22. Januar 2010

Zitate des Tages: Der Islam der Necla Kelek und die Ressentiments des Claudius Seidl

Necla Kelek besteht auf der kategorischen Unterscheidung zwischen dem, was der Westen unter Religion versteht, und dem Islam, der eben mehr sei, nicht bloß ein Glaube, ein Bekenntnis, sondern ein System mit totalitärem Anspruch, welches Unterwerfung fordere, von jedem Einzelnen wie von der ganzen Gesellschaft; eine Ideologie, mit der Kompromisse wie die Trennung von Kirche und Staat und die Freiheit eines jeden, zu glauben, was er wolle, leider nicht möglich seien: Der Terror und der sogenannte Ehrenmord, die Unterdrückung der Frau und der Hass auf alle Ungläubigen, das seien nicht etwa Auswüchse, sondern nur besonders unangenehme Merkmale des Islams.

Der Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (F.A.S), Claudius Seidl, in der F.A.S. vom 10. 1. 2010 darüber, wie die Autorin und Menschenrechtlerin Necla Kelek zum Islam stehe; Überschrift des Artikels: "Kritiker des Islam - unsere heiligen Krieger".


Wir Muslime haben in diesem Land unter diesen Bedingungen eine große Chance, uns mit erfahrenen Streitern darüber auszutauschen, wie Religion und Freiheit in einer modernen Gesellschaft gelebt werden können. Und wir können es hier, im Gegensatz zur islamischen Welt, ohne Angst tun. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen. Ja, es geht mir um die Reform des Islam und darum, dass sich Muslime von politischen Ideologien lösen, säkularisieren und sich auf die spirituelle Kraft der Religion besinnen.

Necla Kelek in der heutigen FAZ in ihrer Erwiderung auf Seidl.


Kommentar: Der Vergleich der beiden Zitate zeigt, daß Seidl der von ihm kritisierten Necal Kelek etwas unterstellt, das diese ausdrücklich nicht vertritt: Die Auffassung, der Islam sei seinem Wesen nach "ein System mit totalitären Ansprüchen" und folglich nicht reformierbar.

Kelek schreibt - und natürlich nicht erst jetzt, in dieser Erwiderung, sondern seit Jahren - das genaue Gegenteil: Sie bekennt sich ausdrücklich zum Islam als ihrer eigenen Religion; und sie möchte diese Religion so reformiert sehen, daß sie mit den universellen Werten der Aufklärung vereinbar wird.

Wie ist es möglich, daß ein Journalist - immerhin nicht irgendeiner, sondern der Feuilletonchef einer angesehenen Zeitung - eine Autorin, die er kritisiert, so eklatant, um nicht zu sagen: so skandalös mißversteht?

Ich fürchte, der Unsinn hat Methode. Denn Seidls Kritik an Kelek ist in Wahrheit eine Selbstkritik des Westens, des Abendlandes, des Christentums. Seidl verurteilt den Versuch, den Islam in die Aufklärung zu führen, weil er ihn als ein Stück geistigen Kolonialismus versteht.

Das Thema des Artikels ist der Islam. Aber dieses Thema gerät Seidl alsbald zu einer Anklage gegen das Christentum und die westliche Kultur:
Wann ging dann der Dschihad des Westens zu Ende? Mit der fast vollständigen Ausrottung der Ureinwohner Nordamerikas? Oder mit den letzten Zuckungen des Kolonialismus, der sich ja auch dadurch legitimierte, dass er die Bekehrung und Zivilisierung der Heiden als Ziel vorgab? (...)

Schwerer wiegt schon die Forderung, der Islam solle sich gefälligst endlich selbst aufklären; solle seinen Anspruch auf die Scharia und das Supremat über den Staat aufgeben und die universalen Menschen- und Freiheitsrechte anerkennen. Das klingt einerseits vernünftig - und übersieht doch, dass die Aufklärung und Säkularisation des christlichen Abendlandes nicht im Vatikan beschlossen und in den Bistümern und Gemeinden exekutiert wurde, sondern dass dieser Prozess fast tausend Jahre dauerte und dass der Weg dahin gesäumt war mit Scheiterhaufen und Bannflüchen, der heiligen Inquisition und Ketzerprozessen, deren Urteile erst im 20. Jahrhundert aufgehoben wurden.
Was eigentlich die Argumentation ist, bleibt in dieser Passage dunkel. Denn selbst wenn - eine kühne Behauptung des studierten Theaterwissenschaftlers, Politologen und Volkswirts Seidl - der Prozeß der Aufklärung im Abendland "fast tausend Jahre" gedauert hätte, ist das doch erkennbar kein Argument dafür, daß er nun im Islam genauso lang dauern sollte.

Besonders rational ist das nicht argumentiert; aber verständlich wird es, wenn man es als Ausdruck eines Ressentiments ansieht. Des Ressentiments, das viele europäische und amerikanische Intellektuelle gegen die eigene Kultur, gegen die christliche Religion, gegen unsere abendländische Geschichte hegen. Das sie damit auch gegen die Aufklärung hegen, zu der sie zwar ein Lippenbekenntnis ablegen, deren Verbreitung, auch und gerade in den Islam hinein, sie aber keineswegs befürworten wollen.

Igitt, das wäre ja wieder die Arroganz des Weißen Mannes.



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