27. Januar 2010

Marginalie: Die neue Bevölkerungsbombe. Sind die deutschen Rentner auf Mallorca eine globale Avantgarde?

Die erstmals von Thomas Malthus geäußerte Befürchtung von einer Übervölkerung sei es einzelner Länder oder Regionen, sei es der ganzen Erde hat sich nicht bestätigt; jedenfalls bisher nicht.

Eine der jüngsten derartigen Warnungen war die von Paul Ehrlich in seinem Buch "The Population Bomb" (1968), in dem er massenhafte Hungersnöte ab den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunders prognostizierte. Das löste damals ähnliche Ängste aus wie heute die Furcht vor einer "Klimakatastrophe"; und es basierte auf einer genauso wackligen empirischen Grundlage.

Nichts war es mit dem, was Ehrlich vorhergesagt hatte; denn die Landwirtschaft entwickelte sich dank der "grünen Revolution" schneller, als die Bevölkerung (nicht so schnell, wie Ehrlich es erwartet hatte) zunahm.

Dennoch ist das Thema nicht vom Tisch. Darauf macht jetzt Jack A. Goldstone in der Januar/Februar- Nummer von Foreign Affairs aufmerksam. (Zum Lesen des Artikels ist eine Registrierung erforderlich).

Die Weltbevölkerung werde sich, schreibt Goldstone, innerhalb des jetzigen Jahrhunderts bei knapp über neun Milliarden stabilisieren; bis dahin werde das Wachstum der Wirtschaft beständig höher liegen als das der Bevölkerung.

Das Problem ist also nicht mehr eine Übervölkerung auf dem Niveau der ganzen Erde; jedenfalls nach jetzigen Kenntnissen.

Aber, zitiert Goldstone den Economist
... the relative demographic weight of the world's developed countries will drop by nearly 25 percent, shifting economic power to the developing nations; the developed countries' labor forces will substantially age and decline, constraining economic growth in the developed world and raising the demand for immigrant workers; most of the world's expected population growth will increasingly be concentrated in today's poorest, youngest, and most heavily Muslim countries, which have a dangerous lack of quality education, capital, and employment opportunities; and, for the first time in history, most of the world's population will become urbanized, with the largest urban centers being in the world's poorest countries, where policing, sanitation, and health care are often scarce.

... das relative demographische Gewicht der am höchsten entwickelten Länder der Welt wird um fast 25 Prozent sinken, was die wirtschaftliche Macht hin zu den sich entwickelnden Ländern verlagert; die arbeitende Bevölkerung der entwickelten Länder wird erheblich altern und abnehmen, was das Wirtschaftwachstum in der entwickelten Welt begrenzt und die Nachfrage nach Immigranten als Arbeitskräften erhöht; der überwiegende Teil des Bevökerungs- Wachstums wird immer mehr in den heute ärmsten, jüngsten und am stärksten moslemischen Ländern konzentriert sein, die einen gefährlichen Mangel an guter Erziehung, an Kapital und an Arbeitsplätzen haben; und zum ersten Mal in der Geschichte wird der größte Teil der Weltbevölkerung in Städten leben, wobei die größten urbanen Zentren in den ärmsten Ländern der Welt liegen, wo es oft an Polizei, Hygiene und Krankenversorgung mangelt.



Der größte Teil von Goldstones Artikel besteht darin, daß er diese Prognosen durch detailliert zusammengestellte Fakten belegt.

Der Leser will aber natürlich auch gern wissen, was man denn tun kann. Aber ach, da kommt nicht viel.

Zum einen rät Goldstone:
To cope with the instability that will likely arise from the new Third World's urbanization, economic strife, lawlessness, and potential terrorist activity, the aging industrialized nations of the new First World must build effective alliances with the growing powers of the new Second World and together reach out to Third World nations.

Um mit der Instabilität, den wirtschaftlichen Kämpfen, der Rechtlosigkeit und möglichen terroristischen Aktivitäten fertig zu werden, die wahrscheinlich aus der Urbanisierung der neuen Dritten Welt hervorgehen werden, müssen die alternden industrialisierten Ländern der Ersten Welt wirksame Allianzen mit den aufstrebenden Mächten der Zweiten Welt schließen und zusammen den Nationen der Dritten Welt die Hand reichen.
Gemeint sind mit "Erste Welt" die jetzt hochindustrialisierten Länder, mit "Zweite Welt" die Schwellenländer wie China und Brasilien und mit "Dritte Welt" die armen, sich urbanisierenden Länder mit einer explodierenden Bevölkerung.

Zweitens schlägt Goldstone Maßnahmen innerhalb der Ersten Welt vor: Eine aktive Geburtenpolitik, wie sie erfolgreich Frankreich und Schweden betreiben, Förderung der Einwanderung und dann noch etwas Originelles, nämlich "to encourage a reverse flow of older immigrants from developed to developing countries" - ältere Menschen sollten in die Länder der Dritten Welt auswandern, um dort ihren Lebensabend zu verbringen!

Das würde, so Goldstone, einerseits die alternden Lände von der Fürsorge für ihre Rentner entlasten und andererseits in den armen Ländern des Mittelmeerraums, in Lateinamerika und Afrika Arbeitsplätze schaffen und Geld ins Land bringen.

Die deutschen Rentner auf Mallorca als Avantgarde einer künftigen globalen Bevölkerungspolitik; wer hätte das gedacht!



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.