"The land of foie gras takes to the 3-star hamburger" lautet die Überschrift; das Land der Gänsestopfleber wendet sich dem Hamburger mit drei Sternen zu. Dieser Artikel von Jane Sigal ist so, wie man es in der International Herald Tribune liebt:
Für Amerikaner geschrieben, die Europa mögen. Für Europäer geschrieben, die die USA mögen. Und vor allem für Franzosen geschrieben, die sich die IHT kaufen, um diese seltsamen Amerikaner besser zu verstehen.
Und geschrieben natürlich für den Amerikaner in Paris, der sich die IHT kauft, erstens weil er sich daran erinnert, wie Jean Seberg sie in "À bout de souffle" so umwerfernd charmant verkauft hat (damals noch als New York Herald Tribune). Und zweitens weil ja auch er seinerseits die Franzosen besser verstehen will, und weil nirgends die Franzosen besser erklärt werden als eben in der IHT.
Also, es geht um einen clash of cultures; einen, gegen den der Zusammenprall zwischen amerikanischer und britischer Kultur in Oscar Wildes "The Canterville Ghost" nur ein sanftes Sich- Berühren gewesen ist.
Und nirgends prallen sie natürlich so heftig aufeinander, die amerikanische und die französische Kultur, wie beim Essen.
Für das der kultivierte Franzose niemals das ordinäre Wort manger verwenden würde. Man geht zum déjeuner, meist aber heutzutage zum dîner; man nimmt den repas.
Und der Amerikaner, lui? Er spricht vom food und meint damit leider nicht nur die Dosen für seine pets. Ja, wenn er jemanden einlädt, dann kündigt er gar an "We will feed you". Welchem Franzosen, der die IHT liest, fällt da nicht das ein, wofür wir Deutsche das Wort "Abfüttern" haben?
Abfüttern gegen Dinieren. Fast Food gegen die eineinhalb Stunden, die in Frankreich ein ordentliches Essen mindestens dauert. Die Speise, im Stehen heruntergeschlungen, gegen ein Menü mit gebührend langen Pausen zwischen den plats, in denen man dem Genossenen nachsinnen, sich auf den nächsten Gang freuen, vor allem aber mit den Tischgenossen, den convives plaudern kann; wörtlich also den Mitlebenden.
So, lieber Leser, will es das Klischee. Und so war es ja auch einmal.
So war es, als ich vor ziemlich genau fünfzig Jahren, kurz vor dem Ende der Vierten Republik, das erste Mal in Paris war. Wenn der in Paris lebende Onkel den Schüler zum Essen einlud, dann ging es so geruhsam, so aufwendig, so französisch zu. Und selbst wenn man sich - das begann damals gerade - im self service zu Mittag sein Essen selbst an der Theke zusammenstellte, bestand es aus mindestens vier Gängen, und man trank ein Fläschlein Wein dazu.
Das war aber nur eine Notlösung für den Mittag. Die meisten, die in Paris arbeiteten, gingen auch Mittags in ein Bistrot; und Abends nahm man das traditionelle Menü:
Zum Auftakt das hors d'oeuvre - wörtlich also das, was außerhalb des eigentlichen Werks ist; die Vorspeise. Meist kalt; die terrine du chef etwa, eine Pastete nach Art des Hauses.
Dann (oder statt des hors d'oeuvre) eine Suppe. Keine dicke Suppe (soupe), sondern meist eine leichte, klare Brühe, der consommé. Sodann kam eine entrée; oft ein Fischgang oder Meeresfrüchte. Und dann der Hauptgang, gefolgt vom Käse.
Auch in kleinen Restaurants gab es einen Käsewagen, mit dem der garçon oder die Kellnerin, oft auch der patron selbst erschien. Nur Unzivilisierte und Deutsche nutzten die Einladung, sich nach Belieben zu bedienen, um hier über Gebühr zuzulangen. Man nahm ein Stückchen von einem, allenfalls von zweien der angebotenen Käse.
Am Schluß das dessert; oft Obst oder ein gâteau, ein sehr süßer Kuchen. Nicht dazu, sondern anschließend war der café unvermeidlich; dazu vielleicht Cognac.
Wie konnte man so viel essen? Zum einen, weil es nicht so viel war. Die Portionen waren klein. Zweitens, weil man sich ja Zeit ließ. Und drittens, weil es in Frankreich üblich ist, den Teller nicht leer zu essen. Kein Wirt käme dort auf die Idee, den Gast, der sich von einem nicht leergeräumten Teller trennt, zu fragen: "Hat's nicht geschmeckt?", wie man das in Deutschland erleben kann.
Tja, so war das damals, vor einem halben Jahrhundert. Es gibt solche Menüs natürlich auch heute noch. Aber sie sind nicht mehr die Regel. Wie überhaupt das Essen in Frankreich sich drastisch geändert hat. Und zwar in vielfacher Hinsicht.
Zum einen haben natürlich auch nach Frankreich fremde Küchen ihren Einzug gehalten. "Einzug" ist nicht ganz richtig, denn auch vor fünfzig Jahren konnte man in Paris von der vietnamesischen über die russische bis zur maghrebinischen Küche alles bekommen, was das Herz an Exotik begehrte.
Aber das waren doch Ausnahmen, außer in den Vierteln der betreffenden Einwanderer. Heute hingegen wimmelt es überall von Italienern, von chinesischen Lokalen, im Quartier Latin von griechischen Restaurants vor allem für Touristen, die ganze Straßen dominieren.
Zweitens gibt es auch in Frankreich inzwischen, wie überall auf der Welt, Fast- Food- Angebote aller Art. Die MacDonaldisierung halt, gegen die sich Frankreich anfangs gewehrt hatte.
Drittens hat sich ein Netz von Restaurant- Ketten wie Le Bistrot Romain, Hippopotamus und Léon de Bruxelles über Paris ausgebreitet; mit einer Einheits- Speisekarte, auf der wenige, standardisierte Speisen stehen. Dort geht es um schnellen Umsatz. Zwischen den - in ihrer Zahl geschrumpften, siehe unten - Gängen bleiben kaum noch Pausen; der Tisch soll ja schnell wieder für die nächsten Gäste frei werden.
Und viertens und hauptsächlich hat sich auch in den traditionellen französischen Restaurants, die es immer noch in großer Zahl gibt, die Speisekarte drastisch geändert. "Au XXIe siècle, le nombre de plats d'un repas a beaucoup diminué" kann man in der französischen Wikipedia lesen; im Einundzwanzigsten Jahrhundert sei die Zahl der Gänge eines Essens sehr geschrumpft.
In der Tat. Einen maßgeblichen Grund dafür habe ich in einem früheren Artikel beschrieben: Das Bedienungspersonal ist, vor allem aufgrund der gesetzlichen 35-Stunden-Woche, so teuer geworden, daß es sich für die Wirte nicht rechnet, den Gästen viele Gänge zu servieren. Das geht nur noch in den teuersten Restaurants.
Also hat man die Zahl der Gänge reduziert. Das hors d'oeuvre ist weitgehend im entrée aufgegangen; und dieses wird in den einfachsten Menüs, die jetzt gern la formule genannt werden, oft alternativ zum dessert angeboten.
Damit die Gäste dennoch satt werden, sind die Teller heutzutage in Paris genauso vollgepackt wie in Berlin oder Köln. Also bestellt man, selbst wenn man es vorzieht, à la carte zu essen, kaum noch mehr als drei Gänge.
Und wie ist das nun mit dem Hamburger in Paris? In Gestalt der Hamburger von McDonald's und Burger King haben sie Paris schon längst ebenso erobert wie die zahllosen Pizzerien und Gyros- Griechen. Aber nicht davon ist in dem Artikel von Jane Sigal in der IHT die Rede, sondern von einer anderen Entwicklung: Die französischen Köche sind dabei, nolens volens den Hamburger, nun ja, zu schlucken. If you can't beat'em, join'em.
Also ungefähr, seit Nicolas Sarkozy, der Freund der USA, das Amt des Staatspräsidenten von Jacques Chirac übernommen hatte. Ein Hamburger, für 35 Euro von dem Drei- Sterne- Koch Yannick Alléno in seiner kleinen Kneipe Le Dali auf den Tisch gebracht - undenkbar im Frankreich Chiracs. Ein Stück Wende unter Sarkozy.
Für Amerikaner geschrieben, die Europa mögen. Für Europäer geschrieben, die die USA mögen. Und vor allem für Franzosen geschrieben, die sich die IHT kaufen, um diese seltsamen Amerikaner besser zu verstehen.
Und geschrieben natürlich für den Amerikaner in Paris, der sich die IHT kauft, erstens weil er sich daran erinnert, wie Jean Seberg sie in "À bout de souffle" so umwerfernd charmant verkauft hat (damals noch als New York Herald Tribune). Und zweitens weil ja auch er seinerseits die Franzosen besser verstehen will, und weil nirgends die Franzosen besser erklärt werden als eben in der IHT.
Also, es geht um einen clash of cultures; einen, gegen den der Zusammenprall zwischen amerikanischer und britischer Kultur in Oscar Wildes "The Canterville Ghost" nur ein sanftes Sich- Berühren gewesen ist.
Und nirgends prallen sie natürlich so heftig aufeinander, die amerikanische und die französische Kultur, wie beim Essen.
Für das der kultivierte Franzose niemals das ordinäre Wort manger verwenden würde. Man geht zum déjeuner, meist aber heutzutage zum dîner; man nimmt den repas.
Und der Amerikaner, lui? Er spricht vom food und meint damit leider nicht nur die Dosen für seine pets. Ja, wenn er jemanden einlädt, dann kündigt er gar an "We will feed you". Welchem Franzosen, der die IHT liest, fällt da nicht das ein, wofür wir Deutsche das Wort "Abfüttern" haben?
Abfüttern gegen Dinieren. Fast Food gegen die eineinhalb Stunden, die in Frankreich ein ordentliches Essen mindestens dauert. Die Speise, im Stehen heruntergeschlungen, gegen ein Menü mit gebührend langen Pausen zwischen den plats, in denen man dem Genossenen nachsinnen, sich auf den nächsten Gang freuen, vor allem aber mit den Tischgenossen, den convives plaudern kann; wörtlich also den Mitlebenden.
So, lieber Leser, will es das Klischee. Und so war es ja auch einmal.
So war es, als ich vor ziemlich genau fünfzig Jahren, kurz vor dem Ende der Vierten Republik, das erste Mal in Paris war. Wenn der in Paris lebende Onkel den Schüler zum Essen einlud, dann ging es so geruhsam, so aufwendig, so französisch zu. Und selbst wenn man sich - das begann damals gerade - im self service zu Mittag sein Essen selbst an der Theke zusammenstellte, bestand es aus mindestens vier Gängen, und man trank ein Fläschlein Wein dazu.
Das war aber nur eine Notlösung für den Mittag. Die meisten, die in Paris arbeiteten, gingen auch Mittags in ein Bistrot; und Abends nahm man das traditionelle Menü:
Zum Auftakt das hors d'oeuvre - wörtlich also das, was außerhalb des eigentlichen Werks ist; die Vorspeise. Meist kalt; die terrine du chef etwa, eine Pastete nach Art des Hauses.
Dann (oder statt des hors d'oeuvre) eine Suppe. Keine dicke Suppe (soupe), sondern meist eine leichte, klare Brühe, der consommé. Sodann kam eine entrée; oft ein Fischgang oder Meeresfrüchte. Und dann der Hauptgang, gefolgt vom Käse.
Auch in kleinen Restaurants gab es einen Käsewagen, mit dem der garçon oder die Kellnerin, oft auch der patron selbst erschien. Nur Unzivilisierte und Deutsche nutzten die Einladung, sich nach Belieben zu bedienen, um hier über Gebühr zuzulangen. Man nahm ein Stückchen von einem, allenfalls von zweien der angebotenen Käse.
Am Schluß das dessert; oft Obst oder ein gâteau, ein sehr süßer Kuchen. Nicht dazu, sondern anschließend war der café unvermeidlich; dazu vielleicht Cognac.
Wie konnte man so viel essen? Zum einen, weil es nicht so viel war. Die Portionen waren klein. Zweitens, weil man sich ja Zeit ließ. Und drittens, weil es in Frankreich üblich ist, den Teller nicht leer zu essen. Kein Wirt käme dort auf die Idee, den Gast, der sich von einem nicht leergeräumten Teller trennt, zu fragen: "Hat's nicht geschmeckt?", wie man das in Deutschland erleben kann.
Tja, so war das damals, vor einem halben Jahrhundert. Es gibt solche Menüs natürlich auch heute noch. Aber sie sind nicht mehr die Regel. Wie überhaupt das Essen in Frankreich sich drastisch geändert hat. Und zwar in vielfacher Hinsicht.
Zum einen haben natürlich auch nach Frankreich fremde Küchen ihren Einzug gehalten. "Einzug" ist nicht ganz richtig, denn auch vor fünfzig Jahren konnte man in Paris von der vietnamesischen über die russische bis zur maghrebinischen Küche alles bekommen, was das Herz an Exotik begehrte.
Aber das waren doch Ausnahmen, außer in den Vierteln der betreffenden Einwanderer. Heute hingegen wimmelt es überall von Italienern, von chinesischen Lokalen, im Quartier Latin von griechischen Restaurants vor allem für Touristen, die ganze Straßen dominieren.
Zweitens gibt es auch in Frankreich inzwischen, wie überall auf der Welt, Fast- Food- Angebote aller Art. Die MacDonaldisierung halt, gegen die sich Frankreich anfangs gewehrt hatte.
Drittens hat sich ein Netz von Restaurant- Ketten wie Le Bistrot Romain, Hippopotamus und Léon de Bruxelles über Paris ausgebreitet; mit einer Einheits- Speisekarte, auf der wenige, standardisierte Speisen stehen. Dort geht es um schnellen Umsatz. Zwischen den - in ihrer Zahl geschrumpften, siehe unten - Gängen bleiben kaum noch Pausen; der Tisch soll ja schnell wieder für die nächsten Gäste frei werden.
Und viertens und hauptsächlich hat sich auch in den traditionellen französischen Restaurants, die es immer noch in großer Zahl gibt, die Speisekarte drastisch geändert. "Au XXIe siècle, le nombre de plats d'un repas a beaucoup diminué" kann man in der französischen Wikipedia lesen; im Einundzwanzigsten Jahrhundert sei die Zahl der Gänge eines Essens sehr geschrumpft.
In der Tat. Einen maßgeblichen Grund dafür habe ich in einem früheren Artikel beschrieben: Das Bedienungspersonal ist, vor allem aufgrund der gesetzlichen 35-Stunden-Woche, so teuer geworden, daß es sich für die Wirte nicht rechnet, den Gästen viele Gänge zu servieren. Das geht nur noch in den teuersten Restaurants.
Also hat man die Zahl der Gänge reduziert. Das hors d'oeuvre ist weitgehend im entrée aufgegangen; und dieses wird in den einfachsten Menüs, die jetzt gern la formule genannt werden, oft alternativ zum dessert angeboten.
Damit die Gäste dennoch satt werden, sind die Teller heutzutage in Paris genauso vollgepackt wie in Berlin oder Köln. Also bestellt man, selbst wenn man es vorzieht, à la carte zu essen, kaum noch mehr als drei Gänge.
Und wie ist das nun mit dem Hamburger in Paris? In Gestalt der Hamburger von McDonald's und Burger King haben sie Paris schon längst ebenso erobert wie die zahllosen Pizzerien und Gyros- Griechen. Aber nicht davon ist in dem Artikel von Jane Sigal in der IHT die Rede, sondern von einer anderen Entwicklung: Die französischen Köche sind dabei, nolens volens den Hamburger, nun ja, zu schlucken. If you can't beat'em, join'em.
But as French chefs have embraced the quintessentially American food, they have also made it their own, incorporating Gallic flourishes like cornichons, fleur de sel and fresh thyme. These attempts to translate the burger, or maybe even improve it, strongly suggest that it is here to stay.Der Beginn also einer wunderbaren Freundschaft? Vielleicht. Denn so richtig hätte, schreibt Jane Sigal, diese neue kulinarische Mode sich in Paris erst in den letzten neun Monate entwickelt.
Aber indem die französischen Köche das schlechthinnige amerikanische Essen übernahmen, haben sie es sich zugleich zu eigen gemacht, indem sie gallische Schnörkel wie Cornichons, Meersalz und frischen Thymian hinzufügen. Diese Versuche, den Burger zu übersetzen, ihn vielleicht gar zu verbessern, legen es eindeutig nahe, daß er sich festsetzen wird.
Also ungefähr, seit Nicolas Sarkozy, der Freund der USA, das Amt des Staatspräsidenten von Jacques Chirac übernommen hatte. Ein Hamburger, für 35 Euro von dem Drei- Sterne- Koch Yannick Alléno in seiner kleinen Kneipe Le Dali auf den Tisch gebracht - undenkbar im Frankreich Chiracs. Ein Stück Wende unter Sarkozy.
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