29. April 2007

Zettels Meckerecke: SPON berichtet über den Wiederaufbau im Irak! Allerdings ...

Zur Nazi-Zeit erfuhr man über moderne Kunst nur dann etwas, wenn sie als "entartet" angeprangert wurde.

Gelernte DDR-Bürger wußten aus den Negativ- Meldungen über die Bundesrepublik das eine oder andere über die wahren Lebensbedingungen zu entnehmen, zwischen den Zeilen lesend.

Daran fühlte ich mich durch eine Meldung in "Spiegel Online" (SPON) über den Irak erinnert. Ihre Tendenz ist, wie könnte es anders sein, negativ:
Unsummen haben die USA in den Aufbau des Irak gesteckt. Stichproben förderten nun viel Murks zu Tage. Gewaltige Summen wurden offenbar in den Sand gesetzt.
Wer seine Informationen nur aus SPON bezieht, der dürfte damit zum ersten Mal etwas davon erfahren haben, daß im Irak nicht nur Terroristen bomben und US-Soldaten sterben, daß dort nicht nur Geiseln genommen werden und Menschen in berüchtigten Gefängnissen sitzen, sondern daß auch ein Wiederaufbau stattfindet. Und zwar offenbar ein gewaltiger Wiederaufbau. Über acht Projekte, die jetzt inspiziert worden waren, heißt es:
150 Millionen Dollar haben sie insgesamt verschlungen - nur ein kleiner Bruchteil der insgesamt 30 Milliarden, die für den Aufbau veranschlagt sind.
Dreißig Millarden Dollar haben die USA für den Wiederaufbau des Irak ausgegeben oder planen das! Seltsam, nicht wahr, daß über alle diesen neuen oder modernisierten Schulen und Krankenhäuser, über den Straßenbau und die Modernisierung der Stromversorgung, daß über alle diese Infrakstruktur- Maßnahmen so gut wie nichts berichtet wird. Jedenfalls nicht in SPON. Lesen wir weiter:
In einer Geburtsklinik in der im Norden gelegenen Stadt Erbil etwa fanden die Inspektoren zwar die teure, eigens angeschaffte Verbrennungsanlage für medizinische Abfälle - sie lag jedoch hinter einer mit einem Vorhängeschloss gesicherten Tür. (...) Ein eigens eingebautes System zur Trinkwasseraufbereitung war ebenfalls nicht in Betrieb. (...) Ein System zur Sauerstoffversorgung, das installiert worden war, wurde nicht genutzt.
Schau an, da wurde also mit US-Mitteln eine Klinik modernisiert. Hat SPON je darüber berichtet, oder über andere derartige Projekte? Nein, solange sie funktionieren, sind sie keine Meldung wert. Wenn aber Inspektoren etwas finden, was ähnlich jeder Bericht des Bundes- Rechnungshofs enthält, dann auf einmal erfährt das der staunende Leser von SPON.

Der Artikel schließt mit dem süffisant gemeinten Satz:
Ein US-Brigadegeneral hatte erst im vergangenen Monat gefordert, man solle doch endlich einmal darauf schauen, was schon alles erreicht worden sei im Irak: "Was Sie nicht sehen", sagte General Michael Walsh zu Journalisten, "sind die Erfolge im Wiederaufbau- Programm, wie der Wiederaufbau das Alltagsleben der Menschen im Irak verändert".
In der Tat, das sehen wir nicht. Wir sähen es jedenfalls nicht, wenn wir unser Bild von der Situation im Irak aus SPON bezögen.

Es sei denn, wir lesen Horror- Stories wie die jetzige sozusagen gegen den Strich.

So, wie viele der Besucher, die 1937 durch die Ausstellung "Entartete Kunst" in München zogen, Kunstfreunde waren, die auf diese Weise endlich Zugang zu verbotenen Kunstwerken hatten.

Randbemerkung: Warum führt Bayrou einen "Dialog" mit Royal?

Wer sich die gestrige Debatte zwischen Bayrou und Royal anhören will, findet sie auf der WebSite des Senders RMC. Nein, es sei keine Debatte, sagte Ségolène zu Beginn, sondern vielmehr ein Dialog.

Jedenfalls ging man freundlich miteinander um; wenn auch Bayrou in der Sache hart blieb und vor allem die unheilvolle Neigung der Sozialisten kritisierte, den Problemen mit immer noch mehr Staat zu Leibe zu rücken.



Warum Royal diesen "Dialog" wollte, liegt auf der Hand - schon daß er stattfand, könnte ihr Wähler aus dem Lager Bayrous zugeführt haben. Aber warum wollte ihn Bayrou?

Es wird immer wieder gemutmaßt, er wolle unter einer Präsidentin Royal einen Koalition mit den Sozialisten eingehen, in der er Premierminister werden könnte.

Ich halte das für absurd. Erstens, weil er es kategorisch dementiert hat; und Bayrou sagt nichts, was schon kurz danach Makulatur ist.

Zweitens und vor allem aber, weil das seiner gesamten Strategie entgegenliefe. Diese ist - ich werde darauf noch in einem späteren, etwas detaillierteren Beitrag eingehen - darauf gerichtet, in Frankreich deutsche oder amerikanische Verhältnisse zu schaffen. Also das Gegenüber eines Lagers der linken Mitte und der rechten Mitte; während die Extremisten beider Seiten aus dem politischen Prozeß ausgeschlossen bleiben. Das ist unbedingt nötig, wenn Frankreich ein modernes Land werden soll.

Seine Strategie hat am Mittwoch, nach Bayrous Pressekonferenz, im Sender LCP ein Politologe auf eine treffende Formel gebracht: Embrasser pour mieux étouffer. Frei übersetzt: Durch Umarmung ersticken.

Bayrou, sagte dieser Politologe, rechnet damit, daß Sarkozy gewinnt. (Alles andere wäre in der Tat ein Wunder). Je mehr er sich jetzt nach links orientiert, umso besser kann er dann, wenn die Rechte regieren wird, die Führung der Oppostion übernehmen.

Bayrou will, davon bin ich seit langem überzeugt, die heutige, mit den Kommunisten verbündete, dogmatische, freiheits- und marktwirtschaftsfeindliche, etatistische Linke durch eine moderne linke Mitte ersetzen.

Wenn das gelingt - und wenn Sarkozy die Modernisierung der französischen Rechten gelingt - , dann kann Frankreich fit werden für das 21. Jahrhundert.

Mit der jetzigen, von den Kommunisten abhängigen Linken und mit der jetzigen, von gaullistischer Ideologie durchsetzen und von den Wählern der Rechtsextremen abhängigen Rechten kann es das nicht.

Randbemerkung: Putins Krisentaktik - erst die Raketen, jetzt Tallinn

Für einen scheidenden Staatsmann benimmt sich Wladimir Putin seltsam, ja geradezu skurril.

Ein Staatsmann, der weiß, daß er definitiv in weniger als einem Jahr sein Amt übergeben muß, wird alles tun, um internationale Krisen zum vermeiden, um bestehende zu entschärfen. Zum einen, weil ein Amtswechsel mitten in einer Krise schwierig ist. Zum anderen, weil jeder Staatsmann ein bestelltes Haus hinterlassen möchte; weil er in der Geschichte nicht als einer dastehen möchte, der seine Aufgaben nicht zu Ende brachte.

Putin aber hat vor einem Vierteljahr, Anfang Februar, begonnen, das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen geradezu mutwillig zu verschlechtern. Seine damalige, mit einer gewissen Fassungslosigkeit aufgenommene Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde von einem Artikel seines damaligen Verteidigungsministers Iwanow flankiert - offenbar mit Vorbedacht in eine Münchner Zeitung plaziert, die SZ.

Ich habe damals diesen sehr eigenartigen Artikel kommentiert und unter anderem auf diese Passagen hingewiesen:
Die Errichtung eines Raketenabwehr-Abschnitts nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen (oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folgt). (...)

Estland und Lettland können als Präzedenzfälle dienen. (...) Selbst die "Demokratisierung" in diesen baltischen Staaten hat einen verdrehten Charakter angenommen. (...) In absurder Weise werden faschistische und nationalistische Ideen propagiert, wird die russischsprachige und insbesondere die ethnisch- russische Bevölkerung diskriminiert. Die politische "Blindheit" der Allianz in dieser Frage ruft bei uns, gelinde gesagt, Unverständnis hervor.


Iwanow hatte also zwei Konfliktfelder benannt - die Raketenabwehr und die Situation der russischen Minderheit in den baltischen Staaten. Und just diese beiden Konflikte werden im Augenblick vom Kreml geschürt mit dem offensichtlichen Ziel, parallel zwei internationale Krisen auszulösen.

Bei den Raketen meinen manche Kommentatoren (wie der SPD- Linke Gernot Erler, jetzt immerhin Staatsminister im AA) ja mal wieder ein Sich- bedroht- Fühlen der Sensibelchen im Kreml zu erkennen; obwohl diese Raketen Rußland ungefähr so sehr bedrohen wie die Raketen, die die Tschechen und Polen zu Neujahr in den Himmel schießen.

Aber nun gut, man mag das anders sehen. Daß aber Moskau den Konflikt in Estland ganz bewußt schürt, liegt auf der Hand. Mag sein, daß der russische Geheimdienst bei den Unruhen selbst nicht die Hand im Spiel hatte (obwohl das Gegenteil naheliegend ist) - aber wenn ein paar angeblich "aufgebrachte" Jugendliche in Tallinn randalieren, dann hätte das der Kreml, wäre er an Ruhe auf dem Baltikum interessiert, ignorieren und auf die Randalierer mäßigend einwirken können.

Stattdessen wird ein diplomatischer Zirkus veranstaltet, der in keinem Verhältnis zum Anlaß steht. Putin telefoniert eigens mit der Eu-Ratsvorsitzenden Merkel und spricht dabei von einer "Krisensituation". Der russische Föderationsrat verlangt auf Antrag des Putin-Intimus Mironow den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Estland. Der Moskauer Bürgermeister Luschkow, auch er ein Putin- Getreuer, fordert gar den Boykott estnischer Waren.



Das erinnert schon ein wenig an die Art, wie Hitler Ende der dreißiger Jahre die ethnischen Konflikte in Polen und der Tschechoslowakei schürte und propagandistisch ausnutzte. Wenn Minderheiten des eigenen Volks in anderen Ländern angeblich oder tatsächlich benachteiligt oder verfolgt werden, dann ist das immer ein erstklassiges Mittel, um das Volk hinter seiner Regierung zu versammeln.

Aus meiner Sicht macht das alles nur Sinn, wenn man annimmt, daß Putin das Szenario zu schaffen im Begriff ist, in dem das russische Volk,angesichts der "Bedrohungen", die ihm eingeredet werden, den Starken Mann bitten wird, es doch bitte nicht im Stich zu lassen.

28. April 2007

Der VfL Bochum und die "Kritik der reinen Vernunft"

Mein letzter Sportlehrer auf dem Gymnasium wollte mich nicht für sein Fach aufgeben: "Zettel, gucken Sie, schon Kant hat gesagt: 'Kritik der reinen Vernunft'": Damit warb er bei mir, den er als Intellektuellen verachten gelernt hatte, für körperliche Ertüchtigung als Ausgleich zur Blässe des Gedankens.

Er hat mich nicht dazu gebracht, den Felgaufschwung mit gestandenem Abgang zu schaffen oder mich sonstwie zu ertüchtigen. Aber es mag sein, daß er doch dazu beigetragen hat, mein Interesse am Sport zu wecken.

Nicht das des den Sport Übenden, ihn gar Vorführenden. Aber das Interesse des den Sport Genießenden. Dessen, der sich unter einem genialen Rennpferd etwas vorstellen kann.

"Die Römer tanzten nicht, sie ließen tanzen", hat mal jemand angemerkt. So geht es mir mit dem Sport. Ich fühle mich als Sportfreund so wenig angeregt oder gar verpflichtet, mich sportlich zu bestätigen, wie Filmfreunde unbedingt den Drang verspüren müssen, selbst zur Kamera zu greifen oder sich in die Regiearbeit zu stürzen.



Als ein solcher passiver, rezeptiver, voyeuristischer Freund des Sports habe ich einige Lieblings- Sportarten. Allen voran Tennis und Fußball. Warum?

Im Grunde unterliegt ein sportliches Event denselben Gesetzen wie ein Film, wie eine Theateraufführung, wie der Auftritt einer Gruppe von Gauklern: Man möchte Überraschendes erleben. Aber auch wieder nicht allzu Überraschendes. Die gemäßigte Abweichung von dem, was wir kennen - das macht den Reiz aus. Unerwartetes inmitten des Erwarteten, Geläufigen. Redundanz, aber nur mittlere.

Information ist bekanntlich Überraschung, die Verminderung von "uncertainty". Negative Entropie also, Negentropie. Ein mittleres Maß an Negentropie, das ist schön.



Das Tennis ist in dieser Hinsicht perfekt, weil ständig Entscheidungen anstehen: Wer holt den Punkt? Wer gewinnt das Game? Wer den Set? Wer schließlich das Match; wobei Match Point noch lange nicht den Sieg bedeutet. Das Spiel wird in viele, viele Mini-Spiele zerlegt. Das macht den Reiz des Tennis aus.

Was den Reiz des Fußballs ausmacht, aus meiner Sicht, das habe ich hier aufgeschrieben, und noch ein wenig hier. In diesen beiden Beiträgen habe ich so ziemlich alles gesagt, was ich zum Fußball weiß, was mir vermutlich dazu einfallen kann.



Aber noch wenig geschrieben habe ich vom VfL Bochum. Blau und weiß, nicht königsblau. Die Bochumer Jungen. Oder genauer gesagt, die Junggesellen, wie sie im Mittelpunkt des Maiabendfests stehen, dem Bochumer Nationalfeiertag.

Als ich in den sechziger Jahren an der neugegründeten Ruhr-Uni gearbeitet habe, hatte ich ein kleines Appartment am Stadtpark. Und wenn man durch den hindurch ging, den Stadtpark, dann kam man zum Stadion des VfL, damals noch prosaisch und umständlich "Stadion an der Castroper Straße" geheißen. Da bin ich also hingewandert, am Samstag, in das, was heute das schicke Ruhr-Stadion ist.

Da hat sich eine affektive Beziehung geknüpft. Eine Beziehung fürs Leben.

Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ermangeln manchmal der Treue. Die zu einem Verein nicht. Daß ich jemals den VfL Bochum fahren lassen könnte, ist undenkbar.



Nun also hat er, unser VfL, gestern - hurrah! - Schalke geschlagen.

Was das bedeutet, das kann niemand ermessen, der nicht oft mit der Straßenbahn zwischen Gelsenkirchen Hbf und Bochum Hbf unterwegs gewesen ist. Ein "Derby", sagt man. Welch blasser Begriff! Bochum gegen Schalke, das ist wie Athen gegen Sparta, wie Achilles gegen Hektor, wie Cambridge gegen Oxford.

Und das Ergebnis, das ganz Boooooochum ins Delirium versetzt, zum Fiege bei Mutter Wittig treibt, lautet:

Bochum ist so gut wie gerettet!



Trotz der noch anstehenden schweren Gegner.

Und jetzt sind wir großzügig, wir Bochumer Jungen, besungen von Herbert Grönemeyer. Sind wir großzügig gegenüber den Knappen.

Zumal am Vorabend des Maiabendfests.

Jetzt wünschen wir ihnen alles Gute, den Knappen.

Jou, sie sollen Meister werden!

Glückauf!

27. April 2007

Marginalie: Wenn ich Terrorist wäre ... Ein kleiner Tip

Zwei Meldungen folgten eben im Rundschau- Magazin des BR kurz nacheinander.

Die eine handelte von den Sicherheits- Vorbereitungen zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Man sah die Spezialisten des GSG 9, wie sie sich vom Hubschrauber abseilten, Bösewichter gefangennahmen, mit den Kollegen anderer Spezialeinheiten zusammenarbeiteten.

Sehr schön, sehr gekonnt wirkend. So etwas gibt einem ein Gefühl der Sicherheit. Da ist Professionalität am Werk, da haben die bestens bewaffneten, exzellent ausgebildeten Spezialisten alles im Griff. Das sollte der Zuschauer denken, und das dachte ich auch bereitwillig.

Ein paar Minuten später Bilder aus dem Bundestag: Randalierer hatten sich auf der Zuschauertribüne breitgemacht. Sie hatten offenbar Transparente mühelos durch die Einlaßkontrolle bringen können. Einige konnten in den Plenarsaal springen, ohne daß Sicherheitskräfte sie sofort überwältigt hatten. In der Bildsequenz des BR sah man eine blonde Saaldienerin, die einen der Randalierer am Arm nahm und wegbugsierte.

Dann war noch zu sehen, wie andere Störer es auf das Dach des Reichstags geschafft hatten, außerhalb der Besucherzone. Und auch dort ein Transparent aufspannten.



Mich haben diese Bilder an zweierlei erinnert: Erstens an den Angriff auf das spanische Parlament, die Cortes, im Februar 1981. Wir waren damals im Urlaub auf Fuerteventura, und ich habe stundenlang die spanischen Nachrichten abgehört, um zu erfahren, was sich zutrug. Später haben wir dann die TV-Bilder von Antonio Tejero gesehen, wie er in den Cortes herumballert, von den unter ihren Pulten Schutz suchenden Abgeordneten.

Ich habe mich damals gefragt wieso man das Parlament nicht so bewacht hatte, daß eine derartige Szene hätte verhindert werden können.

Und dasselbe habe ich wieder gedacht, als wir vor ein paar Jahren den Reichstag besichtigt haben.

Wer über den Haupteingang als Besucher hineinkam, wurde immerhin einer kleinen Sicherheitsüberprüfung, etwa wie am Flughafen, unterzogen. Mit Sicherheits- Schleuse, mit Leibesvisitation.

Es gab aber noch einen Sondereingang für Personen mit Schwerbeschädigten- Ausweis und ihre Begleitung. Durch den sind wir damals eingelassen worden: Ohne jede Sicherheitskontrolle. Eine freundliche junge Dame öffnete auf Klingeln die Tür, ließ sich den Schwerbeschädigten- Ausweis (meiner übrigens putzmunteren, flott laufenden Begleitung) zeigen und führte uns zum Aufzug. Das war's.

Wir hätten Sprenggürtel umgeschnallt haben können oder ein Schnellfeuergewehr unter dem Mantel: Sehr wahrscheinlich wäre das niemandem aufgefallen. Ich habe mich später mit meiner Frau darüber unterhalten, und wir konnten diesen unglaublichen Leichtsinn bei der Sicherung des Reichstagsgebäudes nicht fassen.



Wenn ich Terrorist wäre, dann würde ich doch nicht den schwerstbewachten G8-Gipfel attackieren. Sondern ich würde mich, wie heute die Randalierer mit ihren Transparenten, in den Bundestag einschleichen, unbehelligt von der Tribüne hüpfen und ein paar Dutzend Abgeordnete als Geiseln nehmen.

Vielleicht lesen ja Terroristen hier mit und freuen sich über den kleinen Tip.

Randbemerkung: Was will Putin? Elementary, my dear Watson

"Nato rätselt: Was will Putin?" titelt im Augenblick die FAZ. Mir scheint, die Antwort ist einfach.

Politiker mit wenig Skrupeln setzen gern die Außenpolitik für ihre parteipolitischen, gar ihre persönlichen Ziele ein. Sie riskieren es auch schon mal, außenpolitisch Vertrauen zu verspielen, den Interessen ihres Landes zu schaden, wenn das ihren persönlichen Nutzen mehrt.

Gerhard Schröder hat das exemplarisch im Spätsommer 2002 vorgeführt, als er sein Bush gegebenes Wort brach und Deutschland massiv gegen die Irak-Politik der USA in Stellung brachte. Mit Erfolg: Seine Friedens- Rhetorik brachte ihm einen knappen Wahlsieg.

Das Verhältnis zu den USA war danach zwar zerrüttet; aber dafür stand ja Putin als neuer Bündnispartner bereit, zusammen mit Chirac, für eine gegen die USA gerichtete Achse Paris- Berlin- Moskau.



Schröder als Kanzler ist glücklicherweise Vergangenheit. Aber der Männerfreund Wladimir hat offenbar etwas von Gerhard gelernt: Wenn man das Volk hinter sich bringen will, dann muß man sein Sicherheitsbedürfnis, seine Friedenssehnsucht ansprechen. Oder auf die USA eindreschen. Am besten aber beides.

Seit Anfang Februar habe ich hier immer einmal wieder darauf hingewiesen, daß Putin unter Bruch, Umgehung oder Änderung der russischen Verfassung versuchen könnte, auch nach Ablauf seiner Amtszeit Anfang nächsten Jahres weiter Präsident zu bleiben.

Dafür sprechen diverse Indikatoren: Putin läßt seine Getreuen nach einer Verlängerung seiner Amtszeit rufen und die Gefahr ausländischer Einmischung in die russische Innenpolitik an die Wand malen.

Jetzt fehlt nur noch die internationale Krise, die die Russen endgültig danach rufen lassen wird, daß ihr guter Zar Putin, ihr starker Zar Putin sie jetzt nicht verläßt.

Offenbar ist Putin dabei, sie, getreu nach Gerhards Vorbild, in Gestalt einer Konfrontation mit den USA zu inszenieren. Und zwar, wie damals Schröder, basierend auf einer bewußten Unwahrheit:

Schröder hatte den Eindruck erweckt, die USA würden Deutschlands Beteiligung an einem etwaigen Irak- Krieg verlangen; was niemals zur Diskussion gestanden hatte. Er beschwor eine inexistente Gefahr, um sie dann mit großer Geste abzuwehren.

Putin erweckt jetzt, nach genau demselben Rezept, bei den Russen den Eindruck, die Nato würde sie durch das geplante Raketensystem bedrohen. Das ist zwar ebenfalls schlicht die Unwahrheit, aber wie damals Schröder wird jetzt Putin viele seiner Landsleute davon überzeugen, daß er als Beschützer gegen diese Gefahr unverzichtbar ist.

Gedanken zu Frankreich (10): Demokratie und Extremismus

In diesem Beitrag in zwei, vielleicht auch mehr Teilen möchte ich eine These vortragen und begründen: Die Verfassungsgeschichte Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt exemplarisch, wie der Extremismus - der rechte und der linke in ihrem Zusammenwirken - Demokratien lähmen und ihre Modernisierung verhindern kann. François Bayrous Konzept für eine Neugestaltung Frankreichs könnte ein Mittel gegen diese verderblichen Auswirkungen des Extremismus sein. Vor denen auch Deutschland bald stehen könnte.



Die Französische Vierte Republik litt unter exakt derselben Krankheit wie die deutsche Weimarer Republik und die italienische Nachkriegsrepublik: Einer Unfähigkeit zur Stabilität, die aus dem Zusammenwirken von drei Faktoren resultierte:
  • Ein Verhältniswahlrecht, das zahlreichen und insbesondere auch extremistischen Parteien die Repräsentation im Parlament erlaubt

  • Eine Verfassung, die der Legislative eine starke und der Exekutive eine schwache Stellung verleiht; die vor allem die Regierung vom - jederzeit entziehbaren - Vertrauen des Parlaments abhängig macht

  • Ein Präsident, der entweder nur geringe (Französische Vierte Republik; Nachkriegsitalien) Befugnisse hat oder dessen Befugnisse (Weimarer Republik) nur im Fall eines Notstands weitreichend sind; der jedenfalls nicht, wie in einem Präsidialsystem, ein konstantes Gegengewicht gegen die Macht der Legislative bildet.


  • In allen drei Verfassungssystemen hatte das weitgehend dieselben Folgen:
  • Extremistische - das heißt den demokratischen Rechtsstaat bekämpfende - Parteien waren im Parlament zwar nicht in der Mehrheit, aber doch so stark vertreten, daß es ohne ihre Einbeziehung weder eine rechte noch eine linke Mehrheit gab

  • Die demokratischen Parteien hatten also nur die Wahl, entweder Koalitionen aus Parteien mit sehr unterschiedlichen, oft entgegengesetzten Zielen zu bilden, oder aber eine Koalition mit Extremisten einzugehen.


  • In allen drei Republiken wählten die demokratischen, die Verfassung bejahenden Parteien lange Zeit die erste dieser beiden Möglichkeiten. Sie hielten an ihr fest, solange es irgend ging; so daß es in diesen Systemen, mit leichten Varianten, immer dieselbe Regierung gab:
  • Die "Weimarer Koalition", in der sich Sozialdemokraten, Liberale und Konservative irgendwie zusammenraufen mußten; was ihre Handlungsfähigkeit weitgehend lähmte

  • In Frankreich ganz analog die Koalition der Vierten Republik, die sich um die halb linken, halb rechten Radikalsozialisten (weder radikal noch Sozialisten, sondern Liberale) in nur leicht variierender Zusammensetzung von Regierungskrise zu Regierungskrise wieder neu formierte

  • In Italien die Democracia Cristiana mit mehr oder weniger weit in die Linke hineinreichenden Koalitionspartnern, je nach aktueller Konstellation.


  • Zusammen mit der Möglichkeit des Parlaments, der Regierung jederzeit das Vertrauen zu entziehen, führte das zu dem Krankheitsbild, das alle drei Republiken kennzeichnete:
  • An der Oberfläche ein ständiger Wechsel; man taumelt von Regierungskrise zu Regierungskrise

  • Dahinter aber regierte die Immobilität: Es waren ja immer dieselben Protagonisten, die am Ende doch wieder an der Macht waren; nur ihre Funktionen wechselten. Wer heute Ministerpräsident war, der war nach einer Regierungskrise halt Außenminister oder Parlaments- Präsident

  • Damit eine Unfähigkeit des politischen Systems, Probleme zu lösen. Niemand hat überhaupt ein Interesse an Problemlösungen. Da es keine Alternative zur bestehenden Koalition der Immobilität gibt, würde jede ernsthafte Reform im Gegenteil nur alle gefährden, die vom Machtkartell profitieren

  • Damit eine wachsende - und berechtigte - Skepsis in der Bevölkerung gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat
  • Was einen verhängnisvollen Rückkopplungsprozeß in Gang setzt: In dem Maß, in dem die Bürger dieses unfähige System ablehnen, tendieren sie dazu, ihre Stimme extremistischen Parteien zu geben. Womit sie die Probleme dieses Systems verstärken; die demokratischen Parteien immer mehr in ihr Kartell zwingen. Am Ende kollabiert das System.



    In Deutschland geschah das 1933.

    Von den beiden extremistischen Parteien, die die Demokratie zerstören wollten, gewann eine - die NSDAP - und setzte das um, was die andere - die KPD - liebend gern auch getan hätte: Die Vernichtung des freiheitlichen Rechtsstaats.

    Die anderen, als Zerstörer der Demokratie nicht zum Zug gekommenen Feinde der Demokratie haben sich danach lustigerweise als Verteidiger just dieser Demokratie präsentiert. (Vermutlich hätten die Nazis dasselbe getan, wenn 1933 die Kommunisten gewonnen hätten).

    Frankreich hatte mehr Glück: Als 1958 das parlamentarische System so am Ende war wie 1933 das deutsche, waren die Feinde der Demokratie nicht stark genug, um die Macht zu übernehmen. Die Kommunisten waren zwar die mit Abstand stärkste Partei Frankreichs und hatten ein dichtes Netz von Umfeldorganisationen geknüpft; aber zur Machtergreifung waren sie doch nicht stark genug. (Natürlich vor allem, weil amerikanische Soldaten in Westeuropa stationiert waren).

    Und auf der extremen Rechten gab es nur die eher hilflosen Poujadisten, immerhin mit 30 Abgeordneten in der Nationalversammlung; unter ihnen schon damals übrigens Jean-Marie Le Pen.

    Also konnte der Demokrat Charles de Gaulle als der Retter Frankreichs einspringen und es vor dem Abgleiten in die Diktatur bewahren.

    De Gaulles Verfassung war darauf angelegt, alle die genannten Mängel der Vierten Republik zu beheben:
  • Der Legislative wurde, wie in den USA, eine ähnliche starke, von ihr unabhängige Exekutive - der Präsident - gegenübergestellt

  • Der Präsident wurde (seit 1962) direkt vom Volk gewählt und konnte sich - durch das Instrument des Referendums - auch die Legitimation zu einzelnen Entscheidungen direkt vom Volk holen

  • Das Verhältniswahlrecht wurde durch ein Mehrheitswahlrecht ersetzt, das allerdings durch die beiden Wahlgänge Elemente eines Verhältniswahlrechts hatte. (Vorübergehend hatte Mitterand das Verhaltniswahlrecht wieder einführen lassen, mit der machiavellistischen Absicht, die Rechtsextremen zu stärken und dadurch die demokratische Rechte zu schwächen).
  • Insgesamt haben de Gaulles Reformen zu einer Stabilität und damit zu einem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Fortschritt Frankreichs geführt, wie das unter der Vierten Republik undenkbar gewesen wäre. De Gaulle hat Frankreich wirklich gerettet; er hat aus einem Land im Niedergang eines der erfolgreichen Länder der heutigen EU gemacht.



    Aber seine Reformen hatten einen Preis, und den zahlt Frankreich seit vielen Jahren:

    An die Stelle der Herrschaft immer derselben Parteien der Mitte ist die Kluft zwischen Links und Rechts getreten. Eine Kluft, auf deren einer Seite demokratische Linke stehen, verbündet mit linken Feinden der Demokratie. Und auf der anderen demokratische Rechte, abhängig von rechten Feinden der Demokratie.

    In der Fünften Republik mit ihrem Mehrheitswahlrecht gab es zunächst eine Dominanz der demokratischen Rechten über die demokratische Linke. Denn die Gaullisten waren eine vereinte Partei der demokratischen Rechten; sogar mit einem linken Flügel, wie die CDU.

    Die Linke aber war zersplittert. Bei weitem am stärksten waren die undemokratischen Linken, allen voran die moskautreue PCF. Die demokratischen Sozialisten waren aufgespalten in etliche Parteien - die S.F.I.O., die PSU zum Beispiel - und Clubs und Grüppchen wie das C.E.R.E.S. von Chevènement.

    Mitterand, der kühle und skrupellose Stratege, erkannte, daß die Linke nur unter einer Bedingung mehrheitsfähig werden könnte: Durch eine Wiederbelebung der Volksfront zwischen Kommunisten und Sozialisten von 1936. Diese Strategie verfolgte er seit 1972 mit der Verkündung des Programme Commun von Kommunisten, Sozialisten und Radikalsozialisten.

    Seither setzt sich die französische Linke aus Anhängern und Feinden der Demokratie zusammen, die sich wundersamerweise nicht bekriegen, wie sie es eigentlich sollten, sondern die sich zum gegenseitigen Nutzen miteinander arrangieren.

    Noch in der Regierung Jospin saßen Kommunisten; und Jospin selbst war offiziell Sozialist, geheim aber Kommunist (Entrist, der von der Vierten Internationale in die PS eingeschleust worden war; noch als Generalsekretär der PS wurde er von dem Leiter seiner kommunistischen Zelle geführt).

    Auf der Rechten ist es nicht ganz so schlimm; denn wenigstens weigert sich die demokratische Rechte, Absprachen mit den Rechtsextremen einzugehen. Aber Sarkozy kann nur mit den Stimmen der extremen Rechten Präsident werden.



    Wie kann man ein Land regieren, in dem es mehr als zweihundert Käsesorten gibt, hat de Gaulle gefragt. Wie soll Frankreich sich jemals modernisieren, wenn der Präsident - ob links, ob rechts - von den Stimmen von Extremisten abhängt?

    Das ist meines Erachtens das zentrale Problem Frankreichs. François Bayrou hat es erkannt.

    25. April 2007

    Zettels Meckerecke: Wer sitzt im Glashaus? Der gläserne Bürger

    In den USA gibt es noch nicht einmal einen zwangsweisen Personalausweis. Das will der Staat seinen freien Bürgern nicht zumuten.

    In Deutschland ist die Ausweispflicht inzwischen bei den Hunden angekommen; jedenfalls in vielen Bundesländern. Für unseren Hund existiert bei der Gemeindeverwaltung eine eigene Akte. Nicht, weil er sich etwas hätte zuschulden kommen lassen. Sondern allein aus rassischen Gründen.

    Und während noch darüber diskutiert wird, ob der Staat Fingerabdrücke aller Bürger speichern darf, werden Zwangsversicherte demnächst einen "Gesundheitspaß" haben, der ihren Gesundheitsstatus lückenloser dokumentiert, als die Ferrari- Ingenieuere den Zustand ihrer Rennautos kennen.



    Aber da fehlte doch noch was? Richtig, die Häuser, in denen wir leben. Die waren bisher noch nicht gesundheitsmäßig staatlich erfaßt. Die Bürokraten wußten nicht, wie gesund bzw. krank denn das betreffende Haus ist im Verbrauchen und im Festhalten von Energie. Da schafft die Bundesregierung jetzt Abhilfe bzw. hat das per Kabinettsbeschluß schon getan:
    Hauseigentümer sollten sich Experten zufolge schon jetzt um einen Energie-Gebäudepass kümmern. "Bis zum 1. Januar 2008 können Hauseigentümer sich noch frei zwischen einem Bedarfs- und einem Verbrauchsausweis entscheiden".

    Das sagte Stefan Diepenbrock vom Verband Haus & Grund in Berlin. Laut einem Beschluss des Bundeskabinetts tritt dann eine Neuregelung der Energiesparverordnung in Kraft. Der künftig erforderliche Gebäudeausweis soll über den Energieverbrauch des Hauses informieren. (...)

    Pflicht wird ein Bedarfsausweis dem Kabinettsbeschluss zufolge künftig bei der Vermietung oder dem Verkauf von Häusern mit bis zu vier Wohnungen, die vor 1978 gebaut wurden.
    Mir scheint, da tut sich ein ganz neues Feld auf: Die Verausweisung aller Lebensbereiche.

    Warum nur dem Haus einen Ausweis verpassen? Wie wäre es mit einem Elektro- Ausweis, der die Daten darüber enthält, wieviele Elektro- Geräte mit welchem Verbrauch in jedem Haushalt stehen? Mit einem Fitness- Ausweis, der, fortlaufend aktualisiert, festhält, wie oft jeder Bürger joggt, ob er Müsli oder das Frühstücksei ißt? Ob er Bier trinkt oder Karottensaft, nur Haschisch oder aber Tabak raucht?

    Und vor allem brauchen wir, glaube ich, einen übergeordneten Ausweis, eine Master- Card sozusagen, die das alles zusammenfaßt und - vielleicht als Wert auf einer nach oben offenen Skala ausgedrückt - dokumentiert, ob jeder von uns ein Umwelt- Nützling oder aber ein Umwelt- Schädling ist. Oder etwas dazwischen, auf der Tugend- Richter- Skala.

    Marginalie: Aktuelles zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich

    Drei Tage nach der ersten Runde zeichnen sich einige interessante Entwicklungen ab:
  • Wie zu erwarten gewesen war, wird Bayrou keine Empfehlung zugunsten von Sarko oder Ségo abgeben. Eine Reihe von Abgeordneten und Senatoren seiner Partei UDF haben sich aber schon für Sarkozy ausgesprochen.

  • Umfragedaten zeigen hingegen, daß von Bayrous Wählern ein gutes Drittel Royal wählen werden, etwas weniger Sarkozy, und ein knappes Drittel im zweiten Wahlgang gar nicht wählen wird.

  • Royal, die im Wahlkampf Bayrou immer als einen Rechten bezeichnet und in die Nähe von Sarkozy gerückt hat, will nun auf einmal mit ihm zusammenarbeiten. Abgeordnete der UDF reagieren kühl auf diese Avance - sie komme "viel zu spät" und sei "viel zu sehr auf Medienwirkung gezielt, um glaubwürdig zu sein".

  • Wie schon vor dem ersten Wahlgang zeigen die aktuellen Umfragen für den zweiten Wahlgang einen Vorsprung Sarkozys. Der Abstand wird von den einzelnen Instituten mit 54/46 bis 51/49 gemessen.

  • Spannend wird es bei den Wahlen zur Nationalversammlung werden, die in einigen Wochen anstehen. Dort sieht das französische Wahlrecht wie bei den Präsidentschaftswahlen zwei Wahlgänge vor; aber in den zweiten Wahlgang kommen nicht nur die beiden Bestplazierten, sondern alle, die ein bestimmtes Quorum an Stimmen erreicht haben. Genauer: Sie können im zweiten Wahlgang erneut antreten. Die Praxis ist aber, daß sie sich zugunsten eines Bundesgenossen zurückziehen (désistement).
  • Das hat bisher die Linke massiv begünstigt. Denn die Sozialisten und die Kommunisten paktierten miteinander; je nach ihrer relativen Stärke zog sich mal der kommunistische Kandidat zugunsten des sozialistischen zurück, mal umgekehrt.

    Dadurch erhielten die Kommunisten eine Vertretung in der Nationalversammlung, die sie ohne dieses Bündnis nicht hätten erreichen können.

    Die Rechten aber weigerten sich, mit den Rechtsextremen zu paktieren. Diese erhielten in vielen Wahlkreisen auch im zweiten Wahlgang ihre Kandidatur aufrecht, so daß die relative Mehrheit (die im zweiten Wahlgang ausreicht, um gewählt zu sein) dem Kandidaten der kommunistisch/ sozialistischen Volksfront zufiel. Obwohl die Linke insgesamt in dem betreffenden Wahlkreis in der Minderheit war.

    Jetzt wird Bayrous Partei, vielleicht schon unter neuem Namen, in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Und die dürften glänzende Verhandlungs- Chancen nach dem ersten Wahlgang haben, lokale Bündnisse mal mit einem gemäßigten Sozialisten, mal mit einem gemäßigten Rechten einzugehen. Natürlich mit dem Ergebnis, daß auch Bayrous Kandidaten im Gegenzug in vielen Wahlkreisen exzellente Chancen haben werden.

    Der Erfolg Bayrous wird also sehr wahrscheinlich nicht nur dazu führen, daß seine eigene Partei im Parlament stärker vertreten sein wird. Sondern durch strategische désistements kann Bayrou auch dazu beitragen, daß sowohl bei den Sozialisten als auch bei den Konservativen mehr gemäßigte Kandidaten und weniger Hardliner ins Parlament kommen.

    Murat Kurnaz, Filbinger, RAF - wozu die Aufregung? Eine These.

    Seit einigen Jahren ist das Klima der politischen Auseinandersetzung in Deutschland durch viel Emotionalität geprägt. Es wird selten analysiert, viel öfter moralisiert. Immer geht es gleich um's Große Ganze.

    Der Einzelfall wird nicht um seiner selbst willen so heftig debattiert, sondern er steht als pars pro toto. Es wird überhöht, aufgeplustert, ins Bedeutend- Allgemeine gehoben, daß es nur so seine Art hat. Einige Beispiele:
    1. Die Diskussion um den Irak ist jetzt etwas stiller geworden. Aber ungefähr drei Jahre lang beherrschten Meldungen aus Bagdad beispielsweise die Aufmacher bei "Spiegel Online". Jeder Bombenanschlag im Irak war einen solchen Aufmacher wert, während das Massensterben in Darfur, die Hunderttausende von Toten im kongolesischen Bürgerkrieg, die Opfer von terroristischer Gewalt weltweit es kaum auf einen Dreizeiler brachten.

    Und meist ging es - explizit oder implizit - nicht nur um Berichterstattung, sondern um Anklage. Die Anklage gegen die USA; oft bis zur Empörung über die USA.

    2. Ein türkischer islamistischer Extremist, Murat Kurnaz, wurde fast so beliebt wie der Eisbär Knut. Er sei jahrelang "gefoltert" worden, habe ich noch vor ein paar Tagen in einer Kultursendung des öffentlich- rechtlichen deutschen Fernsehens gehört.

    Vom wirklichen Foltergefängnis Guantánamo freilich erfährt kein deutscher TV-Zuschauer, kaum ein deutscher Zeitungsleser etwas. Oder von den ständigen Menschenrechtsverletzungen in China und Vietnam.

    3. Die Trauerrede eines Ministerpräsidenten, der den Verstorbenen pries und entschuldigte, so wie das Trauerredner immer und überall tun, wurde zum Gegenstand einer Hexenjagd, an deren Ende der Autor der verunglückten Rede abschwor.

    Eine linke Kampagne gegen einen Konservativen. Aber auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat dabei - leider - keine glückliche Rolle gespielt.

    Während Stellungnahmen zu dem wirklichen, dem immer mehr links geprägten und immer gefährlicheren Antisemitismus in Deutschland (siehe dazu zum Beispiel den ausgezeichneten Artikel von Susanne Urban) wie auch sonst in Europa (siehe heute den ebenfalls hervorragenden Artikel von Jürgen Krönig in der "Zeit") vielleicht doch etwas Substantielleres getroffen hätten als diese Kritik an dem harmlosen Nekrolog eines Mannes wie Oettinger, dem Antisemitismus völlig fremd ist.

    4. Seit Wochen findet in Deutschland eine heftige Diskussion um eine politisch motivierte Mörderbande statt, die vor ungefähr dreißig Jahren in unserem Land ihr Unwesen getrieben hatte. Die Täter der RAF wurden größtenteils gefaßt und verurteilt. Jetzt sind sie ungefährlich; man wird sie so behandeln, wie andere Mörder auch.

    Was aber in aller Welt rechtfertigt es, um ihr Schicksal ein solches Aufsehens zu machen, wie das gegenwärtig passiert?

    Was ist denn berichtenswert daran, daß ein Mörder wie Christian Klar, der sich dem Ende seiner Mindest- Strafzeit nähert, jetzt Hafterleichterungen bekommt? Was macht den Mann so interessant, daß dieser banale Umstand sowohl im ZDF als auch in der ARD gestern ganz vorn in den Abendnachrichten mitgeteilt und kommentiert wurde? Daß sogar die kluge Sandra Maischberger sich gestern Abend wieder mit dem Fall befaßte?



    Was ist da los? Ich möchte eine These zur Diskussion stellen, die ich schon in früheren Beiträgen angedeutet habe: Hinter diesen politischen Tagesdebatten steht ein Ringen um Meinungsdominanz. Und dieses Ringen ist bei uns im Augenblick deshalb so heftig, weil die Dominanzverhältnisse instabil geworden sind.


    Die Dominanzverhältnisse können sehr unterschiedlich sein. Manchmal ist die Dominanz bestimmter politischer Vorstellungen ausgeprägt; das sind gewissermaßen steady states, politisch relativ stabile, wenn auch nicht unbedingt ruhige Zeiten. Und es gibt andere Zeiten, in denen eine dominierende Meinung in Frage gestellt wird, in der es vorübergehend ein Schwanken, ein Hin und Her gibt, bis eine neue Meinung dominant geworden ist.

    Vielleicht kann es auch längere Phasen eines, sagen wir, dynamischen Gleichgewichts geben.

    Das scheint in den USA seit den achtziger Jahren der Fall zu sein; wo es gewissermaßen immer noch "unentschieden" steht steht zwischen dem liberal- konservativen Gesellschafts- Modell von Reagan bis Bush und dem links- reformistischen von Carter bis (im Augenblick) Barack Obama und Hillary Clinton. Natürlich ist das auch ein Ringen zwischen dem klassischen, traditionellen, angelsächsisch geprägten Amerika - Middle America ja auch im geographischen Sinn - und dem Amerika der urbanen Küsten im Osten und im Westen, der Minderheiten, der Intellektuellen, des rasanten sozialen Wandels.



    In der Bundesrepublik Deutschland hat es hingegen bis in die Gegenwart hinein fast immer eine deutliche Meinungsdominanz gegeben. Von der Gründung der Bundesrepublik an bis Ende der sechziger Jahre dominierte das christdemokratische Gesellschaftsmodell, das Adenauer und Erhard verkörperten. Nach einer kurzen Umbruchszeit ging in den siebziger Jahren die Dominanz über an das linke - das sozialdemokratische, das sozialistische, ein manchmal auch ein wenig linksliberales - Modell, für das Willy Brandt stand.

    Die Dominanz dieses linken Gesellschaftsmodells blieb auch erhalten, nachdem die Linke Anfang der achtziger Jahre die politische Macht im Bund verloren hatte. Es gehört zu den großen Leistungen Helmut Kohls, gegen eine ihm überwiegend feindlich gesonnene Öffentliche Meinung so lang erfolgreich regiert zu haben.

    Nach der Wiedervereinigung festigte sich noch einmal diese Dominanz der Linken; und sie kulminierte in der rotgrünen Regierungszeit, in der - abgesehen von den konservativen Bundesländern im Süden - die Linke eine fast unbegrenzte Macht erreicht hatte; eine freilich schon gespenstisch unzeitgemäße. Sie beherrschte die Öffentliche Meinung, sie wurde unterstützt von den meisten Künstlern und Wissenschaftlern, sie war an der Regierung.

    Sie war damit in einer stärkeren Dominanz- Position als selbst Adenauer, der immerhin das intellektuelle Deutschland gegen sich gehabt hatte.



    Nur ist die Linke halt immer und überall nur solange erfolgreich, wie sie nicht regiert. Die klugen Entwürfe, die humanitären Ideen, das wunderschöne Gesellschaftsmodell - sie enden regelmäßig entweder mit einem Kladderadatsch, wie 1938 und dann wieder 1984 in Frankreich, wie 1998 und vermutlich jetzt bald wieder in Italien. Und wie 2005 in Deutschland, als die Regierung Schröder in sich zusammensackte wie ein mißglücktes Soufflé.

    Ein Wechsel in der Meinungsdominanz wäre daraus eigentlich die folgerichtige Konsequenz.

    Ein Wechsel weg vom linken Antiamerikanismus und linken Antisemitismus; hin zu einer transatlantischen Ausrichtung Deutschlands, die auch Israel als einen wichtigen Teil unserer westlichen Kultur sieht, als unseren natürlichen Bundesgenossen.

    Weg von der Verteufelung alles Konservativen, von dem Versuch, Konservative in dasselbe Lager wie die Nazis zu stellen. Stattdessen die Anerkennung einer demokratischen, staatstreuen, liberalen und konservativen Rechten, wie sie in allen alten Demokratien selbstverständlich ist.

    Weg von der Glorifizierung der Revoluzzerei der sechziger und siebziger Jahre; hin zu der Einsicht, daß es keine Entschuldigung dafür gibt, in einem demokratischen Rechtsstaat Menschen zu ermorden, nur weil sie eine andere politische Meinung haben.



    Zusammengefaßt: Meine These ist, daß Themen wie die eingangs genannten deshalb so viele Emotionen, so viele Aufregung auslösen, weil sich an ihnen allgemeine Aspekte dieses gegenwärtigen Kampfs um Meinungsdominanz konkretisieren.

    Der Irak-Krieg, der sich an ihn knüpfende linke Antiamerikanismus und Antisemitismus treffen die klassischen linken Themen - der barbarische Kapitalismus ("Blut für Öl"), der "Neokolonialismus", für den der jüdische Staat in linker Sicht steht.

    Der "Fall Oettinger" eignet sich zur Konkretisierung eines zentralen Themas der linken Propaganda - Konservative wie Oettinger und die Nazis gehören zum selben Lager; Kapitalismus führt zu Faschismus.

    Und die RAF? Da scheint mir ein Interesse auf beiden Seiten vorzulegen, anhand dieses Themas den Kampf um Meinungsdominanz zu führen. Aus liberal- konservativer Sicht wird es Zeit, daß endlich dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte so aufgearbeitet wird wie der Nazismus und die DDR.

    Aber immer mehr scheint mir, daß die Linke das Thema auch pflegen möchte. In der Hoffnung vielleicht, das schon begrabene Thema "Kampf gegen den Kapitalismus" wieder aus seiner Gruft zu heben.

    Gewiß, man distanziert sich von der "Militanz" der RAF. Aber daß "Kapitalismus- Kritik" auf einmal wieder ein Thema ist, das freut sie offensichtlich doch, die Linke.

    24. April 2007

    Eine Anmerkung zum Erfolg der Bundesrepublik Deutschland. Zugleich eine Ergänzung zur Oster- LobhudelEi

    Natürlich gab es viele Gründe dafür, daß die alte Bundesrepublik - unser Land also bis zur Wiedervereinigung - der erfolgreichste Staat Europas war. Nur von einem dieser Gründe ist hier die Rede; und zwar anläßlich der momentanen Situation in Frankreich.

    Als Deutschland rotgrün und Frankreich rechts regiert war, also zwischen dem Ende der neunziger und der ersten Hälfte der zweitausender Jahre, da gab es etwas ganz Untypisches: Deutschland rutschte in Europa ans Ende der Erfolgsskala ab, und Frankreich lag - quelle surprise! - vor uns.

    Heute ist klar, daß das nur an der Unfähigkeit, an der Rückwärtsgewandtheit der Rotgrünen gelegen hatte und daran, daß Frankreich zugleich das Glück hatte, nicht links regiert zu werden.

    Jetzt richten sich die Verhältnisse sozusagen wieder. Erneut schaut - wie seit Jahrzehnten, mit Ausnahme eben jenes Zwischenspiels - Frankreich auf Deutschland, und man fragt sich dort, warum man nicht so erfolgreich ist wie wir, die voisins d'Outre-Rhin, die Nachbarn jenseits des Rheins.



    Ja, warum? Ich möchte dazu eine These zur Diskussion stellen: Der Erfolg der Bundesrepublik Deutschland basiert - nicht ausschließlich, aber doch ganz wesentlich - darauf, daß bei uns wie in keinem anderen Land Euopas jede Variante des Extremismus diskreditiert war und ist. Und das verdanken wir unserer leidensreichen Geschichte.

    Der Rechtsextremismus war nach 1945 in Deutschland derart diskreditiert, daß er nach dem Untergang des rechtsextremen Verbrecher- Regimes keine politische Rolle mehr spielen konnte; sie nach Menschenermessen in Deutschland nie mehr spielen wird. (Weswegen, nebenbei gesagt, der "Kampf gegen Rechts" etwas Gespenstisches hat; Schattenboxen).

    Der Linksextremismus war in der Bundesrepublik ebenso diskrediert durch das kommunistische Verbrecher- Regime in der DDR.

    Nein, die DDR war bei weitem nicht so verbrecherisch wie das Dritte Reich; eine Gleichsetzung wäre abwegig. Sie war nur so verbrecherisch wie Franco- Spanien oder das Chile Pinochets; eine milde oder, wie Günter Grass es formulierte, "kommode" Form der Verletzung der Menschenrechte, der Behandlung der Menschen als unmündige Untertanen.

    Aber die UdSSR war unter Lenin und Stalin sehr wohl so verbrecherisch gewesen wie Hitlers Deutschland; und die DDR war ja nur ihr Ableger, ihr "Satellit", wie man in den fünfziger Jahren sagte.

    Also spielte in der alten Bundesrepublik der Rechtsextremismus keine Rolle, spielte der Linksextremismus keine Rolle.

    Vestigia terrent. Wer so hautnah erlebt hat wie wir Deutschen, wozu Extremismus unweigerlich führt (und kein anderes europäisches Volk hat diese doppelte Erfahrung innerhalb derselben Generationen gemacht), der ist immun gegen extremistische Versuchungen.



    Folglich gab es in der alten Bundesrepublik das, was man die "Gemeinsamkeit der Demokraten" nannte. Man hatte ja gemeinsam in der Haft der Gestapo gesessen, ob man nun ein linker oder ein rechter Widerstandskämpfer gewesen war. Man hatte gemeinsam das Exil in den USA gesucht, ob man nun links oder rechts gewesen war.

    Der Rechte Adenauer war ein erbitterter Feind der Nazis; so wie der Linke Schumacher ein erbitterter Feind der Kommunisten war.



    Anders gesagt: Das politische System war sozusagen abgedichtet gegen die Feinde der Demokratie. Alle Demokraten standen einander in ihren Überzeugungen ungleich näher als die linken Demokraten den linken Feinden der Demokratie, als die rechten Demokraten den rechten Feinden der Demokratie.

    Das war einmalig in einem demokratischen Europa, in dem es fast durchweg die Spaltung zwischen Links und Rechts gab, und nicht die zwischen Demokraten und Feinden der Demokratie.

    Das machte dieses System der alten Bundesrepublik Deutschland so stabil und damit so erfolgreich: Die Konsens- Demokratie.

    Nichts erregte in den Bundestagsdebatten der sechziger, der siebziger Jahre so sehr Abscheu, als wenn die demokratischen Linken den demokratischen Rechten absprachen, konsequente Gegner des Extremismus zu sein; oder umgekehrt.

    Da hagelte es Ordnungsrufe im Parlament, gegen Wehner auf der einen und den Baron von und zu Guttenberg auf der anderen Seite. Denn der Konsens der Demokraten war der höchste Wert. Jemanden zu verdächtigen, mit den Kommunisten oder den Nazis zu paktieren, war das Ehrenrührigste, was man dem politischen Gegner überhaupt vorwerfen konnte.



    In Frankreich war und ist das radikal anders. Die wichtigste Front verläuft dort nicht zwischen Demokraten und Feinden der Demokratie, sondern zwischen Linken und Rechten.

    Schon am vergangenen Wahlabend haben die kommunistischen Kandidaten und Kandidatinnen erklärt, ihre Wähler sollten im zweiten Wahlgang Ségolène Royal wählen. Und diese hat nicht etwa gesagt, daß sie von Feinden des demokratischen Rechtsstaats keine Stimmen bekommen will.

    Sondern im Gegenteil - Revolutionäre wie Buffet, Besancenot und Laguiller, die erklärtermaßen das parlamentarische System vernichten und die Diktatur des Proletariats errichten wollen, sind jetzt willkommene Unterstützer der demokratischen Sozialistin Royal. So, wie auch Sarkozy die Stimmen der Rechtsextremisten nicht verschmähen wird.



    Und das hat logischerweise seinen Preis. Solange die Extremisten in Frankreich nicht Parias sind, sondern Bundesgenossen der jeweiligen Seite, bestimmen sie die Politik mit.

    Und solange Extremisten mitbestimmen, kann es keine durchgreifende Modernisierung, keine ernsthaften neoliberalen Reformen geben; kann Frankreich also nicht zu Deutschland aufschließen.

    Also wird es mit Frankreich weiter abwärts gehen. Egal, ob nun Sarkozy mit den Stimmen der Anhänger Le Pens gewinnt oder Royal mit den Stimmen der Vierten Internationale.



    Freilich können Abhänge unterschiedlich steil sein.

    Ein Frankreich unter einer Präsidentin Royal hätte den Niedergang vor sich, den Deutschland unter Schröder erlebt hat.

    Sarkozy würde es sicherlich besser machen; aber die Rechtextremisten, denen er seine Wahlsieg verdanken würde, würden ihm Fesseln anlegen wie die Liliputaner dem Gulliver - tied to pegs.

    Ein Präsident, der seine Mehrheit den Feinden Europas, der Globalisierung, der Modernisierung verdankt, kann keine europafreundliche, keine die Globalisierung akzeptierende, keine moderne Politik machen.

    Das hätte nur Bayrou gekonnt, der von linken und rechten Demokraten, gegen die linken und rechten Extremisten, gewählt worden wäre.

    Vorbei.



    Wer sich für die sieben Folgen der Serie "Oster-LobhudelEi" interessiert, der/die gebe bitte "LobhudelEi" in die Suchfunktion dieses Blogs ein.

    23. April 2007

    Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Triumph des Messens

    Die Demoskopie ist keine exakte Wissenschaft. Was die einzelnen Institute angeben, weicht voneinander ab. Es wimmelt nur so von Fehlerquellen: Leute, die kein Telefon haben oder nicht rangehen. Leute, die das Interview verweigern oder falsche Angaben machen. Ein großer Prozentsatz von Unentschlossenen.

    Und dann "verzerren" sie auch noch die Daten, diese Demoskopen: Sie publizieren nicht das, was sie wirklich erhoben haben, sondern rechnen die Prozentwerte mal hoch, mal runter.



    Alles nicht falsch, wenn auch vielleicht nicht ganz richtig formuliert. Und nun schauen Sie sich bitte einmal diese Daten und dieses Zitat an:

    Die Daten:

    Beim augenblicklichen Stand der Auszählungen für die gestrigen Wahlen in Frankreich (98 Prozent der Stimmen ausgezählt) liegt Sarkozy bei 31,11 Prozent. Royal hat 25,84 Prozent und Bayrou 18,55 Prozent. Le Pen liegt bei 10,51 Prozent.

    Das Zitat:

    Am 6. April habe ich hier geschrieben:
    Jetzt scheint es mir, nachdem ich die Umfragen täglich verfolgt habe, nicht mehr allzu riskant, eine Prognose zu wagen:

    Wenn nicht noch etwas ganz Überraschendes passiert, dann wird Sarkozy im ersten Wahlgang ungefähr 30 Prozent bekommen. Ségolène Royal wird mit ungefähr 25 Prozent zweite werden. François Bayrou wird achtbare 18 Prozent erhalten, ungefähr. An ihrer Rangfolge jedenfalls hat sich seit Wochen nichts geändert; und die Abstände sind inzwischen ausgeprägter als Mitte März, als Bayrou an Royal herangerückt gewesen war.

    Am Unsichersten ist das Abschneiden des Vierten im Bunde, Le Pen. Er liegt im Augenblick ziemlich stabil bei ungefähr 13 Prozent. Aber das sind natürlich, wie die anderen auch, gewichtete Daten. Die Rohwerte für ihn liegen sehr viel niedriger. Nur bekennen sich viele Anhänger der Rechtsextremen nicht zu ihrer Präferenz oder verweigern überhaupt ein Interview; also korrigiert man die Rohdaten im Licht der Erfahrung. Das kann gut gehen oder auch nicht.


    Daß die Übereinstimmung so perfekt auszufallen scheint, ist natürlich Zufall. Aber daß die Umfragen ungefähr das Wahlergebnis treffen, ist eine Erfahrung, die jeder macht, der sich mit dem Thema befaßt.

    Bei den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA zum Beispiel war es nicht anders. Da haben die aggregierten (über die einzelnen Institute zusammengefaßten) letzten Umfrageergebnisse mit einer Abweichung von weniger als einem Prozent das Wahlergebnis vorhergesagt.

    Wie funktioniert das? Und warum vermittelt die Berichterstattung der meisten Medien ein ganz anderes Bild?



    Umfragen sind Messungen. Und wie jede einzelne Messung in der Physik oder in der Physiologie ist auch hier jede einzelne solche Messung fehlerbehaftet. Es gibt einen Stichprobenfehler, den man mit dem Mitteln der mathematischen Statistik berechnen kann. Es gibt aber auch systematische Fehler; zum Beispiel dadurch, daß bestimmte (etwa rechtsextreme) Wähler die Auskunft häufiger verweigern als andere.

    So ist das auch, wenn, sagen wir, ein Astronom die Helligkeit eines Sterns mißt. Jede Messung wird einen etwas anderen Wert liefern, weil die Absorption durch die Atmosphäre je nach momentanen Wetterbedingungen mal etwas stärker und mal etwas schwächer ist, weil mal das Spektrometer ein bißchen anders ausgerichtet ist als bei einem anderen Mal; und so fort.

    Das sind zufällige Fehler. Systematische entstehen zum Beispiel dadurch, daß das eine Observatorium sich in einer anderen Höhe befindet als ein anderes; daß jedes Meßinstrument ein wenig anders geeicht ist.

    Würde ein Astronom jede dieser einzelnen Messungen veröffentlichen, dann hätte man den Eindruck, daß die Helligkeit des Sterns ständig schwankt. Aber das tut sie (bei den meisten Sternen, es gibt auch Veränderliche) nicht.

    Und kein Astronom käme auch auf den Gedanken, jede einzelne Messung zu publizieren. Sondern man mißt erstens immer wieder unter denselben Bedingungen, so daß sich zufällige Fehler gegenseitig aufheben. Und man korrigiert die Messungen, indem man systematische Fehler herausrechnet.

    Wenn dann auch noch verschiedene Publikationen aus unterschiedlichen Arbeitsgruppen dasselbe Ergebnis liefern, dann kann man ihm trauen.



    Exakt so ist es auch in der Demoskopie. Die einzelnen Umfragen sind durch zufällige Fehler belastet. Die einzelnen Institute haben jeweils ihre eigenen Methoden, systematische Fehler herauszurechnen.

    Also ensteht, wenn man die jeweils neueste "Wasserstandsmeldung" isoliert betrachtet, der Eindruck eines großen Durcheinanders. Und Journalisten wie die von "Spiegel Online", die offenbar von Wissenschaft nichts verstehen, melden dann - wie gestern geschehen - aufgrund einer einzigen Umfrage eines einzelnen Instituts einen "Trend" zugunsten von Ségolène Royal.



    Wenn man aber - wie ich es gemacht habe, bevor ich den zitierten Beitrag geschrieben habe - die Umfragen aller Institute über einen längeren Zeitraum hinweg analysiert und wenn man auch überlegt, welchen Instituten mehr und welchen weniger zu vertrauen ist, dann kann man zu sehr vernünftigen Prognosen kommen.

    Ich habe damals die Daten aller sechs Institute berücksichtigt, aber die von IPSOS besonders stark gewichtet. Und zwar deshalb, weil IPSOS als einziges Institut täglich eine neue Umfrage gemacht und dann jeweils über einige Tage ein gleitendes Mittel gebildet hat; eine sehr gute Methode.



    Kann man jetzt also auch schon vorhersagen, daß Sarkozy in vierzehn Tagen die Stichwahl gewinnen wird, wie es alle Umfragen seit Wochen prognostizieren?

    Nein. Es ist zwar wahrscheinlich, daß er gewinnt. Aber diese vierzehn Tage zwischen den beiden tours haben ihre eigenen Gesetze.

    Erstens treffen jetzt die beiden Kandidaten direkt aufeinander; in einer oder mehreren Diskussionen. Solche Konfrontationen können alles ändern, wie das von Politologen vielfach analysierte Beispiel der Debatte zwischen Kennedy und Nixon 1960 zeigt.

    Und zweitens wird viel davon abhängen, wie die jetzt ausgeschiedenen Kandidaten sich verhalten. Alle Linken haben bereits ihre Wähler aufgefordert, Royal zu wählen. Le Pen aber hat sich bisher nicht geäußert, und Bayrou hat es nicht.

    Vor allem auf Bayrou wird es wesentlich ankommen. Seine Empfehlung an seine Wähler kann leicht entscheiden, wer nächster Präsident wird.

    Ich könnte mir allerdings denken, daß er eine solche Empfehlung vermeidet; denn seine zentrale message ist ja, daß er weder ein Linker noch ein Rechter ist. Wahrscheinlich werden eher einzelne Prominente seiner Partei, der UDF, ihre jeweils individuelle Empfehlung abgeben. Und die dürfte bei den meisten zugunsten von Sarkozy ausfallen. Einige haben das heute Abend schon angedeutet.

    Auch die direkte Konfrontation dürfte Royal wahrscheinlich keine Punkte einbringen. Sie hat bisher in Diskussionen selten eine gute Figur gemacht.

    Und Sarkozy wird wohl nicht den Fehler machen, seine intellektuelle Überlegenheit allzu deutlich zu zeigen und damit einen Mitleid- Effekt auszulösen.

    22. April 2007

    Sarkozy 28, Royal 25 ...

    ... meldet "Sky News", ein britischer Nachrichtensender.

    Das würde exakt den letzten Prognosen entsprechen; es wäre ein eindrucksvoller Sieg der Demoskopen.

    Gedanken zu Frankreich (9): Die Vier Großen Kandidaten, wie ich sie sehe

    Das Wahl-Wochenende ist in Frankreich ein wenig wie ein Aschermittwoch. So, wie Schlag zwölf am Faschingsdienstag das fröhliche Treiben endet, so ist um Mitternacht vom Freitag auf Samstag vor dem Wahlgang in Frankreich der Wahlkampf schlagartig zu Ende.

    Keine Kundgebungen sind mehr erlaubt, keine Umfragen werden mehr publiziert. Die Kandidaten äußern sich nicht mehr; die TV- Sender schalten blitzartig von Innenpolitik auf die Situation in Afghanistan oder die Entwicklung der deutschen Wirtschaft um; dergleichen.

    Als Blogger, zumal als deutscher, braucht man sich daran zum Glück nicht zu halten. Aber die, sagen wir, Besinnlichkeit, die nun in Frankreich Einzug gehalten hat, dieses Innehalten steckt mich doch ein wenig an.

    Ich will jetzt etwas schreiben zu den vier Hauptkandidaten, so wie ich sie sozusagen menschlich wahrnehme. Aufgrund dessen, was ich von ihnen und über sie gelesen habe; aufgrund der TV- Auftritte und Kundgebungen, in denen ich sie gesehen und gehört habe. Und aufgrund dessen, was französische Journalisten, Medienforscher, Demoskopen über sie gesagt haben.



    Sie haben eine Gemeinsamkeit, die keineswegs charakteristisch für Frankreichs Spitzenpolitiker ist: Sie sind alle vier ausgesprochen dynamisch. Die drei (vergleichsweise) Jungen, aber auch der fast achtzigjährige Jean- Marie Le Pen, der mit federnden Schritten auf die Bühne zu stürmen pflegt, halb Schwarzenegger, halb Thomas Gottschalk.

    Sie sind, alle vier, ganz anders als der pathetische de Gaulle, der majestätisch- herablassende, immer leicht ironische Mitterand, der farblose Schulmeister- Typ Jospin. Anders auch als der gravitätische Chirac, der wie de Gaulle und wie Mitterand zu sein versuchte, aber immer den Eindruck vermittelte, er übe noch.



    Ségolène Royal: Ein Medienforscher, der auf sogenannte Tiefeninterviews spezialisiert ist, hat vor ein paar Tagen gesagt: Die Welt, die sie suggeriert, ist ein ständiger Sommer, in dem ein ständiges Fest gefeiert wird.

    Man hat sie oft eine moderne Jeanne d'Arc genannt. Das stimmt in einer Hinsicht, aber auch nur in dieser: Sie strahlt eine unerschütterliche Selbstsicherheit aus; man kann das wohl schon Sendungsbewußtsein nennen.

    Aber es fehlt ihr das Düstere, das Kriegerische, das Schrille der Jeanne d'Arc. Sie will nicht besiegen, sondern überzeugen, ja verführen. Sie ist optimistisch, sie freut sich auf die Zukunft.

    Und das möchte sie ihren ZuhörerInnen vermitteln: Schaut, mir geht es gut. Ich sehe gut aus, ich habe es nach ganz oben geschafft. Das können wir alle, das kann Frankreich auch, wenn es sich nur mir anvertraut. Think positive.

    In Diskussionen ist sie nicht gut. Sie weicht aus, verliert sich in Allgemeinplätze, wirkt inkompetent. Ihre Bühne ist - die Bühne.

    Die erste vollständige Rede von ihr habe ich auf einem Parteitag der PS erlebt - ja, "erlebt" ist schon richtig, wenn es auch nur eine TV-Übertragung war.

    Sie kam auf diese riesige Bühne, in einem seltsamen Bewegungsablauf schreitend, den ich dann noch oft bei ihr gesehen habe - so, als sei das Gehen bei ihr nicht automatisiert, sondern als täte sie jeden Schritt bewußt und kontrolliert.

    So spricht sie auch: Mit einer warmen, sehr modulationsfähigen Stimme, die sie oft nachgerade beschwörend einsetzt. Manchmal wie eine Mutter, die begütigend auf ihre Kinder einredet. Oder wie eine Therapeutin. In gewisser Hinsicht sehr emotional, aber die Emotionen wirkten doch sehr gesteuert, sehr bewußt eingesetzt.

    Was sie sagt, das sind Platitüden. Sie beschwört sozusagen alles, was jeder gern hätte - Solidarität, Humanismus, das ganze linke Schatzkästlein. Aber auch Schutz vor Kriminalität, Leistungsbereitschaft, also rechte Werte.

    Wenn sie das strahlend vorträgt, dann paßt es irgendwie schon zusammen, sozusagen in dialektischer Synthese vereint in der großen, schönen Seele von Ségolène.



    Auch François Bayrou ist ungewöhnlich dynamisch für einen französischen Spitzenpolitiker. In der deutschen Presse wird er oft als "Pferdezüchter" bezeichnet. Ja, das macht er auch. Aber er ist auch Altphilologe und Historiker; sein Buch über Henri IV war ein Bestseller. Ein Bauernsohn, der sich nach oben gearbeitet hat. Ein self- made man.

    Dieser Heinrich, dessen Leben Bayrou beschrieben hat, erblickte wenige Kilometer vom Geburtsort von Bayrou das Licht der Welt, und Bayrou sieht ganz offensichtlich eine tiefe Seelenverwandschaft. Heinrich hat als König die Protestanten und Katholiken zu versöhnen gesucht; so will Bayrou die Rechte und die Linke versöhnen.

    Seine Dynamik ist nicht die kontrollierte Gespanntheit von Royal; sondern er wirkt manchmal fast wie ein glühender Missionar. Er ist überzeugt, daß Frankreich modern werden muß - also weg von seinem Etatismus, der auf das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert zurückgeht; weg von der Spaltung in Linke und Rechte, die auf das neunzehnte Jahrhundert zurückgeht.

    Wie kein anderer Kandidat ist Bayrou "amerikanisch". Freilich im Sinn des klassischen, ländlichen Amerika, des liberal- konservativen. Er betont oft, daß er nicht in Paris lebt. Er will für das andere Frankreich stehen, das der Provinz, das des flachen Landes. Dem er mehr zutraut als den geschmeidigen Bürokraten in Paris.

    In seiner Körpersprache wirkt er entspannter als Royal, lockerer, vielleicht auch schwerfälliger als die beiden anderen Männer. Er hat etwas von einem Dorfgeistlichen, einem Don Camillo. Von der Richtigkeit seines Glaubens überzeugt, daraus seine Kraft schöpfend. In der Tat ist er praktizierender Katholik.



    Jean-Marie Le Pen: Ein Mann, an dem das Alter spurlos vorübergegangen zu sein scheint. Nicht nur körperlich topfit wirkend, sondern auch von einer erstaunlichen intellektuellen Präsenz.

    Der Vergleich mag überraschen - aber am meisten erinnert er mich an Oskar Lafontaine. Er charmiert. Er weiß auf jede Frage eine schlagfertige Antwort. Er dreht alles so, daß es schwerfällt, ihm zu widersprechen. Er hat dieselbe selbstgefällige Mimik wie Lafontaine, dieses genüßliche Grinsen, wenn er wieder eine Pointe gelandet hat.

    Er sagt mal dies, mal jenes, brilliert in dialektischen Spitzfindigkeiten. Er ist - darin Mitterand ähnlich - ein Meister der Andeutungen, der Insinuationen. Wie Lafontaine verfolgt er eine populistische Strategie, spricht aber mit seiner Intelligenz, seinem Sprachgeschick, auch Intellektuelle an.

    Er ist, wie Lafontaine, ein begnadeter Demagoge. Und wie Lafontaine halte ich ihn - aber das ist jetzt ein sehr subjektives Urteil - für einen, der sein Leben lang nur von einem einzigen Motiv bestimmt wurde: Einem grenzenlosen Egoismus.



    Nicolas Sarkozy ist unter diesen vier Dynamikern der Allerdynamischste. Nicht nur physiognomisch, sondern auch in seiner Körpersprache erinnert er ein wenig an Louis de Funès. Bei ihm ist immer alles in Bewegung. Man merkt, wie schnell er denkt, wie souverän er jedes Thema beherrscht. Er ist der "lateinischste" unter den vier Kandidaten.

    Ein Mann, der eine ungeheure Kompetenz ausstrahlt. Der Frankreich bewegen möchte, so wie er selbst sich unaufhörlich bewegt. Der auch den Eindruck vermittelt, daß er das kann. Daß man ihm vertrauen kann, daß er es schon richten wird.

    Von allen Kandidaten kann man ihn sich am besten vorstellen, wie er mit den Mächtigen der Welt verhandelt, wie er nach außen Frankreichs Größe repräsentiert.

    Und wie er jede Krise meistert, immer ein, zwei Züge weiterdenkt als die anderen, sie mit seiner Intelligenz, seiner Leistungsmotivation übertrumpft.



    Ich fasse zusammen:

    Bayrou ist der Mann der großen, über den Tag hinausweisenden Vision. Wenn man ihn wählt, dann wird Frankreich ein modernes, erfolgreiches Land werden, wie die USA und Deutschland. Das ist es, was er signalisiert.

    Royal steht für das Schöne im Leben; für das Versprechen, daß schon alles gut werden wird. Wenn man sie wählt, dann wird es nicht nur den Benachteiligten besser gehen, sondern allen. Und wie man das hinbekommt, das wird man dann schon sehen.

    Le Pen ist der Mann der Verbitterten, der zu kurz Gekommenen. Derer, die wissen, daß eh alles in der Politik schlecht ist, daß der kleine Mann immer der Dumme ist. Derer, die früher die Kommunisten gewählt haben, so wie sie in Deutschland die PDS wählen.

    Sarkozy gibt den Franzosen zu verstehen, daß das Leben nicht immer leicht ist. Frankreich steckt in einer tiefen Krise; und jetzt heißt es die Ärmel aufkrempeln. Das sagt er den Franzosen. Aber unter ihm, einem Präsidenten Sarkozy, wird das schon klappen.



    So ungefähr sind sie, dieses Kleeblatt, aus meiner sehr subjektiven Sicht.

    Alle vier weniger würdevoll-steif als die Politikergeneration, die vom Übervater de Gaulle geprägt blieb. Jeder auf seine Art willens, Frankreich umzukrempeln.

    Kein Wunder, daß da die Wahl schwerfällt.

    21. April 2007

    Marginalie: Wer erschoß Siegfried B.?

    Der "Spiegel" hat es Montag auf dem Titel; das ZDF brachte es als Aufmacher der "heute"- Sendung von 19 Uhr, am heutigen Samstag: Es gibt neue Vermutungen darüber, wer Siegfried Buback erschoß.

    Wohlgemerkt, Vermutungen. Peter-Jürgen Boock, der jahrelang die deutsche Öffentlichkeit mit Unwahrheiten über seine Zeit bei der RAF an der Nase herumgeführt hat, soll es Bubacks Sohn, Prof. Michael Buback, verraten haben: Es sei Stefan Wisniewski gewesen.

    In der Vorabmeldung zu der kommenden Titel- Story heißt es, auch das RAF- Mitglied Verena Becker habe "dem Verfassungsschutz bereits Anfang der achtziger Jahre verraten", Wiesniewski sei der Mörder gewesen. (Nein, "Mörder" steht nicht in der "Spiegel"- Meldung; das ist meine Bezeichnung).

    Also der "Spiegel" schreibt, Boock habe gesagt, "nach seinen Kenntnissen" sei Wisniewski der Mörder. Und gegenüber dem Verfassungsschutz (nicht etwa vor Gericht oder bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung) soll Verena Becker das auch gesagt haben.

    Hörensagen also. Hörensagen über Hörensagen. Jetzt in die Medien gelangt zu einem Zeitpunkt, wo es um die Begnadigung von Klar geht.

    Mit den üblichen Reaktionen der üblichen Politiker. Bosbach hat den Finger gehoben und etwas gesagt. Ströbele, immerhin wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig verurteilt, hat den Finger gehoben und Justizschelte geübt. Freilich im Konditionalis; er ist ja ein gewiefter Anwalt: Wenn "die Justiz damals tatsächlich von den entlastenden Aussagen wußte, hat sie unverantwortlich gehandelt", zitiert ihn "Spiegel Online". Ja, wenn ...



    Vielleicht war es Wisniewski. Vielleicht war es Klar, und jetzt werden Nebelkerzen geworfen, um ihn aus dem Gefängnis zu bekommen. Mir ist das, ehrlich gesagt, so egal wie nur irgend etwas.

    Klars Schuld würde doch nicht dadurch geringer, daß ihm beim Mord an Buback möglicherweise eine andere Funktion als diejenige zugewiesen worden war, die Schüsse abzufeuern. Vielleicht, weil er besser einen Alfa Romeo fahren konnte als die anderen und er deshalb diese Aufgabe erhielt. Vielleicht, weil seine Schießleistungen zu wünschen übrig ließen; oder weil man fürchtete, daß ihm die Nerven versagen könnten.

    Also, nichts Neues aus meiner Sicht zum Fall Christian Klar. Jedenfalls fällt mir zu ihm - wie schon früher geschrieben - nichts mehr ein.

    Amoklauf in Virginia: Waffengesetze, die USA, wir Europäer, die wissenschaftliche Wahrheit

    Welche Auswirkung hat das amerikanische Waffenrecht auf die Kriminalität? Das ist eine dieser Fragen, auf die fast jeder Journalist die Antwort zu wissen glaubt, auch wenn er keine einzige Arbeit von Wissenschaftlern dazu gelesen oder gar verstanden hat.

    Er hat exakt null Ahnung, der europäische Journalist. Aber er hat ja dafür seine Überzeugung.

    Ja, natürlich, so schallt es uns aus den deutschen Medien entgegen, so schreibt es die europäische Presse, - natürlich ist das Waffenrecht "der USA" schuld daran, daß solche Verbrechen passieren können wie jetzt das in Virginia.

    Man hat ja, nicht wahr, "Bowling for Columbine" gesehen; dieses agitatorische Machwerk, eines Goebbels würdig.



    Auf der Suche nach Informationen darüber, wie denn nun tatsächlich das liberale Waffenrecht in einem Teil der Staaten der USA sich auswirkt, bin ich auf einen schon etwas älteren Beitrag des Cato Institute gestoßen, also eines konservativen Think Tanks, dessen Publikationen immer lesenswert sind.

    Mir scheint das, was Jeffrey R. Snyder unter dem Titel "Crime, Self-Defense, and the Right to Carry a Handgun" ("Verbrechen, Notwehr und das Recht, eine Feuerwaffe zu tragen") schreibt, hochaktuell zu sein.

    Also hier ein Überblick, mit einigen Zitaten. Am besten liest man aber den Artikel selbst.



    1987 war Florida der erste Staat, der es gesetzestreuen, volljährigen Bürgern erlaubte, in der Öffentlichkeit zur Selbstverteidigung Feuerwaffen mit sich zu führen. Nicht offen, aber verdeckt, also etwa in der Manteltasche.

    Damals wurde von Linken der Wilde Westen an die Wand gemalt: Würde es in Florida bald so zugehen wie in Carson City?

    Nein. Zehn Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ging die Diskussion nur noch darum, wie stark es die Kriminalität reduziert hat. Daß es diese Wirkung hatte, ist unbestritten.

    Aufgrund dieser positiven Erfahrungen hatten bis 1997 - als der Artikel von Snyder erschien - 23 weitere Staaten ähnliche Gesetze verabschiedet.

    Nur bedeutet das eben in keiner Weise, daß jedem Kriminellen der Zugang zu Waffen erlaubt ist. Die meisten US-Staaten legen unter anderem diese Kriterien fest:
    Man muß volljährig sein, in dem betreffenden Bundesstaat wohnen, seinen Fingerabdruck zur Verfügung stellen und ein polizeiliches Führungszeugnis beibringen. Man darf also nicht vorbestraft sein, nicht illegal in den USA leben, nicht wegen Drogendelikten auffällig geworden sein, nicht in einer psychiatrischen Einrichtung gewesen sein, nicht unehrenhaft aus der den Streitkräften entlassen sein, nicht entmündigt sein, nicht eines Verbrechens angeklagt sein, Übungskurse im Gebrauch von Waffen absolviert haben und die Gebühr für Waffenbesitz bezahlt haben.
    Mit anderen Worten: Wer in den USA Waffen erwerben darf, der unterliegt im Prinzip denselben Einschränkungen wie in Deutschland. Der einzige Unterschied ist, daß man in Deutschland auch noch Jäger sein muß, Sportschütze oder dergleichen. Was natürlich jeder werden kann, der Waffen besitzen möchte.

    Teilweise sind die Bestimmungen in den USA sogar strenger als in Deutschland. Der Waffenschein muß beispielsweise zum Teil alle zwei Jahre erneuert werden; in den meisten Bundesstaaten alle vier Jahre.

    Besonders streng sind die Gesetze in Texas. Dort darf noch nicht einmal jemand einen Waffenschein erhalten, der Unterhaltszahlungen oder Steuern nicht gezahlt hat oder der ein Studiendarlehen nicht zurückgezahlt hat.



    Was spricht nun nach Ansicht von Snyder dafür, daß Waffenscheine nicht nur an Jäger und Sportschützen ausgegeben werden sollten, sondern an jeden gesetzestreuen Bürger, der den aufgezählten Anforderungen gerecht wird?
  • Die Polizei kommt meist zu spät, um ein potentielles Opfer davor zu bewahren, ein Opfer zu werden: "Call for a cop, call for an ambulance, and call for a pizza. See who shows up first." "Verlange die Polizei, verlange den Rettungsdienst, verlange eine Pizza. Schau, wer zuerst kommt".

  • Kriminelle kalkulieren kühl. Sie nehmen sich diejenigen als Opfer, die sie für schwach halten. Wenn sie befürchten müssen, daß ein potentielles 0pfer sich mit Waffengewalt wehrt, dann begehen sie das betreffende Verbrechen eben nicht.

  • Kriminelle werden immer an eine Waffe kommen. Wenn man zugleich den gesetzestreuen Bürgern das Tragen von Waffen verwehrt, dann begünstigt man nur die Kriminellen.

  • In allen Staaten der USA darf [wie auch in Deutschland; Zettel] die Polizei erst einschreiten, wenn eine Straftat geschehen ist; nicht schon dann, wenn jemand bedroht wird. Der Bedrohte ist hilflos, wenn ihm das Recht verwehrt wird, für seine eigene Sicherheit zu sorgen.

  • Und bei weitem am Wichtigsten: Kriminologische Untersuchungen (wie die von Lott und Mustard) zeigen, daß das Recht gesetzestreuer Bürger, in der Öffentlichkeit Waffen zu tragen, Verbrechen verhindert,
  • Diese Autoren haben Daten aus 3054 counties in den Vereinigten Staaten von 1977 bis 1992 analysiert. Das Ergebnis war, daß nach Einführung der Freiheit, Waffen zu tragen, die Zahl der Morde um 7,65 Prozent abnahm, die der Vergewaltigungen um 5,2 Prozent, die der Überfälle um 2,2 Prozent und die des schweren Raubs um 7 Prozent.

    Keine sehr großen Prozentsätze. Aber wenn man das in absolute Zahlen umrechnet, dann hätte eine Erlaubnis für gesetzestreue Bürger, in der Öffentlichkeit Waffen zu tragen, in den Staaten, die das nicht hatten, 1414 Morde, 177 Vergewaltigungen, 11898 Raubdelikte und 60363 Fälle von schwerem Raub verhindert.



    Wie das in der Kriminologie üblich ist, haben Lott und Mustard ihre Daten varianzanalytisch aufgearbeitet. Also die Wirkungen andere Variablen wie Änderungen in der Bevölkerungsstruktur, Einkommen, Alter und Rasse usw. auspartialisiert.

    Das ist trivial für jeden Wissenschaftler; aber Journalisten und andere Laien glauben ja oft, auf dieser Ebene Kritik üben zu dürfen.



    Mit das Ärgerlichste an der linken Dominanz in Deutschland ist, daß Linke sich - egal, worum es geht - ihrer Wissenschaftlichkeit brüsten und uns Liberale und Konservative als ideologiebelastet hinzustellen versuchen.

    Nur ist halt das Gegenteil der Fall. Sehr oft findet man, daß die angeblich so fundierten linken Meinungen sich mehr der Ideologie als der Wissenschaft verdanken.

    Und sehr oft - sicher nicht immer - sind es wir Liberale und Konservative, die die besseren wissenschaftlichen Argumente auf unserer Seite haben.

    Nur muß sich das halt erst herumsprechen.

    20. April 2007

    Die Versendungsbedingungen der Deutschen Post und eine transplantierte Briefmarke. Eine wahre Geschichte

    Eine Kundin der Deutschen Post will einen Brief verschicken. Einen etwas dickeren Brief, also wiegt sie ihn auf ihrer sehr genauen Briefwaage und ermittelt ein Gewicht von 48 Gramm. Da sie eine sorgsame Kundin der Deutschen Post ist, besitzt sie auch eine offizielle Tabelle, der zu entnehmen ist, was die Beförderung eines Briefs durch die Deutsche Post kostet.

    Bis zu 50 Gramm sind das 90 Cent. Also klebt sie zwei schöne 45- Cent- Marken ("150 Jahre Tölzer Leonhardi-Fahrt") auf den Brief und geht zum Postschalter, wo sie noch anderes zu erledigen hat. Um den Brief gleich dort abzugeben.

    Aber die Freimachung ist unzureichend, belehrt sie der Schalterbeamte. Denn der Brief wiegt zwar weniger als 50 Gramm, ist aber kein Brief im Standardformat. Sondern er hat das Format DIN A 4.

    Die Kundin, die einen Sinn für Sparsamkeit und für Skurriles hat, nimmt den Brief mit nach Hause, entnimmt seinen Inhalt und tut ihn in einen Umschlag mit dem Standard- Briefformat.

    Dann schneidet sie die beiden Briefmarken großräumig aus dem alten Umschlag heraus und klebt sie auf den neuen Umschlag.

    Da sie nämlich einen Sinn für juristische Feinheiten und, wie gesagt, Skurriles hat, kennt sie ein Gerichtsurteil, wonach die Deutsche Post solche ausgeschnittenen und auf einen neuen Umschlag geklebten Briefmarken hinnehmen muß; natürlich nur, wenn sie noch heil und ungestempelt sind.

    Die Kundin wirft den Brief, auf dem nun also der Schnipsel mit der sozusagen transplantierten Briefmarke klebt, in einen Briefkasten.

    Vier Tage später hat sie ihn wieder. Versehen mit einem gelben Zettel, auf dem steht:
    Zurück an den Absender, weil an dem zu entrichtenden Entgelt 90 Ct fehlen. (...) Einzelheiten über unsere Versendungsbedingungen erfahren Sie bei ihrer Filiale. Oder rufen Sie unseren Kundenservice an. (...) 0,06 EUR je Anruf im Festnetz.
    Sechs Cent, das erscheint der Kundin kein unangenmessener Preis für die Aufklärung des Falls zu sein. Da sie einen Sinn für Hartnäckigkeit und, wie gesagt, Skurriles hat, ruft sie dort an.

    Die dortige Sachbearbeiterin überlegt und ist zunächst ratlos. Aber dann dämmert es ihr; vielleicht guckt sie auch in ihren Unterlagen nach, das hört man ja nicht: Ja, die Deutsche Post akzeptiere ein Postwertzeichen, das auf die geschilderte Art auf einen neuen Brief gelangt sei. Aber über die dabei zu beachtenden Einzelheiten gebe es eine Vorschrift:

    Der Kunde muß mit dem ersten Umschlag, nennen wir ihn den Umschlag A, bei einer Zweigstelle der Deutschen Post erscheinen. Sowie mit dem zweiten Umschlag, dem Umschlag B. Dann muß er durch Augenschein nachweisen, daß dort, wo die Briefmarke saß, jetzt ein Loch im Umschlag A ist. Und daß das Stück vom Umschlag A, das nun samt der Briefmarke auf dem Umschlag B klebt, in seinem Umriß identisch ist mit der Form des Lochs in A.



    So jedenfalls hat die Kundin das verstanden, was ihr die Sachbearbeiterin erläuterte.



    So weit mag die Geschichte niemanden überraschen, der Kunde der Deutschen Post ist und also ein realistisches Bild von ihr hat.

    Jetzt aber kommt etwas Erstaunliches: Für das, was ihr, der Kundin widerfahren war, hat ihr die Sachbearbeiterin von der Deutschen Post eine Entschädigung versprochen!

    Demnächst, so hat es die Sachbearbeiterin angekündigt, erhält die Kundin - meine Frau übrigens - von der Deutschen Post Briefmarken zum Geschenk.

    Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Dolchstoß gegen Ségolène Royal

    Ségolène Royal ist eine auch in der eigenen Partei wenig geliebte Kandidatin.

    Sie hatte sich gegen zwei Partei- Elefanten durchgesetzt, gegen Laurent Fabius, den Mann des Apparats, der schon Vorsitzender der Partei war und Premier. Und gegen Dominique Strauss- Kahn, einen Sozialdemokraten (was keineswegs alle in der PS sind; überwiegend sind das Sozialisten). Strauss- Kahn war ein sehr erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzminister unter Jospin gewesen.

    Gegen diese beiden Schwergewichte - und damit zugleich die beiden Hauptströmungen in der PS - hat sich Royal durchgesetzt, die in dieser Partei zuvor hauptsächlich als Lebensgefährtin des Vorsitzenden Hollande eine gewisse Bekanntheit genossen hatte. Sie hat sich aus einem einzigen Grund gegen diese beiden behauptet: Weil sie plötzlich ungeheuer populär geworden war und man ihr am ehesten einen Wahlsieg zutraute.

    Sie ist also aus demselben Grund Kandidatin geworden wie bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen John Kerry. Auch bei ihm hatten die Umfragen signalisiert, daß er am ehesten Bush würde schlagen können.



    Eh bien, c'est fini. Durch einen Patzer nach dem anderen hat Royal ihre Beliebtheit geradezu systematisch zerstört. Auch in der Sozialistischen Partei hoben sich die Augenbrauen, runzelte man die Stirn.

    Nach einer heute veröffentlichten Umfrage von Opinionways beurteilen 63 Prozent der Franzosen den Wahlkampf von Ségolène Royal als schlecht. Sie liegt damit noch hinter Le Pen (43 Prozent schlecht, 56 Prozent gut). Dagegen fanden 63 Prozent den Wahlkampf von Sarkozy gut, und sogar 74 den von Bayrou.

    Ein gewinnendes Lächeln und ein spröder Charme allein tun es offenbar nicht. Nun ist Ségolène Royal aber halt einmal die Kandidatin der Sozialisten. Und da in Frankreich die meisten Wähler sich noch immer als entweder links oder rechts sehen, liegt sie seit vielen Wochen stabil an zweiter Stelle in den Umfragen; nur ganz kurz, Mitte März, konnte Bayrou einmal an sie herankommen.



    Es schien also alles gelaufen zu sein; und so habe ich das vor zwei Wochen auch geschrieben. Sarkozy vorn, Royal auf Platz zwei im ersten Wahlgang; Sarkozy der eindeutige Sieger im zweiten.

    In den letzten Tagen ist aber etwas geschehen, was die Wahlen doch noch spannend macht: Gegen Royal wurde aus der Linken heraus der Dolch gezückt. Linke Strategen haben sich offenbar überlegt, daß der Spatz in der Hand besser ist als die Taube auf dem Dach.

    Und dieser Spatz heißt - wenn man mir den Kalauer verzeiht - François Bayrou. Der frühere Premierminister Michel Rocard und der frühere Gesundheitsminister Bernard Kouchner, beide vom sozialdemokratischen Flügel der PS, haben eine Allianz mit Bayrou vorgeschlagen. Dritter im Bunde ist kein anderer als Daniel Cohn-Bendit, der seine Grünen gern in eine solche Allianz einbringen möchte.

    Und Mitte dieser Woche nun wurde etwas bekannt, was in Frankreich eines der wichtigsten politischen Ereignisse überhaupt ist: François Bayrou à diné avec Michel Rocard. Bayrou hat mit Rocard gespeist, und er selbst hat das der Presse mitgeteilt.

    Das Signal ist deutlich: Rocard bedeutet mit diesem tête-à-tête den Wählern der Sozialisten, daß ein Präsident Bayrou immer noch ungleich besser wäre als ein Präsident Sarkozy; wenn denn die Lage für Royal aussichtslos geworden ist. Jean-Pierre Chevènement, ein Sozialist jakobinischer Prägung, der Royal unterstützt, hat denn auch sarkastisch gefragt, welches Linsengericht den Rocard wohl zusammen mit Bayrou genossen habe.

    Einen Präsidenten Bayrou können die Franzosen nur bekommen, wenn ein Teil der Sozialisten zähneknirschend Bayrou wählen, statt zähneknirschend Royal. Liegt Bayrou im ersten Wahlgang vor Royal, dann schlägt er im zweiten sehr wahrscheinlich auch Sarkozy.



    Die Frage ist jetzt natürlich, wieviele sozialistische Wähler auf Rocard und Kouchner hören; und wieviele Grüne den Wink von Cohn-Bendit befolgen, nicht die eigene Kandidatin Voynet zu wählen, sondern Bayrou.

    Vielleicht brauchen manche auch gar nicht den Rat dieser Strategen. Eben läuft in LCP eine Diskussion, an der auch der stellvertretende Leiter des Umfrage- Instituts CSA, Jean- Daniel Lévy, teilnimmt. Er hat auf die Rückwirkung von Umfrage- Ergebnisse auf die Wahlentscheidung des strategisch denkenden Teils der Wähler - also intelligenter Wechselwähler - hingewiesen.

    Vor fünf Jahren signalisierten alle Umfragen, daß Chirac und Jospin den zweiten Wahlgang erreichen würden. Also konnten sich viele Wähler der Linken den Luxus leisten, im ersten Wahlgang einen linksextremen Exoten zu wählen; als kleiner Schuß vor den Bug der Sozialisten. Die Folge war bekanntlich, daß Jospin gar nicht erst in den zweiten Wahlgang kam.

    Diesmal könnten die Umfrage- Ergebnisse zum zweiten Wahlgang kritisch sein. Sie besagen durchweg seit Wochen, daß Royal gegen Sarkozy verlieren würde, daß Bayrou ihn aber schlagen kann.

    Das könnte - ganz unabhängig von dem, was Strategen wie Rocard sagen - für viele denkende Linke ein Grund sein, schon im ersten Wahlgang Bayrou zu wählen.

    Spannend ist es jedenfalls durch den Dolchstoß in den Rücken von Ségolène Royal unerwarteterweise jetzt doch noch geworden.

    19. April 2007

    Geschichtswissenschaft, Zeitgeschichte, der Fall Filbinger: Ein paar nachdenkliche Nach-Gedanken

    Der Fall Oettinger ist so schnell zu Ende gegangen, wie er plötzlich begonnen hatte. Oettinger ist zur Strecke gebracht. Die Waidmänner können die Jagd abblasen. Hase tot. Jagd vorbei. Halali.

    Jetzt ist es, denke ich, an der Zeit, sich ein wenig mit den Hintergründen solcher "Fälle" zu befassen.

    Den sozialpsychologischen und politischen Hintergrund, nämlich den - so meine Hypothese - Befreiungsschlag einer in den vergangenen Jahren in die Defensive geratenen Linken, was die moralische Meinungsdominanz angeht, habe ich hier zu skizzieren versucht.

    Jetzt soll es, wie angekündigt, um die sachlichen Fragen gehen, die in dem Fall im Hintergrund standen, und die zu diskutieren sich lohnt.

    Einiges habe ich in Kommentaren in anderen Blogs dazu geschrieben, zum Beispiel bei meinen Freunden von FdoG und WMD. Mit dem jetzigen Beitrag will ich den Blick darauf richten, daß der Fall Filbinger/ Oettinger ja auch etwas mit Wissenschaft zu tun hat: Mit Geschichtsschreibung; genauer mit Zeitgeschichte.



    Geschichtsschreibung ist lange keine Wissenschaft gewesen.

    Nichts lag den älteren Historikern ferner als das Bemühen um wissenschaftliche Objektivität und Genauigkeit.

    Man schrieb in bestimmten Absichten. Herodot und Xenophon beschrieben aus griechischer Sicht den Kampf der Griechen gegen die Perser; Caesar schrieb über den Gallischen Krieg, um seine militärischen Erfolge für den politischen Kampf im rechten Licht erscheinen zu lassen.

    Gewiß versuchte Herodot so etwas wie Quellenkritik. Aber da ging es doch darum, zwischen verschiedenen Varianten einer Geschichte zu entscheiden. Das stand im Dienst der politischen, auch der künstlerischen Absicht.



    Daß der Historiker seine eigenen Interessen, seine politischen Überzeugungen, die Sichtweise seiner Zeit so weit zurückzustellen hat, wie das jeder Wissenschaftler tun muß, ist eine Erkenntnis, die sich erst im szientistischen 19. Jahrhundert durchsetzte. Sich freilich nicht durchweg durchsetzte; Treitschke war ein Gegenbeispiel.

    Aber Leopold von Rankes Forderung, zu schreiben, "wie es eigentlich gewesen ist", wurde doch als Postulat akzeptiert.

    Rückschlage gab es dann, das ist wahr; die schändliche Verfälschung der Geschichte durch die Nazis und die Kommunisten war ein solcher Rückschritt, wie ja überhaupt der Totalitarismus des Zwanzigsten Jahrhunderts ein fürchterlicher zivilisatorischer Rückfall gewesen ist.



    Nun hat es der Historiker mit der wissenschaftlichen Objektivität freilich schwerer als der Physiker oder, sagen wir, der Neurobiologe. Einen "rückwärtsgewandten Propheten" hat ihn Friedrich Schlegel genannt.

    In der Tat: Geschichte schreiben heißt, Lücken zu füllen. Man hat ja das Vergangene nicht in allen seinen Facetten zur Verfügung. Sondern man hat mehr oder weniger vollständige Quellen, Indizien, Dokumente, Artefakte. Aus denen sucht man zu rekonstruieren, wie es "eigentlich gewesen" ist.

    Und dabei kommt natürlich die eigene Weltsicht, kommen die eigenen Vorurteile und politischen Überzeugungen des Historikers ihm in die Quere. Er muß bei seinem Versuch der Rekonstruktion mit denjenigen kognitiven Strukturen arbeiten, die ihm nun einmal zur Verfügung stehen.

    Geschichte schreiben - das ist, wenn es ein wissenschaftlich ernsthaftes Unternehmen ist, der ständige Kampf gegen die eigene Subjektivität des Historikers.

    Dann jedenfalls, wenn er ein guter, ein wissenschaftlich arbeitender Historiker ist. Wenn er die Geschichte nicht als einen Steinbruch mißbraucht, aus dem er die Quader für das entnimmt, was er zum Behuf seiner eigenen Interessen, oder derjeniger seiner Partei, seiner Weltanschauung zu konstruieren trachtet.

    Wenn er sich nicht gar prostituiert, wie die marxistischen Historiker, die jedes Streben nach Objektivität haben fahren lassen; weil ja jede Erkenntnis eh Ausdruck von Klasseninteresse sei.

    Die großen Historiker haben gezeigt, daß Objektivität in erstaunlichem Maß möglich ist; Gibbons "Decline and Fall of the Roman Empire" und Rankes "Römische Geschichte" sind große Beispiele für eine Geschichtsschreibung, die sich strikt an ihren Gegenstand hält. Beide wunderbar zu lesen, noch dazu; Dokumente einer unglaublichen Gelehrsamkeit.



    Ich nähere mich jetzt allmählich wieder dem Fall Filbinger. Der nämlich zeigt paradigmatisch, wie schwer objektive Geschichtsschreibung sein kann.

    Sie ist immer dann besonders schwer, wenn es um Zeitgeschichte geht. Das war das Handicap Xenophons und Caesars: Daß sie von Selbsterlebtem schrieben; also von dem, worin sie ihre eigenen Interessen investiert hatten. Auch Herodot schrieb über die Perser im Kontext der anhaltenden Auseinandersetzung der Griechen mit den Persern.

    Zeitgeschichte zu schreiben geht im Grenzfall in politische Schriftstellerei, im schlimmsten Fall in politische Polemik über. Oft ist das auch gar nicht anders möglich. Angesichts der himmelschreienden Verbrechen der Nazis konnte man nach 1945 nicht gut sine ira et studio über sie schreiben; man konnte es auch nicht über Stalin, Mao, Pol Pot, nachdem deren Verbrechen offenbar geworden waren.

    Das ist eine Frage des Erlebenshorizonts. Wahrscheinlich ist der kühle Blick des Historikers erst nach ungefähr hundert Jahren möglich - das heißt, wenn Historiker heranwachsen, deren Eltern nicht nur, sondern auch deren Groß- und Urgroßeltern nicht mehr Zeitzeugen gewesen sind. Arno Schmidt hat Ähnliches einmal in Bezug auf Oppermanns "Hundert Jahre" erörtert.



    Die Frage, ob Filbinger "ein Nazi" war, wirft viele Teil- Fragen auf. Spricht man vom 22jährigen Filbinger, der einen dummen Aufsatz schrieb? Oder vom über Dreißigjährigen, der als Militärrichter urteilen mußte? Meint man seine Gesinnung, oder spricht man von seiner Anpassung an die Diktatur, in der er nun einmal lebte? Auf welche Aussagen, Dokumente, Handlungen stützt man sich?

    Für den objektiven, sine ira et studio forschenden Historiker tun sich da, wie man leicht erkennt, zahllose Schwierigkeiten, Probleme des Operationalisierens, des Verifizierens auf.

    Mir ist das deutlich geworden, als ich im Geist die entsprechende Frage in Bezug auf Kommunisten in der DDR durchgespielt habe:Wer war in der DDR ein "Kommunist"?

    Derjenige, der von der Richtigkeit des Marxismus- Leninismus als "einzige wissenschaftliche Weltanschauung" überzeugt war? Das dürfte, jedenfalls in der letzten Phase der DDR, eine kleine Minderheit nicht nur der Bürger gewesen sein, sondern auch der Nomenklatura.

    War in der DDR jeder "Kommunist", der der SED oder einer ihrer Blockparteien angehörte? Oder einer der zahllosen gesellschaftlichen Organisationen; sagen wir, der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft? Dann gab es in der DDR viele Millionen Kommunisten; sicherlich die Mehrzahl der Bevölkerung.

    Oder war jeder ein Kommunist, der sich mit diesem Staat arrangiert hatte? Der sich dem "Aufbau des Sozialismus" zumindest nicht aktiv widersetzte? Dann waren die Befürworter einer "Kirche im Sozialismus", Leute wie Stolpe, Kommunisten. Dann waren 90, vielleicht 95 oder 98 Prozent der DDR-Bevölkerung Kommunisten.



    Und wer war ein "Gegner des Kommunismus"? Jeder, der lieber in der Bundesrepublik gelebt hätte, als in der DDR? Das dürfte, wie das Jahr 1989 zeigte, die große Mehrheit der Bevölkerung gewesen sein.

    Oder wer sich der Mitgliedschaft in allen Organisationen der Kommunisten verweigerte? Dann war nur eine kleine Minderheit Gegner des Kommunismus. Angela Merkel gehörte dann nicht dazu.

    Oder wer sich weigerte, in einer Einrichtung dieses Staats zu arbeiten? Dann war beispielsweise Wolfgang Thierse kein Gegner des Kommunismus, der Mitarbeiter in einem DDR- Ministerium gewesen war, wenn auch nur einige Jahre.

    Oder war nur Gegner des Kommunismus, wer aktiv gegen ihn gearbeitet, sich also der Gefahr einer Verhaftung, einer langjährigen Gefängnisstrafe ausgesetzt hat? Dann waren es vielleicht ein paar Tausend von siebzehn Millionen, die Gegner des Kommunismus waren, in der DDR.



    Ich kannte zu DDR-Zeiten einen Kollegen, der "Reisekader" war, also in den Westen zu Konferenzen reisen, sogar Gastprofessuren wahrnehmen durfte. Natürlich war er Mitglied der SED; sonst hätte er das niemals gedurft.

    Er hat mir damals erzählt, wie er auf jeder seiner Reisen ohne Unterbrechung beobachtet wurde; etliche Agenten von Markus Wolf waren ihm offenbar immer auf den Fersen. Er war kein Marxist, aber er hielt viel von der Idee des Sozialismus; in gewisser Weise war er ein überzeugter, wenn auch sehr kritischer DDR-Bürger. War er Kommunist?

    Mein Patenonkel war Soldat im Zweiten Weltkrieg und, wie Filbinger, Jurist. Er wurde aber nicht als Militärrichter verwendet, sondern als schlichter Gefreiter. Er war als Student Mitglied der NSDAP geworden.

    Als Soldat sagte er seine Meinung über die Nazis so unverblümt, daß er nur knapp dem Kriegsgericht entging. Ich habe in seinem Nachlaß Briefe gefunden, in denen er damals mit geradezu tollkühner Leichtfertigkeit - seine Briefe hätten ja abgefangen werden können - vernichtend über die Nazis urteilte.

    Aber er war Mitglied der NSDAP; er hatte bei Carl Schmitt promoviert. War er Nazi?



    Also, wenn man objektiv zu sein versucht, dann sind das alles sehr schwierige Fragen.

    Aber es ist ja nicht die raison d'être von Politikern, objektiv zu sein.

    Natürlich gibt es einen Handlungskontext, in dem man sich nicht die Blässe des Gedankens leisten kann. Man fragt sich dann, wie vermutlich Angela Merkel, nicht, ob Oettinger mit seiner Charakterisierung von Filbinger im Recht oder im Unrecht gewesen war, sondern welche politische Wirkung seine Trauerrede hatte und noch weiter haben konnte.

    Wer unter den Nazis, wer unter den Kommunisten gelitten hat, wessen Verwandte vielleicht von den Nazis ermordet wurden, dem wird man keine Objektivität abverlangen können.

    Nur - und das ist jetzt meine subjektive Bemerkung zum Objektiven: Ich selbst lebe nun einmal in einer beruflichen, aber auch persönlichen Welt, in der es mir darum geht, ob etwas wahr ist oder falsch.

    Und ich schreibe deshalb einen Blog, statt mich aktiv politisch zu betätigen, weil ich mir diese um Objektivität bemühte, diese sich nicht an der Wirkung orientierende Sichtweise erlauben möchte.