2. September 2008

Zitat des Tages: Eine Prognose bis zum Jahr 2100

Nach jahrelanger Rechenarbeit ist die Wahlprognose der Bundesregierung fertig. In nie erreichter Genauigkeit sagt sie voraus, wie die Wahlen bis 2100 ausgehen - im Bund und Bundesland für Bundesland.

Aus einem Artikel heute in "Spiegel- Online".

Nein, nur fast aus "Spiegel- Online". Ich habe jetzt auch mal ein wenig manipuliert.

Genau genommen heißt es dort natürlich:

Nach jahrelanger Rechenarbeit ist die Klimaprognose der Bundesregierung fertig. In nie erreichter Genauigkeit sagt sie voraus, wie sich das Klima bis 2100 verändert - Region für Region.



Kommentar: In der Tat "in nie erreichter Genauigkeit". So genau ist das Nichtwissen einer Disziplin noch nie in bunte Bilder gegossen worden.

Mathematische Modelle werden in vielen Disziplinen eingesetzt. Sie sind in verschiedener Hinsicht nützlich:

Sie erlauben es vor allem, zu präzisieren, was genau aus bestimmten Annahmen folgt. Sie quantifizieren diese Annahmen. Sie machen unerwartete Konsequenzen dieser Annahmen erkennbar; etwa Interaktionen, an die man gar nicht gedacht hatte.

Sie erlauben es, theoretische Aussagen mit empirischen Daten zu verknüpfen und damit zu untersuchen, wie eine Theorie sich verhält, wenn sie auf realistische Bedingungen bezogen wird. Kurz, sie sind ein Instrument der Forschung.

Mathematische Modelle machen auch Vorhersagen, so wie jede Theorie. Das sind aber keine Prognosen im Sinn eines Blicks in die Zukunft, sondern es sind Wenn- dann- Aussagen: "Wenn xyz der Fall ist und die Annahmen ABC stimmen, dann wird x'y'z' eintreten." Solche Aussagen, nur ungleich komplexer, werden in einem mathematischen Modell quantifiziert.

Man kann dann die Bedingungen xyz herstellen, sich anschauen, inwíeweit tatsächlich x'y'z' eintritt; und man wird aufgrund dieses Resultats gegebenenfalls die Annahmen ABC zu A'B'C' modifizien. Oder sie vielleicht ganz verwerfen. Das ist der Sinn solcher Modelle, das ist ihre Funktion für die Forschung.



Mit Klimamodellen ist es nicht anders. Den Fachleuten ist das natürlich klar. Aber das Publikum möchte gern einen Blick in die Zukunft erhaschen. Es mißversteht die Modelle als "Prognosen", wie sie ein Hellseher anbietet.

Freilich widersprechen die Fachleute dem auch oft nicht allzu laut. Kaum eine Disziplin kann sich im Augenblick über so reiche Forschungsmittel freuen wie die Klimatologie. Dafür muß man schon etwas bieten.

Bunte Bilder beispielsweise. Das schaurig- schöne Gefühl des Betrachters, man wisse schon jetzt, daß sich im Zeitraum von 100 Jahren das Klima in den südwestlichen Teilen Sachsens stärker erwärmen wird als im Norden und Osten dieses Bundeslands.

Wer den Artikel bis zum Ende liest, der erfährt, wie die Klimatologen ihre Modelle tatsächlich sehen: "Dennoch wollen sie ihr Szenario für Deutschland nicht als exakte Vorhersage verstanden wissen."

Ein Szenario ist es, ein Forschungsinstrument. Keine Hellseherei. Aber genau als das wird es in der Öffentlichkeit mißverstanden.



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