7. November 2008

Von Bush zu Obama (1): Warum hat Barack Obama gewonnen? Eine Wahlanalyse auf fünf Ebenen, Teil 2

Die beiden Faktoren, mit denen sich der erste Teil befaßte, lagen auf der persönlichen Ebene und auf derjenigen der Wahlkampf- Taktik: Obama begeisterte von Anfang an durch sein charismatisches Auftreten, und sein Team führte einen nahezu fehlerlosen Wahlkampf.

Dieser Wahlkampf war nicht nur fehlerfrei in dem Sinn, daß dem Team und daß Obama selbst kein größerer Schnitzer unterlief. Sondern er war vor allem deshalb erfolgreich, weil er auf die richtigen Themen setzte: Den Wandel ("Change will come"), die Versöhnung der politischen Gegensätze ("No Red States, no Blue States, only the United States") und auf das immer wiederkehrende "Yes we can".

Alle drei Parolen waren im Grunde abgeschmackt, unoriginell, altbacken.

Als Johannes Rau seinen Wahlkampf 1987 mit dem Thema "Versöhnen statt spalten" bestritt, wurde ihm das nicht nur von den Kommentatoren als populistisch angekreidet, sondern er verlor auch mit Pauken und Trompeten. Anfangs des Wahlkampfs von Barack Obama nannte im Januar Dennis Prager Obamas Versöhnungs- Gerede angesichts der realen Gegensätze "kindisch" (childish).

Ebenso mit dem zweiten Thema: Den Wandel verspricht jeder Provinz- Wahlkämpfer, der Bürgermeister oder Landrat werden will. Gerade ist in Hessen Andrea Ypsilanti mit ihrem Plan eines "Politikwechsels" gescheitert. Helmut Kohl führte den Wahlkampf 1980 mit dem Versprechen einer "geistig- moralischen Wende". Als die Grünen auf der bundespolitischen Bühne erschienen, verkündeten sie großspurig ein "anderes Politik- Verständnis".

Sowohl das Thema des Versöhnens als auch das des Wandels, der Wende gehören zum Standard- Repertoire unzähliger Wahlkämpfe. Und das Motivieren der Wähler durch das Versprechen, gemeinsam werde man es schaffen, tut das ohnehin. Wie konnte es geschehen, daß Obama mit diesen Uralt- Parolen einen derartigen Erfolg hatte?

Weil sie - so meine These - genau in die Zeit paßten; weil sie die in den USA vorherrschende Stimmung exakt trafen. Damit bin ich bei der dritten Ebene der Analyse.



3. Die zeitgeschichtliche Ebene. Die Bezeichnung ist nicht optimal, aber ich habe keine bessere gefunden. Was ich meine, das ist die innen- und außenpolitische Entwicklung, die die USA in den vergangenen Jahren, auch den vergangenen Jahrzehnten, genommen haben und die Stimmung in der Bevölkerung, in der diese Entwicklung heute ihren Niederschlag findet. Deshalb zunächst ein kurzer Blick zurück.

Die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkriege waren - so las man es damals nicht selten - ein "Amerikanisches Zeitalter" gewesen. Das endete abrupt mit dem Mord an Kennedy, mit dem Vietnam- Krieg und der inneren Krise der siebziger Jahre; der Zeit der gar nicht großen Präsidenten Richard Nixon, Gerald Ford und Jimmy Carter. Parallel dazu verloren die USA außenpolitisch an Einfluß.

Als im Jahr 1979, gegen Ende der Amtszeit Jimmy Carters, iranische "Studenten" die US- Botschaft in Teheran besetzten, Botschaftsangehörige dort mehr als ein Jahr lang festhielten und der Versuch einer militärischen Befreiung dann auch noch kläglich in einem Sandsturm scheiterte, hatte dieser Niedergang sein Symbol gefunden.

Beendet wurde diese mehr als zehnjährige Krise mit der Regierungszeit Ronald Reagans, in den achtziger Jahren. Auf den Niedergang in den Siebzigern folgte eine Zeit des Wiederaufstiegs der USA; in gewisser Weise ein neues Amerikanisches Zeitalter.

Die Grundlage dafür schuf Reagans neoliberale Wirtschaftspolitik und seine außenpolitische Festigkeit; der Aufstieg dauerte unter seinen Nachfolgern George Bush sen. und Bill Clinton an. Als George W. Bush im Herbst 2000 zu Clintons Nachfolger gewählt wurde, waren die USA die einzige verbliebene Supermacht; wirtschaftlich, militärisch und auch in ihrem Ansehen unangefochten.

Unangefochten, noch. So könnte man im Rückblick sagen. Denn während der guten, der erfolgreichen Reagan-, Bush- und Clinton- Jahre zogen sich sozusagen die Gewitter über den USA zusammen.

Im Inneren veränderte sich die Gesellschaft in einem nie gekannten Tempo. Dazu mehr in in einem späteren Abschnitt.

Aber auch die Welt rund um die USA veränderte sich. Die USA waren (und sind) von der Globalisierung mindestens so stark betroffen wie Europa. Chinesische Waren strömten ins Land, die klassischen Industrien waren immer mehr dieser Konkurrenz ausgesetzt; zusätzlich wuchs die Auslagerung von Produktions- Stätten, das Outsourcing. Auch dem amerikanischen Sozialstaat drohte der Kollaps; wie bei uns unter anderem wegen der demographischen Entwicklung.

In dieser Lage kam George W. Bush 2000 an die Macht. Er wollte eigentlich ein innenpolitischer Präsident werden; Reformen des Schulwesens ("No child left behind"), der Gesundheitspolitik (Medicare), Steuersenkungen und die Reform des Rentensystems hatten auf seinem Programm gestanden. Das sollte einerseits die USA fit für die Globalisierung machen und andererseits deren negative Auswirkungen dämpfen.

Zugleich strebte Bush eine konservative Erneuerung der Gesellschaft an; zu seinen ersten Gesetzesvorlagen gehörten beispielsweise erweiterte Zuschüsse an religiöse Wohlfahrts- Einrichtungen. Ein anderes Lieblingsprojekt Bushs war die Senkung der Zahl von Teenager- Schwangerschaften.

Die meisten dieser Vorhaben hat Bush mehr oder weniger erfolgreich im Lauf seiner acht Jahre im Amt realisiert. Seine innenpolitische Bilanz kann sich durchaus sehen lassen. Das alles aber wurde weitgehend überlagert durch den Terrorangriff am 11. September 2001. Er war es, der Bushs Außenpolitik wie auch seiner Innenpolitik eine neue Richtung gab und der eine zentrale Ursache für die heutige Situation ist, in der Obama mit seinen Parolen vom Wandel und von der Einigkeit so erfolgreich sein konnte.



Der Terrorangriff am 11. September und die Art, wie er darauf reagierte, hat Präsident Bush zunächst zu großer Popularität verholfen. Nach der Amtsübernahme hatte er zwischen 50 und 65 Prozent Zustimmung bekommen. Im September 2001 schnellte der Wert auf über 90 Prozent hoch. Am 8./9. Oktober 2001 erreichte Buch mit 92 Prozent den höchsten Zustimmungs- Wert, der seit Beginn dieser Erhebungen unter Franklin D. Roosevelt jemals gemessen wurde. Die Zustimmung fiel dann langsam auf normalere Werte ab, lag aber im Februar 2003, vor dem Beginn des Irak- Kriegs, immer noch höher als vor dem 11. September.

Der Entschluß Bushs, diesen Krieg zu führen, brachte seine Popularität noch einmal auf ein zweites Hoch; vom März bis zum Juni 2003 waren rund 70 Prozent der Amerikaner mit seiner Amtsführung einverstanden. Der Wert sank dann wieder langsam, lag aber im Dezember 2003, nachdem Saddam Husseein gefaßt worden war, noch einmal bei über 60 Prozent. Danach stabilisierte er sich bei 50 Prozent; bei diesem Wert blieb es bis Mitte 2005.

Bis dahin war George W. Bush ein durchaus erfolgreicher Präsident. Die amerikanische Nation war weitgehend mit sich selbst im Reinen: Man hatte auf den Angriff vom 11. September so reagiert, wie es nun einmal hatte sein müssen. Der Lohn war, daß es danach nicht noch einmal einen Angriff dieses Kalibers gegeben hatte. Man war dabei, im Irak eine leidliche Demokratie entstehen zu lassen; das würde den ganzen Nahen Osten dem Frieden und einer stabilen Ordnung ein großes Stück näher bringen.

Wäre Präsident Bush im Sommer 2005 etwas zugestoßen - er wäre nicht als ein ganz großer, aber doch ein passabler Präsident in die Geschichte eingegangen, der in einer schwierigen Situation die Sicherheit der Nation gewährleistet hatte. Dafür - und für eine im Ganzen erfolgreiche Wirtschaftspolitik - hatte ihn ein halbes Jahr zuvor eine Mehrheit der Amerikaner für eine zweite Amtszeit gewählt.

Stellen wir uns einmal den - in der US-Verfassung nicht vorgesehenen - Fall vor, daß es nach einem Ausfall Bushs im Jahr 2005 die Neuwahl eines Präsidenten gegeben hätte.

Dann wären Barack Obamas Parolen vom Wandel und vom Heilen der Gegensätze auf wenig Resonanz gestoßen, ja auf achselzuckendes Unverständnis. Warum wechseln; es lief doch alles gar nicht so schlecht? Welche Gegensätze heilen? Die Wähler hatten sich ja gerade erst deutlich für Bush entschieden; und Kerry hatte überdies auch keine großen Änderungen versprochen.

Barack Obama wäre damals vermutlich noch nicht einmal von seiner Partei nominiert worden; so wenig, wie auf der anderen Seite der Maverick McCain. Man hätte sich als Kandidaten für die Nachfolge jemanden ausgesucht, der im großen und ganzen auf Bushs Linie gewesen wäre; vielleicht Condoleezza Rice auf der einen und Joe Lieberman auf der anderen Seite.

Was ist in den gut drei Jahren seither passiert, was hat die politische Landschaft der USA so verändert, daß so viele Amerikaner einen Wandel wollten, so viele jetzt empfänglich waren für die Versprechungen eines Heilers, der alle Gegensätze im Volk überwinden, der alles ändern will?

Die Antwort liegt, wie ich meine, weniger in irgendeinem politischen Detail, sondern in der Selbstwahrnehmung, dem Selbstbild der Amerikaner. Es hatte sich in diesen drei Jahren so etwas wie eine kollektive Depression eingestellt; und da kam der Doktor Eisenbarth Barack Obama gerade recht als Therapeut.

(Fortsetzung folgt)



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