10. Februar 2007

Randbemerkung: Putin 2007, Hitler 1936

Den ersten Band seiner Geschichte des Zweiten Weltkriegs, "The Gathering Storm", eröffnet Winston Churchill mit dem Kapitel "The Follies of the Victors", der Wahnwitz der Sieger. Darin beschreibt er, wie die Sieger des Ersten Weltkriegs ein immer noch starkes, demographisch auf Wachstum ausgerichtetes Deutschland den "bösartigen und dummen" (malignant and silly) Bestimmungen des Versailler Vertrags unterwarfen.

Eine Einladung an dieses gedemütigte Deutschland, den Weltkrieg wieder aufzunehmen, wie Hitler das dann getan hat.



Nein, ich will Putin nicht mit Hitler "vergleichen" oder gar "gleichsetzen". Ich will auf eine historische Parallele hinweisen.

Deutschland hätte 1919 - Churchill beschreibt das - durch einen großzügigen Frieden, der seine berechtigten Interessen wahrte, in den Kreis der friedlichen Großmächte aufgenommen werden können. Oder man hätte es mit allen militärischen Mitteln niederhalten müssen.

Man tat aber weder das eine noch das andere. Deutschland wurde als besiegter Feind behandelt, mit Reparationen gepiesackt. Aber zugleich ließ man es zu, daß v. Seeckt die Reichswehr als die Kadertruppe einer neuen Wehrmacht aufbaute.



Der Verlust Osteuropas, der Zerfall der Sowjetunion hat Rußland nach 1989 ähnlich tief gedemütigt wie die Niederlage von 1918 Deutschland. Rußland verlor nicht nur sein gesamtes osteuropäisches Kolonialreich, sondern auch die baltischen Sowjetrepubliken, die Ukraine, Weißrußland, den Kaukasus.

Diese ihren russischen Kolonialherren entronnenen Völker wußten - anders als die naiven deutschen Friedensfreunde ("von Freunden umzingelt") - , daß sie ihre Freiheit einer vorübergehenden Schwäche des russischen Herrenvolks verdankten. Daß also Rußland, sobald es wieder zu Kräften gekommen sein würde, wieder seine angestammte Rolle zurückzugewinnen versuchen würde: Die Wiederherstellung des Zarenreichs, des kommunistischen Kolonialreichs.

Diese befreiten Völker flüchteten infolgedessen unter den Schirm der NATO. Sie machten riesige Anstrengungen, sich fit für die EU zu machen. Es war und ist ihre einzige Chance, der erneuten Kolonisierung durch die Russen zu entgehen.



Aber so, wie v. Seeckt beharrlich und mit sehr großem Erfolg in den zwanziger Jahren die deutsche Wiederaufrüstung vorbereitete, so ist Rußland, still und heimlich, längst wieder auf dem Weg, auch militärisch zu seiner Weltmachtrolle zurückzukehren. Und damit seine Nachbarn, das heißt seine verlorenen Provinzen, erneut zu bedrohen.

Die rührenden Vereinbarungen zur Verschrottung von Raketen ("Friedensdividende"), diese ganze Friedensbesoffenheit nach 1989, hat das lange kaschiert: Wir stehen vor einer neuen Ost- West- Konfrontation.

Die Länder Osteuropas, die rechtzeitig der NATO und der EU beitreten konnten, wird Rußland abschreiben müssen. Umso mehr wird es um den Rest seines Kolonialreichs im Westen kämpfen - die Ukraine, Weißrußland, den Kaukasus.



Putins heutiger Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz bedeutet, daß Rußland sich jetzt stark genug fühlt, auch nach außen hin die Konsequenzen aus seiner Aufrüstung der letzten zehn Jahre zu ziehen (so, wie sofort nach der Machtübernahme der Nazis aus den Kadern der Reichswehr wieder eine Wehrmacht aus dem Boden gestampft worden war - in demselben atemberaubenden Tempo).

Wenn man die Parallele noch ein wenig ausreizen möchte - dieser heutige Auftritt Putins ist vergleichbar dem Einmarsch Hitlers in das entmilitarisierte Rheinland am 7. März 1936. Beide Male das Signal, das den anderen sagt: Jetzt sind wir militärisch wieder soweit, euch Paroli zu bieten. Es ist aus mit unserer Schwäche, vorbei mit der Demütigung.



Natürlich muß man Putins heutigen Auftritt auch vor dem Hintergrund der in gut einem Jahr bevorstehenden Präsidentschaftswahlen sehen.

In einem kürzlichen Beitrag habe ich einige Szenarien für die Fortsetzung der Präsidentschaft Putins diskutiert. Als ich das schrieb, ging mir eine weitere Variante durch den Kopf, die mir aber allzu spekulativ erschien: Putin könnte eine internationale Krise inszenieren, in der er als einziger als Retter des Vaterlands in Frage kommen würde.

Seit heute erscheint mir das nicht mehr so abwegig. So rüde wie Putin ist meines Wissens noch nie jemand in München aufgetreten, seit es diese Sicherheitskonferenz gibt.