muß es unterdrücken. Aber der unterdrückte Gedanke, im Gehirn Sigmar Gabriels zur sprachlichen Quarantäne verurteilt, hat sich bei seinem gestrigen Auftritt für einen kurzen Augenblick befreien können und den Versprecher produziert.
So jedenfalls hätte Sigmund Freud das gedeutet, und unplausibel ist es ja nicht; übrigens auch durchaus vereinbar mit den Ergebnissen der modernen Forschung zu diesem Thema.
Warum kann die SPD nicht jetzt schon sagen, daß sie bereit ist, in NRW mit den Kommunisten zu koalieren? Aus zwei offensichtlichen Gründen.
Erstens würde das manchen Wähler, der sich keinen Kommunisten als Minister des Landes Nordrhein-Westfalen vorstellen mag, dazu bewegen, seine Stimme nicht der SPD oder den Grünen zu geben, sondern entweder gar nicht zur Wahl zu gehen oder zähneknirschend doch noch einmal den "Arbeiterführer" Rüttgers zu wählen.
Zweitens würde die Ankündigung, man werde gegebenenfalls mit der Partei "Die Linke" koalieren, dieser Partei Auftrieb geben, und zwar auf Kosten der SPD und vielleicht auch der Grünen.
Solange die SPD vorgibt, sie werde nicht mit der Partei "Die Linke" koalieren, wird das - so jedenfalls das Kalkül - manchen linken Wähler veranlassen, die SPD und nicht die Kommunisten zu wählen; aus Sorge, sonst werde es gar keine linke Regierung geben. Eine Partei "Die Linke", die von der SPD zur potentiellen Regierungspartei geadelt wurde, könnte von solchen Linken hingegen unbesorgt gewählt werden.
Die Kandidatin Hannelore Kraft hat sich deshalb die stereotype Formel ausgedacht, die Partei die Linke sei für die SPD "derzeit nicht regierungsfähig"; in "Freitag" hat Tom Strohschneider kürzlich einige der einschlägigen Zitate zusammengestellt.
Nicht ungeschickt formuliert: Es klingt, als werde man nicht mit dieser Partei gemeinsam regieren können. Aber Kraft sagt ja "derzeit" (nur einmal vergaß sie diesen Zusatz; letzten Donnerstag bei Maybrit Illner). "Derzeit" heißt nicht "künftig". Nach der Wahl kann man sagen, daß die Fraktion von "Die Linke" ja nicht die Partei sei, und daß nach Sondierungsgesprächen sich diese Fraktion nun doch als regierungsfähig erwiesen habe, erfreulicherweise. Auch könnte man sich erst einmal tolerieren lassen; wer zum Regieren nicht fähig ist, kann sehr wohl fähig zum Tolerieren sein.
Kurzum, Kraft möchte es Andrea Ypsilanti nachmachen, aber deren Fehler vermeiden. Sie will, wie damals Ypsilanti, als ihr Primärziel die Partei "Die Linke" aus dem Landtag heraushalten, wenn es irgend geht. Sie will aber, genau wie damals Ypsilanti, mit dieser Partei gemeinsam - oder durch diese unterstützt - regieren, wenn sie denn nicht anders regieren kann.
Ypsilanti hatte den Fehler gemacht, sich vor der Wahl bindend festzulegen (siehe Frau Ypsilanti sagt, was sie sagen muß; ZR vom 3. 3. 2008). Hannelore Kraft will diesmal schlauer sein. Sie will den Eindruck erwecken, sie lege sich fest, sich aber ein Hintertürlein offenlassen.
Und da schlägt es nun ihr Parteichef Gabriel krachend zu, das Hintertürchen. Jedenfalls dürften nach diesem Patzer die Fragen, wie es Frau Kraft denn mit den Kommunisten hält, nun dringlicher werden.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gestern vor der Bundespressekonferenz zur bevorstehenden Landtagswahl in NRW. Ein Video dazu können Sie sich bei FAZ.Net ansehen.
Kommentar: Auch wenn man Sigmund Freuds Psychoanalyse skeptisch gegenübersteht, kann man seine Theorie der Fehlhandlungen und speziell der Versprecher plausibel finden: Während wir sprechen, entstehen in unserem Gehirn ständig neue Gedanken. Einige davon schaffen es bis zur Formulierung in der Sprache, andere werden verworfen oder unterdrückt, weil wir sie unpassend finden. Aber manchmal mißlingt das Unterdrücken, und solch ein Gedanken setzt sich gegen unseren Willen doch in Sprache um.
Freuds klassisches Beispiel ist der Versprecher, daß etwas "zum Vorschwein gekommen" sei. Da hat der Sprecher offensichtlich gedacht, daß der betreffende Vorgang eine Schweinerei gewesen sei; aber so deutlich hatte er es denn doch nicht sagen wollen. Der unterdrückte Gedanke hat sich aber, befördert durch sprachliche Ähnlichkeit, in das intendierte "Vorschein" eingeschmuggelt; es entstand das, was die Linguistik Blend nennt, eine Mischform aus zwei Wörtern.
Sigmar Gabriels gestriger Versprecher ist ein klassischer Freud'scher Versprecher. Denn natürlich weiß Gabriel, weiß die Führung der SPD in NRW, daß mit großer Wahrscheinlichkeit die SPD allein mit den Grünen nach den Wahlen keine Regierungsmehrheit haben wird. Und natürlich beabsichtigt man, wenn es denn für eine Mehrheit gemeinsam mit den Kommunisten reicht, diese auch zum Regieren zu nutzen.
Nur sagen darf man es nicht. Man muß es unterdrücken. Aber der unterdrückte Gedanke, im Gehirn Sigmar Gabriels zur sprachlichen Quarantäne verurteilt, hat sich bei seinem gestrigen Auftritt für einen kurzen Augenblick befreien können und den Versprecher produziert.
So jedenfalls hätte Sigmund Freud das gedeutet, und unplausibel ist es ja nicht; übrigens auch durchaus vereinbar mit den Ergebnissen der modernen Forschung zu diesem Thema.
Warum kann die SPD nicht jetzt schon sagen, daß sie bereit ist, in NRW mit den Kommunisten zu koalieren? Aus zwei offensichtlichen Gründen.
Erstens würde das manchen Wähler, der sich keinen Kommunisten als Minister des Landes Nordrhein-Westfalen vorstellen mag, dazu bewegen, seine Stimme nicht der SPD oder den Grünen zu geben, sondern entweder gar nicht zur Wahl zu gehen oder zähneknirschend doch noch einmal den "Arbeiterführer" Rüttgers zu wählen.
Zweitens würde die Ankündigung, man werde gegebenenfalls mit der Partei "Die Linke" koalieren, dieser Partei Auftrieb geben, und zwar auf Kosten der SPD und vielleicht auch der Grünen.
Solange die SPD vorgibt, sie werde nicht mit der Partei "Die Linke" koalieren, wird das - so jedenfalls das Kalkül - manchen linken Wähler veranlassen, die SPD und nicht die Kommunisten zu wählen; aus Sorge, sonst werde es gar keine linke Regierung geben. Eine Partei "Die Linke", die von der SPD zur potentiellen Regierungspartei geadelt wurde, könnte von solchen Linken hingegen unbesorgt gewählt werden.
Die Kandidatin Hannelore Kraft hat sich deshalb die stereotype Formel ausgedacht, die Partei die Linke sei für die SPD "derzeit nicht regierungsfähig"; in "Freitag" hat Tom Strohschneider kürzlich einige der einschlägigen Zitate zusammengestellt.
Nicht ungeschickt formuliert: Es klingt, als werde man nicht mit dieser Partei gemeinsam regieren können. Aber Kraft sagt ja "derzeit" (nur einmal vergaß sie diesen Zusatz; letzten Donnerstag bei Maybrit Illner). "Derzeit" heißt nicht "künftig". Nach der Wahl kann man sagen, daß die Fraktion von "Die Linke" ja nicht die Partei sei, und daß nach Sondierungsgesprächen sich diese Fraktion nun doch als regierungsfähig erwiesen habe, erfreulicherweise. Auch könnte man sich erst einmal tolerieren lassen; wer zum Regieren nicht fähig ist, kann sehr wohl fähig zum Tolerieren sein.
Kurzum, Kraft möchte es Andrea Ypsilanti nachmachen, aber deren Fehler vermeiden. Sie will, wie damals Ypsilanti, als ihr Primärziel die Partei "Die Linke" aus dem Landtag heraushalten, wenn es irgend geht. Sie will aber, genau wie damals Ypsilanti, mit dieser Partei gemeinsam - oder durch diese unterstützt - regieren, wenn sie denn nicht anders regieren kann.
Ypsilanti hatte den Fehler gemacht, sich vor der Wahl bindend festzulegen (siehe Frau Ypsilanti sagt, was sie sagen muß; ZR vom 3. 3. 2008). Hannelore Kraft will diesmal schlauer sein. Sie will den Eindruck erwecken, sie lege sich fest, sich aber ein Hintertürlein offenlassen.
Und da schlägt es nun ihr Parteichef Gabriel krachend zu, das Hintertürchen. Jedenfalls dürften nach diesem Patzer die Fragen, wie es Frau Kraft denn mit den Kommunisten hält, nun dringlicher werden.
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