5. August 2009

Zettels Meckerecke: Jugendsprache? - Sprachverrohung! Über eine Aktion des Verlags Langenscheidt; nebst einem Text zum Juventulekt

Erinnern Sie sich noch? Wer am Ende seiner Kräfte war, der war fix und foxy. Eine dralle Maid war eine Wuchtbrumme. Der Freak hatte, wenn er voll gut drauf war, immer genug Kohle auf der Tatze; und wenn nicht, dann stand zu befürchten, daß er bald nichts mehr vom Teller ziehen konnte.

Wer ein Laberkopf war, der hatte freilich schlechte Chancen, eine Schnecke anzugraben; es sei denn, es war einer, für den Geld keine Rolex spielte.

So war sie einmal, die Jugendsprache. Rotzig, witzig, sprachspielerisch und spracherfinderisch. Die Beispiele entstammen teils meiner Erinnerung, teils Artikeln aus den achtziger Jahren wie diesem und diesem.



Und heute? Bärenstark ist sie nicht mehr, die Jugendsprache. Sondern ungeil, abgeschlafft und vor allem etwas, das der Teenie- Jargon der Achtziger und Neunziger überhaupt nicht gewesen war: Bösartig, aggressiv, herabsetzend.

Sie glauben das nicht? Dann gehen Sie doch bitte zum Verlag Langenscheidt, und dort auf diese Seite, auf der man "mitvoten" kann beim Wettbewerb um das "Jugendwort des Jahres 2009".

Das ist jetzt das zweite Jahr, in dem Langenscheidt augenscheinlich versucht, auf diese Weise Jugendliche an den Verlag heranzuführen. Letztes Jahr gewann das Jugendwort "Gammelfleischparty"; laut "Süddeutscher Zeitung" ein Ausdruck "für Feiern von über 30-Jährigen".

Ich weiß nicht, ob letztes Jahr schon derselbe Modus galt wie diesmal: Zunächst darf jeder im Web abstimmen, und aus den 15 Wörtern mit der höchsten Stimmenzahl wählt dann eine Jury das Siegerwort aus. Wenn das vergangenes Jahr schon so war, dann hat die Jury ihre Entscheidung freilich arg verschnitzelt; was laut Langenscheidt "verhauen, verpatzt" bedeutet.

"Verschnitzeln" für etwas verbocken ist einer der wenigen harmlosen Ausdrücke in der Liste. Die meisten aber sind von dieser Art: Pommes Frites sind "Aknestäbchen", ein Rollator ist ein "AOK- Shopper", eine Familienfeier eine "Faltenparty", ein Ausflugsschiff ein "Kukidentdampfer".

"Knieschoner" sind Hängebusen. Ein Besuch beim Frauenarzt wird, so sagt es Langenscheidt, in der Jugend "Schnecken- TÜV" genannt, und ist ein Mädchen zu dünn, dann gehört es zur "Gazellenfraktion".

Es geht gegen Alte, gegen Frauen, gegen Alkoholiker ("Komajunkie"; "Don Promillo"), gegen Menschen mit körperlichen Fehlern ("Hagelschaden" bezeichnet die Cellulite); natürlich gegen diejenigen, die man für dumm hält ("Pisaopfer"; "Hirni" ist offenbar out).

Das sind Beispiele aus den Einsendungen, die der Verlag Langenscheidt für würdig befunden hat, zur Abstimmung gestellt zu werden. Einige wenige witzige sind dabei; zum Beispiel "Schizo- Clip" für einen Headset, mit dem man mit einem Ohr dem Handy lauschen und mit dem anderen hören kann, was in der Umgebung vorgeht. Aber die meisten transportieren keinen Witz, keine Kreativität, sondern nur Vorurteile, Arroganz und Aggressivität.



Was ist da passiert? Warum war die Jugendsprache vor zwei, drei Jahrzehnten noch lustig und spottend, und warum ist sie heute derart verroht?

Ich weiß es nicht. Mir klingen die meisten dieser Einsendungen so, als stammten sie von Rechtsextremen und sonstigen Dummköpfen aus der untersten Unterschicht. Aber dann müßte es doch auch andere Einsendungen geben; eben von der Art, wie die Jugendsprache in den achtziger, neunziger Jahren gewesen war. Warum findet man sie nicht unter den Wörtern, die Langenscheidt zur Abstimmung stellt?

Die noch positivste Deutung, die mir eingefallen ist, lautet: Das ist die Reaktion der Jugendlichen auf die Political Correctness. Es wird ihnen eingetrichtert, nur ja niemanden sprachlich herabzusetzen und zu verletzen. Also tun sie es. So, wie manche dem Rechtsextremismus zuneigen, weil sie die Heuchelei hinter dessen Dämonisierung durchschauen.

Im Augenblick führt übrigens mit 13,6 Prozent der abgegebenen Stimmen "Edelratte". Laut dem Verlag Langenscheidt ist das ein "kleiner Hund von weiblichen Prominenten".



Und nun möchte ich Ihnen doch noch etwas zum Lachen anbieten:
Anders als dialektale oder soziolektale Varietäten, die langfristig und meist generationen- übergreifend an landschaftliche Räume oder soziale Schichten gebunden sind, ist die Jugendsprache (oder der Juventulekt) eine generationsspezifische Übergangsvarietät, die den biologisch bedingten Aufbruch der Jugendlichen zum Erwachsenstatus in der Suche nach individueller und sozialer Identität in der Altersspanne zwischen 10 und 30 sprachlich und kommunikativ zum Ausdruck bringt.

Die (überregionalen und kollektiv- sozialen) Gemeinsamkeiten jugendsprachlicher Repertoire bezeichnen wir als "sekundäre Varietät (...), die in der sekundären Sozialisation erworben, in der alltäglichen informellen Kommunikation im sozialen Alter der Jugend habituell verwendet und als solche identifiziert wird. Sie wird auf der Basis einer areal und sozial verschiedenen Primärvarietät realisiert und besteht aus einer Konfiguration aus morphosyntaktischen, lexikalischen und pragmatischen Merkmalen"
Aus der Beschreibung des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit dem Jahr 2008 geförderten Projekts "Jugendsprache im Längsschnitt (JUSPIL)" an der Freien Universität Berlin.



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