21. Januar 2008

"Polizei prügelt Schwarzen". Eine Empörung seinerzeit. Dazu jetzt eine Recherche

Erinnern Sie sich noch an den Vorfall, der im Juni 2004 die ganze Welt empörte und der auch in Deutschland seine Wellen schlug? "Polizei prügelt Schwarzen" titelte damals zum Beispiel die "Berliner Zeitung". In ihrem Bericht hieß es:
Die jüngsten Video-Bilder aus Los Angeles haben Empörung ausgelöst: Ein afro- amerikanischer Mann rennt aus einem Auto, bleibt plötzlich stehen und hebt seine Arme in die Höhe. Es ist eine Geste der Kapitulation. Kurze Zeit später sieht man den Mann am Boden liegen, Polizisten sind über ihn gebeugt, einer von ihnen schlägt immer wieder auf den Mann ein. (...)

Die Männer - alles Weiße - würden umgehend entlassen und angeklagt, sollte sich der Vorwurf übermäßiger Gewalt bestätigen, kündigte Bürgermeister James Hahn an. (...) Zudem traf sich der Polizeichef von Los Angeles bereits mit Vertretern der verschiedenen Afro- Amerikanischen Gemeinden der Stadt. Sie fordern drastische Maßnahmen gegen die Polizisten, vor allem aber gegen John Hatfield, jenen Polizisten, der mit einer Taschenlampe auf den 36-jährigen Stanley Miller eingeschlagen hat.
Ich war damals, als die Bilder im TV liefen, auch empört über die, so schien es, offensichtliche Brutalität dieser weißer Polizisten gegen einen Schwarzen, der schon hilflos am Boden lag.

Jetzt bin ich wieder auf den Fall gestoßen, und zwar durch eine Kolumne von Steve Lopez in der gestrigen Los Angeles Times.

Auch Lopez hatte seinerzeit gegen den Polizisten Hatfield gewettert, der nach dem Vorfall aus dem Dienst entfernt wurde und inzwischen eine Umschulung zum Krankenpfleger macht, aber auf Wiedereinstellung klagt. Lopez hat den Fall jetzt nachrecherchiert und Interviews geführt; unter anderem hat er ausführlich mit Hatfield gesprochen. Und es stellte sich Überraschendes heraus.



Was den Vorwurf des Rassismus angeht, so hatte es von vornherein dafür nicht das geringste Indiz gegeben. Er entstammte schlicht dem Vorurteil, daß weiße Polizisten, die auf einen Schwarzen einschlagen, das aus Rassismus tun. Ein Vorurteil, das man seltsamerweise gerade bei Menschen findet, die sich sonst vehement gegen Vorurteile einsetzen.

John Hatfield weist, so schildert es Lopez, den Vorwurf des Rassismus nicht nur empört zurück, sondern er tut das auch mit guten Gründen. Hatfield ist mit einer Iranerin verheiratet, seine Mutter stammt aus Mexiko, und Trauzeuge bei seiner ersten Eheschließung war ein Schwarzer. Nicht eben das klassische Bild des weißen, rassistischen Polizisten, wie es seit dem Film "In der Hitze der Nacht" in den Köpfen festsitzt.



Wie kam es nun zu der Szene, die zufällig aus einem Polizei- Hubschrauber heraus gefilmt worden war und die soviel weltweite Empörung ausgelöst hatte?

Das Auto, aus dem der Mann - Stanley Miller - , wie es in der Meldung heißt, "rennt", war ein Toyota Camry, den er gestohlen hatte. Er war erwischt worden, und mehrere Polizeiwagen hatten seine Verfolgung aufgenommen.

Während der Verfolgung bückte Miller sich mehrfach, so als wolle er eine Waffe aufheben, sagte Hatfield. Der Polizist öffnete deshalb die Tür seines Wagens, um sie als Schutzschild gegen etwaige Schüsse einzusetzen.

Nach einer dreißigminütigen Verfolgungsjagd durch den Süden von Los Angeles hält der Dieb an und setzt die Flucht zu Fuß fort. Hatfield ist der Dritte in der Reihe der Polizisten, die die Verfolgung aufnehmen. Sie vermuten, daß Miller seine Waffe mitgenommen hat, denn er hält beim Laufen den linken Arm eng an die Brust gedrückt.

Dann ist er am Ende seines Atems. Er bleibt stehen und hebt die Hände hoch. Ein Polizist richtet zunächst die Pistole auf Miller, steckt sie dann aber wieder ins Halfter und versucht den Dieb zu packen. Die spätere Untersuchung stellte fest, daß das ein schwerer Fehler gewesen war; der Polizist hätte seine Pistole so lange auf Miller gerichtet lassen müssen, bis andere ihm Handschellen angelegt hatten.

Stattdessen kommt es jetzt zu einem Handgemenge, an dem sich Hatfield beteiligt. Am Ende befinden sich Miller und Hatfield beide am Boden. Hatfield kniet auf Miller und schlägt mit der Taschenlampe auf ihn ein. Das ist die Szene, die weltweit Empörung auslöste.

Hatfield sagt dazu, ein anderer Polizist habe gerufen, der Dieb hätte immer noch eine gun. In der Tat hätte Miller weiter seinen linken Arm unter seiner Brust versteckt gehalten. Um diesen Arm sei es ihm, Hatfield, gegangen, als er mit der Taschenlampe zuschlug. Offenbar wollte er dadurch erreichen, daß Miller den Arm freigab, so daß man ihm die vermutete Waffe abnehmen konnte.

Der Autor Lopez schreibt dazu, als er das Video gemeinsam mit Hatfield angesehen habe, hätte dieser ihn davon überzeugt, daß Miller noch keineswegs unter Kontrolle ("restrained") war, als Hatfield mit der Taschenlampe zuschlug.

Nach der Festnahme stellte sich heraus, daß die Vermutung, Miller hätte eine Waffe bei sich gehabt, irrig gewesen war.



Ich habe das Geschehen so detailliert geschildert, um deutlich zu machen, wie trivial es gewesen ist. Bei einer Festnahme wehrt sich ein Verbrecher, und die Polizisten wenden Gewalt an, "unmittelbare Gewalt", wie es in der deutschen Polizeisprache heißt.

Was man den an diesem Vorfall beteiligten Polizisten vorwerfen kann, das ist unprofessionelles Verhalten. Man hätte Miller offenbar, wenn man ihn mit der Pistole in Schach gehalten hätte, ohne Gewalt festnehmen können. Er hatte ja auch schon die Hände gehoben, sich also anscheinend ergeben gehabt.

Das ist aber auch alles, was von dem bleibt, was als angeblicher Fall von brutalem Rassismus um die Welt ging.

Und wie ging es in Los Angeles weiter?

Miller, der bei dem Handgemenge leichte Abschürfungen erlitten hatte, erhielt dafür eine Entschädigung von 450.000 Dollar. Für den Versuch, sich seiner Festnahme zu entziehen, wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt.

Hatfield, der zuvor acht Jahre ohne Beanstandung Dienst getan hatte, wurde entlassen, nachdem ein Disziplinargericht ihm "unkontrolliertes Verhalten" vorgeworfen hatte. Er kämpft jetzt um seine Rehabilitierung.



Wie konnte es geschehen, daß ein Polizist wegen eines so geringfügigen Vergehens so hart bestraft wurde?

Lopez sprach darüber mit einer Bürgerrechtlerin und Polizeikritikerin, Connie Rice. Auch mit ihr sah er gemeinsam das Video an. Sie meinte, das Fehlverhalten der Polizisten sei auf mangelnde Ausbildung zurückzuführen.

Hatfields Schläge seien trotzdem nicht zu entschuldigen, und er hätte, sagte sie, z.B. eine vorübergehende Suspendierung verdient gehabt. Aber daß er gefeuert wurde, hält sie für falsch. Er sei ein Polizist gewesen, der sich um Jugendliche gekümmert, der beispielsweise Geld für ein Stipendien- Programm gesammelt hätte, das Kindern aus einkommensschwachen Familien zugute kommen sollte. "Einer von den Guten".

Warum also wurde er gefeuert, fragte Lopez die Bürgerrechtlerin Rice.
"The rules are different" in a high-profile incident, Rice said, especially one involving a black suspect and an African American community that sees the LAPD through an 80-year prism. There were protests at the time, comparisons to the Rodney King case and a call for heads to roll. "I think the pressure to respond to the community was huge."

"Die Regeln sind anders", wenn es sich um einen Vorfall handelt, der im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit steht, sagte Rice. Vor allem, wenn es sich um einen schwarzen Verdächtigen handelt und um eine afro- amerikanische Gemeinschaft, die das LAPD [die Polizeibehörde von Los Angeles; Anmerkung von Zettel] durch das Brennglas von 80 Jahren sieht. Es gab damals Proteste, Vergleiche mit dem Fall Rodney King und den Ruf danach, daß Köpfe rollen müßten. "Ich glaube, daß der Druck, auf die [afro- amerikanische] Gemeinschaft zu reagieren, immens war".
Das sagte nicht die Anwältin von John Hatfield, sondern eine Bürgerrechtlerin, die sich gegen Polizei- Übergriffe engagiert.



Am Ende seines Artikels stellt Lopez sich selbst die Frage, ob Hatfield denn nun hätte gefeuert werden sollen. Überraschenderweise - überraschend, wenn man seinen Artikel gelesen hat - antwortet er mit ja. Und zwar deshalb, weil der Polizeipräsident Bratton, der damals zwei Jahre im Amt gewesen war, hätte beweisen müssen, daß sich bei der Polizei von Los Angeles etwas geändert hätte.

Ich kann mich dem Zynismus, der in dieser Antwort liegt, nicht anschließen. Einem Polizisten ist offensichtlich Unrecht getan worden. So etwas kann aus meiner Sicht niemals durch politische Gründe gerechtfertigt werden.

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