2. Mai 2007

Chávez macht Schlagzeilen. Nur die wichtigste fehlt

Hugo Chávez ist heute wieder einmal in den Schlagzeilen, und zwar gleich mehrfach.

Erstens hat er angedroht, daß Venezuela die OAS (Organisation amerikanischer Staaten) ebenso verlassen werde wie die Organisationen der Weltbank und des Welt- Währungs- Fonds. Dazu zitiert ihn die cubanische Prensa Latina:
"We are quitting. I want to sign the bill (the departure from those agencies) tonight, we don't want to be there. Give us what it belongs to us," he pointed out. In that regard, he said that the country has a deposit in those institutions "that must be returned to the Venezuelans, before they steal it, because they are capable of that, because they are in a crisis."

"Wir treten aus. Ich will das Gesetz (Austritt aus den beiden Organisationen) heute Abend unterzeichnen, wir wollen da nicht dazugehören. Gebt uns, was uns gehört", betonte er. Dazu sagte er, daß das Land bei diesen Einrichtungen Guthaben hat, "die den Venezolanern zurückerstattet werden müssen, bevor sie sie stehlen, denn dazu sind sie fähig, weil sie in einer Krise stecken."
Zweitens hat Chávez heute angekündigt, die letzten noch privaten Ölfelder zu verstaatlichen.

Drittens war es Chávez, der gestern verkündete, Fídel Castro sei "wieder im Amt". Zugleich teilte Chávez mit, daß er von Castro einen zehnseitigen "philosophischen Brief" erhalten habe.

Genug Chávez für einen Tag? Keineswegs. Wie weiter gemeldet wird, stehen den Venezolanern das Goldene Zeitalter bevor. Eine Kommission wurde von Chávez persönlich eingesetzt, die ein Gesetz vorbereiten soll, wonach die tägliche Arbeitszeit auf sechs Stunden herabgesetzt wird.

Jetzt aber wirklich genug Chávez für einen Tag? Immer noch nicht. Nach einem Bericht der International Herald Tribune hat Chávez ein Komplott gegen sich aufgedeckt: Die USA hätten den Cubaner Luis Posada Carriles aus dem Gefängnis entlassen, damit dieser ein Attentat auf Chávez vorbereiten könne. Er, Chávez habe das venezolanische Militär und die Geheimdienste daraufhin in erhöhte Bereitschaft versetzt (ordered to be on alert).

Posada Carriles ist 79 Jahre alt.

Nun ja, da könnte man lachen. Aber in derselben Rede teilte Chávez mit, daß die venezolanischen Reservetruppen im Augenblick schnell aufgestockt würden. "Wir haben eine Million Mann Reserve" sagte er, laut International Herald Tribune.



Eine ganz schöne Menge Nachrichten, die Chávez da an einem einzigen Tag an die Medien geliefert hat, nicht wahr? Aber die wichtigste aus Venezuela ist nicht darunter. Sie stammt freilich auch nicht von Chávez persönlich.

Sie steht im Miami Herald. Überschrift: "Exasperated by Chávez, more Venezuelans leave. Middle- and upper-class Venezuelans are leaving the country in droves" Von Chávez zur Verzweiflung gebracht, verlassen Venezolaner aus der Mittel- und Oberklasse in Scharen das Land.

Wie immer bei einer bevorstehenden Machtübernahme durch eine totalitäre Regierung gehen diejenigen, die es sich leisten können und die den Mut zu einem Neuanfang haben, in die Emigration, bevor es zu spät ist.

So war es in Deutschland vor und unmittelbar nach der Machtergreifung der Nazis. So war es in den Ländern Osteuropas vor und unmittelbar nach der Machtergreifung der Kommunisten. So ist es jetzt in Venezuela, wo die kommunistische Machtergreifung schleichend im Gang ist.

Die Zahl der Visa- Anträge zur Einreise in die USA war - so schreibt der Miami Herald - im März um 33 Prozent höher als im Vorjahr. In den vergangenen beiden Jahren hat sich die Zahl derjenigen verdoppelt, die einen US-Paß beantragen (meist uner Berufung auf US-Vorfahren).

Die kanadische Botschaft hat mitgeteilt, daß im ersten Quartal 2007 die Zahl der Visa- Anträge gegenüber dem Vorjahr um 69 Prozent gestiegen ist. Auch vor den Botschaften von Australien, Portugal, Spanien und Italien in Carácas findet man lange Schlangen von Visasuchenden, schreibt der Miami Herald.

Das Motiv für die Emigration sind weniger die schon stattfindenden Repressionen als die Erwartungen, die man für die Zukunft hat. Wie bei jedem Übergang zu einer Diktatur kursieren Gerüchte. In Venezuela heißt es zum Beispiel, demnächst müßten Bewohner ihre Wohnungen aufgeben, wenn sie diese nicht "ausreichend nutzten". Solche Gerüchte stützten sich auf Äußerungen aus der Regierung, wonach niemand mehr als ein Haus haben dürfe.

Es wird befürchtet, daß Venezuela ein zweites Cuba werde. Eine auswanderungswille Frau sagte dem Reporter des Miami Herald: "Man glaubt, daß es wird wie in Cuba. Alle Prinzipien sind dieselben."



In diesem Blog habe ich wiederholt über die kommunistische Machtergreifung in Venezuela berichtet, die bis in die Details nach dem Vorbild der Machtergreifung in den Ländern Osteuropas in den späten vierziger Jahren inszeniert wird; zuletzt hier.

Ich werde zunehmend zorniger.

Man hat den Zeitgenossen der Machtergreifung der Nazis zu Recht vorgeworfen, daß sie gleichgültig gewesen seien, daß sie die Gefahr heruntergespielt hätten. Man hat es den Zeitgenossen der kommunistischen Machtergreifungen jenseits des Eisernen Vorhangs vorgeworfen.

Die Nazis - sie seien schon nicht so schlimm, so hieß es Anfang der dreißiger Jahre in der Presse vieler Demokratien. Der "Spuk" werde bald vorbei sein; oder alternativ: Hitler sei ein Schwätzer, der schon von der Realität zur Vernunft gebracht werden würde.

So, als hätte man nichts gelernt, wird jetzt Chávez auf just diese Weise verharmlost. Ein Beispiel ist das, was Time Magazine zur Verstaatlichung des letzten noch privaten Ölfelds schreibt: Es gebe keinen Grund zur Aufregung, denn die Ölindustrie sei fast überall auf der Welt unter staatlicher Kontrolle.

Schon wahr. Nur macht es eben einen Unterschied, ob ein demokratischer Staat Kontrolle über seine Erdölförderung hat, oder ob die Verstaatlichung dieser Industrie ein Schritt auf dem Weg in den totalitären Staat ist.