15. November 2007

Marginalie: Steinmeiers Stolperstein

Man hätte ihm einen besseren Einstand als Vizekanzler gewünscht, unserem Außenminister Steinmeier.

Nach dem, was bekannt ist, während ich dies schreibe, ist er in ein Mißgeschick gestolpert. Was jedem passieren kann. Aber statt das einzugestehen, hat er offenbar auf eine Art reagiert, die aus dem Mißgeschick ein Ärgernis macht, vielleicht Schlimmeres.

Er ist über einen Stein gestolpert, der Steinmeier. Das kann jedem passieren. Aber statt sich hochzurappeln und den Staub von seinen Kleidern zu wischen, scheint er ein Lamento anzustimmen. Nicht über sich, den Steinmeier, der stolperte. Auch nicht über den Stein, der ihn zum Stolpern brachte. Sondern über eine Passantin, die dabeistand und sagte: "Herr Steinmeier, Sie sind gestolpert".



Worum es geht, das ist in FAZ.Net nachzulesen.

Das Stolpern trug sich am Montag zu; da war Steinmeier noch nicht designierter Vizekanzler.

Man traf sich in Berlin, das deutsche und das französische Kabinett, zum zweiten diesjährigen "Ministerratstreffen". Wie das Gesetz es befahl, nämlich der Elysée- Vertrag.

"Am Rande", wie man das so nennt, dieses Treffens - es hatte sich mit dem Thema "Integration" beschäftigt - begaben sich Steinmeier und sein Amtskollege Kouchner in ein Musik- Studio, wo sie zusammen mit einem Rapper "mit Migrationshintergrund", wie man das so nennt, ein wenig musizierten. Er rappte Texte wie "Wir haben andere Sitten, ihr habt andere Sitten, kommt, seh’n wir uns in die Augen, sagen die Meinung, zeigen das wahre Gesicht", worauf die beiden Minister mit "Deutschland, Deutschland, Frankreich, Frankreich" einfielen.



Nun ja, warum nicht.

Man könnte sich eine andere Form vorstellen, wie der französische und der deutsche Außenminister Einwanderern unsere Kultur nahezubringen versuchen. Aber es war gut gemeint, ganz gewiß.

Gestolpert schien er nicht zu sein, der Minister Steinmeier; so wenig, wie der Minister Kouchner. Daß man gestolpert war, stellte sich erst am nächsten Tag heraus, am Dienstag.



Der Rapper, mit dem sie Musik gemacht hatten, war ein gewisser Muhabbet gewesen. Und an den nun erinnerte sich die Film- Regisseurin Esther Schapira, als sie die Meldung über das gemeinsame Musizieren las. Mit ihm hatte sie nämlich kürzlich einen kleinen Wortwechsel gehabt, nachdem ihr und Kamil Taylan der "Prix Europa" für ihren Film "Der Tag, als Theo van Gogh ermordet wurde" verliehen worden war.

Wie Esther Schapira in der heutigen Ausgabe der FAZ berichtet, und wie man es gekürzt in der Online-Ausgabe der FAZ nachlesen kann, kam sie nach der Vorführung von Ausschnitten aus ihrem Film (sowie aus dem Film von Ayaan Hirsi Ali und Theo van Gogh) mit eben jenem Muhabbet ins Gespräch, der später mit den beiden Außenministern zusammen rappen durfte.

Und dieser habe, so schildert es Frau Schapira, dabei Äußerungen getan wie "daß Van Gogh Glück gehabt habe, daß er so schnell gestorben sei. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er ihn erst mal in den Keller gesperrt und noch gefoltert." Und daß "Ayaan Hirsi Ali den Tod verdient habe".



Er war also gestolpert, der Außenminister und Vizekanzler in spe. Er hatte das Mißgeschick gehabt, sich unter allen Sängern "mit Migrationshintergrund" ausgerechnet einen zum Mitsingen auszusuchen, der solche Äußerungen tut. Der also zum Repräsentanten der Menschen "mit Migrationshintergrund" ungefähr so geeignet ist wie Gilles de Rais zum Repräsentanten des französischen Adels.

Esther Schapira, selbst Redakteurin beim Hessischen Rundfunk, erfuhr, daß es am Abend einen "Tagesthemen"- Beitrag zum Thema geben sollte, und sie entschloß sich, bei den Kollegen anzurufen. Das Ergebnis war, daß in den "Tagesthemen" über ihr Erlebnis mit Muhabbet berichtet wurde.



Bis dahin hatte sich Steinmeier nichts vorzuwerfen. Er schildert Muhabbet in freundlichen Farben; was ja durchaus seiner und des Auswärtigen Amts früheren Erfahrungen mit ihm entsprechen mag. Nun hatte sich dieser Mann als ein anderer entpuppt als der, den man in ihm gesehen hatte. Das hätte Steinmeier, wäre er ein souveräner Mann, konstatieren sollen, und die Sache wäre erledigt gewesen.

Aber das tat Steinmeier nicht. Und damit wurde aus dem Stolpern ein Hinknallen, könnte aus dem Mißgeschick eine Affäre werden.



"Ich habe, was den Sänger Muhabbet angeht, keine Anhaltspunkte für das, was dort vorgeworfen worden ist", sagte Steinmeier im ARD-Morgenmagazin. Ja, ist es denn kein Anhaltspunkt, wenn Frau Schapira ausgesagt hat, was Muhabbet äußerte?

"Herr Steinmeier hat nach dem ARD-Beitrag um mehr Zurückhaltung und Sorgfalt bei der Recherche gebeten" sagte der FAZ-Redakteur in dem gestrigen Interview. Ja, hat die ARD es denn an Zurückhaltung mangeln lassen, wenn sie einen Vorzeige- "Migranten" als einen üblen Islamisten entlarvte? Ja, hat es die ARD denn an Sorgfalt mangeln lassen, als sie einer hochangesehenen Regisseurin Gelegenheit gab, mitzuteilen, was sie mit diesem Mann erlebt hatte?



Die Erforschung von Unfällen in technischen Anlagen führt sehr oft zu dem Ergebnis, daß nicht das technische Versagen für sich genommen das Debakel auslöste, sondern falsche Reaktionen des Bedienungspersonals auf diesen Störfall; so war es zum Beispiel beim Fast-GAU in Tschernobyl gewesen.

Daß Steinmeier stolperte, war ein kleiner Störfall; ihm nicht persönlich anzulasten. Daß er jetzt auf Frau Schapiro und die ARD losgeht, statt ihnen für ihre aufklärenden Informationen dankbar zu sein, ist ein Fehler mit dem Potential, sich vielleicht nicht zu einem GAU, aber doch zu einem erheblichen Betriebs- Unfall auszuweiten.



In vor- aufklärerischen Zeiten pflegten Herrscher den Überbringer einer schlechten Botschaft ausprügeln, wenn nicht köpfen zu lassen. Esther Schapiro hat Steinmeier eine schlechte Botschaft überbracht. Er benimmt sich, als sei die Aufklärung ohne Spur über ihn hinweggegangen.

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