10. Mai 2016

Die Panama Papers: vom Scoop zur Ente?

Manchmal muß man sich als unbedarfter, doch gleichwohl interessierter Beobachter ganz schön festkrallen auf seiner Nußschale, um in den Stromschnellen medialer Vergänglichkeit nicht schiffbrüchig zu werden. In jedem Fall empfiehlt es sich, um nicht die Orientierung zu verlieren, stets nach vorne zu schauen, und vielleicht ist das ja auch der Sinn heutiger medialer Fließgeschwindigkeit: bloß nicht zurückschauen, bloß nicht die Nachricht von gestern oder vorgestern erneut betrachten und ggf. einer kritischen Revision unterziehen...
Was machen eigentlich die "Panama Papers"?
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Als die ersten Berichte dazu vor fünf Wochen in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden, kam ich nicht umhin, beeindruckt zu sein; so viele Superlative waren der Berichterstattung zu entnehmen und verleiteten mich zu der Vermutung daß wir ehrfürchtig der größten Exklusivveröffentlichung seit den Hitlertagebüchern beiwohnen, wobei man dem Vizesturmgeschütz der deutschen Demokratie freilich nicht das Schicksal dieser Mutter aller Lügenpressevorwürfe gönnen möchte. 

Gleichwohl: mehr als 2,6 Terabyte Daten, der Süddeutschen vor über einem Jahr zugespielt, die die Rohdaten, u. a. mit Hilfe von Geheimdienstsoftware und im Benehmen mit einem internationalen Konsortium von Investigativjournalisten ein Jahr lang ausgewertet hat: das macht zweifellos Eindruck. Der Informant, man nennt ihn John Doe (natürlich, Deepthroat ist schließlich bereits vergeben und für heutige Maas-Stäbe vermutlich auch zu pornographisch), habe diese Daten unter Einsatz seines Lebens und unter Brechung diverser Gesetze der Presse zugespielt; freilich ausschließlich um der Gerechtigkeit dienlich zu sein; weshalb sollte man so etwas auch sonst tun? 

Apropos Instrumentalisierung: die Süddeutsche hatte sich zunächst geweigert, die Rohdaten den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen, weil man sich nicht zur Hilfskraft der Justiz habe machen wollen. Daß man sich damit notwendigerweise, sofern die Unterlagen dergleichen hergeben, zur Hilfskraft von Kriminellen machte, schien bei dieser Entscheidung keine Rolle zu spielen. Oder muß man etwa fürchten, daß die Unterlagen viel heiße Luft enthalten? Wie auch immer, inzwischen hat man sich, ohne nähere Begründung, doch entschieden, Hilfskraft für erstere sein zu wollen. 

Die Informationen, die seit der Erstveröffentlichung transportiert wurden, schienen von Anfang an dünn, und wurden gleichwohl scheibchenweise, getreu einer journalistischen Salamitaktik, veröffentlicht, durch die jedoch nicht der Eindruck einer zünftigen, bißfesten Salami, sondern eher der eines hauchfeinen Carpaccios entstanden ist. Und folgerichtig ist das Thema nach wenigen Wochen bereits weitgehend aus den Medien verschwunden.

Bisher, das kann man wohl sagen, kam aus deutscher Sicht nicht viel heraus;  auch international scheint sich vor allem zu bestätigen, daß korrupte Potentaten sich tatsächlich wie korrupte Potentaten verhalten und Drogenbosse in der Regel ihr Geld nicht ordentlich versteuern. Vorwürfe gegenüber Putin beeilte sich dieser als haltlos zu bezeichnen, und, um einmal deutlich zu machen, was unter haltlosen Vorwürfen wirklich zu verstehen sei, äußerte er sogleich den besonders haltlosen Vorwurf, die Süddeutsche gehöre Goldman Sachs, was sein Sprecher Tags darauf als satirische Überspitzung im Rahmen russischer Kunstfreiheit berichtigte; wohl in letzter Sekunde, denn dem Vernehmen nach war Recip Erdogan bereits im Begriff, sich in der Sache einzuschalten. 

In der Präambel der Veröffentlichung zu den Offshorekonten betont die Süddeutsche, daß es sowohl legal als auch legitim sein kann, sein Geld unter Verschleierung der Identität (richtiger: unter Wahrung der eigenen Anonymität) im Ausland zu parken, und der Pressekodex fordert die Wahrung der Unschuldsvermutung. Es hat jedoch eine erhebliche psychologische Wirkung, wenn man als legitimer und legaler Kunde medial im gleichen Atemzug genannt wird wie russische Autokraten, pakistanische Korruptheiten oder mexikanische Drogenbosse. Vermutlich ist genau das aber der Sinn der Veröffentlichung.

So hat die geballte investigativjournalistische Nuklearmacht, die seit einem Jahr die Panama Papers auswertet, bislang aus deutscher Sicht vor allem den Namen Nico Rosberg hervorgebracht, für dessen Fall jedoch noch nicht einmal kriminelles Handeln auch nur in Frage steht, sondern lediglich ein Verstoß gegen firmeninterne Transparenzregeln von Mercedes Benz. 

Mein Gott, in was für einer Bananenrepublik leben wir eigentlich?


Andreas Döding

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