2. Juni 2009

Marginalie: Tod eines Abtreibungsarztes

Am Sonntag ist in Wichita im US- Bundesstaat Kansas der Abtreibungsarzt Dr. George Tiller ermordet worden. Ich wundere mich ein wenig, daß die Tat hier in Deutschland nicht mehr Aufmerksamkeit gefunden hat; denn sie geschah unter spektakulären Umständen und wirft einige Fragen auf.

Dr. Tiller besuchte den Gottesdienst in der Kirche, in die er seit Jahrzehnten geht, und war gerade mit der Verteilung von Texten beschäftigt, als ihn die Kugel des Mörders traf. Dieser flüchtete, wurde aber bald gefaßt.

Es ist ein gewisser Scott Roeder, der bereits einschlägig in Erscheinung getreten war. Wie Sarah Rubenstein in einem Blog des Wall Street Journal schreibt, wurde er schon 1996 wegen des Besitzes von Material zum Bau einer Bombe verurteilt. Das Urteil wurde allerdings aufgehoben, weil die Durchsuchung, bei der das Material gefunden worden war, illegal gewesen war.

Vor der Tat hatte Roeder gegenüber anderen Abtreibungs- Gegnern erklärt, daß er tödliche Gewalt gegen Abtreibungs- Ärzte billige.



Dr. Tiller war nicht irgendein Abtreibungsarzt, sondern ein Spezialist für Spätabtreibungen. We Brian Palmer in Slate erläutert, sind Spätabtreibungen erheblich risikoreicher und erfordern weit mehr Erfahrung als Abtreibungen in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Das gilt vor allem für sogenannte post- viability abortions; Abtreibungen zu einem Zeitpunkt, zu dem der Fötus, würde er als Frühgeburt auf die Welt kommen, bereits lebensfähig wäre.

Ein Absaugen ist zu einem so späten Zeitpunkt nicht mehr möglich. Der Arzt öffnet den Gebärmutterhals und zieht den Fötus mit Hilfe von chirurgischen Instrumenten heraus. Es kommt dabei darauf an, den Körper möglichst intakt zu halten, weil sonst die Gefahr von Verletzungen der Gebärmutter und von Infektionen besteht. Das ist schwierig, weil der Körper noch weich ist und leicht Gliedmaßen abreißen können.

Alternativ zu dieser Prozedur kann man hormonell einen Geburtsvorgang einleiten und den Fötus töten. Dr. Tiller beherrschte beide Techniken und war bereit, sie auch noch in einem sehr späten Stadium einer Schwangerschaft anzuwenden. Er bekam deshalb Fälle von Kliniken aus dem ganzen Land geschickt, die selbst eine Abtreibung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vornehmen konnten oder wollten.



Soweit die Fakten, die nüchtern zu beschreiben nicht ganz einfach ist. Wie ist das zu bewerten, was Dr. Tiller getan hat? Da scheiden sich natürlich die Geister, so radikal, wie sich überhaupt nur die Geister scheiden können. Für die einen war Tiller ein mutiger Mann, der Frauen in verzweifelten Situationen half. Für andere war er ein Massenmörder.

Ebenfalls im gestrigen Slate äußert sich William Saletan sehr pointiert zu diesen Alternativen. "Is it wrong to murder an abortionist?" fragt er - ob es unrecht sei, einen Abtreiber zu ermorden. Saletan - ein Befürworter auch der Spätabtreibung - entwirft eine eiskalte Logik des Mordes. Tiller sei derjenige gewesen, der auch extrem spät noch Abtreibungen vorgenommen habe. Somit gelte:
If you kill an ordinary abortionist, somebody else will step in. But if you kill the guy at the end of the line, some of his patients won't be able to find an alternative. You will have directly prevented abortions. That seems to be what Tiller's alleged assassin, Scott Roeder, had in mind.

Wenn du einen gewöhnlichen Abtreiber tötest, dann wird es ein anderer machen. Aber wenn du denjenigen ganz am Ende der Reihe tötest, dann werden einige seiner Patienten keine Alternative finden. Du hast also direkt Abtreibungen verhindert. Das scheint es gewesen zu sein, was der vermutliche Attentäter, Scott Roeder, sich ausgedacht hatte.
Ein Leben vernichten, um viele Leben zu retten - ist das nicht gerechtfertigt, fragt Saletan rhetorisch.

Und weist dann darauf hin, daß auch Abtreibungs- Gegner in den USA die Tat jedoch keineswegs gebilligt hätten. Warum eigentlich nicht, fragt Saletan. Hätte man die Tat denn nicht gebilligt, wenn Tiller ein Massenmörder an Hunderten von alten oder behinderten Menschen gewesen wäre und es keinen anderen Weg gegeben hätte, ihn zu stoppen?

Es gebe da eben doch einen Unterschied, meint Saletan. Auch für Abtreibungs- Gegner sei ein Fötus nicht dasselbe wie ein zur Welt gekommener Mensch; auch wenn sie das Gegenteil behaupteten und vielleicht auch glaubten.



Mich erinnert das an einen Artikel von Sebastian Haffner in den siebziger Jahren, als bei uns die Debatte über die Abtreibungs- Gesetzgebung tobte. Wenn Abtreibung Mord ist, schrieb Haffner damals - wozu braucht man sie dann zu verbieten? Mord ist ja bereits verboten.



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