27. Juni 2017

"Orgien! Wir wollen Orgien!"

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Was waren es noch für geruhsame, nachgerade spießige Zeiten, damals, auf der anderen Seite des "großen Teichs" zu den Hochzeiten der Gültigkeit des Volstead Acts von 1919, gemeinhin als Prohibition geläufig, als der Staatsfeind Nr. 1 noch Al Capone hieß statt, je nach dem Gusto der Berichterstatter, Donald Trump oder Vladimir Putin, und als ein Schriftsteller die Diagnose eines von Korruption und Verbrechen metastasierend zerfressenen Gemeinwesens noch an folgender Symptomatik festmachen konnte:

I first heard Personville called Poisonville by a red-haired mucker named Hickey Dewey in the Big Ship in Butte. He also called his shirt a shoit. I didn't think anything of what he had done to the city's name. Later I heard men who could manage their r's give it the same pronunciation. I still didn't see anything in it but the meaningless sort of humor that used to make richardsnary the thieves' word for dictionary. A few years later I went to Personville and learned better.

[...] I rode up to the Great Western Hotel, dumped my bags, and went out to look at the city.

The first policeman I saw needed a shave. The second had a couple of buttons off his shabby uniform. The third stood in the center of the city's main intersection--Broadway and Union Street--directing traffic, with a cigar in one corner of his mouth. After that I stopped checking them up. (Chapter 1, "A Woman in Green and a Man in Gray")


Zum ersten Mal hörte ich die Verdrehung von Personville zu Poisonville von einem irischen Macker im "Dickschiff" in Butte, der seinen Gürtel auch einen Götel nannte. Ich dachte mir nichts dabei. Später dann kam mir das Gleiche auch bei Leuten unter, die das R nicht verschluckten, und ordnete das als die Art von hirnlosem Humor ein, der aus einem Professor einen Brotfresser macht. Ein paar Jahre später kam ich dann selbst nach Personville und wurde eines Besseres belehrt. ... Ich fuhr zum Great Western Hotel, checkte mein Gepäck ein und sah mir die Stadt an.

Der erste Polizist, den ich entdeckte, hatte einen Dreitagebart. Dem zweiten fehlten ein paar Knöpfe an seiner schäbigen Uniform. Nummer Drei regelte mitten auf der Kreuzung der beiden Hauptstraßen - Broadway und Union Street - den Verkehr und kaute auf einer Zigarre. Danach gab ichs auf.

Der Roman ist der erste von Dashiell Hammett, Red Harvest, 1928, ein Jahr vor dem Malteser Falken erschienen; die Handlung spielt im amerikanischen Westen, genauer: in Kalifornien, der Zeitraum sind die späten Roaring Twenties kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise (der erste Teil des Magazinabdrucks erschien im legendären Pulp-Magazin Black Mask im November 1927), und beim Ich-Erzähler handelt es sich noch nicht um den Urtyp des Detektivs des Noir, Sam Spade, sondern wie bei den gut 20 vorausgegangenen Erzählungen um den namenlosen "Continental Op", einen Pflastertreter im Dienst einer ebenso gesichtslosen Kriminalbehörde, in der Hammett seine Erfahrungen aus seiner Tätigkeit für die Pinkerton-Agentur ein paar Jahre zuvor verarbeitete. Und ja: Hammett hatte einen schweren Impetus gegen die traditionell rothaarigen Bewohner der Grünen Insel: er buchte den Kriegseintritt der USA in den Ersten Weltkrieg auf ihr Sündenkonto, weil sie sich - zumindest nach seiner Auslegung - den Konskriptionen auf englischer Seite durch den Osteraufstand von 1916 entzogen hatten - danach hatte das "Perfide Albion" auf das Risiko verzichtet, sich auf rebellische irische Rekruten verlassen zu müssen, was wiederum den Druck auf den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson erhöhte, mit eigenen Landeskindern Entsatz zu leisten.(Der deutsche Übersetzer der Bluternte macht übrigens aus Poisonville "Peaceville", das bei ihm zu, halten zu Gnaden, Pissville mutiert; was ihm die analoge Vernuschelung von "Fusel" zu "Fussel" ermöglicht.)

Aber um aus der besonnten Vergangenheit, als der "Mob", die Akteure des organisierten Verbrechens, zumeist peinlich darauf achteten, ihre Käufer nicht zu Opfern werden zu lassen, sondern sich auf lästige Konkurrenten, Abtrünnige, Klein- und Großstadtpolitiker und Vertreter der Justiz beschränkten, in die Gegenwart zu überblenden: mittlerweile sind auch die Symptome der Inflation unterlegen, wie es sich für eine zünftige spätrömische Dekadenz gehört, und aus drei "Polypen" wurden drei Hundertschaften.

Unter der Headline "Hamburg schickt Berliner Partypolizisten nach Hause!" berichtet die Berliner Zeitung heute aus dem Umfeld der Vorbereitungen zum Hamburger G20-Wirtschaftsgipfel für den 7. und 8. Juli, jener Sause im Jahresreigen der Weltführerschafts-Eitelkeiten, der den widerporstigen Hanseaten von Frau Merkel als Retourkutsche für die Ablehnung der Olympischen Spiele durch die Bürgerschaft ins Nest beziehungsweise ins Schanzenviertel gelegt wurde:

Es ist einer der größten Polizeiskandale der vergangenen Jahre! Drei Berliner Einsatzhundertschaften sind von der Hamburger Polizei aus der Hansestadt verwiesen worden. Grund: ungebührliches Verhalten! ... Die 14., die 15. sowie die 32. Einsatzhundertschaft waren seit Sonntag im Vorfeld des G20-Treffens in Hamburg im Einsatz. Eigentlich sollten die Beamten am kommenden Mittwoch zurück nach Berlin verlegt werden – doch die Einsatzführungskommando in Hamburg hatte entschieden, dass die Polizisten bereits am Montagabend aus dem Einsatz entlassen werden. Das bestätigte ein Polizeisprecher der B.Z. am Dienstagmorgen auf Nachfrage.
Die Berliner Polizisten waren in einem Containerdorf untergebracht. Dort sollen Wachschützer beobachtet haben, wie ein Polizisten-Pärchen in aller Öffentlichkeit Sex an einem Zaun hatte. Zudem sollen die Beamten nach einer lautstarken Party gemeinsam in einer Reihe an einem Zaun uriniert haben. Außerdem soll eine Kollegin nur in einem Bademantel mit einer Waffe in der Hand auf einem Tisch getanzt haben.
Anscheinend war die fröhliche Truppe schon vorher auffällig geworden:

Offenbar hatten die Hamburger bereits mit einem ungebührlichen Verhalten der Berliner Einsatzkräfte gerechnet. Laut B.Z.-Informationen sind Berliner Polizisten schon in der Vergangenheit durch exzessives Feiern aufgefallen. Deshalb habe man bewusst eine ehemalige Asylbewerberheim-Unterkunft für sie ausgesucht und den Ordnerdienst angewiesen, jeden Verstoß zu dokumentieren. Angeblich wurde sogar verschlossene Räume begangen, kontrolliert und fotografiert. 

Was freilich die Frage aufwirft, wieso man solche unsicheren Kantonisten zu einer nicht ganz unrepräsentativen Aufgabe heranzieht. Schließlich handelt es sich um den Schutz der Spitzenpolitiker der zwanzig größten Wirtschaftsmächte; wie immer man die Sinnhaftigkeit solcher Treffen einordnet: die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist garantiert. Man stelle sich kurz vor, Donald Trumps Prätorianergarde hätte rund ums Weiße Haus solche Scharaden aufgeführt: Die Dankbarkeit der Medienmeute hätte die nach oben offene Öchsleskala locker gesprengt. Bei den Hamburger SPONtifexen erfährt man (der Ortsnähe geschuldet?) weitere Details.

Bilder der Unterkunft wiederum zeigen eine feiernde Menge zwischen Wohncontainern, einzelne Beamte recken grölend ihre Arme in die Luft. Auch scheinen die Berliner Polizisten mehrere Wasserpfeifen in die Unterkunft mitgebracht zu haben. Fotos, die offenbar am Morgen nach der Feier entstanden sind, dokumentieren die Intensität der Party: Stühle wurden zu Haufen aufgetürmt, Flaschen, Dosen und Müll liegen zwischen den Unterkünften.
Der Protokollant verkneift sich angesichts der Erwähnung von Shishas voreilige Rückschlüsse auf die Akteure der lebensbejahenden Ausgelassenheit à la berlinoise. Statt dessen denkt er an jenes Panel aus Astérix chez les Helvètes, in der drei wachhabende römische Soldaten, von Uderzo im Zustand absoluter Derangiertheit konterfeit, ihrem konsternierten Centurio erklären: "Wir hatten eine kleine Orgie in der Wachstube..." Und er bedauert, daß dem geneigten pp. Publico nun die Chance einer angemessenen Belustigung vorenthalten bleibt: Polizistinnen im Evaskostüm, als Wonder Women mit der Wumme wedelnd, oder eine handfeste Illustration dessen, was sich immer deutlicher als Lebensmotto der Berliner Republik herauskristallisiert: Make love, not war. Damit auch jedem Zuschauer, vom Eismeer bis zu den Steppen Zentralasiens, deutlich werde, woran sie mit den Deutschen im Zeichen des 21. Jahrhunderts sind. Getreu der alten apokryphen Berliner Volksweise:

Zu Berlin, auf die Brandenburg,
Treibens ärger noch als wie die Turk.
Fressen, saufen sehr,
Huren noch viel mehr:
Allda bei Schnaps und Weißbiere!



Ulrich Elkmann


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