17. Januar 2008

Marginalie: Kollektive Führung beim "Spiegel"?

Als Stalin tot war und niemand den Kampf um die Nachfolge für sich hatte entscheiden können, erfanden die russischen Kommunisten die "kollektive Führung". Erst waren es Malenkow und Chrutschtschow, die kollektiv führten, dann Chruschtschow und Bulganin.

Natürlich dauerte das nur für eine Übergangszeit, bis einer gewonnen hatte. Von 1958 an war es wieder vorbei mit der kollektiven Führung; Chruschtschow war Alleinherrscher geworden.

Beim "Spiegel" soll - so besagt es das jüngste Gerücht - nun, nachdem die Suche nach einem Nachfolger Austs bisher wie eine Schnitzeljagd bei Neumond in der Sahara verlaufen war, ebenfalls eine kollektive Führung her. Matthias Müller von Blumencron, Dauerkandidat, seit Austs Vertrag nicht verlängert wurde, soll der eine Kollektive werden, der andere Georg Macolo, auch er schon lange als möglicher Nachfolger Austs im Gespräch. Der eine ein Kandidat der Linken, von der FR ebenso hochgeschrieben wie von der TAZ; der andere eher der Mann Austs, ein ideologiefreier Macher.



Doppelspitzen haben beim "Spiegel" Tradition. Die Ur-Doppelspitze waren Augstein und sein Zwilling Hans Detlev Becker, zuerst unter dem Herausgeber Augstein "Geschäftsführender Redakteur", dann Chefredakteur. Augstein war mehr für die große Linie zuständig, Becker war ein Detail- Fanatiker; der Hauptverantwortliche für die exzellente handwerkliche Qualität des "Spiegel".

Später wurde die doppelt besetzte Chefredaktion beim "Spiegel" üblich. Sie bestand aus einem mehr "politischen" Chefredakteur und einem, der für die weichen Themen zuständig war; Erich Böhme und Johannes K. Engel waren das erfolgreichste derartige Team.

Aber darüber, nein, nicht schwebte, sondern thronte Rudolf Augstein, der als Herausgeber im Grunde der Chef der Chefs in einer Dreier- Chefredaktion war.

Als Aust Chefredakteur wurde und er allmählich Augstein faktisch beerbte, der sich immer mehr zurückzog, wurde das Dreiermodell unter anderen Bezeichnungen fortgeführt: Aust in der Rolle Augsteins, aber nur mit dem Titel "Chefredakteur"; die beiden stellvertretenden Chefredakteure Doerry und Preuß in den Rollen, die einst Böhme und Engel als kollektive Chefredaktion zugefallen gewesen waren.



Das hatte sehr gut funktioniert. Die Last der Tagesarbeit war auf zwei Schultern verteilt; zugleich sorgte der über den beiden Thronende dafür, daß die beiden Chefs sich nicht in einem Rivalitätskampf à la "Kollektive Führung" zerrieben.

Wenn die jetzigen Gerüchte stimmen, dann soll es nun sozusagen Böhme und Engel geben, aber ohne Augstein; oder Doerry und Preuß, aber ohne einen Aust über ihnen.

Ungefähr wie die beiden römischen Konsuln scheint man sich das vorzustellen. Daß ein solches Modell funktioniert, wäre eine große Überraschung. Allenfalls zwei Busenfreunde könnten auf Dauer gleichberechtigt ohne einen ständigen Machtkampf miteinander auskommen.

Mag sein, daß er von der "Mitarbeiter KG" beabsichtigt ist, der Machtkampf, nach dem Motto: Wenn sich zwei Chefs streiten, dann freuen sich die Mitarbeiter.

Von einem "Kalb mit zwei Köpfen" schreibt ein Leserbrief- Autor zu dem Artikel von Michael Hanfeld in der FAZ. Mir fällt eher Platons Gleichnis für die Seele ein: Der Wagenlenker (der Verstand), der zwei Pferde (den Mut und die Begierden) steuert.

Was man, sollten die Berichte stimmen, beim "Spiegel" jetzt plant, das ist sozusagen Platon - nur ohne Wagenlenker.

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