20. Februar 2018

Die Hand am Regler: Ein Blick über den Kanal

Ach Albion, Du hast es besser! Hier regiert  noch der common sense! Das Volk holt sich unbeeinflusst von verräterischen Eliten aus Politik und Lügenpresse sein Land aus den Fängen der EUdssr zurück, gegen die orientalischen Invasoren hat man eigenhändig einen Kanal gebuddelt und der Strom kommt aus brandneuen Kernkraftwerken, denn kein Land auf der Welt ist so dumm wie die Deutschen mit Merkels Energiewende. 

Nun habe ich es ja aufgegeben, irgendjemanden zu überzeugen, dass die Energiewende nicht Merkels Idee war, aber zumindest mit dem überall beklagten Sonderweg möchte ich es noch einmal versuchen.

Der Auslöser war ein Artikel in der ZEIT, der den Kohleausstieg auf der Insel, der bis 2025 vollendet sein soll, etwas neidisch beäugt. Und tatsächlich, im Gegensatz zu Deutschland sinkt der Anteil der Kohleverstromung durch ein UK-eigenes, ziemlich giftiges Zertifikatssystem seit Jahren stetig, mit gerade einmal noch 14 GW installierter Leistung, von denen weitere vier in diesem Jahr abgeschaltet werden, und 3% der Produktion. Der Erzeugungsanteil an Erneuerbaren liegt aktuell bei ca. 30%, für den Rest sorgen ca. 42% Gas und 25% Kernkraft. 

Apropos Kernkraft: Ich habe nie verstanden, warum die Kernkraft in Deutschland so eine hohe Symbolwirkung hat - sowohl bei Befürwortern als auch bei Gegnern der Energiewende, und das Vereinigte Königreich ist ein gutes Beispiel dafür. Hier stimmt die common sense-These wirklich, denn die Briten gehen recht unaufgeregt damit um. Und das, obwohl sie mit Sellafield bereits 1957 einen der schwersten bisherigen Atomunfälle im eigenen Land gehabt haben (INES-Stufe 5, vergleichbar mit Three Mile Island). Aussteigen werden sie über kurz oder lang mit größter Wahrscheinlichkeit trotzdem, und zwar aus rein wirtschaftlichen Gründen.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie z. B. EIKE unter heftigem Jubel der seinerzeit liberalen Blogosphäre die "Renaissance der Kernkraft verkündete, als die Regierung Cameron beschloss, den Block C im Kernkraftwerk Hinkley Point zu bauen. Da war was los, das kleine gallische britische Dorf briet kochte schon die Wildsau in Pfefferminzsauce. Jetzt ist Deutschland endgültig isoliert, hieß es. Ein paar Jahre später stellt das Kraftwerk den Berliner Flughafen als Subventionsruine (übrigens auch in Frankreich, weil Macron dem Auftragnehmer EDF auch tüchtig unter die Arme greift) bereits locker in den Schatten, und die garantierte Einspeisevergütung von 92,50 GBP/MWh liegt über der von Onshore-Wind im UK. Aber gut, sollte der Hobel irgendwann ans Netz gehen (was auch noch spannend wird, weil der Regulierer ausgerechnet beim Netzanschluss Kosten sparen will, so dass National Grid gar keine Lust hat, da eine Strippe zu ziehen), ist er zumindest CO2-neutral und grundlastfähig. Wenn nicht - wofür momentan alles spricht - hat die Epoche der Kernkraft im UK gerade mal 12 Jahre länger gedauert als in Deutschland.

Ansonsten ist die britische Energiewende mit ähnlichen Kosten und Schwierigkeiten verbunden wie die deutsche, und die Rezepte sind vergleichbar. Was die Versorgungssicherheit angeht, hat man sich gleich ohne viel Federlesens für die sozialistischste aller Möglichkeiten in Form eines Kapazitätsmarkts entschieden, wofür der Stromkunde eine saftige Abgabe zahlt. Der Anteil an Steuern und Abgaben auf eine Kilowattstunde Haushaltsstrom beträgt ebenfalls deutlich über die Hälfte, signifikanter Unterschied zu Deutschland ist lediglich die ebenfalls saftige Subventionsabgabe für Gaskraftwerke, die aber in Deutschland, wenn die etwas verschleiernd benannten "besonderen netztechnischen Betriebsmittel" gebaut sind, vermutlich einfach auf die Netzentgelte aufgeschlagen wird. Warum ist aber der Haushaltsstrompreis dann im UK so viel niedriger als bei uns? Die Antwort ist simpel: Weil der Chancellor of the Exchequer es sich verkniffen hat, die Hand auf den Regler zu legen und sich für Stromverbrauch bis zu 1000 kWh/Monat (also Haushalte und kleine Firmen) nur 5% Mehrwertsteuer genehmigt.

Aber während die Haushalte sparen, belastet der Strompreis die energieintensiven Betriebe. Um das in England sowieso seit Jahrzehnten gebeutelte produzierende Gewerbe nicht ganz vor die Hunde gehen zu lassen, hat man jetzt beschlossen, diese von den Renewable Obligation Certificates (vom Verwendungszweck vergleichbar unserer EEG-Umlage, auch wenn das System ganz anders funktioniert) zu befreien. Man sieht also, auch die Diskussion um die Finanzierung der Energiewende ist haargenau gleich. Die britische Energiewende hat zwar ein paar Fehler weniger gemacht (z. B. hat sie im Gegensatz zu Deutschland tatsächlich den Treibhausgasausstoß massiv gesenkt, um den Preis der Abhängigkeit von Gasimporten), aber sie ist ebenfalls sündhaft teuer und belastet damit Privat- und Gewerbekunden.

Bleibt also nur noch die Frage, ob der Brexit irgendwas ändern wird. Danach sieht es nicht aus, denn z. B. der britische Kohleausstieg ist kein reines EU-Thema, sondern findet seinen Platz innerhalb der Power Past Coal Alliance, die federführend von UK und Canada gegründet wurde. Und zwar deutlich nach dem Brexit-Votum.

Wer also gemeint hat, dass ein Land, in dem das Sprichwort "Eulen nach Athen tragen" mit carry coals to Newcastle übersetzt wird, weniger "besoffen" (Zettel) von der Energiewende ist, hat sich offensichtlich getäuscht. Aber wahrscheinlich kommt es darauf gar nicht so sehr an...
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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Wind turbines. Von Anonymous unter CC BY-SA 2.0 lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.