6. November 2009

Marginalie: "Er hat keinen einzigen Fehler gemacht". Eine Anmerkung zu Guido Westerwelle und zu seinem Mentor Genscher

Folgendes schrieb ein Journalist des "Spiegel" im Exposé zu einer Titelgeschichte über den neuen FDP-Außenminister:
"Er löst Befürchtungen aus, aber keine Begeisterung. War bisher ein deutscher Provinzpolitiker. Westerwelle kann weder englisch noch französisch. Er ist ein Politiker ohne Ausstrahlungskraft und Charisma. Hervorgetan hat Westerwelle sich durch einen unbändigen Aktionismus, Hektik, Betriebsamkeit, Show- Geschäft, eine Arbeitswut und Omni- Präsenz, Alleskönnerei. Westerwelles Einzug ins Außenministerium sehen seine künftigen Untergebenen mit einiger Beklemmung entgegen. Aber sie rechnen damit, dass der außenpolitische Dilettant ohne den Apparat überhaupt nicht zurande kommen kann.
Treffend beobachtet, werden Sie vermutlich sagen, wenn auch überzogen formuliert, wie es die Art des "Spiegel" ist.

Allerdings habe ich den Text ein wenig manipuliert. Es handelt sich nicht um eine Kennzeichung von Guido Westerwelle, sondern von Hans- Dietrich Genscher, und sie stammt aus dem Jahr 1974. Außer dem Namen habe ich aber an dem Text nichts geändert.

Zu lesen ist dieses Zitat aus einem Konzeptpapier heute in "Spiegel- Online". Aus den Tiefen des "Spiegel"- Archivs hat es Gabor Steingart geholt, derzeit Korrespondent des gedruckten "Spiegel" in Washington.



Ich gebe zu, ich gehörte zu denen, die Zweifel hatten, ob Guido Westerwelle dem Amt des Außenministers gewachsen sein würde. Er war bisher Gesellschafts-, Wirtschafts- und Finanzpolitiker. Er hat nie eine größere Behörde, geschweige denn ein bedeutendes Ministerium geleitet. Seine Kenntnisse des Französischen hat er so gekennzeichnet, daß er im Frankreich- Urlaub nicht verhungere. Über seinen Kenntnissen des Englischen liegt ein Geheimnis. Er gilt als ein Mann der Show, nicht der leisen, aber effektiven Diplomatie.

Aber schau an: Alle seine internationalen Auftritte, seit er im Amt ist, waren so makellos, daß nicht einmal die Opposition aus ihnen Honig saugen konnte. Steingart über Westerwelles Auftritt in Washington:
Die Journalisten waren ratlos. Er hat keinen einzigen Fehler gemacht, sagte einer. Selbst der junge Mann aus der Botschaft, der mit der Strenge des Berufsdiplomaten den Auftritt verfolgte, konnte keine Qualitätsmängel entdecken. Einwandfrei, murmelte er.
Wem Gott ein Amt gegeben hat, dem gibt er auch den Verstand, sagt der Volksmund. Nicht immer hat er Recht, der Volksmund. In Washington amtiert ein Präsident, bei dem man das füglich bezweifeln kann. Aber bei Guido Westerwelle scheint es so zu sein.

Hans-Dietrich Genscher, inzwischen als Elder Statesman fast schon zur Legende geworden, mag am Ende Recht haben, wenn er Guido Westerwelle protegiert. Gut möglich, daß er in ihm den jungen Genscher erkennt. Als Genscher im Mai 1974 das Auswärtige Amt übernahm, war er 47 Jahre alt. Westerwelle wird im Dezember 48.



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