5. September 2009

Wahlen '09 (15): Die Landtagswahlen haben nichts geändert. Das indifferente Gleichgewicht besteht weiter. Entschieden wird auf den letzten Metern

Auf den Ausgang der Wahlen würde ich gegenwärtig keinen Cent wetten.

Noch immer hat dieser Wahlkampf keine Dynamik. In einer früheren Folge dieser Serie hatte ich die Lage durch den Vergleich mit einem Fußballspiel illustriert, in dem die führende Mannschaft ein knappes 1:0 zu halten versucht. Allmählich scheint mir ein drastischer Vergleich aus dem Sport angemessen: Mit der Radsport- Disziplin Sprint, bei der zwei Fahrer den größten Teil der Strecke ganz langsam, manchmal fast stehend nebeneinander unterwegs sind, einander immer belauernd - bis einer plötzlich im Höchsttempo loslegt und der andere dann folgen muß.

Losgelegt hat in diesem Wahlkampf noch niemand. Man mag kaum glauben, daß es nur noch drei Wochen bis zur Entscheidung sind. Letztes Jahr in den USA war einen Monat vor den Wahlen schon alles so gut wie entschieden; siehe Obama/Palin werden gewinnen; ZR vom 7.10.2008. Denn in den Wochen zuvor hatte Obamas Wahlkampf die klassische Dynamik entwickelt, die zum Sieg führt: Gute Umfrageergebnisse erzeugen mehr Zuversicht. Zuversicht beflügelt den Wahlkampf. Dies wiederum führt zu noch besseren Ergebnissen. Die Spirale des Erfolgs.

Nichts davon gibt es bisher im deutschen Wahlkampf.

Ich hatte vor den Landtagswahlen damit gerechnet, daß mit ihnen entweder das 1:1 oder das 2:0 fallen würde. SPD- Erfolge in Thüringen und im Saarland hätten das 1:1 bedeutet; ein gutes Abschneiden der CDU das 2:0. Was entweder das schwarzgelbe Lager oder dasjenige der Volksfront (und reaktiv damit auch die jeweils andere Seite) zu größeren Anstrengungen angespornt hätte.

So dachte ich; siehe Fällt am Sonntag endlich das Tor, das dem Ballgeschiebe ein Ende macht?; ZR vom 28.8.2009. Es ist anders gekommen. Die CDU hat zwar in Thüringen und im Saarland schlecht abgeschnitten (anders als in Sachsen und NRW); aber für die SPD waren alle vier Wahlergebnisse ein Desaster, auch wenn sie das zu verbergen suchte; siehe Landtagswahlen- Kaleidoskop. Wer hat eigentlich gewonnen, wer verloren?; ZR vom 31.8.2009.



In einer grotesken Verkehrung der Wahrheit hat die SPD- Führung eine eklatante Niederlage in eine Art Sieg umzudeuten versucht. Die aktiven Genossen scheint das auch beflügelt zu haben; gut möglich, daß es auf diesem Weg am Ende doch noch wahlentscheidend wird.

Beim Wähler aber ist bisher kein SPD- Erfolg angekommen. Die Ergebnisse der Umfragen belegen das.

Drei Institute (Emnid, die Forschungsgruppe Wahlen - FGW - und Infratest Dimap) haben Umfragen sowohl in der Woche unmittelbar vor als auch in der Woche nach den Landtagswahlen durchgeführt. Die Resultate findet man bei wahlrecht.de; und zwar hier (Emnid), hier (FGW) und hier (Infratest Dimap).

Hier sind die Ergebnisse für die großen Parteien; gefettet jeweils diejenigen aus der Befragung nach den Wahlen vom vergangenen Sonntag. Die Daten der drei Institute stehen in der Reihenfolge, in der ich diese oben genannt habe:
CDU: 35 --> 34; 37 --> 37; 35 --> 35

FDP: 14 --> 14; 14 --> 15; 15 --> 14

SPD: 24 --> 26; 23 --> 23; 23 --> 23

Grüne: 12 --> 11; 12 --> 11; 13 --> 13

Die Linke: 10 --> 11; 9 --> 10; 10 --> 11
Mittelt man die Daten der drei Institute (was allerdings nur eine sehr grobe Methode des Aggregierens von Daten ist), dann lag die CDU vor den Landtagswahlen bei 35,6 und liegt sie danach bei 35,3 Prozent; die FDP bei 14,3 und wieder 14,3 Prozent; die SPD bei 23,3 und 24,0 Prozent; die Grünen bei 12,4 und 11,6 Prozent und die Kommunisten bei 9,7 und 10,7 Prozent.

Mit anderen Worten: Die Wirkung der Landtagswahlen auf die Umfragedaten war null, berücksichtigt man die Fehlertoleranz.

Die Situation ist heute noch immer so wie schon seit Monaten: Schwarzgelb hat einen hauchdünnen Vorsprung. Er ist so gering, daß er durch den kleinsten Stoß kippen kann - irgend ein emotionalisierendes Thema, das jetzt noch aufkommt; ein beliebiges Ereignis, das die Stimmung verändert.

In der Physik nennt man das ein indifferentes Gleichgewicht. Solange keine Kraft einwirkt, bleibt das System stabil. Aber schon eine geringe Kraft genügt, um diese Stabilität zunichte zu machen.

Bisher hat vor allem die SPD eine solche Kraft ins Spiel zu bringen versucht, indem sie Reizthemen hochgespielt hat - die angebliche Gefährlichkeit der Atomkraft, das angebliche Guttenberg- Papier, gar Merkels Einladung an Ackermann. Das war alles doch arg durchsichtig; nichts davon ist offenbar beim Wähler angekommen.



Aber es kann ja noch etwas kommen. Ein spielentscheidendes Tor kann in letzter Minute fallen.

Vielleicht gelingt es der SPD im Verein mit den anderen Volksfront- Partnern doch noch, manchem Wähler einen Schrecken vor schwarzgelbem "Sozialabbau" einzujagen. Die Mobilisierung ihrer Anhänger scheint der SPD jedenfalls im Augenblick besser zu gelingen als der Union; siehe Wind ins Gesicht, Rückenwind. Die windigen Tricks der SPD könnten erfolgreich sein; ZR vom 1.9.2009. Vielleicht wird auch die Union doch noch wach und erinnert zum Beispiel offensiv daran, wohin sieben Jahre Rotgrün das Land gebracht hatten.

Vielleicht wird auch Afghanistan ein heißes Thema, das dann freilich vor allem den Kommunisten nutzen dürfte. Unter deren Druck könnten aber auch die SPD und die Grünen auf Distanz zur bisherigen Afghanistan- Politik gehen; deren Unterstützung für den bedrängten Verteidigungsminister hält sich bisher jedenfalls in Grenzen.

Nichts Gewisses weiß man nicht. Das einzig Sichere ist: Wenn manche Leute in der Union und bei der FDP meinen, sie hätten den Sieg so gut wie in der Tasche, dann irren sie.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.