3. Januar 2010

Zitat des Tages: Wie macht man eine menschliche Welt? Das "Neue Deutschland" empfiehlt das "Kommunistische Manifest". Aber was steht dort eigentlich?

Der Markt ist gnadenlos. So steht es im Manifest, und es steht auch da, dass und wie man aus der Welt des Marktes eine menschliche Welt machen kann. Es hat was mit dem Eigentum an Produktionsmitteln zu tun, mit Banken, mit der Gier nach mehr Profit. Wie das zu ändern ist, beschreibt der Text kurz und bündig und ziemlich einleuchtend. Und bekräftigt die Absicht mit einem entschiedenen "Allerdings, das wollen wir". Dafür gibt es immer Beifall.

Burga Kalinowski gestern im "Neuen Deutschland" über eine Vortragsreise des Schauspielers Rolf Becker, auf der dieser das "Kommunistische Manifest" vortrug. "Beifall" bezieht sich auf diese Lesungen.


Kommentar: "Wie das zu ändern ist" - nämlich die Gnadenlosigkeit des Marktes -, "beschreibt der Text" - nämlich das Kommunistische Manifest - "kurz und bündig und ziemlich einleuchtend", lesen wir im "Neuen Deutschland".

Nur, dieses "Wie" bleibt leider abstrakt. Wir erfahren aus dem Artikel nicht, was es denn ist, das der Autorin bündig und ziemlich einleuchtend vorkommt. Welchen Weg schlägt eigentlich das "Kommunistische Manifest" vor, um aus der Gnadenlosigkeit des Marktes herauszukommen?

Hier finden Sie das "Kommunistische Manifest" in der Fassung der Dietz- Ausgabe (Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. Dietz Verlag, Berlin. Band 4. Berlin/DDR, 1959/1972) mit der dortigen Paginierung.

Die Passagen, die die unsere Frage beantworten, finden sich im Abschnitt II "Proletarier und Kommunisten"; dort die Seite 481 und 482:
Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.

Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein.

Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:
1. Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.

2. Starke Progressivsteuer.

3. Abschaffung des Erbrechts.

4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen.

5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.

6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.

7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.

8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.

9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.

10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw.

Wie das Proletariat in die Lage kommen soll, das alles durchzusetzen, formuliert Marx noch einmal deutlich am Ende des Manifestes: "Die Kommunisten (...) erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern".

Soviel zu dem, was der Autorin Burga Kalinowski "ziemlich einleuchtend" erscheint, um "aus der Welt des Marktes eine menschliche Welt" zu machen.

Veröffentlicht im Jahr 2010 im "Neuen Deutschland", der bis vor vier Wochen von Lothar Bisky herausgegebenen "sozialistischen Tageszeitung". Herausgegeben vom Vorsitzender der Partei, die sich immer noch nicht traut - oder vielmehr, es nicht für opportun hält -, sich wieder Kommunistische Partei zu nennen.

Ich kenne keine Äußerung eines maßgeblichen Vertreters der PDS oder jetzt der Partei "Die Linke", in der auf das Ziel des Sozialismus verzichtet worden wäre. Ich kenne keine Äußerung, die darauf hindeutet, daß das Ziel des "Sturz[es] der Bourgeoisherrschaft", welches das Kommunistische Manifest vorgibt, auf einem anderen Weg erreicht werden könnte als dem von Marx vorgezeichneten.

Die SED hat in der Ostzone und dann in der DDR die zehn Punkte Schritt für Schritt abgearbeitet.

In Venezuela ist Hugo Chávez im Augenblick dabei, dasselbe mit einer anderen Taktik - einer Salamitaktik - zu realisieren; siehe Die kommunistische Machtergreifung in Venezuela; ZR vom 13. 4. 2007; Chávez schnippelt weiter; ZR vom 30. 8. 2008; sowie Chávez' Doppelstrategie für den Weg in den Sozialismus; ZR vom 26. 11. 2008.

Das "Kommunistische Manifest" ist für Kommunisten kein historischer Erbauungstext, sondern nach wie vor die Handlungsanleitung zur Eroberung und Sicherung der Macht. Eine Handlungsanleitung, "kurz und bündig und ziemlich einleuchtend".



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