30. November 2007

Kommt die Volksfront schon vor 2009?

Die, wie man so sagt, "politische Landschaft" hat sich in Deutschland im Lauf dieses Jahrs in einem Maß verändert, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte.

Anfang des Jahres galt die Möglichkeit eines Wechsels hin zu einer Koalition, zu der neben der SPD und den Grünen auch die Kommunisten gehören, noch als abwegig; der Gedanke daran als Spintisiererei von Intellektuellen. Jetzt, gegen Ende dieses interessanten Jahres 2007, ist eine derartige Volksfront- Regierung schon eine so triviale Option geworden, daß die Antworten auf die Sonntagsfrage ganz selbstverständlich in Sitze für Schwarzgelb und für das sogenannte Rot- Rot- Grün, also die Volksfront, umgerechnet werden.

Innerhalb dieses jetzt zu Ende gehenden Jahres hat die SPD sich verwandelt, genauer gesagt: Sie hat sich in die Partei des Demokratischen Sozialismus zurückverwandelt, als die sie sich im Grunde immer verstanden hat. Sie hat die Agenda 2010 mit einem so wohligen Gefühl abgelegt, wie es der FKKler spürt, wenn er am Strand die Kleider abstreifen kann.

Die SPD hat sich damit fit gemacht für die Volksfront. Wer zuvor als Gegner einer solchen Option gegolten hatte, wie Kurt Beck, der hat sich der neuen Linie angepaßt und stimmt in das Lob des Demokratischen Sozialismus ein.

Was der SPD ihr Hamburg, das war den Grünen ihr Nürnberg. Die linken Töne, die Beck und Müntefering in Hamburg sangen, schmetterten Bütikofer, Roth und auch der schnellgewendete Kuhn bei den Grünen in Nürnberg aus vollem Hals. Und anders als die SPD hatten die Grünen auch noch den Einfall, ihre Kehrtwende in die siebziger und achtziger Jahre sozusagen mit einem Menschenopfer zu besiegeln. Das Mobbing, das auf den aufrechten Oswald Metzger niederprasselte, war klassischer linker Stil.

Nein, mit diesen Grünen '07 werden die Kommunisten keine Probleme haben. So wenig, wie sie mit der Partei des Demokratischen Sozialismus Probleme haben werden; das Epitheton hatten sie ja mit ihrer Wandlung zur "Linken" für die SPD freigegeben.

Also, wann kommt die Volksfront- Regierung? Anfang des Jahres hielt ich noch die Wahlen 2013 für realistisch. Die Geschwindigkeit, mit der sich die SPD und die Grünen fit für die Partnerschaft mit den Kommunisten machen, ließ mich in letzter Zeit immer mehr bereits 2009 als die wahrscheinlichere Perspektive sehen.

Seit den beiden Parteitagen frage ich mich, ob es nicht noch viel schneller gehen könnte.



In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Besonderheit gegenüber den anderen westlichen Demokratien; man könnte sie eine Anomalie nennen: Nur ein einziges Mal in fast sechs Jahrzehnten hat ein Regierungswechsel auf die normale Art stattgefunden, daß nach termingemäßen Wahlen die bisherige Opposition die Regierung übernahm.

Das war 1998, als eine rotgrüne Regierung die schwarzgelbe von Helmut Kohl ablöste. Alle anderen Kanzlerwechsel vollzogen sich anders: Durch Rücktritt des Kanzlers (Wechsel von Adenauer zu Erhard, von Erhard zu Kiesinger, von Brandt zu Schmidt), durch ein konstruktives Mißtrauensvotum (Wechsel von Schmidt zu Kohl) oder dadurch, daß ein Kanzler die Vertrauensfrage verlor und der Präsident danach den Bundestag auflöste (Wechsel von Schröder zu Merkel).

Mehr noch: Nur nach diesen Wahlen von 1998 fand ein kompletter Rollentausch zwischen Regierung und Opposition statt. In allen anderen Fällen bestand der "Wechsel" lediglich darin, daß eine Partei die Macht weiter ausübte, aber mit einem neuen Koalitionspartner. Als Kiesinger auf Erhard folgte, blieb die CDU mit an der Regierung. Als Brandt Kiesinger ablöste, war es die SPD, die weiter regierte, nur jetzt mit der FDP statt der CDU. Beim Wechsel von Schmidt zu Kohl blieb die FDP Regierungspartei, und Merkel regiert nun mit jener SPD, die auch vor dem Wechsel schon an der Macht gewesen war.

Es läge also vollkommen in der Tradition der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch der Wechsel zu einer Volksfront- Regierung nicht erst nach den Wahlen 2009 erfolgte. Sondern durch ein konstruktives Mißtrauensvotum. Und wenn damit die bisherige Regierungspartei SPD weiter an der Regierung bliebe, nur eben in einer neuen Konstellation.



Aber reicht es denn überhaupt zu einem konstruktiven Mißtrauensvotum?

Die Volksfront hat im Bundestag eine satte Mehrheit von 327 Mandaten; fast zwanzig mehr als die Kanzlermehrheit von 308 Stimmen. Genug Polster also, um den einen oder anderen Abweichler zu verkraften. Eine größere Mehrheit, als sie 1969 Willy Brandt hatte (SPD und FDP hatten zusammen 254 Stimmen; die Kanzlermehrheit lag bei 248 Stimmen); mehr als Schröder 1998 (345 Stimmen; Kanzlermehrheit 335 Stimmen) und Schröder 2002 (306 Stimmen; Kanzlermehrheit 302 Stimmen).

Nun erklären uns manche Politologen unermüdlich, daß eine numerische Mehrheit noch keine politische Mehrheit sei. Wohl wahr. Aber eine numerische Mehrheit kann sich schnell in eine politische verwandeln, wenn sie so sind, die Verhältnisse.

Und sie sind so, will mir scheinen. Wenn - und dafür spricht im Augenblick sehr viel - die Strategen der drei Parteien einer potentiellen Volksfront- Regierung zu einem impliziten, vielleicht ja auch schon mehr oder weniger expliziten Einverständnis gekommen sind, es nach 2009 miteinander zu versuchen, dann liegt es doch nahe, daß im Augenblick ein Denkprozeß im Gang ist. Ein Denkprozeß ungefähr des folgenden Zuschnitts:

Will man nach den Wahlen 2009 zusammengehen, dann könnte man es im Prinzip auch schon früher. Ob man es 2009 kann, ist aber ungewiß. In den Umfragen der vergangenen Monate lag zwar meistens die Volksfront knapp vor Schwarzgelb, aber manchmal - wie im Augenlick - lag sie auch hinten. Niemand kann jetzt sagen, wie es 2009 ausgehen wird.

Kommt es aber vor diesen Wahlen zu einem Regierungswechsel, dann stehen die Chancen für einen Sieg der Volksfront 2009 ungleich besser.

Erstens, weil dann in der Bevölkerung die Stimmung vorherrschen wird "Jetzt sind die Linken nun einmal dran. Gut, geben wir ihnen eine Chance. Um Gottes willen nicht jetzt schon wieder einen Wechsel!". Exakt eine solche Stimmung hat Helmut Kohl 1983 bei den Wahlen, die auf das erfolgreiche konstruktive Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt folgten, einen triumphalen Sieg eingebracht.

Zweitens, weil die Volksfront dann mit einem Amtsbonus antreten könnte. Weil sie, schon in der Regierung, vor den Wahlen Wohltaten verteilen könnte, wie das Sozialisten immer nach ihrer Regierungsübernahme getan haben.

Und drittens, weil sie für den Wahkampf, wie üblich, in gewissen Grenzen auf den Regierungsapparat zurückgreifen könnte.



Die Versuchung dürfte also groß sein, es mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum zu versuchen. Allerdings muß das gut eingefädelt werden, um nicht als ein Putsch gegen die beliebte Kanzlerin Merkel wahrgenommen zu werden.

Dazu müßte die SPD ein Thema finden, ein soziales am besten, das sich zum Bruch der Koalition eignet. Mindestlohn für alle, beispielsweise. Da kann man leicht die Auseinandersetzung so weit treiben, daß man empört die Koalition verlassen kann. Genscher und Lambsdorff haben 1982 vorgemacht, wie man so etwas macht.

Und dann braucht man natürlich einen Kanzlerkandidaten, den man beim konstruktiven Mißtrauensvotum aufstellen kann. Dieser muß, so geht aus Artikel 67 des Grundgesetzes hervor, nicht dem Bundestag angehören.

Jeder aus der SPD, der für eine Kanzlerkandidatur zu den Wahlen 2009 in Frage käme, könnte also auch beim konstruktiven Mißtrauensvotum gegen Angela Merkel ins Rennen geschickt werden. Kurt Beck, Frank Walter Steinmeier; oder auch Klaus Wowereit oder gar Sigmar Gabriel.

Sie alle hätten es schwer, in Bundestagswahlen gegen die Kanzlerin zu bestehen; Steinmeier vielleicht noch am wenigsten. Jeder von ihnen hätte aber beste Chancen, ein konstruktives Mißtrauensvotum zu gewinnen.

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Zitat des Tages: Ein Ex-Kanzler spricht

Von seiner Einschätzung, Putin sei "ein lupenreiner Demokrat" habe er "nichts zurückzunehmen", betonte Schröder.

Die"Stuttgarter Zeitung" über eine Rede, die Gerhard Schröder gestern vor Unternehmern in Stuttgart gehalten hat.

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29. November 2007

Vorsicht, Weihnachtszeit!

Der Erste Advent steht vor der Tür und damit die Zeit der Kerzen. Der Kerzen auf Adventskränzen, der Kerzen, die wir entzünden, wenn wir an den langen Winterabenden bei einem rubinrot schimmernden Glühwein und guten Gesprächen auf das Nahen des Fests warten. Der Kerzen am Weihnachtsbaum schießlich, die auch uns Erwachsenen ein feuchtes Glitzern in die Augen zaubern.

Die meisten von uns ahnen nicht, welche potentiellen Gefahren in diesen Kerzen lauern. Denn die so harmlos ausschauenden, so heimelig flackernden Kerzen sind keineswegs gesundheitlich unbedenklich.

"The candle-using public should be made aware that the core of candle wicks may contain lead", lesen wir im Abstract einer wissenschaftlichen Untersuchung über Blei in den Kerzen- Emissionen: Das kerzennutzende Publikum solle sich dessen bewußt sein, daß der Kern eines Kerzendochts Blei enthalten könne.

"To define the problem, 100 sets of candles (two or more identical candles) were purchased locally", heißt es weiter. Um das Problem zu definieren, wurden 100 Kerzensätze (zwei oder mehr identische Kerzen) vor Ort gekauft. Brennversuche mit diesen Kerzen ergaben, daß sie Blei in gefährlichen Dosen emittieren können. Fazit der Autoren:
Considering that candle sales in the US are estimated at $1–2 billion per year, and that children may spend as much as 88% of their time indoors, it is reasonable to suspect that some blood lead elevation in children arises from indoor micro-environments where lead-wick candles are burned.

Bedenkt man, daß in den USA jährlich schätzungsweise für ein bis zwei Milliarden Dollar Kerzen verkauft werden und daß Kinder bis zu 88 Prozent ihrer Zeit zu Hause verbringen können, dann begründet das den Verdacht, daß in einem gewissen Umfang erhöhter Bleigehalt bei Kindern von häuslichen Mikro- Umgebungen herrührt, in denen Kerzen mit einem Bleidocht brennen.



Aber es kommt noch schlimmer. Da gibt es zum Beispiel eine Untersuchung - eine Magisterarbeit -, deren Ergebnisse in den Lead Action News, den "Bleiwirkungs- Nachrichten" also, mitgeteilt wurden.

Der Autor brannte 91 Duftkerzen ab und maß, was man nur messen kann - Blei, Ruß, Benzol, wie sie von den herunterbrennenden Kerzen emittiert wurden. Das Ergebnis: Feinstaub ähnlich dem aus Dieselmotoren. Benzol in gefährlichen Dosen. Blei allerdings nur - wenn wundert's - in denjenigen Kerzen, die einen metallverstärkten Docht hatten (siehe oben). Das Fazit hier:
The possible impacts on public health from consumer use of scented candles may include increased risk of cancer, neurological and behavioral deficits and acute aggravation of existing respiratory diseases such as asthma. (...) Use of scented candles may contribute significant quantities of pollutants to the indoor environment, especially soot, benzene and lead.

Zu den möglichen Auswirkungen des Gebrauchs von Duftkerzen könnten ein erhöhtes Krebsrisiko, neurologische und Verhaltensstörungen und akute Verschlechterungen bestehender Erkrankungen der Atemwege und von Asthma gehören. (...) Die Verwendung von Duftkerzen kann signifikante Mengen zur Verschmutzung von häuslichen Umgebungen beitragen; insbesondere Ruß, Benzol und Blei.



Keine Kerzen also mehr zur Weihnachtszeit? Gemach, gemach.

Es gibt eine WebSite mit dem Namen Security World, "Sicherheitswelt" also, die über alle Risiken des Lebens informiert und was man dagegen tun kann. Natürlich befaßt sie sich auch mit den Gefahren, die von Kerzen ausgehen.

Es wird von den Schadstoffen im Kerzenrauch berichtet, die ich hier erwähnt habe, und noch vielen anderen - u.a. Ceton, Benzol, Blei, Quecksilber, 2-Butanon, Carbondisulfid, Carbontetrachlorid, Creosol, Chlorobenzen, Kohlenmonoxyd, Cyclopenten, Ethylbenzen, Phenol und Xylen.

Und wenn der Leser, von dieser Aufzählung erdrückt, fassungslos auf seinen Bildschirm starrt, dann liest er das Fazit dieser Fachleute für Sicherheit in allen Lebenslagen:
Normal use of candles should not pose a health threat to you or your family.

Der normale Gebrauch von Kerzen dürfte für Sie und ihre Familie keine gesundheitliche Gefahr darstellen.
Na also. Ich wünsche Ihnen eine schöne Adventszeit!

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Politiker, Politologen, Publizisten. Und Blogger.

In benachbarten, in befreundeten Blogs findet im Augenblick eine Auseinandersetzung statt, die von der Haltung zur, wie sie sich selbst nennt, "Antifa" ihren Ausgang nahm und die jetzt um das Thema Zensur kreist. Zum Einstieg in diese Diskussion eignen sich beispielsweise Beiträge von Boche, von MartinM, von Rayson, von Marian Wirth und von Zuppi. Weitere Beiträge hat Daniel Fallenstein in "Freunde der offenen Gesellschaft" verlinkt.

Und dann gibt es da noch einen Blog- Beitrag, den es auch wieder nicht gibt. Weil er nämlich - offenbar ohne Einverständnis des Autors - gelöscht wurde. Aber so ganz weg ist ja nichts im Web; also kann man ihn im Google Cache doch noch lesen, diesen Artikel von Michael Holmes. Derjenige, der mir am interessantesten vorkam, weil er sich aus eigener Erfahrung speist.



Ich kann zu dieser Diskussion wenig beitragen. Das Bißchen, was ich zur Antifa zu sagen habe, steht in meinem Kommentar zu dem Artikel von Boche: Wer mit Rotfront- oder SA- Methoden Politik zu machen trachtet, der hat mich zum Gegner. Und was das Thema "Zensur" angeht, das aufgrund des Schicksals, das der Beitrag von Michael Holmes erlitt, hinzutrat, kann ich nur sagen, daß ich gegen jede Zensur bin. Was auch sonst.

Statt mich in die laufende Diskussion in den anderen Blogs einzumischen, möchte ich anläßlich von ihr ein paar Überlegungen vortragen, die mich schon länger beschäftigen, die aber dieser aktuelle Anlaß sozusagen in meiner Themen- Warteschlange nach vorn geschoben hat.

Es geht um das Selbstverständnis von Bloggern. Von Bloggern insbesondere in jenem Segment des politischen Spektrums, dem ich einmal den Namen "Blogokugelzone" verpaßt habe und das aus meiner Sicht liberal ist, in einem recht weiten Sinn freilich. Zu dieser Blogokugelzone gehören nach meinem Verständnis die Blogs, in denen sich jetzt diese Diskussion abspielt.



Wir alle schreiben zu politischen Themen. Die einen ausschließlich. Andere - wie ich - erlauben sich Ausflüge ins Kulturelle, ins Wissenschaftliche, ins Feuilleton. Die liberale politische Haltung ist das, was wir gemeinsam haben.

Es ist - zunächst einmal - eine Haltung. In der Terminologie der Sozialpsychologie eine attitude, eine Einstellung also, aus der sich je nach aktuellem Thema die eine oder die andere Meinung - opinion - ableitet.

Zunächst einmal. Aber Politik ist ja ihrem Wesen nach nicht kontemplativ. Die Polis ist ein Ort, an dem gehandelt wird. Politik ist Handeln, und zwar in einem bestimmten sozialen Kontext: Handeln im Wettstreit mit anderen, die ebenfalls auf demselben Feld - der Gestaltung des Gemeinwesens - zu handeln beabsichtigen. Nur mit anderen Zielen.

Das bringt ein agonistisches Moment ins Politische. Jenes Merkmal des Politischen, das Extremisten kommunistischer Färbung gern in die Kurzform "Wer wen?" kleiden, womit gemeint ist: "Wer macht wen fertig?". Wer seine extremistische Haltung lieber mit rechtem Gedankengut anfüllt, wird vielleicht Carl Schmitts Formel von Freund- Feind als der Grundkategorie des Politischen bevorzugen.

Wir Demokraten denken, sofern wir politisch agieren, weniger in der Kategorie des Kampfs; aber natürlich geht es auch uns - sofern wir eben politisch aktiv sind - darum, den eigenen Zielen zur Wirklichkeit zu verhelfen und diejenigen der anderen nach Kräften zu torpedieren.



Nun muß, wer sich mit Politik beschäftigt, nicht politisch aktiv sein. Nicht in einer Partei tätig; noch nicht einmal sonstwie politisch Handelnder muß er sein.

Er muß das trivialerweise nicht, wenn er sich wissenschaftlich mit Politik beschäftigt; so wenig, wie ein Religionswissenschaftler religiös sein muß oder ein Armutsforscher selbst arm.

Aus meiner Sicht schließen sich die wissenschaftliche Befassung mit einem Thema und das persönliche, parteiliche Engagement im Bereich dieses Themas sogar gegenseitig aus. Denn Wissenschaft verlangt den kühlen, objektiven Blick auf ihren Gegenstand. Sie verlangt die Bereitschaft, seine Meinung jederzeit zu ändern, wenn Fakten das verlangen. Sie verlangt die Befassung mit dem Thema sine ira et studio.

Wissenschaft ist auf Erkenntnis gerichtet; nicht darauf, die Welt zu verändern oder umgekehrt deren Veränderung zu verhindern. Parteiliche Wissenschaft ist ein Unding; sie kann zu keinen allgemeinverbindlichen Ergebnissen führen. Der einzige Sinn wissenschaftlichen Mühens ist es aber, Erkenntnisse zu gewinnen, die für alle gelten.



Ein Politologe mag seine eigene politische Überzeugung haben. Aber er hat sie ebenso auszuklammern, sozusagen beim Eintreten in sein Institut an der Garderobe abzugeben, wie ein Lehrer oder ein Richter sich nicht durch seine persönlichen Neigungen und Abneigungen beeinflussen lassen darf.

Wie steht es aber mit Publizisten, mit Journalisten? Hier liegen die Dinge offensichtlich nicht so einfach.

Es gibt eine Presse, die sozusagen schamlos parteilich ist. Die kommunistische Presse ist es, und sie versucht das auch gar nicht zu leugnen. Laut dem "Wörterbuch der sozialistischen Journalistik" (Herausgegeben von Emil Dusiska; Leipzig 1973 und weitere Auflagen) ist "der sozialistische J[ournalist]... Funktionär der Partei der Arbeiterklasse, einer anderen Blockpartei (bei Mehrparteiensystem im Sozialismus) bzw. einer gesellschaftlichen Organisation und der sozialistischen Staatsmacht, der mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teilnimmt."

So tat man's denn auch als Journalist in der DDR. So tut es auch heute noch das "Neue Deutschland", die "Junge Welt". Der Begriff der Wahrheit hat für Kommunisten keinen Sinn; es sei denn den agitatorischen, der den Westberliner Ableger der SED, die SEW, seinerzeit veranlaßte, ihr Parteiblättchen ausgerechnet "Die Wahrheit" zu nennen.

Das ist nun freilich ein Extrem. Aber auch die nichtkommunistische Presse, vor allem die europäische, entstand oft als parteiliche, wenn auch nicht immer als Parteipresse. Man wußte, ob eine Zeitung sozialdemokratisch war (wie der "Vorwarts" oder die "Frankfurter Rundschau"), ob konservativ (wie der "Rheinische Merkur"), ob liberal wie die "Zeit" und der "Spiegel".

Ich schreibe das in der Vergangenheitsform, denn in den letzten Jahrzehnten ist auch in der Presse in Deutschland eine Amerikanisierung zu beobachten. In den USA waren die großen Zeitungen, die großen Zeitschriften immer weit weniger in ihrer "Linie" festgelegt als in Europa.

Gut, Time Magazine war etwas konservativer als Newsweek, die New York Times war liberaler als die einstige New York Herald Tribune. Aber das waren im Grunde Nuancen. Bei vielen großen Zeitungen - der Washington Post zum Beispiel - läßt sich eine solche "Linie" kaum ausmachen; man findet in ihr konservative wie linke Kommentatoren, sogar Editorials. Dasselbe gilt für die Los Angeles Times.

Eine Tendenz in diese Richtung ist auch in Europa, auch in Deutschland zu beobachten. In der "FAZ" kann man heutzutage linksliberale Positionen finden, in der "SZ" konservative. Der "Spiegel" war mal mehr linksliberal, mal mehr liberalkonservativ. "Focus" hatte ohnehin nie eine "Linie".



Heißt das, daß in diesen modernen Printmedien keine Meinungen vertreten werden? Keinesfalls; natürlich nicht. Nur sind diese Meinungen immer weniger durch eine "Linie" vorgegeben. Und zumindest in den Tageszeitungen - bei den Wochenzeitungen ist das anders - wird, nach US-Vorbild, in der Regel zwischen Nachricht und Meinung unterschieden.

Was immer mehr verschwindet, das ist die Verwendung des Mediums als eines Instruments im politischen Kampf. Der Publizist teilt seine Meinung zu einem bestimmten Thema mit; aber es gibt keine Linie des Blattes zur Politik überhaupt. Die "Weltanschauungspresse" ist out.

Nun komme ich zu uns politischen Bloggern. Publizisten sind wir nicht, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Aber wenn ich diesen Artikel fertig habe, dann klicke ich auf "Publish". Veröffentlichen tun wir ja schon; wir schreiben zur Politik.

Wie tun wir das? Wie Politiker, wie Politologen, wie parteiliche Journalisten, wie Publizisten eines Mediums ohne "Linie"?

Mir scheint das bei den einzelnen Blogs sehr unterschiedlich zu sein. Und mir will es so vorkommen, als rühre daher die eingangs erwähnte aktuelle Kontroverse.

Es gibt in der Blogokugelzone Kollegen und Mitstreiter, die im politischen Handeln engagiert sind. In der Parteipolitik, in politischen Zirkeln, Gesprächskreisen, Gruppierungen. Für sie ist das Bloggen - so nehme ich an; ich kann mich irren - Teil dieses politischen Engagements.

Bei mir ist das überhaupt nicht der Fall. Gewiß habe ich eine Grundhaltung, die ich immer einmal wieder auch explizit mache: eine liberalkonservative. Aber das ist, um mit Fontane zu sprechen, ein weites Feld.

Im Einzelfall versuche ich ein Thema zu verstehen, Informationen dazu aufzufinden, einen Standpunkt zu entwickeln, der sich - im günstigsten Fall - als Grundgedanke, als die message eines Artikels verwenden läßt. Das kann mal mehr liberal, mal mehr konservativ ausfallen. Oft ergibt sich auch ein Duktus, der sich überhaupt nicht auf politischen Dimensionen lokalisieren läßt. Wenn ich über einen Film schreibe, über einen Autor, über eine TV-Sendung oder ein Weltraum- Experiment zum Beispiel.

Will ich damit politisch wirken? Ich weiß das im Grunde nicht. Es ist jedenfalls nicht ein primäres Motiv. Aufklären, das trifft es vielleicht besser. Oder einfach nur mir das Vergnügen leisten, einem Gedanken, der mir interessant erscheint, sprachliche Form zu geben, ihn mit Details aufzufüllen.

Ich habe Hochachtung für diejenigen, die sich als Blogger anders verstehen. Wer im politischen Handeln steht, der wird seinen Artikeln andere Funktionen zuweisen als ich. Er wird auch anders schreiben.

Wenn jetzt in befreundeten Blogs über die Antifa gestritten wird, dann verfolge ich das mit Interesse. Aber mit dem des Beobachters, und zwar des nicht teilnehmenden.



Dank an Buenavista für das Aufspüren des Artikels von Michael Holmes.

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28. November 2007

Ketzereien zum Irak (24): Der Irak-Krieg und die Chancen eines Friedens im Nahen Osten

"We are encouraged that President Bush, best known for waging war in Iraq, has finally accepted the challenge of peacemaker"; es mache Mut, daß Präsident Bush, der hauptsächlich dafür bekannt sei, daß er im Irak Krieg führe, jetzt endlich die Herausforderung angenommen habe, Frieden zu stiften.

Das ist heute in einem Editorial der New York Times zu lesen. Ein Editorial ist bekanntlich ein Kommentar, der nicht namentlich gezeichnet ist und der somit die Meinung der Redaktion insgesamt wiedergibt.

Für die NYT gilt immer noch "All the News that's Fit to Print". Sie bringt alles was gedruckt werden sollte. So steht es traditionell links oben auf der Titelseite, neben dem Zeitungsnamen. Aber im Kommentarteil ist das Blatt mehr liberal im amerikanischen Sinn als liberal im europäischen. Für die Außenpolitik Präsident Bushs hat die NYT selten Verständnis gezeigt.

Das kommt wieder einmal in dem zitierten Satz zum Ausdruck. Er bringt denjenigen Bush, der den Irak- Krieg führt, in einen Gegensatz zu dem Bush, der jetzt um Frieden im Nahen Osten bemüht ist.

Mir scheint, das ist zu kurz gesprungen; es ist nicht auf der Höhe der analytischen Kraft, zu der die Redaktion der NYT eigentlich fähig ist.



Woran sind bisher alle Bemühungen um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten gescheitert?

Nicht an einem unüberbrückbaren Interessen- Gegensatz der betroffenen Staaten.

Der Grundgedanke des Abkommens von Oslo war es gewesen, daß ein Frieden, der es ermöglicht, die Ressourcen Israels mit denen seiner Nachbarn zu kombinieren, zum Vorteil aller sein würde. Das ist nach wie vor richtig.

Israel hat Know How, es hat die Infrastruktur eines modernen Staats, es hat hochkarätige Wissenschaftler und kapitalkräftige Investoren. Seine Nachbarn haben Arbeitskräfte und sind potentiell große Absatzmärkte; sie benötigen aber Know How und Investitionen. Das zu verknüpfen würde allen nützen. Es könnte den Nahen Osten langfristig zu einer Boom- Region machen wie heute Südostasien.

Die vielen Friedensbemühungen sind auch nicht an mangelndem guten Willen der politischen Führungen gescheitert.

Nicht alle waren so engagiert wie Rabin, Perez und in seinen letzten Lebensjahren Arafat; aber auch Jordanien und Syrien, auch Ägypten und der Libanon haben kein objektives politisches oder wirtschaftliches Interesse an einem fortdauernden Konflikt.

Gescheitert sind alle Friedensbemühungen daran, daß sie von extremistischen Gruppen erfolgreich ge- und schließlich zerstört wurden.

Sobald es eine erfolgversprechende Entwicklung gab, gelang es Gruppierungen wie der Hamas und der Hisbollah, durch spektakuläre Anschläge, immer mehr auch durch von ihnen inszenierte Revoluzzerei auf der Straße, die Emotionen so anzuheizen, daß die betroffenen Regierungen nicht mehr in der Lage waren, die erforderlichen Zugeständnisse an die andere Seite durchzusetzen.



Ein Frieden im Nahen Osten, oder jedenfalls ein friedensähnlicher Zustand, wird sich nur hinbekommen lassen, wenn es gelingt, eine geschlossene Front der arabischen Staaten gegen diesen Extremismus zu schaffen. Hier kommt der Irak- Krieg ins Spiel.

Ein wesentliches Ziel der Invasion des Irak ist es von Anfang an gewesen, durch die Errichtung eines freien, demokratischen, den USA verbundenen Irak die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten von Grund auf zu ändern und damit die Voraussetzungen für einen Frieden zu schaffen.

Dieses Ziel schien in weite Ferne gerückt, als der Krieg im vergangenen Jahr und in der ersten Hälfte dieses Jahres schlecht lief; als dazu noch die Demokratische Partei in den USA ihrer Regierung in den Rücken fiel und einen alsbaldigen Abzug aus dem Irak propagierte. Mitte dieses Jahres mußte man befürchen, daß der Irak verlorengeht und damit der Nahe Osten auf lange Zeit in Chaos und Krieg versinkt.

Jetzt hat sich im Irak-Krieg das Blatt gewendet. Das ist das Verdienst von Präsident Bush, der, als ihm die Öffentliche Meinung ins Gesicht wehte, als die Demokraten ihre Obstruktionspolitik betrieben, als selbst einzelne republikanische Senatoren für einen baldigen Abzug aus dem Irak plädierten, die Nerven behielt und den Surge durchsetzte. Jene Aufstockung der Truppen, jene Offensive, die - soweit sich das jetzt beurteilen läßt - die Wende in diesem Krieg gebracht hat.

Und damit beginnen sich die arabischen Länder in der Region umzuorientieren. Charles Krauthammer hat es vor knapp zwei Wochen beschrieben, und ich habe es damals zitiert: Staaten orientieren sich in ihrer Außenpolitik nicht an Sympathie oder Antipathie, sonden an Machtinteressen.

Würden die USA, wie es die US-Demokraten wollen, den Irak als faktisch Geschlagene überstürzt verlassen, dann entstünde im Nahen Osten ein Machtvakuum, das der Iran füllen würde. Halten die USA stand und setzt sich im Irak die jetzige positive Entwicklung fort, dann besteht zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine realistische Chance für einen Friedensprozeß.

Gewiß nicht gleich die Chance für einen sofortigen und vollständigen Frieden. Aber doch die Chance, daß eine unumkehrbare Entwicklung in Richtung auf einen Nahen Osten beginnt, dessen Schicksal nicht mehr von einer Minderheit von unbelehrbaren Extremisten bestimmt wird. Die Gespräche von Annapolis könnten der erste Schritt in diese Richtung gewesen sein.

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27. November 2007

Marginalie: Warum in Deutschland das Ost-West-Gefälle zu einem Nord-Süd-Gefälle wird

Nach der Wiedervereinigung sahen die meisten Karten Deutschlands, auf denen dargestellt ist, wie sich Kennwerte des Wohlstands geographisch verteilen, ungefähr so aus wie diese.

Sie zeigt die Verteilung der Kaufkraft im Jahr 2006. Diese ist im Westen hoch und im Osten niedrig. Die Grenze zwischen den beiden Zonen folgt fast genau der einstigen innerdeutschen Grenze; mit den Ausnahmen, daß es einigen Kreisen im einstigen Zonenrandgebiet und im Grenzgebiet zur ehemaligen CSSR inzwischen so schlecht geht wie dem Osten, während andererseits der Speckgürtel um Berlin sich etwas vom Rest der ehemaligen DDR abzusetzen beginnt.

So habe ich es auch für einen anderen Wohlstands- Indikator erwartet, den Schuldenstand. Aber siehe da - es ist ganz anders.

"Spiegel Online" bringt heute eine Karte, die nicht das Gefälle entlang der ehemaligen Zonengrenze zeigt, an das wir gewöhnt sind, sondern ein Gefälle, wie wir es in der alten Bundesrepublik kannten, jetzt sozusagen auf die ehemalige DDR erweitert: Eine niedrige Verschuldung in den beiden Südländern, die ja bei nahezu allen Wohlstandsindikatoren vorn liegen; Bayern und Baden-Württemberg. Dann eine mittlere Zone, die von Rheinland-Pfalz über Hessen und Thüringen bis nach Sachsen reicht. Und dann der Norden, in dem die Schulden hoch sind - ob in Ostfriesland, ob in Vorpommern.

Das differenziert sich zwar, wie üblich, wenn man sich die einzelnen Landkreise anschaut; aber alles in allem haben wir nicht ein Ost- West-, sondern ein Nord- Süd- Gefälle.

Dieses Muster findet man zunehmend bei verschiedenen Indikatoren, beispielsweise auch der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung. Es scheint sich in dem Maß für diverse Kennwerte zu entwickeln, in dem wir uns zeitlich von der DDR entfernen.



Wie kommt das? Ich möchte eine einfache, eine ganz einfache, eine nachgerade provokant einfache Erklärung vorschlagen: Der Wohlstand hängt im Ländervergleich nur von drei Parametern ab: Erstens davon, ob ein Land links oder rechts regiert wird. Zweitens davon, wie lange in der Vergangenheit es links oder rechts regiert wurde. Drittens davon, wie weit diese linken und rechten Regierungszeiten jeweils zurückliegen.

Ländern, die schon sehr lange rechts (also von CSU, CDU, FDP) regiert werden, geht es am besten. Ländern, die sehr lange links (von SPD, den Grünen, den Kommunisten) regiert wurden und werden, geht es am schlechtesten. Ändert sich in einem Land die Regierung, dann verbessert oder verschlechtert sich seine Position je nachdem, ob es zu einer linken oder einer rechten Regierung wechselt.



Ich weiß. Vielen Lesern werden sich angesichts dieser simplistischen Erklärung die Haare sträuben. Ist denn nicht vielleicht die Kausalität umgekehrt so, daß in armen Ländern eher links und in reichen eher rechts gewählt wird? Hängen denn Wohlstand und politische Präferenz nicht von gemeinsamen dritten Faktoren ab, wie Industrialisierung, Bodenschätze, Freizeitwert? Ist es denn nicht ein erzdummer Fehler, Korrelationen mir nichts, dir nichts kausal zu interpretieren?

Ja, gewiß spielen mannigfache Kausalitäten und Interaktionen eine Rolle. Aber die Kausalität, die ich behaupte, ist sehr wahrscheinlich diejenige, die bei weitem die größte Rolle spielt. Das sieht man, wenn man nicht den Querschnitt, sondern den Längsschnitt betrachtet.

Wenn man sich ansieht, wie zum Beispiel das Saarland aufblüht, seit es rechts regiert wird. Wie Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen, die einmal beide denselben geringen DDR- Wohlstand hatten, sich mit jedem Jahr weiter auseinanderentwickeln. Auch am Beispiel Niedersachsens kann man sehen, wie schon nach wenigen Jahren einer rechten Regierung sich die Verhältnisse verbessern.

Bayern war 1947 eines der ärmsten Länder Deutschlands; nach sechzig Jahren fast durchgängiger CSU-Regierung ist es das reichste oder zweitreichste. Und wohin umgekehrt eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten oder auch nur eine Duldung durch sie führt, das haben Sachsen- Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern gezeigt.

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Zitat des Tages: "Wir können länger ..."

Wir können länger einen Streik aushalten, als dies Deutschland lieb sein kann.

Bahnchef Hartmut Mehdorn über den von der GDL angedrohten unbefristeten Streik.

Nein, das sagte Hartmut Mehdorn selbstverständlich nicht. Sondern derjenige, der Deutschland unter Druck setzen will (man kann es auch Erpressung nennen), ist natürlich sein Kontrahent Manfred Schell. Er sagte "Wir können länger streiken, als dies Deutschland lieb sein kann".

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Das Paar des Jahres

Die Zwei, gestern bei Beckmann.

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26. November 2007

Deutschland im Öko-Würgegriff (1): Ein ganz normales Wochenende

Der Traum des kommunistischen Theoretikers Wolfgang Harich von einer Gesellschaft, in der wir Bürger "mittels Umerziehung und aufklärender Überzeugung, doch, falls nötig, auch durch rigorose Unterdrückungsmaßnahmen" alle zu ökologisch korrekten Menschen gemacht werden, rückt der Erfüllung näher.

Hier sind drei Meldungen von diesem Wochenende, von einem ganz normalen Wochenende.



Meldung Nummer eins: "Jeder zweite der rund 14 Millionen deutschen Kamin- oder Kachelöfen muss bald mit einem Rußfilter gegen Feinstaub nachgerüstet oder durch eine neue Anlage ersetzt werden." So sieht es eine geplante Verordnung des Umweltministeriums vor.

Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Bisher war, wo Feuer ist, meist auch Rauch. Rauch fällt heute unter "Feinstaub" und ist also etwas, das bekämpft werden muß. Nämlich durch einen Filter gefangen, damit er nicht, wie bisher, in die Welt entweicht.

Seit ungefähr 1,5 Millionen Jahren, seit der Homo Erectus die Nutzung des Feuers erfand, haben Menschen Feinstaub erzeugt, indem sie Holz, später Kohle verbrannten, damit sie es warm hatten, um ihre Nahrung zu bereiten und weil es am Feuer so schön gemütlich ist.

1,5 Millionen Jahre lang war niemandem unserer Vorfahren bewußt, was er da für eine Sünde beging. (Auch ich habe, nichtsahnend sündigend, in aller Unschuld jahrelang täglich den Ofen im Kinderzimmer bestückt, der allerlei Holz verbrannte, sogar Sägespäne). Der deutschen Bundesregierung des Jahres 2007, repräsentiert durch ihren Umweltminister Gabriel, ist es vorbehalten, dem jetzt ein Ende zu machen.

Und das wird uns ganz schön treffen, wie alles, was uns unsere Sünden austreibt.

Denn, so lesen wir es in der FAZ: "Wie sich bei Altöfen der Feinstaubausstoß reduzieren lässt, ist umstritten. So scheidet eine zentrale Filteranlage im Bereich des Schornsteins wegen des unverhältnismäßig hohen Aufwands aus. Woran man denkt, sind Filter, die zwischen Ofen und Schornstein installiert werden. An solchen Lösungen wird zwar gearbeitet, verfügbar sind sie jedoch noch nicht. Auch Kosten, die mit der Nachrüstung verbunden sind, können daher heute noch nicht benannt werden."

Macht nichts, verordnet wird erst einmal. Wolfgang Harich dürfte auf seiner Wolke sitzen und vergnügt lächeln.



Meldung Nummer zwei: "Hermann Scheer ... will den Atomkraftwerks- Block Biblis A nicht wieder ans Netz gehen lassen. 'Biblis A ist gegenüber den Gefahren des Atomterrorismus das größte anzunehmende Risiko und muss deshalb definitiv abgeschaltet bleiben', sagte Scheer am 26. November." Diese Meldung ging heute durch die Medien, hier zitiert nach der Internet- Zeitung "ngo-online".

Wenn es nach Scheer, Bundestagsabgeordneter und "Energieexperte" der SPD, ginge, dann würden wir also vor dem Terrorismus sozusagen vorauseilend kapitulieren. Nach dem Prinzip: Wenn die Gefahr besteht, daß Terroristen ein Objekt angreifen - dann beseitigen wir eben dieses Objekt.

Die Amerikaner sind noch nicht so weit; dort wird ja auf Ground Zero wieder gebaut.

Wie ist dem Hermann Scheer diese Idee gekommen, das AKW Bliblis A zu schließen, damit Terroristen es nicht mit unabsehbaren Folgen angreifen können? Nun, eine Vereinigung namens Eurosolar hat beim hessischen Öko- Institut Darmstadt eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kommt, daß ein Terrorangriff auf Biblis A Radioaktivität freisetzen würde, die bis nach Berlin, Prag, Paris gelangen könnte.

Diese Untersuchung stellte Hermann Scheer in Wiesbaden vor.

Warum gerade er? Nun, er ist Präsident von Eurosolar.

Aber warum gerade in Wiesbaden, der Hauptstadt Hessens, wo doch Eurosolar seinen Sitz in Bonn hat? Und wo doch Scheer Abgeordneter des Wahlkreises 265 (Waiblingen) in Baden- Württemberg ist?

Nun, Hermann Scheer ist - so steht es in der eingangs zitierten Meldung dort, wo ich die Auslassungs- Pünktchen gesetzt habe - Schattenminister von Andrea Ypsilanti (SPD) in Hessen. Also Wahlkämpfer zu den bevorstehenden Landtagswahlen. So fügt sich alles zusammen - die Untersuchung eines hessischen Öko-Instituts über ein hessisches AKW, in Auftrag gegeben von einem Bonner Institut, dessen Vorsitzender ein württemberger Abgeordneter ist.

Wolfgang Harich dürfte auf seiner Wolke sitzen und breit grinsen.



Meldung Nummer drei: "Die Grünen wollen den Weg in die 'solare Gesellschaft' ebnen. Sie verabschiedeten ein Programm für 'Klimaschutz ohne Wenn und Aber'. Dieser soll Grundlage jeglicher Politik sein und als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden. Neben dem Atomausstieg fordern die Grünen auch einen Ausstieg aus der Kohle." So kann man es zum Beispiel heute in der net tribune lesen.

Sehen Sie nun, lieber Leser, wie sich überhaupt alles zusammenfügt? Die AKWs werden abgeschaltet. Die Kohlekraftwerke werden abgeschaltet. Wer glaubt, er käme angesichts der damit logischerweise massiv steigenden Strompreise davon, indem er zu Hause mit Holz heizt, dem wird das ebenfalls durch drakonische Vorschriften vermiest.

Kurz, "mittels Umerziehung und aufklärender Überzeugung, doch, falls nötig, auch durch rigorose Unterdrückungs- maßnahmen" wird man uns, siehe oben, schon die ökologische Korrektheit beibringen.

Wolfgang Harich dürfte auf seiner Wolke sitzen und sich laut lachend auf die Schenkel klopfen.




Dies ist die erste Folge einer Serie, die, wie ich fürchte, viele Folgen haben wird.

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Randbemerkung: Über die Nicht-Klassenkämpfe in den USA

Auseinandersetzungen, friedliche und gewalttätige, innerhalb einer Gesellschaft sind überwiegend keine Klassenkämpfe.

Das ist eine Binsenweisheit. Sie wird aber von vielen nicht gesehen, die - auch wenn sie sich nicht als Marxisten verstehen - in diesem Punkt vom Marxismus beeinflußt sind.

Ein drastisches Beispiel für eine seit langem andauernde gesellschaftliche Auseinandersetzung, die überhaupt nicht den Charakter eines Klassenkampfs hat, ist die zwischen Latinos und Schwarzen in den USA.

Sie ist, wie man sich denken kann, besonders heftig dort, wo die aus oder via Mexiko in die USA strömenden Latinos auf eine eingesessene Bevölkerung von schwarzen Amerikanern treffen, wie das z.B. in Californien der Fall ist.

Über die daraus resultierenden Probleme in Los Angeles berichtet in der Los Angeles Times jetzt Earl Ofari Hutchinson.

Am sichtbarsten sind die Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Latinos, wenn es zu Kämpfen zwischen Gangs kommt, die eine vom Autor zitierte schwarze Amerikanerin so gekennzeichnet hat: ""You have one race of people exterminating another race of people" - da würde eine Rasse eine andere vernichten.

Wenn das auch sehr übertrieben klingt - Konflikte sind allgegenwärtig. Sie entstehen insbesondere in den Unterschicht- Wohngegenden im südlichen Los Angeles, wo ganze Straßenzüge, die bisher von Schwarzen bewohnt waren, jetzt zu Wohngebieten von Latinos geworden sind.

In der Jefferson High School im Süden von Los Angeles zum Beispiel ist der Anteil von Latinos unter den Schülern in 25 Jahren von 31 Prozent auf 92 Prozent gestiegen.

Im südlichen Wohnbezirk Florence-Firestone lebten in den achtziger Jahren noch 80 Prozent Schwarze; heute wohnen dort 90 Prozent Latinos. In dieser Gegend operiert eine Latino- Straßengang mit dem Namen Florencia 13, die nach Angaben der Behörden versucht, Gangs von Afro- Amerikanern von dort zu vertreiben. Das hat allein in den vergangenen drei Jahren zu zwanzig Getöteten geführt.



Meist wird der Konflikt aber weniger gewalttätig ausgetragen. Es geht z.B. darum, ob auf Versammlungen (etwa von Schul- Pflegschaften) Englisch oder Spanisch gesprochen wird. Es geht um den gegenseitigen Vorwurf, einander die Jobs wegzunehmen.

Sogenannte Hate Crimes, also u.a. rassistisch motivierte Verbrechen, sind nach den Angaben von Hutchsinson im Bezirk Los Angeles zwischen Latinos und Schwarzen inzwischen häufiger als zwischen Weißen und einer dieser Gruppen.

Ein weiteres Konfliktfeld sind die sogenannten affirmative action spots, Studienplätze, die für die Angehörige von Minoritäten reserviert sind und um die Latinos und Schwarze konkurrieren.

Hutchinson beschreibt auch Positives. In einigen Gemeinden arbeiten Schwarze und Latinos beispielsweise im Kampf gegen das Verbrechen und gegen Übergriffe der Polizei zusammen.

Jedoch, resümiert Hutchinson, "Changing demographics and the rise of Latinos to the top minority spot in America won't make the problems of either group disappear. Nor will blaming each other for those problems solve them." Der demographische Wandel und der Aufstieg der Latinos zur größten Minderheit in Amerika ließen die Probleme für die eine Gruppe so wenig verschwinden wie für die andere. Und diese Probleme könnten auch nicht dadurch gelöst werden, daß jede Seite die andere dafür verantwortlich mache.

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25. November 2007

Zitat des Tages: Ein mitbestimmter Betrieb sucht seinen Chef

Einen angemessen nervenstarken, selbstbewussten und erfahrenen Profi für den Job zu finden wird schon durch das Verfahren erschwert, das eher an die Bewerbung um ein WG-Zimmer erinnert.

Harald Staun heute in der FAZ Sonntagszeitung über die Suche nach einem neuen Chefredakteur für den "Spiegel".

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24. November 2007

Europapolitik: Brüsseler Anmaßungen, deutsche Unfähigkeiten

"Die EU-Kommission plant nach den Worten ihres Präsidenten José Manuel Barroso Strafzahlungen für Autofirmen, die gegen Klimaschutz- Vorgaben aus Brüssel verstoßen", berichtet heute die Presse - beispielsweise das "Handelsblatt" - über ein Interview, das Barroso "Bild am Sonntag" gegeben hat.

Kaum jemand, der eine Meldung wie diese liest, fragt sich noch, wie eigentlich eine Kommission dazu kommt, Strafen gegen Autofirmen zu verhängen. Strafen, nicht wahr, werden ja eigentlich von Gerichten verhängt. Und für Autofirmen ist eigentlich das Land ihres Firmensitzes zuständig, nicht eine Kommission, die in Brüssel sitzt.

Eigentlich, d.h. innerhalb eines Rechtssystems, in dem die Gewaltenteilung funktioniert und in dem Staaten souverän sind.

Kein Mitglied der EU ist aber mehr im klassischen Sinn souverän. Viele Rechte, die in den USA jeder Bundesstaat für sich beansprucht, sind von den nominell souveränen Staaten der EU nach Brüssel abgegeben worden. Beispielsweise haben in den USA die Bundesstaaten das Recht auf ihre eigenen Anti- Diskriminierungs- Gesetze, während die EU-Staaten an EU-Direktiven wie die Direktive 2000/43/EG (Antirassismus) gebunden sind.



"Nach Brüssel abgeben" - was heißt das aber? An wen denn abgeben? Haben wir in Brüssel eine Europa- Regierung, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung gegliedert ist? Werden dort die Gesetze von der Legislative gemacht und von der Exekutive ausgeführt? Wird über Strafen von einer unabhängigen Judikative entschieden?

Nein. In Brüssel residiert bekanntlich eine Institution namens "EU-Kommission", die das alles in einem ist - sie führt als Exekutive die Geschäfte, sie betätigt sich faktisch als Legislative, indem sie Direktiven erläßt, die von den nationalen Parlamenten in Gesetzesform gegossen werden müssen, und sie benimmt sich wie eine Judikative, wenn sie beispielsweise, siehe oben, Geldstrafen gegen Firmen verhängt. Gewiß, es gibt ein Europäisches Parlament, einen Europäischen Gerichtshof. Aber sie haben noch längst nicht die Kompetenzen, die eigentlich einer Legislative, einer Judikative zustehen.



Europa ist eben noch im Werden. Niemand, der die Fakten fair beurteilt, wird die EU, könnte er es denn, wieder abschaffen wollen. Wohl aber ist zu fragen, ob es so weitergehen kann, daß zwar erbittert um nationale Sitze in Gremien gerungen wird, daß aber noch niemand weiß, worauf die europäische Einigung eigentlich hinauslaufen soll - ob man nämlich ein Bundesstaat oder ein Europa der Vaterländer werden will. Wenn man einmal erwachsen ist.

Solange Europa das nicht ist, tut man gut daran, die Entwicklung des Adoleszenten in so vernünftige Bahnen zu lenken, wie das nun einmal, rebus sic stantibus, schlecht und recht geht.

Das heißt zum einen, die Herrschaft der Bürokratie zu beschneiden, wo immer es dafür eine Chance gibt.

Es heißt zweitens, als nationale Regierung Eurokraten in ihre Schranken zu weisen, wenn sie - wie z.B. jetzt Barroso - sich in Dinge wie ein Tempolimit in Deutschland einmischen, die sie nichts angehen.

Und drittens und vor allem heißt es, daß jeder Staat gut beraten ist, seine Interessen nach Kräften in Brüssel zu vertreten, wenn er sie schon nicht mehr mit der eigenen Machtvollkommenheit eines souveränen Staats unmittelbar durchsetzen kann. "If you can't beat 'em, join 'em".



Und damit - mit der Vertretung unserer Interessen in Brüssel - ist es in Deutschland miserabel bestellt. Wie miserabel, wie hundserbärmlich es damit bestellt ist, das beschreibt jetzt Christoph B. Schiltz in einem äußerst lesenswerten Artikel in "Welt Online" unter dem drastischen Titel: "Die sieben Todsünden der Deutschen in Brüssel".

Warum sind wir in Bezug auf Brüssel allzumal Sünder, wir Deutsche? Es gibt, wie Schiltz darlegt, viele Gründe. Aber einer liegt auf der Hand: Wir leisten uns in Deutschland den Luxus, kein nationales Europa- Ministerium zu haben.

Fast alle anderen EU-Länder haben das - entweder in Gestalt eines ausschließlich für Europa zuständigen Ministers wie zeitweise in Frankreich, oder in Personalunion mit einem anderen Ministerium. In der Regierung Fillon zum Beispiel ist Bernhard Kouchner zugleich Außen- und Europaminister; seine offizielle Amtsbezeichnung lautet Ministre des Affaires étrangères et européennes. Innerhalb dieses Ministeriums leitet ein Staatsminister die Europapolitik, der frühere enge Mitarbeiter des Sozialisten Lionel Jospin, Jean-Pierre Jouyet.

Europaminister - so etwas gibt es in Deutschland auch. Allerdings nur auf Länderebene! Die Bundesländer haben in der Regel ein Ministerium, das die Kompetenz für Europa mit anderen Aufgaben (am häufigsten Bundes- Angelegenheiten) kombiniert; teils aber auch nur Bevollmächtigte oder Beauftragte für Europa. Im Bund aber gibt es kein einziges Ministerium, das den Namen "Europa" auch nur im Namen führt.

Es gibt eine Europaabteilung des Auswärtigen Amts; auf derselben hierarchischen Ebene angesiedelt wie z.B. seine Abrüstungsabteilung. Aber viele andere Köche kochen mit; nicht weniger als 58 Referate in diversen Ministerien sind für Europa zuständig!

Der Kanzler Schröder hatte einmal, nach der 2002 gewonnenen Wahl, die Ernennung eines Europaministers geplant, wollte ihn aber im Bundeskanzleramt ansiedeln. Der damalige designierte Außenminister Fischer hörte die Nachtigall trapsen und sperrte sich. So versuchen die einzelnen beteiligten Ministerien halt ihre Europapolitik irgendwie zu koordinieren.

Genügen wird das nicht. Die Todsünden, die Schiltz aufzählt - u.a. eine verfehlte Personalpolitik, die Unterschätzung des EU- Parlaments, schwache Netzwerke und eben dieser Kompetenzwirrwarr in der Bundesregierung - müssen angegangen werden. Auf nach Brüssel!

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Zitat des Tages

Grönemeyer auf Platz 1. Platz zwei für Udo Jürgens, Platz drei für Mozart

Das ZDF über die gestrige Show "Unser bester Musikstar".
Da kann Mozart aber stolz sein! (Siehe auch hier)

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23. November 2007

Zitat des Tages: "Abstand zwischen Obama und Clinton wird kleiner" (sagt SPON)

Barack Obama holt auf: Im Rennen um die Präsidentschafts- kandidatur der Demokraten verringert sich der Abstand zwischen dem schwarzen Politiker und der Favoritin Hillary Clinton.

"Spiegel Online" heute unter der Überschrift "Abstand zwischen Obama und Clinton wird kleiner".



Hier einige aktuelle Umfrageergebnisse:

Fox News: Vom 23./24.10. bis zum 13./14.11. stieg Clinton von 42 auf 44 Prozent und fiel Obama von 25 auf 23 Prozent.

Gallup: Vom 2./4.11 zum 11./14.11. fiel Hillary Clinton von 43 auf 44 Prozent, aber Obama verlor von 18 auf 16 Prozent. Er fiel damit hinter Al Gore mit 17 Prozent zurück.

Der American Research Poll maß vom 9./12.10. zum 9./12.11 einen Anstieg um je einen Prozentpunkt für Clinton (45 auf 46 Prozent) und Obama (von 20 auf 21 Prozent).

Der Cook Political Report/RT Strategies Poll fand für Clinton vom 13./16.9 zum 8./11.11. einen Anstieg von 33 auf 36 Prozent. Obama lag zu beiden Umfrageterminen bei 22 Prozent.

Die Ergebniss von AP/Ipsos Poll: Clinton fällt vom 1./3.10. zum 5./7.11. um einen Prozentpunkt (46 zu 45). Obama fällt um drei Prozentpunkte von 25 auf 22 Prozent.

Im NBC News/Wall Street Journal Poll steigt Clinton vom 7./10.9. zum 1./5.11. um drei Punkte von 44 auf 47 Prozent; Obama nimmt um zwei Punkte von 23 auf 25 Prozent zu.



Wie kommt "Spiegel Online" also zu seiner absurden Behauptung?

Einige wenige Umfragen zeigen, wie es der Stichprobenfehler nun einmal mit sich bringt, auch eine leichte Verringerung des Abstands zwischen Clinton und Obama. Die Behauptung, daß "Obama zunehmend an Boden" gewänne, stützt "Spiegel Online" auf eine einzige Umfrage, die von Reuters/Zogby Poll. Danach stieg Obama vom 24./27.10. zum 14./17.11. von 24 auf 27 Prozent. Clinton lag zu beiden Terminen bei 38 Prozent.

That's all.

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Randbemerkung: Die Grünen auf dem Weg in die Volksfront

Als die Partei "Die Grünen" Ende der siebziger Jahre entstand, verstand sie sich nicht als eine Partei wie die anderen, sondern als etwas ganz Neues, sozusagen das schlechthinnige Andere.

In gewisser Weise stimmte das. In mancher Hinsicht stimmt es noch heute.

Es stimmte damals, weil man die Regularien, nach denen Parteien funktionieren, nach denen sie im Parlament arbeiten, souverän mißachtete:

Zu den Parteiversammlungen konnte JedeR kommen, die es denn wollte, ob Mitglied oder nicht (sofern sich das überhaupt feststellen ließ, in der Anfangs- Phase). Man wählte nicht eine VorsitzendeN, sondern gleich zwei, die aber so hießen, wie bei den anderen Parteien die Pressereferenten: SprecherInnen.

Man führte einen Proporz ein, extremer als jemals unter Adenauer der Proporz zwischen Katholiken und Protestanten: Überall mindestens die Hälfte Frauen in den Gremien, den Fraktionen. Daß man zwei SpecherInnen hatte, verdankte sich anfangs diesem Proporz, den man in "Quote" umgetauft hatte. (Zwei Frauen allerdings waren nicht verboten, und es kam auch in der Tat vor, daß beide SprecherInnen Sprecherinnen waren.)

Im Parlament zelebrierte man die Kultur des Happenings: Ein Minister, der in Turnschuhen zur Vereidigung erschien. Abgeordnete, die auf ihren Pulten Sonnenblumen aufbauten; die in malerischer Hippie- Tracht, mitunter mit Rauschebart, im Plenum Platz nahmen. Bizarre Reden, in denen schon einmal das Sexualleben der Abgeordneten thematisiert wurde.

Jeder Abgeordnete besaß eine Art Zwilling, einen NachrückerIn, die zur Mitte der Legislatur- Periode an ihre Stelle trat. Jedenfalls in der Regel, denn zwingen konnte man ja niemanden, sein Mandat niederzulegen. Schily tat es nicht.



Merken Sie etwas, lieber Leser? Ich versuche, vor Ihren Augen ein Bild der Grünen entstehen zu lassen, Ihre Erinnerungen an diese Zeit zu wecken, in der sie ins Rampenlicht traten. Vielleicht ist mir das gelungen.

Aber mit keinem Wort habe ich bisher von einem Programm, überhaupt von politischen Inhalten gesprochen. Man kann die Grünen offenbar recht gut charakterisieren, ohne davon zu sprechen, was sie überhaupt politisch wollen. Und das - so will mir scheinen - ist just das, was diese Partei "Die Grünen" charakterisiert.

Was diese Partei zusammenhält, das ist ein bestimmter Stil des Politisierens. Irgendwie "alternativ". In Opposition zum Pragmatismus, zur Realpolitik der anderen Parteien, zu ihrer Orientierung an den gesellschaftlichen Realitäten, am technischen Fortschritt, an Gruppeninteressen. Wie sich dieser Stil mit Inhalten, mit konkreten politischen Zielen füllt, das ist weitgehend beliebig.

Ist eine solche Partei links oder rechts? Als die "Grünen" 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, wollte das Präsidium sie links neben die SPD setzen. Sie protestierten und erhielten den Platz in der Mitte, zwischen CDU und SPD. Das war in der Zeit, als man sich noch primär als eine Naturschutz- Partei verstand; als es noch einen konservativen Flügel gab, auch wenn einige prominente Konservative wie Herbert Gruhl damals schon ausgetreten waren.

Später rückte eine Mehrheit der Partei, unter dem Einfluß der Entristen aus den verblichenen K-Gruppen und der Sponti- Szene, immer weiter nach links.

Noch später bildete sich daneben allerdings auch ein bürgerlich- liberaler Flügel, bestehend einerseits aus Politikern wie Fritz Kuhn und Christine Scheel, die entdeckt hatten, daß ihre Vorstellungen von Freiheit eher im Kapitalismus zu verwirklichen sind als im Sozialismus. Zum anderen kam ein freiheitliches Element durch die Mitglieder des Bündnis 90 in die Partei; jedenfalls vorübergehend.

Die Grünen sind damit heute wieder so weit wie bei ihrer Gründung: Ein Potpourri aus politischen Überzeugungen, nur zusammengehalten durch diesen gemeinsamen Stil des Anderssein- Wollens.

Solange man in der rotgrünen Regierung war, wurden diese Gegensätze durch den gemeinsamen Wunsch nach Machterhalt überlagert.

Man hätte erwarten können, daß die Partei, als sie 2005 in die Opposition geriet, die notwendige Klärung herbeizuführen versuchte. Daß sie sich entscheiden würde, ob sie eine linksliberale oder eine ökosozialistische Partei ist. Ob sie mehr Freiheit im Kapitalismus will, wie Fritz Kuhn und Christine Scheel, oder ob sie den Weg in den demokratischen Sozialismus anstrebt. Aber in den bisherigen zwei Jahren Opposition gab es noch nicht einmal den Ansatz zu einer derartigen Klärung.



So wäre es vielleicht geblieben, wenn sich nicht inzwischen immer deutlicher die Perspektive einer Volksfront nach den Wahlen 2009 abzeichnen würde.

Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Liberale Ideen, individualistische Skepsis gegenüber dem Staat haben da keinen Platz mehr. Die Partei muß fit dafür gemacht werden, Seit' an Seit' mit der Partei des demokratischen Sozialismus und den Kommunisten zu marschieren.

Das geschieht in diesen Tagen. In "Welt Online" hat Matthias Kamann es im einzelnen beschrieben:
Wenn sie auf ihrem Bundesparteitag über Sozial- und Wirtschaftspolitik diskutieren, dann bleibt kaum Raum für jenen staatsfernen Individualismus, der sie lange von anderen Linken unterschied. Vielmehr setzen sie nun auf jenen Staat, dem sie einst mit Skepsis begegneten und auch im Ökonomischen die Eigeninitiative verantwortungsbewusster Individuen entgegensetzen wollten. (...)

Alle verbünden sich zu einem Linksruck, der den Konsens und das "Durchkommen" auf dem Parteitag garantieren soll. Um es mit dem Parteichef zu sagen: "Hier hat es eine notwendige Akzentverschiebung gegeben", erklärte Bütikofer gegenüber WELT ONLINE.
Notwendig in der Tat. Denn mit den liberalen Ideen, die Fritz Kuhn und andere grüne Liberale noch im November 2006 formuliert hatten ("Grüne Marktwirtschaft"; Kritik am "Umverteilungsstaat") könnte man nicht gut gemeinsam mit der SPD und den Kommunisten regieren.

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22. November 2007

Zettels Meckerecke: Ist Bach der Beste? Über U-Kultur und E-Kultur

Bach? Dirk Bach, oder der Johann Sebastian? Kommt nicht so drauf an. Nachdem das ZDF unseren besten Komiker gesucht und gefunden hatte, ist diesmal - gesendet wird morgen Abend - der beste Musiker dran.

Zuvor war schon beispielsweise der beste Deutsche gekürt worden (Konrad Adenauer), der beste Fußballer (Franz Beckenbauer) und die beste Erfindung (das Fahrrad).

Nun also, so schreibt das ZDF, werden wir erfahren, wen die Deutschen für den größten "Musikstar aller Zeiten" halten. "Ob Bach oder BAP, Mozart oder Modern Talking, Nena oder Nicole". Von Mitte September bis Mitte Oktober konnte, wer wollte, abstimmen.



Müssen einem da nicht die Haare zu Berge stehen?

Zum einen wegen der Mehrheits- Entscheidungen, wie sie zwar nicht von "den" Deutschen, aber doch jedenfalls von den abstimmenden Deutschen zu diesen Sendungen getroffen wurden.

Adenauer als der größte Deutsche - das mag noch angehen. Er war gewiß einer der größten deutschen Staatsmänner, und der einzige der ganz Großen, der noch innerhalb eines engeren Zeithorizonts vieler von uns gelebt hat.

Aber beim Lesen "Der Herr der Ringe" auf Platz eins: Nicht wahr, da hört der Spaß auf? Da beginnen sich nun wirklich die Augenbrauen zu heben, da legt sich die Stirn in besorgte Falten. Höre ich jemanden "Kulturlosigkeit" murmeln?

Nun also "Bach oder BAP, Mozart oder Modern Talking". Da sträuben sich nicht nur die Nackenhaare. Da könnte manchen, dem unsere Kultur am Herzen liegt, wohl schon ein Schreikrampf überkommen.

Das Volk wird befragt, und es darf sagen, ob es Mozart oder Bach schätzt, oder ob es doch vielleicht Nena oder Nicole bevorzugt! Wenn das kein Ende unserer Kultur ist, kein Untergang des Abendlandes!



Nein, ich meckere nicht gegen solche Sendungen. Ich meckere gegen die herablassende Kritik an ihnen. Ich teile keineswegs diese Reaktion, die von Haarsträuben und Stirnrunzeln begleitet ist.

Ich habe die erste dieser Sendungen gesehen, aus der Adenauer als Sieger hervorging; danach keine mehr. Sie werden aber wohl alle ähnlich gewesen sein.

An dieser damaligen Sendung hat mich geärgert, daß der Scharlatan Karl Marx einen ziemlich guten Platz erreicht hat. Aber nun gut - auch das ist ja ein Ergebnis, daß so viele Deutsche sich für ihn ans Telefon bemühten; was oder wer auch immer sie dazu motivierte.

Ansonsten habe ich mich darüber gefreut, daß viele meiner Mitbürger sich - sei es durch Abstimmen, sei es durch Einschalten der Sendung - überhaupt für die Frage interessiert haben, wer denn die größten Deutschen waren.

Und so geht es mir auch mit den Nachfolge-Themen.

Nehmen wir die Gebäude. Kölner Dom und Brandenburger Tor als Sieger bei den "Lieblingsorten" - das ist doch gut. Meine Lieblingsorte sind es gewiß nicht; ich hätte vielleicht die Frankfurter Paulskirche gewählt, das Symbol des liberalen, des freiheitlich- konservativen Deutschland. Aber was sich nun ergab, das ist doch eine respektable Entscheidung gewesen - der Kölner Dom als Symbol der rheinisch- demokratischen, des katholischen Deutschland, das Brandenburger Tor als Symbol des preußisch- rechtsstaatlichen, des protestantischen und aufgeklärten Deutschland.

Und Loriot als der beste Komiker - hätte man eine bessere Wahl treffen können? Schumi als bester Sportler, nun gut, da mag die Tagesaktualität durchgeschlagen sein. Das ist bei Sportlern vermutlich unvermeidlich; sie hinterlassen ja nichts für die Nachwelt, gar die Ewigkeit.



Musiker tun das. Also produzieren sie Kultur.

Jedoch richtige Kultur in Deutschland nur dann, wenn sie E-Musik machen. Denn bei uns zerfällt die Musik bekanntlich in U-Musik und E-Musik. Nena und Nicole, das ist U-Musik. Bach und Beethoven, das ist E-Musik. Beim Jazz wird es etwas schwierig; da er heute überwiegend in den Kulturprogrammen der Sendeanstalten gespielt wird, ist er wohl zur E-Musik avanciert.

Wir teilen nicht nur die Musik in E und U ein. Wir unterscheiden in Deutschland auch zwischen ernsthafter Literatur und Unterhaltungsliteratur. Wer U-Literatur produziert, der ist ein Schreiber, allenfalls ein Autor. Wer E-Literatur herstellt, der ist mindestens ein Autor, meist aber schon ein Schriftsteller, am Ende gar ein Dichter. Martin Walser hat es bisher nur bis zum Schriftsteller geschafft. Günter Grass hingegen ist ein Dichter.

Ich kann mit allen diesen Unterscheidungen wenig anfangen. Robert Gernhardt, einer meiner Lieblingsautoren - hat er E-Literatur oder U-Literatur produziert? Waren Walter Scott, Charles Dickens, Victor Hugo, Honoré de Balzac, Conrad Ferdinand Meyer, Theodor Storm, Lewis Carroll E- oder U-Autoren?

Natürlich gibt es gewaltige Unterschiede in der Qualität dessen, was Musiker komponieren und spielen, was Literaten zu Papier bringen.

Aber erstens ist das ein Kontinuum, keine Dichotomie. Und zweitens hat Qualität nichts damit zu tun, ob Musik oder Literatur unterhaltsam ist.

Also nehme ich mir die Freiheit, beispielsweise Loriot für kulturell bedeutsamer zu halten als unseren Nobelpreisträger Günter Grass.

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Wofür, wogegen wird eigentlich in Frankreich gestreikt?

Ein Generalstreik ist das noch nicht in Frankreich, auch wenn im französischen Indymedia dazu aufgerufen wird. Aber ein ziemlich generalisierter Streik ist es schon. Es rollte eine breite Streikwelle, die von den Bahnbediensteten bis zu den Lehrern, von der Presse bis zu den Kliniken, von den Post- bis zu den Bank- Bediensteten, ja bis zu den Richtern reicht.

Nein, von "den" Angehörigen dieser Berufe kann man eigentlich nicht sprechen. Es sind mehr oder weniger große Gruppierungen aus diesen Berufen, die mal hier, mal dort, mal überall in Frankreich die Arbeit niederlegen. Organisiert in den zahlreichen Gewerkschaften, die in Frankreich traditionell politisch ausgerichtet sind; zum Teil - wie die kommunistische CGT - geradezu einer politischen Partei angegliedert.

Damit sind wir bereits bei einem der Schlüssel zum Verständnis dieser Streikwelle: Ganz anders als beim Streik der GDL in Deutschland haben diese Streiks eine starke politische Komponente. So verschieden im einzelnen die Forderungen der Streikenden sind - gemeinsam ist ihnen, daß sie sich gegen geplante, in unterschiedlichen Stadien des Gesetzgebungs- Verfahrens befindliche Reformen der Regierung Fillon, also des Präsidenten Sarkozy richten. In Frankreich ist de politische Streik erlaubt.



Sarkozy ist entschlossen, Frankreich umzukrempeln. Auch wenn er sich nicht auf sie beruft - er hat sich das vorgenommen, was in England Margaret Thatcher Anfang der achtziger Jahre bewerkstelligte: Die Wirtschaft deregulieren, das Land modernisieren, die Macht der Gewerkschaften brechen oder mindestens zügeln, die heute in Frankreich der Modernisierung genauso im Wege stehen wie damals in England.

Sarkozy ist - mit einer (bisher noch) schier unerschöpflichen Tatkraft gesegnet - fest entschlossen, "alle Reformen zugleich" zu realisieren. Und mit seiner sehr komfortablen Mehrheit in der Nationalversammlung und mit der Unterstützung einer großen Mehrheit der Franzosen hat er gute Chancen, es zu schaffen.

Ja, mit der Unterstützung einer großen Mehrheit. Das mag überraschen; denn die Streikenden und ihre demonstrierenden Sympathisanten sind in den Schlagzeilen, und man sieht sie rund um die Uhr auf den Bildschirmen. Die Schweigende Mehrheit - die gerade in Frankreich traditionell sehr schweigsam ist - denkt aber ganz anders als diese so sichtbar agierenden Protagonisten.

Was "die Franzosen" in ihrer Mehrheit denken, erfährt man nicht aus Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen, sondern erst aus repräsentativen Befragungen. Eine gestern veröffentlichte Umfrage zum immer noch anhaltenden Streik der Eisenbahner erbrachte folgendes Ergebnis:

69 Prozent der Befragten wollen, daß die Regierung den Streikenden nicht nachgibt. Nur 30 Prozent sind für Nachgeben. Sogar die Arbeiter und Angestelltenin der Privatindustrie sind zu 68 Prozent der Meinung, dieser Streik sei "nicht gerechtfertigt".

Freilich nur diese Lohnabhängigen, die in der freien Wirtschaft arbeiten, sind gegen diesen Streik. Von den Angehörigen des Öffentlichen Dienstes halten ihn dagegen 57 Prozent für gerechtfertigt.



Womit wir beim Kern des Konflikts sind: Er ist weniger eine Auseinandersetzung zwischen Arbeiternehmern und Arbeitgebern, als ein Kampf um die Privilegien der Staatsbediensteten in Frankreich.

Um sie, um diese Angehörigen der services publics und ihre Privilegien nämlich geht es bei dem momentanen Eisenbahnerstreik. Man kann sich in Deutschland vom Ausmaß dieser Privilegien kaum eine Vorstellung machen. Deshalb hier einige Beispiele:
  • Mitarbeiter der (staatlichen) Elektrizitäts- und Gaswerke gehen mit 60, teilweise mit 55 Jahren in Rente. Sie erhalten die volle Rente nach 37,5 Beitragsjahren, wobei sich die Rente nicht nach ihrem Durchschnittsverdienst bemißt, sondern nach ihrem letzten Verdienst. Das gilt auch für die anderen, die im Genuß eines solchen "régime spécial" sind, wie z.B. Eisenbahner und Angestellte der Pariser Oper:

  • Eisenbahner gehen mit 55 oder 50 Jahren in Rente und erhalten die volle Rente nach 25 Beitragsjahren.

  • Angestellte der Pariser Oper erhalten ab dem Alter von 40 Jahren (Tänzer), 55 Jahren (Sänger) oder 60 Jahren (Musiker) die volle Rente.
  • Diese Privilegien will Sarkozy abbauen; vor allem soll die volle Rente erst nach 40 Beitragsjahren erreicht werden.

    Eine Selbstverständlichkeit aus deutscher Sicht. Für Frankreich eine Revolution. So, wie es eine Revolution ist, daß Sarkozy den Universitäten Freiheiten geben will, die in Deutschland zum Teil selbstverständlich sind. (Andere werden auch in Deutschland erst jetzt realisiert).

    In gewisser Weise sind also die momentanen Streiks in Frankreich und in Deutschland gegenläufig: Während die französischen Eisenbahner gegen den Abbau ihrer Privilegien streiken, dient der Streik der in der GDL organisierten deutschen Eisenbahner dazu, sich ein solches Privileg - den besonderen Tarifvertrag - erst einmal zu verschaffen.

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    21. November 2007

    Zitat des Tages: "Zusammen 45 Prozent"

    Ein mögliches Bündnis aus Union und FDP käme damit auf 49 Prozent und hätte einen Vorsprung von 4 Punkten vor SPD, Grünen und Linkspartei, die zusammen 45 Prozent erreichen.

    "Spiegel Online" heute über die aktuellen Umfragedaten von Forsa. Die Volksfront wird als Alternative zu Schwarzgelb betrachtet. Es wächst zusammen, was zusammengehört.

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    Randbemerkung: Schröder über Merkel - uninteressant. Aber da war noch ein anderer ...

    Gerhard Schröder hat das getan, wofür er von Gazprom bezahlt wird: Er hat die russischen Interessen allgemein, er hat speziell die Interessen der russischen Energiewirtschaft vertreten. Das ist seine Aufgabe als Lobbyist dieses russischen Staatskonzerns.

    Also hat er die Kanzlerin dafür getadelt, daß sie sich nicht so verhält, wie es den russischen Interessen, wie es speziell den Interessen von Gazprom entspricht;
    Es sei gefährlich, sich in den Beziehungen zu Russland von Gefühlen leiten zu lassen, die auf 'Erfahrungen mit Systemen wie der DDR' beruhen, meint der Altkanzler mit Blick auf seine Nachfolgerin Merkel. Zwar habe er 'Verständnis für die Besonderheit von DDR-Biografien', aber das russische Gas werde gebraucht.
    So steht es heute im "Tagesspiegel".

    Ja, was soll der Lobbyist Schröder denn anderes sagen, als daß das Produkt, das zu promoten er bezahlt wird, "gebraucht" wird?

    Ist es einem Lobbyisten vorzuwerfen, daß er jemanden wie die Kanzlerin, deren Politik die Geschäfte von Gazprom zu beeinträchtigen droht, das jedenfalls tun könnte, herabsetzt? Daß er diese Politik als nicht rational, sondern durch die persönliche Biographie bedingt erklärt?

    Er tut das, was seines Amtes ist, der von Gazprom dafür eingekaufte Gerhard Schröder.

    Daran ist nichts Tadelnswertes. Daß die CDU darauf mit Empörung reagiert hat, erscheint unbegründet; zumindest überzogen.

    Oder doch nicht?



    In der gestrigen Diskussion ist erstaunlich wenig thematisiert worden, in welchem Kontext sich denn Schröder derart geäußert hat. Im heutigen "Tagesspiegel" steht es:

    Am vergangenen Wochenende fand im Großen Ballsaal des Berliner "Ritz Carlton" eine Tagung der Herbert- Quandt- Stiftung statt, zu der Schröder als Redner eingeladen war; zugegegen waren, wie der "Tagesspiegel" berichtet, "Menschen aus vielen Ländern, die einen Konzern oder zumindest eine Gedankenfabrik leiten."

    Diesem illustren Auditorium suchte Schröder offenbar deutlich zu machen, daß Deutschland eine rußlandfreundlichere Politik betreiben solle. Diesem Auditorium versuchte er nahezubringen, daß die Kanzlerin eine irrationale DDR-Frau sei, die das leider nicht in gehörigem Maß tue.

    Aber es war nicht Schröder allein, der diese Botschaft zu verbreiten suchte. Da war noch ein zweiter auf derselben Tagung, der es mindestens genauso deutlich, wenn auch weniger verletzend tat: Frank Walter Steinmeier.

    Und damit wird Schröders Auftritt interessant. Nicht, daß ein Lobbyist das tut, wofür er bezahlt wird, ist bemerkenswert. Sondern daß der deutsche Außenminister ins selbe Horn bläst.

    Steinmeier sprach, wie der "Tagesspiegel" berichtet, früher als Schröder und war schon nicht mehr anwesend, als Schröder seine Rede hielt. Aus dem Artikel des "Tagsspiegel":
    Das Thema ist heikel, weil Deutschland auf Jahrzehnte abhängig bleibt von russischen Gaslieferungen. Die Kanzlerin fährt einen weit kritischeren Kurs gegenüber Präsident Wladimir Putin als der Außenminister. Der zählt an diesem Abend Gründe auf, warum Moskau gebraucht wird – vom Kosovo über Afghanistan bis zum iranischen Atomprogramm. In Steinmeiers Rede gibt es keinen Höhepunkt, sondern nur den Wunsch, "dass wir uns den langen Atem gestatten, der notwendig ist, um die Beziehungen zu Russland weiter zu entwickeln."



    Steinmeier und Schröder sind einander bekanntlich politisch so eng verbunden, wie zwei Politiker überhaupt nur einander verbunden sein können.

    Unmittelbar nach der Promotion 1991 begann Steinmeier seine Karriere in der Niedersächsischen Staatskanzlei unter dem Ministerpräsidenten Schröder; bereits 1993 war er persönlicher Referent von Schröder. 1998 ging er mit ihm nach Berlin, wiederum als sein engster Mitarbeiter - zuerst als Staatssekretär, dann als Staatsminister im Bundeskanzleramt. Das blieb er bis zum Ende von Schröders Kanzlerschaft.

    Als Steinmeier im November 2005 von der SPD als Außenminister ins schwarzrote Kabinett geschickt wurde, sahen viele darin einen Schachzug Schröders, der auf diese Weise seinen Mann im Kabinett haben wollte.

    Das schien sich erledigt zu haben, als Schröder im März 2006 bei Gazprom anheuerte (genauer: Bei einem Konsortium, dessen Mehrheit Gazprom hält). Das schien zu signalisieren, daß er sich endgültig aus der deutschen Politik verabschiedet hatte.

    Vielleicht aber doch nicht so ganz. Auch auf dem Hamburger Parteitag war Schröder ja aufgetreten.



    Wenn Schröder und sein Buddy Steinmeier am vergangenen Wochenende auf derselben Konferenz sprachen und dort nachgerade identische Argumente vortrugen, dann fällt es schwer, nicht an eine konzertierte Aktion zu glauben.

    Sei dem, wie es will - jedenfalls signalisiert dieser Gleichklang, daß Steinmeier nicht länger bereit ist, die von der Kanzlerin formulierte Außenpolitik zu implementieren.

    Diesen Eindruck hatte er in den ersten beiden Jahren der Koalition erweckt, jedenfalls nach außen hin. Es geriet dabei in Vergessenheit, daß er im Kanzleramt unter Schröder einer der Architekten der antiamerikanischen Politik Schröders gewesen, daß er insbesondere an der Achse Moskau- Berlin - Paris eifrig mitgeschmiedet hatte.

    Kenner der deutsch-amerikanischen Beziehungen wie Soeren Kern hatten allerdings schon nach Bildung der Großen Koalition vermutet, daß Merkels außenpolitischer Spielraum gering sein könne, angesichts eines Außenministers, der die Außenpolitik Schröders wesentlich geprägt hatte.



    Zwei Jahre lang schien Steinmeier diese Prognose Lügen zu strafen. Jetzt hat er sich zur Parteikarriere in der SPD entschlossen, ist er stellvertretender SPD- Vorsitzender und Vizekanzler geworden, wird er als Kanzlerkandidat gehandelt.

    Und damit hält er es offenbar für an der Zeit, Merkel außenpolitisch Paroli zu bieten. Es begann mit Steinmeiers öffentlicher Kritik daran, daß die Kanzlerin den Dalai Lama empfangen hatte - eine im Grunde unerhörte Illoyalität eines Ministers seiner Kanzlerin gegenüber. Wolfgang Schäuble sagt in der heutigen FAZ das, was dazu zu sagen ist. Und jetzt folgte eben Steinmeiers Auftritt am Wochenende in Berlin.

    Sein einstiger Chef Schröder hat ihm dabei ein wenig sekundiert. Aber die Presse, aber die CDU stürzte sich auf Schröder, nicht auf Steinmeier.

    Vielleicht, weil man den Vizekanzler schonen wollte. Man schlug den Sack. Meinte man den Esel?

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    20. November 2007

    Randbemerkung: Amazons Kindle - besser als Bücher aus Papier?

    Ein Gerät mit der Größe und dem Gewicht (300 g) eines Paperbacks, in dem man bis zu 200 Bücher speichern kann. Handlich, aber doch mit einer Tastatur, über die man zB Anmerkungen zum Gelesenen eingeben kann. Mit Anbindung an ein Hochgeschwindigkeits- Funknetz, das es ermöglicht, Bücher, aber auch Zeitungen und Zeitschriften herunterzuladen. Ohne einen PC. In einer Minute ist ein Buch heruntergeladen, oder die Tageszeitung.

    Und mit einem Display, das keine Hintergrund- Beleuchtung benötigt, sondern das mit einer neuartigen Technologie die Buchstaben wie auf Papier gedruckt aussehen läßt (electronic paper display); selbst in hellem Sonnenlicht zu lesen.

    Das alles verspricht Amazon mit dem schon lange angekündigten, heute vorgestellten Kindle. In den USA für 399 Dollar zu haben. Und für knapp zehn Dollar kann man sich ein Buch herunterladen, für zwischen 6 und 15 Dollar eine Zeitung abonnieren. Der Zugang zur Wikipedia und zum New Oxford American Dictionary ist eingebaut.

    Der Akku hält eine Woche, wenn das Gerät nicht am Funknetz ist. Ist es ständig empfangsbereit, muß man es jeden zweiten Tag aufladen.



    Sounds great, doesn't it?

    Bisher waren e-Books ja kein rechter Erfolg gewesen.

    Ich habe es auch mit etlichen von diesen phantastischen Sammlungen von klassischer Literatur, von philosophischen Texten usw. auf auf CD oder DVD probiert. Man muß zum Lesen am Rechner sitzen, und trotz des großen Komforts - zum Beispiel der Suchfunktion - bin ich nie recht warm damit geworden. Ein Ersatz für "richtiges" Lesen ist es für mich jedenfalls nie gewesen.

    Gut möglich, daß Kindle das ändert, oder eines der anderen Geräte, die in seinem Gefolge, wenn es denn erfolgreich wird, sicherlich bald kommen werden.

    Wenn das Gerät so handlich ist wie ein Buch, wenn das Display wie bedrucktes Papier aussieht, und wenn dazu alle die anderen Vorteile kommen - wer weiß, vielleicht ziehe ich das dann demnächst dem Buch aus Papier vor.

    Schon deshalb, weil seit ein paar Wochen auch die letzte Stelle in unserem Haus, wo noch ein Bücherregal hinpaßte, von einem solchen eingenommen wird. Der Zeitpunkt, zu dem wir eine interne Kaufsperre für Bücher verhängen müssen, ist abzusehen.



    Und hier, frisch aus der Wikipedia, ein Foto des Kindle:


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