20. Februar 2010

Marginalie: Die holländische Regierung ist zerbrochen. Afghanistan war nur der Anlaß. Ceterum Censeo: Wir brauchen ein Mehrheitswahlrecht

Zum Ende der holländischen Regierungskoalition schreibt heute Karsten Polke- Majewski in "Zeit- Online":
Mal gewann Fortuyns Partei eine erschreckend hohe Zahl an Parlamentssitzen, mal waren es die ebenso populistischen Sozialisten, die die Wut der Bevölkerung zu bedienen und zu nutzen verstanden. (...)

In diesem wilden Schwanken zwischen den Extremen hat Ministerpräsident Jan Peter Balkenende ständig versucht, der politischen Mitte Gewicht zu verleihen. Mal koalierte er mit der rechtsliberalen VVD und der Liste Pim Fortuyn, dann wieder bildeten seine Christdemokraten mit der VVD und der linksliberalen D66 ein bürgerliches Bündnis. Zuletzt ließ er sich auf eine große Koalition mit den Sozialdemokraten ein, die allerdings der Hilfe der kleinen Splitterpartei ChristenUnie bedurfte, um überhaupt mehrheitsfähig zu sein. Alle diese Bündnisse waren von extremen Spannungen und dem Kampf um Partikulärinteressen geprägt.
Dieses Szenario könnte ein Blick in die deutsche Zukunft sein.

Es stimmt ja nicht, daß wir in Deutschland keine relevante populistische Partei haben. Sie ist nur links orientiert; statt (wie der FN in Frankreich) rechts oder (wie in der Schweiz die SVP und wie die Liste Pim Fortuyn) liberalkonservativ.

Das Schlimme am Populismus ist weniger, daß die Populisten ihr politisches Programm umzusetzen versuchen könnten; das geht ja in der Regel gar nicht. Aber sie treiben die anderen Parteien vor sich her.

Die deutschen Kommunisten haben die SPD nach links getrieben, weil man nicht noch mehr Wähler an sie verlieren wollte. Das wiederum hat in der linken Mitte ein Feld geöffnet, das nun die CDU zu besetzen versucht. Gegen diesen Linksruck der Union versucht sich Westerwell im Augenblick mit einem Populismus eigener Art abzusetzen.

Populismus ist eine Gefahr für das gesamte politische System. Aber nur unter dem Verhältniswahlrecht. Denn nur dann müssen die großen Parteien fürchten, so viele Wähler an die Populisten zu verlieren, daß sie lieber deren Themen übernehmen.

Sie haben außerdem die Wahl, ob sie die Populisten aus der Regierung heraushalten oder sie aufnehmen wollen. Tun sie das erstere, dann entstehen Mehrheitsverhältnisse, die häufig nur noch unnatürliche Koalitionen zulassen, mit einem vorprogrammierten Streit (wie jetzt in Holland). Nehmen sie sie in die Regierung auf, dann ist es ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis diese zerbricht; Romano Prodi hat das in Italien erlebt.



Die Regel unter dem Verhältniswahlrecht sind instabile Regierungen; Verhältnisse wie in der Weimarer Republik, wie in der Vierten Republik Frankreichs, wie in Italien, wie in Israel, wie inzwischen in Holland und in Belgien.

Wir sind in der Bundesrepublik bisher davon verschont geblieben, weil eine Reihe von historischen Glücksfällen uns große Volksparteien beschert hat. Beispielsweise die Persönlichkeit Adenauers und der Erfolg der Wirtschaftspolitik Erhards, denen die Union ihren Weg zur Volkspartei verdankt; auf der anderen Seite das Fehlen einer relevanten politischen Kraft links von der SPD aufgrund der deutschen Teilung.

Damit ist es vorbei. Die am 27. September 2009 "siegreiche" Union hat ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1949 erreicht, die einstige Volkspartei SPD ihr schlechtestes. Wir steuern jetzt auf die Situation zu, die für das Verhältniswahlrecht typisch ist; ein Thema, das in diesem Blog immer wieder angesprochen wurde (siehe z.B. Noch einmal ein Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht; ZR vom 29. 5. 2007, Bald Weimarer Verhältnisse in Berlin?; ZR vom 28. 1. 2008 sowie "Das Wahlsystem ist eklatant gescheitert"; ZR vom 11. 2. 2009).

Natürlich gibt es keine Chance, in Deutschland das Mehrheitswahlrecht einzuführen; sei es nach amerikanischem, sei es nach französischem Vorbild. Gut möglich also, daß wir von der politischen Stabilität dieser Länder in Deutschland bald nur noch träumen können.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.