30. November 2008

Gedanken zu Frankreich (28): Am deutschen Wesen soll jetzt Frankreich genesen. "Die Linke" bekommt einen französischen Franchise-Partner

Es gibt Politiker, für die ihr Land zu klein ist. Oskar Lafontaine ist so einer. Als Saarländer ohnehin dem Welschen verbunden, leistet er jetzt Geburtshilfe für einen französischen Ableger von "Die Linke".

Gut, "Ableger" ist vielleicht zu hart. Sagen wir, einen Franchise- Partner. Die neue Partei heißt, wie anders, Parti de Gauche (Linkspartei) und wurde gestern in Anwesenheit von Oskar Lafontaine feierlich gegründet.

Oskars französische Dépendance hat auch schon eine WebSite, auf der die Berichterstattung über den Gründungsparteitag freilich noch etwas mager ausfällt. Aber schon für kommenden Mittwoch werden dazu Videos angekündigt. Vorerst gibt es Bilder.



Will sich die deutsche "Linke", will sich speziell Oskar Lafontaine damit am Ende von den französischen Kommunisten trennen, deren treue Bruderpartei man doch bisher innerhalb der "Europäischen Linken" ist?

Keineswegs. Das Ziel des Parteigründers Jean-Luc Mélenchon, der die französische Sozialistische Partei so verlassen hat, wie Oskar Lafontaine einst die SPD, lautet "changer la gauche, affronter la droite et ouvrir une alternative au capitalisme"; die Linke verändern, die Rechte bekämpfen und eine Alternative zum Kapitalismus eröffnen.

Dazu soll ein Front Commun dienen, eine gemeinsame Front, die Mélenchon bereits am 18. November angekündigt hat - Seit' an Seit' mit der Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Frankreichs, Marie- George Buffet.

Wie Mélenchon auch noch mitteilte, hat er Kontakt zum Führer der größten französischen trotzkistischen Bewegung, Olivier Besancenot, aufgenommen, der allerdings seinerseits gern eine kommunistische Einheitsfront gründen möchte, den Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA), die Neue Antikapitalistische Partei.

Auch für einen Dialog mit dem linksnationalen Mouvement Républicain et Citoyen (MRC) und mit den linksextremen Bewegungen Lutte Ouvrière und Parti Ouvrier Indépendant ist Mélenchon offen.

Und damit man auch ja nicht auf die Idee kommt, daß diese neue französische Linkspartei etwa nicht kommunistisch sei, gibt es schon auf der im Aufbau befindlichen WebSite eine Frage und eine Antwort zu diesem Thema.

Die Frage: "Ne craignez-vous pas d'aggraver l'émiettement à gauche?", ob man nicht fürchte, die Zersplitterung der Linken zu verschlimmern. Die Anwort:
Au contraire. Le Parti de Gauche sera un militant infatigable de l'union des gauches. Pour les prochaines élections européennes, nous proposons ainsi un front rassemblant toutes les forces de gauche qui veulent une autre Europe démocratique et sociale en rupture avec le traité de Lisbonne.

Im Gegenteil. Die Linkspartei wird unermüdlich für die Union der Linken kämpfen. Für die kommenden Europawahlen schlagen wir demgemäß eine Front vor, die alle Kräfte der Linken vereint, welche ein anderes, demokratisches und soziales Europa wollen, das mit dem Vertrag von Lissabon bricht.



Die erfolgreiche Strategie der deutschen Kommunisten wird zum Exportmodell. Man nennt sich nicht mehr Kommunisten. Man spricht nicht mehr von der Errichtung des Sozialismus, von der Diktatur des Proletariats. Sondern man ist - das war schon die Stamokap- Linie der DKP in den siebziger Jahren - nur gegen den Kapitalismus. Oder, Variante Light, gegen dessen Auswüchse.

Zu Stamokap- Zeiten nannte man dies das "breite antimonopolistische Bündnis". Die Stamokap- Strategie war in der DDR ausgearbeitet worden; sie wirkte massiv in die westdeutsche Linke hinein, bis weit in die SPD.

Wer Ohren hat zu hören, der wird aus dieser Formel das unveränderte Programm der Einführung des Sozialismus heraushören. Aber viele werden das nicht. Sie sehen in diesen neuen "Linksparteien" nur die Sachwalter des Kleinen Mannes. Man darf die Menschen nicht überfordern, so hat es mir einmal ein DKP-Mann erklärt. Man muß sie abholen und langsam an den Sozialismus heranführen.

Bei aller Tarnung stellen sich allerdings zwei Fragen in Bezug auf die französische Linkspartei.

Erstens war bisher in der "Europäischen Linken" immer nur eine einzige kommunistische Partei eines Landes Mitglied; andere konnten den Status von Beobachtern haben, wie zum Beispiel die deutsche DKP. Solange die Parti de Gauche nicht mit der PCF vereint ist (was angesichts der stolzen Tradition der PCF vielleicht nicht ganz einfach sein wird), stellt sich die Frage, wer die französischen Kommunisten demnächst auf der europäischen Ebene repräsentieren soll.

Die andere Frage ist, wie Besancenot reagieren wird. Er ist der inzwischen unangefochtene Anführer der französischen Extremen Linken (Extrème Gauche), die trotzkistisch geprägt ist. Wird er sich der kommunistischen Einheitsfront anschließen, oder siegen am Ende doch wieder die traditionellen Animositäten zwischen Leninisten und Trotzkisten?



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Kurioses, kurz kommentiert: Gysi und ein bißchen Demokratie

Ein bisschen Demokratie ist okay, aber wir wollen doch im Januar fünf Prozent plus X holen.

Gregor Gysi gestern laut "Spiegel- Online" im hessischen Flörsheim auf dem Parteitag der hessischen Partei "Die Linke".

Kommentar: Dieses Zitat wird man Gysi vermutlich noch lange vorhalten, so wie Hermann Höcherl einst seine Bemerkung, Verfassungsschützer könnten "nicht ständig das Grundgesetz unter dem Arm tragen".

Der bodenständige, oft als schlitzohrig titulierte Bayer hatte sich während der "Spiegel"- Krise einen etwas groben Witz erlaubt. So auch jetzt die Berliner Schnauze Gregor Gysi.

Höcherl freilich lieferte damals der linken Propaganda eine Steilvorlage, die sie gnadenlos ausnutzte. Man tat so, als nehme man seinen Witz wörtlich und führte eine jahrelange Kampagne gegen diesen Mann, der sich angeblich als Feind der Demokratie entlarvt habe.

Er war ein guter Demokrat, der Hermann Höcher. Daran, daß Gysi ein Demokrat ist, kann man hingegen begründete Zweifel haben. Immerhin hat er bis zu dessen Zusammenbruch einem Unrechts- Regime mit allen seinen Kräften gedient.

Aber diese flapsige Bemerkung würde ich nicht als Indiz ansehen.



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Zitate des Tages: Deutschland als Diener dreier Herren. Sprünge über Bord. Was tun gegen die somalischen Piraten?

Die Deutsche Marine bereitet sich einstweilen darauf vor, mit gleich drei Fregatten am Horn von Afrika tätig zu werden. Eine wäre der EU unterstellt, die zweite der Nato, die dritte der Anti- Terror- Operation "Enduring Freedom".

Aus einer Vorausmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche.

Three men who jumped off their ship to escape from Somali pirates in the Gulf of Aden have been identified as the vessel's security guards.

(Drei Männer, die von ihrem Schiff sprangen, um somalischen Piraten im Golf von Aden zu entkommen, sind als die Sicherheitsleute des Schiffs identifiziert worden.)

Aus einer gestrigen Meldung der VOA News.

Kommentar: Zwei Meldungen, beide bezeichnend für die Probleme beim Kampf gegen die somalischen Piraten.

Die Sicherheitsleute flohen von dem unter liberianischer Flagge fahrenden Tanker Biscaglia, den sie hatten bewachen sollen. Sie sind Angestellte der Sicherheitsfirma AntiPiracy Maritime Security Solutions (APMSS) mit Sitz in Großbritannien.

Warum flohen die Männer, statt zu kämpfen? Weil sie gar nicht kämpfen konnten. Sie waren nämlich unbewaffnet.

Ihre Aufgabe hatte laut dem Chef der Firma, Nick Davis, lediglich darin bestanden, großen Lärm zu machen. Da das die Piraten leider nicht abgeschreckt hatte, flohen die drei Helden.

Und zwar nicht vor einer Armada von Piraten, sondern vor gerade mal fünf, die in einem Schnellboot an das Schiff herangefahren waren. Diese waren weniger friedlich gesonnen als die Sicherheitsleute. Sie schossen gemeinerweise auf diese, "even after they had jumped into the water", sogar nachdem sie schon ins Wasser gesprungen waren; so der Sicherheitschef Nick Davis.

Nicht weniger kurios ist die andere Meldung: Wer die Ehre haben darf, gegen die Piraten zu fechten, darüber streiten sich EU, Nato und Uno. Und die Bundesrepublik sitzt als das Weltkind in der Mitten, das offenbar erwägt, dann eben jeder dieser Organisationen je eine Fregatte der Bundesmarine zu offerieren.



Zwei Meldungen, die das illustrieren, was Califax am Freitag in einer ausgezeichneten Analyse dargelegt hat: Die Bekämpfung des somalischen Piratentums ist eine immense Aufgabe, die Gewalt und Blutvergießen verlangen wird; aber auch Bemühungen, in Somalia wieder so etwas wie eine Staatsgewalt herzustellen.

Im Zwanzigsten Jahrhundert galt die Piraterie als nahezu ausgerottet. Mit dem Wort "Pirat" verband man, je nach Generation, Errol Flynn, Dustin Hoffman oder Johnny Depp, aber keine reale Gefahr.

Piraten - das war etwas Historisches, auch etwas Exotisches und Romantisches. Die Piraten der Karibik im 17. und im frühen 18. Jahrhundert gehörten zum Allgemeinwissen; die nordafrikanische Piraterie der "Barbarenküste" im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert war eher Teil des Bildungsguts derer, die mit Voltaires "Candide" oder mit Rossinis "Italienierin in Algiers" vertraut waren.

Ganz verschwunden war das Piratentum zwar nie; aber es war doch zu einer Randerscheinung geworden, existent vor allem noch in Südostasien. Jetzt sind die Piraten zurück; dort, wo es auch uns weh tut, weil die Schiffe bedroht sind, die Güter von und nach Europa transportieren.

Piratentum entsteht dort, wo Staaten korrupt oder schwach sind. Schiffe zu kapern ist einfach; mit der Beute etwas anfangen, ohne daß man bald Beute und Freiheit verliert, wenn nicht das Leben, ist schwer.

Piraterie verlangt sichere Zufluchten. Diese bot die unübersichtliche und umstrittene Karibik; diese boten die korrupten Staaten der Barbarenküste. Heute bieten sie Failed States wie Somalia. Deshalb ist das Piratentum zurück.

Es wird nichts übrig bleiben, als nach der Strategie zu verfahren, die Thomas Jefferson gegen die Piraten der nordafrikanischen Barbarenküste durchgesetzt hat: Nicht den scheinbar bequemen Weg gehen und Lösegeld zahlen; damals gar Tribute. Sondern international zusammenarbeiten und den Piraten mit der einzigen Sprache begegnen, die sie verstehen, der Sprache der Gewalt.



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29. November 2008

Zitat des Tages: "Die Euphorie über Obama könnte sich schnell legen". Bush, Obama, Europa

European leaders have embraced Barack Obama's victory in the 2008 U.S. presidential elections, expecting the beginning of a new, brighter chapter in transatlantic relations. (...) But the initial euphoria about change in the Washington could wear off quickly as Europeans realize that America's overall national interest - remaining the leading economic and military power in the world - will not change and will continue to guide US foreign policy. (...)

If Europe wishes to have a significant impact on world politics, beyond the economic sphere, the Europeans will have to demonstrate that they are ready to play their part. Europe's leaders should get ready for change, including tough demands from a new and self-confident American President, demands which will be more difficult to turn down than in the past.


(Führende europäische Politiker haben Barack Obamas Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2008 begrüßt; sie erwarten den Beginn eines neuen, freundlicheren Kapitels in den transatlantischen Beziehungen. (...) Aber die anfängliche Euphorie über den Wechsel in Washington könnte sich schnell legen, wenn die Europäer merken, daß das allgemeine nationale Interesse der USA - die führende wirtschaftliche und militärische Macht in der Welt zu bleiben - sich nicht ändern wird und auch weiterhin die Außenpolitik der USA bestimmt. (...)

Wenn Europa über die ökonomische Sphäre hinaus einen signifikanten Einfluß auf die Weltpolitik haben will, dann werden die Europäer nachweisen müssen, daß sie bereit sind, ihre Rolle zu spielen. Die Führer Europas sollten bereit zum Wandel sein; dazu gehören harte Forderungen eines neuen und selbstbewußten amerikanischen Präsidenten, Forderungen, die schwerer abzulehnen sein werden als in der Vergangenheit.)

Michael F. Harsch und Calin Trenkov-Wermuth in dem von der Washington Post und Newsweek gemeinsam betriebenen Diskussionsforum PostGlobal.

Kommentar: Es ist mir immer unverständlich gewesen, was europäische Politiker wie Nicolas Sarkozy und Walter Steinmeier sich von einem Präsidenten Obama eigentlich Schönes, Gutes, Positives versprechen, das ihnen bei Präsident Bush fehlte. Wieso sie glauben, er werde in irgendeiner Weise mehr Rücksicht auf europäische Wünsche nehmen als Bush. Sind auch sie, wie die Teenies auf Obamas Wahlveranstaltungen, auf dessen Charisma hereingefallen?

Wenn andererseits diejenigen, die bisher ihre Distanz zu den USA gehalten, die gar von einem selbständigen Machtfaktor Europa geträumt haben, sich jetzt auf einmal in Transatlantiker verwandeln, nur weil Obama so nett guckt und viel schöner reden kann als George W. Bush - recht soll's sein.



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Spiel über die Bande? Der (möglicherweise) komplexe Hintergrund der Anschläge von Mumbai

Terrorismus ist angewandte Psychologie. Durch Anschläge und Geiselnahmen soll Aufmerksamkeit erzeugt, sollen Menschen eingeschüchtert, sollen Entscheidungen beeinflußt, sollen Wut und Haß geschürt werden. Terrorismus ist das Spiel von Zynikern mit den Emotionen von Menschen.

Jeder Anschlag kann alle diese Wirkungen haben, und er kann sie bei zahlreichen Gruppen, in vielen Staaten haben. Das macht es so schwer, Motive und Ziele zu analysieren. Wenn, wie jetzt in Mumbai, noch nicht einmal die Täter bekannt sind, bleibt viel Raum für Spekulationen. Sehr viel Raum.

Gestern habe ich über einen Erklärungsansatz aus einer indisch- israelischen Quelle berichtet, der mir Plausibilität für sich zu haben scheint: Der Hauptadressat ist die indische Öffentlichkeit und die indische Regierung. Das Ziel ist es, die sich seit einiger Zeit abahnende Orientierung Indiens nach Westen hin, seine Zusammenarbeit auch mit Israel zu stören. Deshalb der Angriff auf eine jüdische Einrichtung, das Herausgreifen amerikanischer und britischer Geiseln.

Ich halte das weiter für plausibel. Inzwischen gibt es aber weitere Informationen und Gesichtspunkte, die es möglich erscheinen lassen, daß der Hintergrund der Anschläge noch viel komplexer ist; daß dahinter der Versuch stecken könnte, die ganze labile Situation in der Beziehung zwischen Indien, Pakistan und auch Afganistan zu beeinflussen.

Auf einen dieser möglichen Zusammenhänge hat gestern die Chef- Korrespondentin von CNN, Christiane Amanpour, hingewiesen, die inzwischen aus Mumbai berichtet. Ergänzende, damit übereinstimmende Informationen findet man auch in dem Informationsdienst Stratfor.

Danach ist es ein wesentliches Ziel der Anschläge, die Spannungen zwischen Indien und Pakistan anzuheizen.

Das könnte, so Amanpour, Pakistan zwingen, Truppen vom Kampf gegen die Kaida im Grenzgebiet nach Afghanistan abzuziehen und sie an die Grenze nach Indien zu verlegen. Die Anschläge könnten auf diesem Weg die Kaida von dem Druck durch pakistanische Truppen entlasten, dem sie gegenwärtig ausgesetzt ist.

Zum Zeitpunkt der Anschläge befand sich der pakistanische Außenminister Schah Mehmud Qureschi zu einem Staatsbesuch in Indien. Seit dem Ende der Herrschaft von Musharaf bemüht sich Pakistan um eine Verbesserung der Beziehungen zu Indien. Dieser Prozeß ist durch die Anschläge akut bedroht. Daß man ihn auf beiden Seiten zu retten versucht, geht daraus hervor, daß Qureschi nach den Anschlägen nicht zurückreiste, sondern den Besuch ostentativ fortsetzt.

Der indische Ministerpräsident Manmohan Singh befindet sich, so analysiert es Statfor, in einer Zwickmühle: Schreibt er die Anschläge lokalen Terroristen zu, dann gibt er zu, die Sicherheitslage im Land nicht im Griff zu haben. Schreibt er sie Pakistan zu, dann wird das nicht nur die Spannungen zwischen den beiden Ländern verstärken, sondern Singh würde auch unter einen immensen Druck geraten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Dies wiederum würde Pakistan destabilisiern. Die ganze Region könnte dabei in eine noch labilere Lage geraten als die, in der sie sich ohnehin befindet; zum Nutzen der Kaida.



Wenn diese Analyse stimmt, dann hätte die Kaida - möglicherweise unterstützt durch lokale Islamisten, vielleicht auch durch die Mafia von Mumbai - ein komplexes Spiel über die Bande begonnen. Getroffen werden soll zuerst die indische Regierung, dann die Regierung Pakistans; am Ende soll eine Verbesserung der Operationsbedingungen der Kaida im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan als das eigentliche Ziel der Anschläge stehen.

Warum hat man sich - die Richtigkeit dieser Analyse einmal vorausgesetzt - gerade jetzt zu den Anschlägen entschlossen?

Es hat vergleichbare, durch ein Attentat in Indien ausgelöste Spannungen schon mehrfach gegeben; und stets haben die USA als Vermittler gewirkt und das Schlimmste verhindert. In der jetzigen Übergangs- Situation in Washington ist das nicht im bisherigen Maß möglich. Das dortige gegenwärtige Interregnum könnte ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß die Kaida gerade jetzt zugeschlagen hat.

Wie immer diese Vermutungen zu beurteilen sind - ein Faktum wurde gestern mitgeteilt: Die indische Regierung hat den Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Generalleutnant Achmed Schudscha Pascha, gebeten, zu Gesprächen nach New Delhi zu kommen. Ein Vorgang ohne Präzedenz; bisher galt der ISI in Indien als eine feindliche Organisation, die in Indien nicht nur spioniert, sondern dort auch für Anschläge verantwortlich ist.

Nichts macht es deutlicher als dieser Besuch, daß die Regierungen sowohl in New Delhi als auch in Islamabad die Lage als äußert kritisch beurteilen.



Mit Dank an C.K. Für Kommentare bitte hier klicken.

28. November 2008

Zitat des Tages: "Die Attentäter von Bombay wollen Frieden und Gerechtigkeit"

Les Moudjahidin du Deccan ... demandent que les musulmans d’Inde puissent vivre en paix. (...) On peut donc comprendre ces attaques de Bombay comme ... un appel aux autorités indiennes pour qu’elles fassent justice aux musulmans (...).

(Die Mudschahedin des Deccan ... verlangen, daß die Moslems in Indien in Frieden leben können. (...) Man kann also die Angriffe in Bombay als ... einen Appell an die indischen Behörden verstehen, daß sie den Moslems Gerechtigkeit widerfahren lassen (...).)

Aus einem Interview im gestrigen Nouvel Observateur.

Kommentar: Das Bemerkenswerte an diesem Zitat ist weniger die erstaunliche These, daß diejenigen, die seit zwei Tagen in Mumbai am Werk sind, mit Massenmord und Geiselnahme dafür eintreten, in Frieden leben zu können und Gerechtigkeit zu erfahren.

Das Bemerkenswerte ist vielmehr, wer das gesagt hat. Nicht ein Islamist. Noch nicht einmal ein Moslem. Sondern Christophe Jaffrelot, einer der führenden französischen Politologen.

Jaffrelot ist Direktor des Centre d'études et recherches internationales (CERI), der bedeutendsten französischen Forschungs- Einrichtung für internationale Fragen. Das CERI ist eine Einrichtung des nationalen Forschungs- und Lehrinstituts SciencesPo, in dem die Elite der französischen Politologen ausgebildet wird.



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Terrorismus als angewandte Psychologie: Was soll mit den Anschlägen in Mumbai erreicht werden?

Von militärischen Aktionen unterscheiden sich terroristische Angriffe dadurch, daß sie keine materiellen Ziele verfolgen, sondern psychologische. Der Gegner soll nicht unmittelbar militärisch oder wirtschaftlich geschwächt werden, sondern es soll Schrecken (lat. terror) verbreitet werden. Terrorismus ist angewandte Psychologie.

Die konkreten Absichten können verschieden sein. Es kann zum Beispiel darum gehen, politische, wirtschaftliche und andere Verantwortliche einzuschüchtern und damit gefügig zu machen; das war eines der wesentlichen Ziele des "individuellen Terrors", wie ihn die RAF zu praktizieren versuchte.

Das primäre Ziel kann es auch sein, den Haß zwischen Bevölkerungsgruppen anzustacheln und damit zugleich die Kampfbereitschaft der eigenen Anhänger zu stärken. Das stand oder steht beim Terror der irischen IRA im Vordergrund; bei dem der baskischen ETA, teils auch bei dem der Palästinenser.

Vor allem aber sind die Adressaten des Terrors die Öffentlichkeiten bestimmter Länder oder auch die gesamte Weltöffentlichkeit. Anschläge führen zu Medienberichten, die auf die Themen aufmerksam machen, denen die Terroristen zu mehr Beachtung verhelfen wollen. Über den Hebel der Öffentlichkeit können in demokratischen Ländern Regierungen in ihren Entscheidungen beeinflußt werden.

Beherrschend ist dieses Ziel der Beeinflussung der Öffentlichkeit in asymmetrischen Kriegen wie dem, den die Kaida und andere Dschihadisten gegen den Westen führen. Hier dient der Terror fast ausschließlich dazu, Bilder des Schreckens samt den zugehörigen Kommentaren in die Medien des Feindes zu bringen.

Manchmal haben die Terroristen Glück, und das führt zu sofortigen Demutsgebärden wie dem Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak, nachdem im März 2004 in Madrid gebombt worden war; unmittelbar vor Wahlen, die den Sozialisten der PSOE die Macht brachten.

Der Regelfall ist eher ein allmählicher psychologischer Abnutzungskrieg. Das Medien- Zeitalter hat ihn möglich gemacht.

Aus Vietnam waren die USA nicht deshalb abgezogen, weil sie den Krieg verloren gehabt hätten, sondern weil seine Fortsetzung bis zum Sieg angesichts der Opfer und Kosten der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln gewesen war. Dies war der erste Krieg, der via TV live in die Wohnzimmer gebracht wurde; das erwies sich als der entscheidende strategische Vorteil der Nordvietnamesen.

Daraus haben die heutigen Dschihadisten ihre Lehre gezogen. Sie haben im Irak Geiseln vor laufender Kamera abgeschlachtet, sie haben ihren Terror vor Wahlen in den USA verstärkt, sie haben immer wieder das Internet und die Medien sehr effizient für ihre "Propaganda der Tat" genutzt.

Sie hatten damit einen großen Teil der amerikanischen Öffentlichkeit, sie hatten die gesamte Führung der Demokratischen Partei, sie hatten auch denjenigen, der demnächst Präsident der USA wird, in der ersten Hälfte des Jahres 2007 so weit, daß diese bereit gewesen waren, den Krieg verloren zu geben und den Irak den Dschihadisten zu überlassen. Nur dank der Standfestigkeit von Präsident Bush scheiterte das.



Was und wer steckt hinter den jetzigen Anschlägen in Mumbai? Das ist heute nicht viel klarer als gestern, als ich die wichtigsten Möglichkeiten zusammengestellt habe. Hinzugekommen ist allerdings eine weitere, etwas überraschende Variante: Daß die Mafia von Bombay eine zentrale Rolle gespielt haben könnte. Wenn das so sein sollte, dann wird man ihr freilich eher eine unterstützende Funktion zuordnen. Daß sich in der Unterwelt massenhaft Selbstmord- Attentäter rekrutieren ließen, ist sehr unwahrscheinlich.

"Belastbare" Erkenntnisse über die Täterschaft fehlen heute wie gestern. Die obigen Überlegungen lassen aber doch eine begründete Vermutung zu. Diese trifft sich mit der Einschätzung eines indischen Experten.

In der Jerusalem Post berichet heute Yaakov Lappin über ein Gespräch mit Oberst Behram A. Sahukar, der unter anderem als Spezialist für Sicherheit und Terrorismus am indischen Institute of Defense Studies and Analyses (IDSA) tätig war und der gegenwärtig an der United Service Institution of India forscht.

Wer ist der Adressat der Anschläge von Mumbai?

Diese Stadt ist das New York Indiens. Das Geschäfts- und Hotelviertel, in dem die Anschläge verübt wurden, hat für Inder einen ähnlichen Symbolwert, wie ihn das World Trade Center für die USA hatte.

Daß man sich dieses Ziel ausgesucht hat, läßt vermuten, daß es primär die indische Öffentlichkeit ist, die beeinflußt werden soll, nicht diejenige der USA oder Europas. Den meisten im Westen ist Bombay allenfalls als der Sitz von Bollywood ein Begriff. Für Inder aber symbolisiert diese Stadt ihren Aufstieg zur modernen Industrienation. Anschläge dort treffen das Land ins Mark.

Wenn der Adressat die indische Öffentlichkeit ist - warum dann aber die gezielte Geiselnahme von Amerikanern, Briten und Israelis? Das Interview mit Oberst Sahukar liefert eine mögliche Erklärung:
"There have been growing strategic ties between India and the US ... and growing ties between India and Israel," Sahukar said. Indian- Israeli relations have "been getting stronger by the day," Sahukar noted (...)

Americans, British nationals and Israelis had been singled out in Mumbai as a result "of the closeness of their governments to us," Sahukar explained. The attackers perceive India's close ties with these countries and its partnership in the global war on terror "as a war against true Islam," he added.

"Es bilden sich immer engere strategische Verbindungen zwischen Indien und den USA ... und engere Beziehungen zwischen Indien und Israel", sagte Sahukar. Die Beziehungen zwischen Indien und Israel werden "jeden Tag stärker", bemerkte Sahukar (...).

Amerikaner, Briten und Israelis wurden in Mumbai "wegen der Enge der Beziehungen ihrer Regierungen zu uns" herausgegriffen, erläuterte Sahukar. Die Angreifer würden die engen Bindungen Indiens an diese Länder und dessen Beteiligung als Partner im globalen Krieg gegen den Terror "als Krieg gegen den wahren Islam" sehen, fügte er hinzu.
Wenn Sahukar recht hat, dann würden sich diese Anschläge exakt in das beschriebene Muster psychologischer Kriegsführung durch die Terrroristen fügen: Sie wollen über die indische Öffentlichkeit auf die indische Regierung Druck ausüben mit dem Ziel, daß diese ihren prowestlichen Kurs ändert. So, wie es 2004 in Madrid gelungen ist, freilich mit Hilfe eines Regierungswechsels.

Zugleich sollen - das nannte Sahukar als weiteres Ziel - innerhalb von Indien die Gegensätze zwischen den Hindus und den überwiegend der Unterschicht angehörenden Moslems verstärkt werden; das wäre eine weitere der oben genannten klassischen psychologischen Zielrichtungen eines Terror- Angriffs. Je größer diese Gegensätze werden, desto mehr können die Dschihadisten in Indien auf weitere Anhänger und Sympathisanten, auf neue Mitglieder rechnen.



Wer hat die Anschläge geplant und ausgeführt? Es muß nicht unbedingt eine einzige Organisation sein. Von der Waffenbeschaffung und der taktischen Planung über das Training der Terroristen bis zur genauen Ortskenntnis verlangen solche Anschläge das Wissen und die Fähigkeiten zahlreicher "Spezialisten" auf lokaler wie auf überregionaler Ebene. Aus diesem Grund waren zum Beispiel schon in den siebziger Jahren internationale Terroristen an der Zusammenarbeit mit der RAF interessiert.

In dem Interview spricht Sahukar von einer möglichen "coalition of home- grown Indian jihadi sleeper cells and Pakistan- based radical elements", einer Koalition zwischen einheimischen Zellen von "Schläfern" und Extremisten, die ihre Basen in Pakistan haben.

Als Indiz für die Beteiligung der Letzteren sieht er es, an daß die Terroristen mit Landungsbooten (die vermutlich von einem Mutterschiff abgesetzt worden waren) in Mumbai an Land gegangen waren. Auch sei die Koordination einer so umfangreichen Aktion nur einer großen Organisation zuzutrauen.

Als eine möglicherweise ebenfalls beteiligte Gruppe nennt Sahukar die "Jaish e Muhammad"- Gruppe von Omar Sheikh und Maulana Mazood Azhar. Das würde - wenn es zutrifft - die Verbindung zwischen den jetzigen Anschlägen und dem Krieg im Irak herstellen und auch auf die übereinstimmende psychologische Strategie verweisen.

Omar Sheik nämlich war der Mann, der im Jahr 2002 im Irak den jüdischen amerikanischen Journalisten Daniel Pearl vor laufender Kamera bestialisch abschlachtete; ein besonders brutaler Versuch der psychologischen Beeinflussung der amerikanischen Öffentlichkeit.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.

27. November 2008

Marginalie: Neue Fronten im Irak. Nicht Schiiten gegen Sunniten, sondern Demokraten gegen Extremisten

Im Dezember 2006 erschien im Blog "Iraq the Model" ein Kommentar, der mir damals Anlaß zu einem Artikel gegeben hat. Es ging um die politischen Fronten im Irak.

In "Iraq the Model" hatte der Autor Omar die These vertreten, daß die Probleme des Irak erst dann überwunden werden könnten, wenn die Gemäßigten beider Konfessionen sich aus ihren Allianzen mit den jeweiligen Extremisten befreien würden. Ich habe damals daran einige allgemeine Überlegung über den Umgang von Demokraten mit Extremisten geknüpft; vor allem über die Notwendigkeit, daß Demokraten dem Versuch von Extremisten widerstehen, sie in eine Solidarität mit ihnen zu zwingen.

Omar sah seinerzeit bereits Anzeichen für eine solche Entwicklung und trat dafür ein, daß die USA dies fördern sollten. Das ist inzwischen die Politik der USA geworden. Sie unterstützen den schiitischen Ministerpräsidenten Maliki gegen die radikalen Schiiten von Sadr. Sie sind zugleich aber auch Bündnisse mit gemäßigten Sunniten eingegangen; gegen die extremistischen Sunniten, die Verbindungen zur Kaida haben. Das war die Grundlage des erfolgreichen Surge.

Diese Politik hat sich jetzt wieder einmal ausgezahlt. Heute hat das irakische Parlament das Sicherheits- Abkommen mit den USA verabschiedet. Ebenso wichtig wie die Billigung des Abkommens als solche ist die Koalition, die sich in dieser Abstimmung zusammengefunden hat.

Dafür gestimmt haben die schiitische "Vereinigte Irakische Allianz" und die "Kurdische Allianz", die beiden großen Regierungsparteien. Dies hätte bereits für eine Parlamentsmehrheit gereicht. Aber man wollte auch die gemäßigten Sunniten der "Irakischen Verständigungs- Front" (Iraqi Accord Front) mit ins Boot holen und hat ihnen Zugeständnisse gemacht, so daß auch sie zustimmen konnten.

Abgelehnt haben den Vertrag nur noch die extremistischen Schiiten Sadrs. Und natürlich lehnen ihn die sunnitischen Extremisten ab, die gar nicht im Parlament sind, sondern im Untergrund.

Was vor zwei Jahren Omar in seinem Blog als notwendig beschrieben hat, ist jetzt Wirklichkeit geworden. Im Irak kooperieren die Gemäßigten auf beiden Seiten gegen die Extremisten beider Seiten. Und sie kooperieren mit den USA.



Im Augenblick sieht es so aus, als müsse Präsident Bush als ein auf allen Feldern gescheiterter Präsident sein Amt räumen. Zumindest für den Irak ist dieser Eindruck, so zeichnet es sich immer mehr ab, ganz und gar falsch. Auf Bushs Bilanz werde ich demnächst innerhalb der Serie "Von Bush zu Obama" eingehen.



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Die Anschläge in Mumbai - Fakten und Spekulationen

Die Anschläge in Mumbai sind, was die psychologische Wirkung angeht, die schlimmsten seit 9/11. Zwar liegt die Zahl der Opfer weitaus niedriger als damals. (Die Bezirksregierung von Maharascha, deren Sprecher Bhushan Gagrani gegen vier Uhr MEZ eine Erklärung abgab, nannte 84 Tote und ungefähr 200 Verletzte; andere Schätzungen liegen höher). Aber wie 2001 in New York trafen die Anschläge eine Nation in ihr Zentrum. Mumbai, das früher Bombay (ungefähr 19 Millionen Einwohner) ist das New York Indiens.

Die Fakten, so wie sie sich am frühen Morgen darstellen:
  • Anders als z.B. "Spiegel- Online" im Augenblick behauptet, gab es nicht "Angriffe auf Luxushotels, Krankenhäuser, Cafes und einen Bahnhof". Attackiert wurden zwei Hotels (das Taj Mahal Palace und das Oberoi Trident), ein Bahnhof (die Chhatrapati Shivaji Railway Station), ein Restaurant (Leopold's Café), wahrscheinlich eine Polizeistation, möglicherweise ein Kino und ein Krankenhaus (das Cama Hospital für Kinder und Frauen).

    Außerdem wurden Menschen an verschiedenen Stellen auf offener Straße angegriffen. Der größte derartige Vorfall bestand darin, daß Terroristen ein Polizeifahrzeug eroberten und aus ihm heraus auf eine Gruppe von Journalisten feuerten, die sich zur Berichterstattung über ein vorausgegangenes Attentat versammelt hatten.

  • Alle Angriffsziele liegen im selben Stadtteil, auf einer Landzunge östlich der Back Bay ganz in Süden der Stadt (siehe Karte). Es gibt die Vermutung, daß ein Teil der (insgesamt vermutlich mehreren hundert) Terroristen über See eingedrungen sein könnten.

  • Die Angriffe richteten sich zumindest teilweise gegen Amerikaner und Briten. Nach ihnen suchten die Terroristen offenbar gezielt bei der Geiselnahme in den beiden Hotels. In CNN berichtete ein junger Mann, daß seine Eltern verschont geblieben waren, nachdem sich herausstellte, daß sie Moslems waren. Israel ist besorgt über das Schicksal von Juden, darunter der Familie eines Rabbiners.

  • In den Hotels spielten sich nach Augenzeugen- Berichten dramatische Szenen ab. Gäste versuchten sich in ihren Zimmern zu verbarrikadieren. Mit einem von ihnen führte CNN ein Telefon- Interview. Er schilderte als sein schrecklichstes Erlebnis, wie ein Gast sich über das Fenster zu retten versuchte und nun hilflos am Geländer hing. Was aus ihm wurde, konnte er nicht sagen. Eine Angestellte von CNN, die sich zufällig in dem Hotel aufgehalten hatte, bestätigte den Vorfall.

    Darüber, wieviele Geiseln noch in der Hand von Terroristen sind, ist bis zum frühen Morgen nichts bekannt. In der zitierten Stellungnahme behauptete der Sprecher Bhushan Gagrani, die Sicherheitskräfte hätten "die Lage völlig unter Kontrolle". Aber danach meldete CNN noch Schießereien.

  • Die Stadt Mumbai scheint in einer Art Schockzustand zu sein. Die Schulen bleiben heute geschlossen. Die Börse wird ebenfalls nicht öffnen.
  • Soweit die wichtigsten Fakten. Das meiste andere ist gegenwärtig Spekulation. Die Motive sind ebenso unklar, wie die Organisation unbekannt ist, die hinter den Anschlägen steckt.

    Islamistische Attentate hat es in letzter Zeit in Indien gehäuft gegeben (erst vor sechs Wochen starben dabei in New Delhi zwanzig Menschen), aber nichts von auch nur annähernd diesem Umfang. Die Täter könnten lokale Islamisten sein (eine solche Organisation, die Deccan Mudschaheddin, hat sich als Täter bekannt; was wenig zu sagen hat). Es könnte auch die Kaida sein. Für deren Täterschaft spricht der ausgezeichnet koordinierte Ablauf und die gezielte Auswahl westlicher Opfer.

    Mögliche Motive und Anlässe sind:
  • Es hat kürzlich wieder Cross Border Attacks (grenzüberschreitende Angriffe) pakistanischer und amerikanischer Kräfte auf Taliban- und Kaida- Truppen gegeben.

  • Indien nähert sich im Augenblick den USA an und hat kürzlich mit ihnen ein Nuklear- Abkommen geschlossen.

  • In Kaschmir haben im vergangenen Halbjahr die Spannungen wieder zugenommen.

  • In verschiedenen indischen Staaten finden derzeit Wahlen statt.

  • Als längerfristige Ursache für den erstarkenden Islamismus in Teilen Indiens dürfte die wirtschaftliche Entwicklung des Landes eine Rolle spielen. Die aufstrebende Mittelklasse besteht überwiegend aus Hindus; die Moslems gehören meist den Unterschichten an, die vom gegenwärtigen Aufstieg Indiens noch wenig profitieren. Dieser Hintergrund ist vor allem dann in Betracht zu ziehen, wenn die Drahtzieher lokale Islamisten sind.

  • Das wohl nächstliegende Motiv, falls die Kaida der Urheber ist, dürfte der bevorstehende Wechsel der Regierung in Washington sein. Mit Präsident Bush geht der Kaida ein optimales Feindbild verloren. Sie hat ein Interesse daran, schon jetzt den künftigen Präsidenten Obama zu testen, um zu entscheiden, ob sie ihre bisherige Strategie beibehalten oder ändern soll. Das gilt nicht nur für den Irak, sondern für alle Operationsgebiete der Terroristen.
  • Reagiert Obama in den nächsten Tagen - vorerst noch verbal - ebenso entschlossen wie bisher Bush, dann dürfte das für die Kaida ein erstes Signal sein, ihre bisherige Strategie fortsetzen, die USA als den großen Satan darzustellen.

    Sollte Obama Schwäche zeigen, dann könnte Osama bin Laden wieder eine Strategie aus der Versenkung holen, mit der er es schon einmal in den Jahren nach dem Anschlag auf das World Trade Center versucht hat; vor allem in einer Botschaft 2004: Den USA anzubieten, man werde sie in Ruhe lassen, sofern sie sich nur aus dem Irak, aus Afghanistan usw. zurückziehen.



    Die Informationen in diesem Artikel verdanke ich den Nachrichtensendern, die die vergangene Nacht über berichteten: Al Jazeera English, der BBC und vor allem CNN, das dank seines indischen Filialsenders CNN-IBN am umfangreichsten informiert hat.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.

    26. November 2008

    Von Bush zu Obama (4): Erst Hillary Clinton, jetzt Robert Gates. Barack Obamas Kabinett der nationalen Einheit

    Hand aufs Herz: Wie hoch hätten Sie vor einem halben Jahr dagegen gewettet, daß ein Präsident Obama ausgerechnet Hillary Clinton zu seiner Außenministerin machen würde und ausgerechnet Robert Gates zu seinem Verteidigungsminister?

    Die Berufung von Robert Gates in dieses Amt wird, so meldet es heute US News and World Report mit Verweis auf zahlreiche Quellen, Anfang kommender Woche bekannt gegeben werden. Die Nominierung von Hillary Clinton steht, so berichtete die New York Times, seit Ende vergangener Woche fest.

    Schwer zu sagen, welche der beiden Wahlen von Obama die Erstaunlichere ist: Die der Rivalin, mit der er sich den vermutlich erbittertsten Vorwahlkampf in der neueren Geschichte der USA geliefert hat? Oder die des Verteidigungsministers von George W. Bush?

    Ausgerechnet des Mannes, der für die Truppenaufstockung - den Surge - im Irak verantwortlich ist. Der diesen Surge zu einem Zeitpunkt zu verantworten hatte, als Barack Obama zusammen mit vielen seiner Parteifreunde den bedingungslosen Abzug der USA aus dem Irak verlangte. Eines Ministers, der gerade einen Vertrag mit dem Irak ausgehandelt hat, der in krassem Gegensatz zu dem nach wie vor nicht widerrufenen Versprechen Obamas steht, die US-Truppen innerhalb von sechzehn Monaten nach seinem Amtsantritt vollständig aus dem Irak abzuziehen.

    Man kann diese Entscheidungen unter das Chamäleonhafte Obamas subsumieren; diese Fähigkeit, die er sein ganzes Leben lang gezeigt hat, sich jeder neuen Lebenslage perfekt anzupassen.

    Als im Juni seine Nominierung feststand, verwandelte sich der Erlöser Obama in den nüchternen Sachpolitiker Obama, der freilich linke Positionen vertrat - Abzug aus dem Irak, Treffen mit Ahmadinedschad, Steuererhöhungen für die Reichen. Jetzt, seit er der President Elect ist, scheint schon die nächste Häutung anzustehen: Obama bewegt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit von links aus hinein in die politische Mitte.

    Dieser Mann entscheidet ohne Emotionen, ohne Rücksicht auf das, was er zuvor gesagt oder vielleicht auch gedacht hatte; er ändert seine Positionen "ohne eine Spur von Scham", wie es Charles Krauthammer rücksichtslos formuliert hat.



    Mutig freilich sind seine Entscheidungen für Gates und für Hillary Clinton. Nicht nur, weil sie viele seiner gutgläubigen Wähler ungläubig gucken lassen dürften. Sondern auch, weil es mit beiden Personen nicht so einfach werden wird. Gehorsame Minister sehen anders aus.

    Über die Probleme, die Obama mit seiner Außenministerin Clinton und die diese Außenministerin mit ihrem Amt bekommen könnte, schrieb gestern Shmuel Rosner in Slate:
    Only a true believer can envision Obama and Clinton making a good team. You have to believe in Obama's ability to control Clinton's independence, believe in Clinton's capacity to execute someone else's policies, believe in the ability of these two rivals to suddenly become close, believe that knowledge and experience are not crucial for the job, believe that the complicated Clinton family drama will not be a problem, believe that policy differences can always be bridged, and believe that it's possible to be both an ambitious politician and an honest-to-God civil servant.

    Nur ein wahrhaft Gläubiger kann sich vorstellen, daß Obama und Clinton ein gutes Team abgeben. Man muß an Obamas Fähigkeit glauben, Clintons Drang zur Unabhängigkeit zu kontrollieren, an Clintons Bereitschaft glauben, die Politik eines anderen auszuführen, an die Fähigkeit dieser beiden Rivalen glauben, plötzlich eng zusammenzuarbeiten, glauben, daß Wissen und Erfahrung für das Amt nicht kritisch sind, glauben, daß das komplizierte Familiendrama der Clintons kein Problem sein wird, glauben, daß politische Gegensätze immer überwunden werden können, und glauben, daß man zugleich eine ambitionierte Politikerin und eine vor Gott pflichtgetreue Staatsdienerin sein kann.
    Rosner erläutert in dem lesenswerten Artikel diese Punkte im Detail und stellt sie in ihren historischen Kontext.

    Der letzte Punkt ist aus meiner Sicht besonders interessant. Anders als in parlamentarischen Systemen wie dem deutschen ist es unter dem amerikanischen Prinzip strikter Gewaltenteilung unüblich, daß jemand zwischen Legislative und Exekutive wechselt.

    Schon gar nicht ist es für einen Amerikaner vorstellbar, daß jemand Minister wird und dennoch zugleich Abgeordneter bleibt - also als Mitglied der Legislative sich selbst als Mitglied der Exekutive kontrolliert; daß er sich selbst als Abgeordneter das Geld bewilligt, das er in seiner Eigenschaft als Minister beantragt.

    Aber nicht nur eine solche Persönlichkeitsspaltung, sondern allein schon der Wechsel von der einen auf die andere Seite paßt nicht ins amerikanische System. Es handelt sich um sozusagen verschiedene Berufsgruppen mit einem unterschiedlichen Anforderungs- Profil: Als Abgeordneter ist man Politiker. Als Minister ist man das nicht, sondern Civil Servant.

    Ich habe das bewußt mit dem etwas altmodischen "Staatsdiener" übersetzt, obwohl man üblicherweise "Beamter" oder "Angehöriger des Öffentlichen Dienstes" sagen würde. Denn nach amerikanischem Verständnis ist der Minister als Civil Servant eben ein Diener und kein Interessenvertreter. Seine Loyalität hat seinem Land zu gelten und nur ihm. Die Tätigkeit für eine Partei ist damit unvereinbar.

    Schon das wird es der bisherigen Senatorin Clinton schwer machen, eine gute Außenministerin zu sein, schreibt Rosner, und weist auf die wenigen früheren Außenminister (Byrnes, Muskie) hin, die ebenfalls aus der Parteipolitik kamen. Hinzu kommt ihre geringe außenpolitische Erfahrung, ihre familiäre Bindung an den Geschäftsmann Bill Clinton, kommen die Querschüsse, die gegen sie aus dem Lager Obamas zu erwarten sind.



    Warum also hat sich Obama ausgerechnet Clinton ausgesucht? Warum ausgerechnet Gates? Man kann da naturgemäß nur spekulieren.

    Seine entstehende Regierung sieht immer mehr aus wie ein "Kabinett der nationalen Einheit". Er will - so scheint es mir - mit der Einbindung Hillary Clintons die Demokratische Partei in ihrer ganzen Breite hinter sich bringen. Er will mit der Übernahme von Bushs Verteidigungsminister seinen Willen zur Kontinuität deutlich machen und die Republikanische Partei, wenigstens in Teilen, hinter sich bringen.

    Es würde mich nicht wundern, wenn er auch noch John McCain irgendwie in seine Regierung holen würde; vielleicht als Special Adviser to the President oder dergleichen.

    Vielleicht ist das nicht falsch als Vorbereitung auf die Krisenjahre, auf die wir zusteuern. Gut möglich, daß Obama inzwischen zu der Überzeugung gekommen ist, daß er schon dann ein erfolgreicher Präsident gewesen sein wird, wenn es den USA in vier Jahren nicht schlechter geht als gegenwärtig.

    Präsident Obama wird, das jedenfalls zeichnet sich schon jetzt ab, kein Neuerer sein, sondern ein Präsident der Kontinuität, vielleicht der Stagnation; der Verteidigung des Bestehenden und nicht des Wandels.

    Oder sagen wir es positiv: Er wird zum Glück wenig von dem einhalten, was er im Wahlkampf versprochen hat.



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    Chávez' Doppelstrategie für Weg in den Sozialismus: An beiden Fronten gibt es Bewegung

    Wo im Zwanzigsten Jahrhundert der Sozialismus siegte, da tat er das auf eine von zwei Weisen: Entweder durch einen Putsch oder durch einen Bürgerkrieg.

    Beides war in der Oktoberrevolution angelegt, wo auf den Putsch der Bürgerkrieg folgte. Nur durch Putsch wurde der Sozialismus in den Ländern Osteuropas nach 1945 eingeführt; nur durch Bürgerkrieg zum Beispiel in China, Vietnam und Cuba.

    Hugo Chávez versucht, unterstützt von intellektuellen Beratern wie dem deutschen Professor Heinz Dieterich (der inzwischen allerdings mit Kritik nicht spart) und dem Briten Paul Cockshott, einen dritten Weg in den Sozialismus zu beschreiten.

    Dessen Kern ist eine Doppelstrategie: Im Inneren ein vorsichtiges Abwürgen der Freiheit; so vorsichtig, daß kein einzelner Schritt im Land selbst zu einem Aufstand führt oder international Empörung auslöst. Salami-Taktik also. Und dies nach außen abgesichert - vor allem gegen eine eventuelle US-Intervention abgesichert - durch eine "strategische Allianz" mit Rußland und mit China.

    Die beiden Fronten sind voneinander abhängig: Nur mit der Rückendeckung Moskaus und Pekings kann Chávez den Weg in den Sozialismus wagen. Und andererseits: Weil er diesen Weg gehen will, ist Venezuela für diese beiden Länder so interessant. Von ihnen begehrt als ein Brückenkopf gegen die USA auf dem südamerikanischen Kontinent.

    An beiden Fronten gab es in den vergangenen Tagen Neues. Es fanden Regional- und Kommunalwahlen statt, die ein weiterer Schritt innerhalb der Salami- Taktik sein sollten; und innerhalb der strategischen Zusammenarbeit mit Rußland erreichte ein russischer Flottenverband Venezuela, wo heute auch Präsident Medwedew eintreffen wird.



    Wissen Sie, wie die Wahlen am vergangenen Sonntag ausgegangen sind? Sie dürften sehr gegensätzliches Wissen haben, je nachdem, welcher deutschen Quelle Sie vertrauen.

    Überschrift und erster Satz der Meldung am Montag im "Deutschlandfunk" lauteten zum Beispiel "Venezuela: Chavez- Partei gewinnt Gouverneurswahlen in den meisten der 22 Bundesstaaten. Bei den Gouverneurswahlen in Venezuela haben sich die Anhänger von Präsident Chavez durchgesetzt".

    Und "Spiegel- Online" titelte bündig: "Chávez entscheidet Regionalwahlen für sich". Hatten Sie hingegen am Montag mehr Vertrauen in die Berichterstattung zum Beispiel der "Welt", dann erfuhren Sie dort: "Schlappe für Hugo Chavez bei Kommunalwahlen".

    Wie man sich denken kann, entstehen solche gegensätzlichen Schlagzeilen, wenn eine Wahl unklar ausgegangen ist. Wenn man also berichten kann, daß das Glas halb voll oder daß es halb leer ist. Den Kern der Sache getroffen hat der "Tagesspiegel": "Chávez verfehlt Ziel der Alleinherrschaft".

    Seinen Plan, am Sonntag einen entscheidenden Schritt in Richtung auf einen Einparteien- Staat zu tun, hat Chávez nicht realisieren können. Wie immer zuverlässig, berichtet in der New York Times deren Venezuela- Korrespondent Simon Romero, was sich bei diesen Wahlen zugetragen hat:

    Chávez Sozialistische Einheitspartei PSUV hat weiter das flache Land fest im Griff. Aber die Städte, die Industriegebiete sind in erstaunlichem Maß zur Opposition übergeschwenkt.

    Die Städte - das sind nicht nur die bürgerlichen, freiheitlich gesonnenen Schichten, die schon immer in Opposition zu Chávez standen. Sondern zunehmend verliert er auch dort an Unterstützung, wo er früher einmal seine treuesten Anhänger hatte: In den Armenvierteln, in den Slums.



    Der Hintergrund ist der beispiellose wirtschaftliche Niedergang Venezuelas, wie ihn Anfang dieses Jahres der Ökonom Francisco Rodríguez analysiert hat. Gerade den Ärmsten geht es keineswegs besser; es gab zum Beispiel 2006 in Venezuela mehr untergewichtige Kleinkinder, mehr Haushalte ohne Anschluß an die Wasserversorgung als im Jahr 1999. Zugleich hat sich die Lage bei den Menschenrechten dramatisch verschlechtert.

    Eine Zeitlang kann eine Regierung eine solche Entwicklung mit Propaganda, mit Versprechungen, mit Druck und Repression auffangen. Irgendwann bricht sich die Unzufriedenheit Bahn.

    Solange das noch möglich ist. Solange also das vorsichtige Abwürgen der Freiheit noch nicht so weit gediehen ist, daß solche Ausbrüche von Unzufriedenheit gar nicht mehr stattfinden können.

    Auch dieser Dritte Weg zum Sozialismus wird irgendwann an dem Punkt ankommen, wo sich die "Machtfrage" stellt, ein Lieblingswort der Kommunisten. Dann wird Chávez das, was in Venezuela jetzt noch an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie übrig ist, bei Strafe des Machtverlusts, des Endes seines Sozialismus, beseitigen müssen. Jedenfalls wird er das versuchen; vielleicht mit Hilfe Cubas, das schon jetzt in Venezuela seine Agenten mit polizeilichen Befugnissen hat.



    Entscheidend wird dann die Unterstützung durch China und Rußland sein.

    Heute trifft Präsident Medwedew zum Auftakt einer Lateinamerika- Reise in Venezuela ein. Zu Gesprächen zwischen zwei "freien, souveränen Ländern, die sich einander annähern", wie Chávez es am Montag genannt hat.

    Angenähert haben sich jedenfalls vier russische Kriegsschiffe der Küste Venezuelas zwecks gemeinsamer Manöver mit der venezolanischen Kriegsmarine.

    Der Zerstörer "Admiral Tschabanenko" liegt in einem Hafen in der Nähe von Caracas am Kai. "Wir werden Kommunikations- Übungen, taktische Manöver, Übungen im Kampf gegen Drogen und Terrorismus durchführen, aber auch Luftabwehr- Übungen mit Suchoi- Jagdflugzeugen" sagte dazu der venezuelanische Vizeadmiral Luis Marquez Marquez.

    Wenn es in Venezuela hart auf hart kommt, dann steht Rußland an der Seite von Chávez; das ist die eine Botschaft dieses militärisch eskortierten Staatsbesuchs.

    Die andere richtet sich an die USA, speziell an deren neuen Präsidenten. Unter der Überschrift "In Sea Exercises, A Sign for Obama" (In den Seemanövern ein Zeichen für Obama) schreibt dazu heute Juan Forero in der Washington Post:
    The arrival of Russian President Dmitry Medvedev and a naval squadron in Venezuela this week is an unequivocal message to President-elect Barack Obama that his most nettlesome challenge in the Americas will be Venezuela's populist government and its oil-fueled crusade against U.S. influence, political analysts say.

    Nach Aussagen politischer Beobachter ist die Ankunft des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und eines Flottenverbands diese Woche in Venezuela eine unmißverständliche Botschaft an den gewählten Präsidenten Barack Obama, daß seine unangenehmste Herausforderung auf dem amerikanischen Kontinent die populistische Regierung Venezuelas und ihr sich aus dem Erdöl speisender Kreuzzug gegen den Einfluß der USA sein wird.
    So ist es wohl. Rußland wird den jungen Mann in Lateinamerika testen, so wie man ihn in Osteuropa testen wird.

    Langfristig geht es aber um mehr: Um die politisch- militärische Rückkehr Rußlands in die westliche Hemisphäre. Um das erstmalige derartige Aufreten Chinas in der westlichen Hemisphäre.

    Und vor allem darum, ob der Dritte Weg von Chávez mit deren Unterstützung zum Erfolg führt; als Vorbild für ganz Lateinamerika, als Hoffnung für den Sozialismus weltweit.




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    25. November 2008

    Wolfgang Clement verläßt die SPD. Ein Kommentar ohne Worte




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    Zitat des Tages: "Obama will die Präsidentschaft Clintons wieder herstellen". Ein Präsident auf höherer Warte.

    The unsurprising moderation of Barack Obama has caught many people by surprise. At this point, he seems intent on restoring a version of the old Clinton presidency. (...) The erstwhile "change" candidate seems intent on vindicating that old French expression: The more things change, the more they remain the same.

    (Die nicht überraschende Bewegung Obamas hin zur Mitte hat viele Leute überrascht. Gegenwärtig scheint er zu beabsichtigen, die alte Präsidentschaft Clintons in einer neuen Variante wieder herzustellen. (...) Der einstige Kandidat des "Change" scheint die Absicht zu haben, die alte französischen Redensart zu rechtfertigen: Je mehr sich etwas ändert, um so mehr bleibt es sich gleich.)

    Richard Cohen in der heutigen Washington Post über Barack Obama.

    Kommentar: Cohen fragt sich in der Kolumne auch, woher denn eigentlich die Schärfe der Auseinandersetzung mit Hillary Clinton im Vorwahlkampf gekommen sei, da die beiden doch offenbar weitgehend dieselben Positionen hätten. Dazu schreibt er:
    Usually, the passion of the campaign is shared by the candidates themselves and, for sure, their staffs. (...) But with Obama, he seemed always to distance himself from the heat of the campaign and to look down at it, as he did with that immense crowd in Berlin, as being of short-term use.

    Üblicherweise teilen die Kandidaten selbst und gewiß auch ihre Teams die Passionen des Wahlkampfs. (...) Aber was Obama angeht - er schien sich immer von der Hitze des Wahlkampfs zu distanzieren und auf diesen herabzublicken, so wie er auf die riesige Menge in Berlin herabblickte. Als auf etwas, das nur vorübergehend von Nutzen ist.
    In der Tat.

    Im Vorwahlkampf hatte Obama den Welterlöser gegeben, hatte er den Mann gespielt, der alles ändern wird, der mit "Washington" aufräumen will. "Yes, we can" - das sollten seine Wähler ihm abnehmen. Gemeinsam könne man den Wandel schaffen, die "Welt heilen".

    Als er diese Rhetorik am selben Tag aufgab und sich zum nüchternen Staatsmann wandelte, an dem er die Nominierung in der Tasche hatte, da wurde mir klar, was dieser Mann ist: Ein politisches Chamäleon.

    Cohen freilich sagt das freundlicher, mit einer fast schon überirdisch sanften Ironie:
    Obama's campaign showed us a candidate of maximum cool. He has always remained ironically detached, and that has served him -- and now us -- very well indeed. It's now clear that he will not govern from the left and not really from the center but, as his campaign suggested, from above it all.

    Obamas Wahlkampf zeigte uns einen maximal coolen Kandidaten. Er blieb immer ironisch abgehoben, und das hat ihm - und jetzt uns - in der Tat sehr gute Dienste geleistet. Es ist jetzt klar, daß er nicht von der Linken und eigentlich auch nicht wirklich von der Mitte aus regieren wird, wie das sein Wahlkampf nahegelegt hatte, sondern von einer höheren Warte aus.
    Fragt sich nur, ob seine Wähler diese Position der Ironie, diese höhere Warte auch erkannt hatten, als sie Barack Obama erst Hillary Clinton und dann John McCain vorzogen.



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    24. November 2008

    Marginalie: Was waren die Ziele der RAF?

    Nun wird Christian Klar also demnächst auf Bewährung entlassen. Dagegen ist nichts zu sagen. Eine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung ist keine Begnadigung. Gnadenwürdig ist Klar nicht; das hat der Bundespräsident entschieden. Aber er wird mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht wieder morden. Das war das Kriterium, an dem das OLG Stuttgart seine Entscheidung zu orientieren hatte.

    Eine der häufigsten Suchanfragen, die in "Zettels Raum" führen, ist "Ziele der RAF". Auch anläßlich der jetzigen Entscheidung wird vermutlich die öffentliche Debatte wieder aufflammen, die sich immer wieder mit den Motiven und den Zielen der RAF beschäftigt hat. Dabei ist da eigentlich nicht viel zu debattieren. Denn ihre Ziele hat die RAF ja selbst offengelegt.

    Sie hat sie ausführlich dargelegt in zwei theoretischen Schriften, zu deren Inhalt ich auf diesen Artikel hier im Blog verweisen möchte. Die Abbildung einer der beiden Schriften finden Sie hier in der Vignette.

    Das Ziel der RAF war es, in Deutschland, in Westeuropa einen Bürgerkrieg zu entfachen, an dessen Ende die kommunistische Revolution stehen sollte. Durch Anschläge sollten harte Reaktionen des Staats provoziert werden, die Empörung auslösen und der RAF neue Kämpfer zuführen würden. Allmählich wollte man zur Kontrolle ganzer Stadtteile usw. übergehen. Das sollte die Keimzelle der Roten Armee in Westeuropa werden.

    Die Gründer der RAF waren Marxisten- Leninisten. Sie orientierten sich mit dieser Strategie an Lenin, den sie sehr genau gelesen hatten, den sie ausführlich zitierten. Spätere "Generationen" der RAF mögen eher kriminelle Desperados gewesen sein.

    Christian Klar war das nicht. Er hat aus seiner kommunistischen Überzeugung nie einen Hehl gemacht. Er hat sie erst im vergangenen Jahr in einem Interview und in einer Grußadresse bekräftigt.

    Nein, er wird jetzt nicht wieder morden. Die Methoden sind gegenwärtig andere. Die Ziele bleiben dieselben.



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    Zettels Meckerecke: Die französische Sozialistische Partei zerfleischt sich. Über den Umgang unter Genossen

    Nirgends im politischen Spektrum verkündet man so laut, so selbstgerecht den Wert der "Solidarität", wie das auf der Linken geschieht.

    Nirgends praktiziert man so ostentativ Umgangsformen, die diesen Wert ausdrücken sollen. Die Pflicht zum Beispiel, einander unter "Genossen" zu duzen, wie sie nach wie vor nicht nur bei den Kommunisten gilt, sondern zum Beispiel auch bei den französischen Sozialisten und den deutschen Sozialdemokraten. Das gemeinsame Absingen von Liedern, als sei man bei den Pfadfindern.

    Das Verhalten der Genossen freilich dementiert nicht selten den Anspruch, der mit derlei Rituellem verknüpft ist.

    Die Geschichte aller kommunistischer Parteien ist eine Geschichte von Genossenkämpfen.

    Kämpfen, die anfangs meist mit dem Tod des Unterlegenen endeten, später mit der Vernichtung von dessen bürgerlicher Existenz. Sofern man dazu die Macht hatte; heute geht es, da es an dieser mangelt, meist zivilisierter zu.

    Im Vergleich damit waren die Sozialdemokraten immer schon zivilisierter. Gerade das unterschied sie ja von den Kommunisten. Sie waren Demokraten, und das spürte man.

    Spürt man es auch heute noch? Zweifel sind begründet.



    Als vier hessische Genossen sich entschlossen, ihrem Gewissen zu folgen und in einer entscheidenden Abstimmung anders zu stimmen als die Mehrheit, da wurde die Entscheidung diese Vier nicht nur kritisch kommentiert. Sondern sie wurden behandelt wie Aussätzige; bis hin zu der Erbärmlichkeit, für die letzte Sitzung der laufenden Legislatur- Periode die Sitzordnung des Hessischen Landags so zu ändern, daß keiner der linientreuen Genossen neben einem der vier Andersdenkenden sitzen mußte.

    Nun gut, das war schäbig. Es war aber ein Klacks gegen das, was sich gegenwärtig in der französischen Schwesterpartei der SPD zuträgt, der Parti Socialiste.

    Als ich in der Nacht zum Samstag über den sich abzeichnenden knappen Ausgang der Wahl zur Vorsitzenden der französischen Parti Socialiste (PS) schrieb, habe ich mit Wahlanfechtungen gerechnet. Wenn eine Wahl derart knapp ausgeht, dann besteht immer die Möglichkeit, daß der ermittelte Unterschied geringer ist als die zu erwartende Fehlerquote. Daß man also nachzählen, daß man die Daten überprüfen muß.

    Auch mit einer harten Gangart zwischen den Anhängern von Ségolène Royal und Martine Aubry hatte ich gerechnet. Denn es ging ja nicht nur um die Entscheidung zwischen zwei Personen. Es ging darum, ob die französischen Sozialisten weiter Arm in Arm mit den Kommunisten auf den Sozialismus hinarbeiten wollen, oder ob sie als eine linke Reformpartei das Bündnis mit den Liberalen von François Bayrou anstreben.

    Aber das, was sich jetzt in Frankreich abspielt - das habe ich nicht erwartet.



    Wenn eine Entscheidung derart knapp ausgeht, daß das Ergebnis - Dagny hat in "Zettels kleinem Zimmer" darauf aufmerksam gemacht und die erforderlichen Berechnungen vorgenommen - durch Zufall erklärt werden kann, dann setzen sich die Betroffenen vernünftigerweise zusammen und versuchen gemeinsam, die Fehlervarianz zu reduzieren.

    Durch Nachzählen, durch wiederholtes, unabhängiges Nachzählen. Solange, bis es keine Disprepanz mehr gibt. Jeder, der einmal einer Zählkommission angehört hat, weiß, daß man so vorgeht und nur so vorgehen kann, wenn man zu einem ehrlichen Ergebnis kommen will.

    Fehler gibt es immer. Immer aber kann man auch Fehler durch Kontrollen, durch Nachzählen, durch ein faires, gemeinsames Überprüfen eliminieren. So weit jedenfalls, bis auch die Unterlegenen das Ergebnis akzeptieren können. Das ist Demokratie.

    Bei den französischen Sozialisten haben, als sei Frankreich eine Bananenrepublik, schon beide Seiten ihren Sieg verkündet, als offensichtlich war, daß eben noch kein Ergebnis feststand.

    Auch da schon - in der Nacht auf Samstag, in der ausgezählt wurde - gab es Andeutungen, daß betrogen worden sei. Der einen wie der anderen Seite ging es schon in dieser Nacht augenscheinlich nicht darum, das wahre Ergebnis zu ermitteln, sondern der eigenen Kandidatin einen psychologischen, einen propagandistischen Vorteil zu verschaffen.

    Aber das war noch nichts gegen die Selbstzerfleischung der PS, die sich jetzt vor den Augen der Franzosen abspielt.

    Wie der Nouvel Observateur gestern um 18 Uhr meldete, wird der Erste Sekretär des Bezirks Nord der französischen Sozialisten, Gilles Pargneaux, ein Mitarbeiter von Martine Aubry, gegen einen Mitarbeiter von Ségolène Royal, Manuel Valls, Strafanzeige wegen Verleumdung erstatten. Dieser seinerseits hatte zuvor mitgeteilt, er werde wegen Vorkommnissen in diesem Bezirk bei der Stimmenauszählung Strafanzeige wegen Urkundenfälschung erstatten.

    So gehen sie miteinander um, diejenigen, die vorgeben, eine solidarische Gesellschaft, eine über die Maßen paradiesische Gesellschaft zu wollen.

    Warum fehlt ihnen die Fairness, das Augenmaß, der menschliche Anstand? Ich glaube, just deshalb, weil sie eine über die Maßen paradiesische Gesellschaft wollen. Dafür muß man schon mal durch den Dreck waten, denken sie.



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    23. November 2008

    Kurioses, kurz kommentiert: Raten Sie mal, was Obama jetzt auch schon geworden ist. Über eine "Lektion in Demokratie"

    Just to watch these kids after the board voted on what they asked them to do, they were so elated. (...) You want to talk about "Yes we can!"? That was a lesson in democracy.

    (Man brauchte nur einmal diese Kinder zu sehen, nachdem der Verwaltungsrat so abstimmte, wie sie es beantragt hatten. Sie waren so beglückt! (...) Sie wollen über "Yes we can!" sprechen? Das war eine Lektion in Demokratie.)

    Der School District Superintendent (ungefähr: Bezirksschulrat) Dr. Joseph Laria über die Schüler einer Schule im Bezirk Hempstead (Stadt New York), die bisher den Namen "Ludlum Elementary School" getragen hatte.

    Und wie heißt sie künftig? Sie ahnen es. Mit sofortiger Wirkung heißt sie "Barack Obama Elementary School". So berichtete es am Freitag Jake Tapper in den ABC News. Noch bevor er Präsident ist, wurde Barack Obama schon Namenspatron einer Schule.



    Wie kam es zur Umbenennung? (Sie wurde sofort wirksam, aber erst nach der Amtseinführung von Präsident Obama wird der neue Name feierlich enthüllt).

    Laut Jake Tapper hatten Schüler der 5. Klasse eine Debatte zwischen Obama und McCain nachgespielt, die in der nahegelegenen Hofstra- Universität stattgefunden hatte. Danach verfaßten sie die folgende "Resolution":
    Whereas the Ludlum School students conducted a mock presidential debate related to the recent presidential elections and whereas the students did a wonderful job of carrying out their tasks and demonstrating their patriotism at an early age and whereas in recognition of their efforts and the victorious feat of Sen. Barack Obama in becoming the first African-American president of the United States, it be resolved that the Hempstead Board of Education proudly renames Ludlum Elementary School as the Barack Obama Elementary School.

    In Anbetracht, daß die Schüler der Ludlum- Schule eine Debatte nachspielten, die im Zusammenhang mit den kürzlichen Präsidentschafts- Wahlen stand, und in Anbetracht, daß die Schüler Großartiges darin leisteten, ihre Aufgaben zu erfüllen und schon in jungen Jahren ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen, und in Anbetracht ihrer Leistung und der Siegestat von Senator Barack Obama, erster afro- amerikanischer Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, möge man beschließen, daß der Schulausschuß von Hempstead mit Stolz die Ludlum- Grundschule in Barack- Obama - Grundschule umbenennt.
    Ich habe diese Resolution zitiert und versucht, sie stilgenau zu übersetzen, weil dieser Text vielleicht doch gewisse Zweifel daran weckt, daß es die Fünftklässler dieser Schule waren, denen spontan die Idee kam, die Umbenennung zu beantragen. So recht nach dem Englisch von Fünftklässlern klingt die "Resolution" jedenfalls nicht.

    Und da liegt der Hase im Pfeffer.

    Gewiß ist es wünschenswert, wenn schon in der Grundschule Demokratie geübt wird. Gerade da haben wir Deutschen von den USA viel lernen können. Die Demokratisierung der deutschen Schulen im Zug der Reeducation hat viel dazu beigetragen, daß demokratisches Denken in Deutschland Wurzeln schlug.

    Es ist auch nicht zu kritisieren, sondern im Gegenteil selbstverständlich, wenn die Lehrer ihren Fünftklässlern dabei helfen, ihre demokratischen Impulse in die rechte Form zu gießen. Nur klingt diese "Resolution" doch sehr danach, als sei sie aus der Feder eines Lehrers geflossen und nicht aus den Kugelschreibern der Schüler.

    Und da haben wir die Kehrseite der "Erziehung zur Demokratie": Sie kann leicht in Indoktrination umschlagen.

    Die Schüler dieser Schule - überwiegend Schwarze und Latinos - mögen ja Obama- begeistert sein. Aber wäre es dann in einer Demokratie nicht die Aufgabe der Lehrer gewesen, ihnen auch die Vorzüge von dessen Gegenkandidaten nahezubringen? Sie zu lehren, auch die andere Seite zu sehen? Hätte man ihnen nicht zu bedenken geben müssen, daß jemand als Präsident erst einmal etwas geleistet haben muß, bevor eine Schule nach ihm benannt wird? Daß Schulen am besten überhaupt nicht nach aktiven Politikern benannt werden, die ja noch im Meinungsstreit stehen?

    Offenbar hat man das nicht getan. Jedenfalls findet sich in der Meldung darauf kein Hinweise. Sondern man hat den Schülern eine "Resolution" vorformuliert, die mit wenigen Änderungen ebenso von DDR- Schülern hätte "verabschiedet" werden können. Des Inhalts, sie hätten den brennenden Wunsch, ihre Schule nach Erich Honecker zu benennen.



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    22. November 2008

    Zettels Meckerecke: "Machtgeil!" "Abschaffung der Demokratie!" "Anschlag auf den Rechtsstaat!" - Nein. Schäuble will das Vernünftige

    Der Bundestag faßt seine Beschlüsse in der Regel mit einfacher Mehrheit. Man kann das in Artikel 42, Absatz 2 des Grundgesetzes nachlesen:
    Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Für die vom Bundestage vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.
    Stimmenthaltungen sind keine abgegebenen Stimmen. Wer sich enthält, der stimmt nicht ab. Darin besteht ja eben die Enthaltung, daß man sich der Abstimmung enthält, daß man auf das Abstimmen verzichtet. (Siehe zum Beispiel den Wikipedia- Artikel "Mehrheit").

    Die einfache Mehrheit ist folglich erreicht, wenn mehr "ja"- als "nein"- Stimmen abgegeben wurden. Enthaltungen werden ebensowenig berücksichtigt wie ungültige Stimmen.

    Sind diese Regelungen demokratisch? Wenn wir der Fraktionsvorsitzenden der "Grünen" im Bundestag, Renate Künast, glauben wollen, dann sind sie das nicht.



    Innenminister Schäuble hat, so berichtete es gestern Severin Weiland in "Spiegel- Online", einen Brief geschrieben. Verfaßt hat er ihn zusammen mit einem Parlamentarier der SPD, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD- Fraktion im Bundestag Fritz Rudolf Körper.

    Adressaten des Briefs sind die beiden Vorsitzenden der Föderalismus- Kommission II, der SPD- Fraktionsvorsitzende Peter Struck und der Ministerpräsdident von Baden- Württemberg Günther Oettinger. "Bekannt" wurde der Brief, so Severin Weiland, gestern "am Rande der Innenministerkonferenz in Potsdam". Mit anderen Worten, jemand hat geplaudert. Mit perfektem Timing, bestens abgestimmt auf die aktuelle Diskussion um das BKA- Gesetz.

    In dem Brief schlagen die beiden Verfasser vor, bei Abstimmungen im Bundesrat künftig so zu verfahren wie im Bundestag. Weiland: "Enthaltungen im Bundesrat sollten künftig nicht mehr als Nein- Stimmen gewertet werden, für eine Mehrheit sollten nur die abgegebenen Ja- und Nein- Stimmen zählen. (...) 'Nicht- Entscheidungen' brächten die föderale Demokratie nicht voran, so Schäuble und Körper."



    Schäuble und Körper wollen also eine Sonderregelung in der Geschäftsordnung des Bundesrats aufheben.

    Sie mögen, lieber Leser, nicht glauben, daß Renate Künast diesen Vorschlag als undemokratisch bezeichnet hat? Lesen Sie, was sie laut dem Artikel in "Spiegel- Online" dazu gesagt hat:
    Die Grünen gingen am Freitag am weitesten und forderten indirekt Schäubles Rücktritt. "Dieser Minister hat entweder die Demokratie nicht verstanden, oder er will sie abschaffen", sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast. In beiden Fällen sei er als Innenminister untragbar.
    Ist da Renate Künast ein wenig durchgedreht? Vielleicht. Aber sie ist keineswegs allein. Der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) gab zu Schäubles und Körpers Brief der "Neuen Osnabrücker Zeitung" ein Interview:
    "Das ist ein heftiger Anschlag auf parlamentarische, rechtsstaatliche Prinzipien, die sich seit knapp 60 Jahren bewährt haben." Der Vorstoß werde sich als Schuss in den Ofen erweisen.
    Den Vogel abgeschossen hat freilich nicht Künast und nicht Böhrnsen. Diese Ehre gebührt einmal mehr dem Meister der Feder und edlen Kämpfer gegen Tod und Schäuble Heribert Prantl. Dieser schreibt heute in der "Süddeutschen Zeitung" unter der Überschrift "Ein machtgeiler Plan":
    Dies ist ein machtgeiler Plan (...) Schon der zeitliche Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Scheitern des BKA-Gesetzes disqualifiziert das machtlüsterne Vorhaben.



    Machtgeil? Machtlüstern? Ein Anschlag auf rechtsstaatliche Prinzipien? Der Versuch, die Demokratie abzuschaffen? Was ist in diese Politiker, was ist in Heribert Prantl gefahren?

    Es geht, wie Prantl richtig erkennt, um die "Parteien, die im Bundestag in der Opposition sitzen, aber in den Ländern mitregieren (also derzeit FDP, Grüne, Linkspartei)". Aber Schäuble und Körper wollen keineswegs, wie Prantl unterstellt, daß diese Parteien "bundespolitisch marginalisiert" werden, daß ihre "Chance, via Bundesrat mitzuregieren", verloren wäre ("perdu" schreibt der allseitig gebildete Prantl).

    Um Mitregieren geht es ja gerade nicht. Es geht um das Gegenteil - um Nichtregieren, um Blockieren.

    Schäuble und Körper sind sich klar darüber, daß - bedingt durch den Aufstieg der Kommunisten - in den kommenden Jahren Landesregierungen immer wahrscheinlicher werden, in denen entweder Kommunisten sitzen oder bei denen es sich um eine unnatürliche Koalition handelt. Damit meine ich Koaltionen, die beispielsweise - wie jetzt in Hamburg - von der Union und den Grünen gebildet werden. Oder eine "Ampel". Oder "Jamaika". Oder eine Große Koalition. Koalitionen zwischen Parteien also, die im politischen Spektrum weit voneinander entfernt sind.

    In solchen Fällen ist es wahrscheinlich, daß man sich innerhalb der Landesregierung nicht auf ein Abstimmungs- Verhalten im Bundesrat einigen kann. Die Koalitions- Vereinbarungen sehen dann regelmäßig die Enthaltung vor.

    Solange Enthaltungen wie "nein"- Stimmen behandelt werden, wird das dazu führen, daß im Bundesrat immer mehr Gesetze überhaupt nicht mehr verabschiedet werden können.

    Es droht die Gefahr einer Beeinträchtigung, ja einer Blockade der Gesetzgebungsarbeit, sofern der Bundesrat beteiligt ist. Denn die jeweilige Bundesregierung - wer immer sie stellt - hat dann nicht nur diejenigen Länder gegen sich, die von der bundespolitischen Opposition regiert werden, sondern zusätzlich alle, in denen die Kommunisten mitregieren oder in denen es eine unnatürliche Koalition gibt.

    Nicht um "Machtgeilheit" geht es also, wenn Schäuble und Körper einer solchen Entwicklung rechtzeitig vorbeugen möchten. Nicht um eine Abschaffung der Demokratie geht es, wie die unsägliche Frau Künast der Öffentlichkeit einreden will, sondern im Gegenteil darum, daß unser demokratischer Rechtsstaat auch in Zukunft funktioniert.



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    Zitate des Tages: "Der Sieg von Royal ist nicht mehr zu umgehen". "Martine Aubry hat gewonnen".

    Il y a eu des votes, ils doivent être très vite acceptés et proclamés, c'est-à-dire ce que nous considérons nous comme quelque chose d'inéluctable pour le PS (...) c'est-à-dire la victoire de Ségolène Royal.

    (Die Stimmen wurden abgegeben, sie müssen sehr schnell anerkannt und verkündet werden; also das, was nach unserer Auffassung die PS nicht mehr umgehen kann (...), nämlich den Sieg von Ségolène Royal.)

    Der enge Mitarbeiter von Ségolène Royal Manuel Valls in der vergangenen Nacht über den Sieg seiner Kandidatin bei der Stichwahl um den Vorsitz der Sozialistischen Partei Frankreichs; zitiert um 2.45 Uhr von Le Monde



    Martine Aubry a gagné la consultation des militants.

    (Martine Aubry hat die Befragung der Mitglieder gewonnen.)

    Claude Bartolone, enger Mitarbeiter von Royals Gegenkandidatin Martine Aubry, laut einer um 1.46 Uhr ebenfalls von Le Monde verbreiteten Meldung.



    Le moment n'est pas venu pour donner les résultats.

    (Der Augenblick ist nicht gekommen, die Ergebnisse mitzuteilen.)

    Der Geschäftsführer der PS, Daniel Vaillant, in einer um 2.33 verbreiteten dritten Meldung von Le Monde.



    Kommentar: Gut möglich, daß dann, wenn Sie dies lesen, entschieden ist, ob Ségolène Royal oder Martine Aubry die neue Vorsitzende (in sozialistischer Tradition Sécretaire Générale genannt) der französischen Schwesterpartei der SPD wird.

    Ob nun Royal oder Aubry - es wird eine denkbar knappe Entscheidung sein. Eine, die die Partei zutiefst spalten wird, die möglicherweise von den Unterlegenen nicht anerkannt werden wird. "Wir lassen uns den Sieg nicht stehlen" hat laut Nouvel Observateur Manuel Valls bereits aus dem Lager Royals erklärt, während nach den Worten von Claude Bartolone dessen Favoritin Martine Aubry "nicht mehr geschlagen werden kann".

    Es gibt damit bei den französischen Sozialisten ein Patt nicht nur zwischen zwei Tendenzen, sondern zwischen zwei Teilen der Partei mit unvereinbaren Zielen.

    Die Rechten, die sozialdemokratische Reformer sind, wollen die Partei zur Mitte hin öffen und eine Mehrheit im Bündnis mit den Liberalen von François Bayrou suchen.

    Die Linken, die nach wie vor den Sozialismus anstreben, wollen ein Bündnis mit den Kommunisten; das sind inzwischen primär nicht mehr die orthodoxen Kommunisten der KPF, der Bruderpartei der deutschen Partei "Die Linke", sondern die Trotzkisten von Olivier Besancenot, die ohne viel Tarnung die Revolution predigen.

    Wie eine Partei mit diesen beiden Flügeln noch zu einer gemeinsamen Linie finden will, weiß in Frankreich niemand. Die Möglichkeit einer Spaltung, über die am Montag hier zu lesen war, ist in der vergangenen Nacht ein Stück näher gerückt.

    Vielleicht sollten sich die deutschen Sozialdemokraten das, was sich im Augenblick bei ihren französischen Genossen ereignet, sehr genau ansehen. Es könnte ein Ausblick auf eine ähnliche Konstellation nach dem Abgang von Franz Müntefering sein. Sagen wir, Andrea Nahles gegen Peer Steinbrück.



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    21. November 2008

    Von Bush zu Obama (3): Guantánamo schließen. Prima! Und dann?

    Bitte schätzen Sie einmal, wieviele Gefangene es gegenwärtig in Guantánamo gibt. (Ich meine das amerikanische Gefängnis, nicht das cubanische gleichen Namens). Fünftausend? Tausend? Es sind, wie man heute bei Reuters lesen kann, ungefähr 255.

    Es waren einmal mehr; aber rund 500 Gefangene wurden bereits freigelassen oder an die Regierungen ihrer jeweiligen Herkunftsländer überstellt.

    Immer noch 255 Gefangene zu viel, werden Sie sagen. Ich stimme zu. Nahezu jedermann stimmt zu, einschließlich der US-Regierung. Und zwar der noch amtierenden, deren Verteidigungsminister Gates sich bereits bei seinem Amtsantritt für die Schließung des Gefängnisses auf dem US-Stützpunkt Guantánamo ausgesprochen hat.

    Auch Barack Obama hat im Wahlkampf versprochen, Guantánamo zu schließen. Er hat das am vergangenen Sonntag noch einmal bekräftigt: "I have said repeatedly that I intend to close Guantanamo, and I will follow through on that". Er habe wiederholt gesagt, daß er beabsichtigte, Guantánamo zu schließen, und er werde das durchziehen.

    Nur ist das leichter gesagt als durchgezogen. Darauf weist heute in der Washington Post Benjamin Wittes hin. Wittes weiß, wovon er spricht. Er ist Autor eines Buchs "Law and the Long War: The Future of Justice in the Age of Terror" (Das Gesetz und der lange Krieg: Die Zukunft der Justiz im Zeitalter des Terrors), war Redakteur der Washington Post und ist gegenwärtig Forschungsdirektor für Öffentliches Recht an der Brookings Institution.

    Bei den folgenden Informationen und Überlegungen stütze ich mich größtenteils, aber nicht ausschließlich, auf seinen Aufsatz.



    Obama könnte natürlich sein Versprechen einlösen, indem er Guantánamo schließt und die Gefangenen in andere Hafteinrichtungen verlegt. Damit wäre freilich wenig gewonnen, außer daß der antiamerikanischen Propaganda eines ihrer erfolgreichsten Themen genommen wäre.

    Denn das Problem ist ja nicht der Ort Guantánamo, sondern es ist die Frage, was man mit enemy combattants tun soll, die in amerikanische Hand geraten sind. "Feindliche Kämpfer" - das sind Personen, die gegen die USA gekämpft haben, die dafür ausgebildet wurden oder die jedenfalls dessen hinreichend verdächtig sind.

    Also Soldaten? Nein, Soldaten sind sie nicht. Sie trugen keine Uniform, als sie ergriffen wurden. Sie waren keine Angehörige der Armee irgendeines Staats. Sie waren das, was man mit Begriffen wie "Freischärler", "Partisanen", "irreguläre Kämpfer" bezeichnet. Also keine Kombattanten im kriegsrechtlichen Sinn und deshalb auch nicht in derselben Weise wie Soldaten durch das Kriegsrecht geschützt.

    Kann man diese Personen, wenn sie also keine Soldaten sind, einfach als Verbrecher betrachten und nach den allgemeinen Gesetzen aburteilen? Auch das ist schwierig. Nicht allein, weil unklar ist, welche Gerichte denn für sie zuständig sind und nach welchem Recht sie abgeurteilt werden sollen. Sondern auch deshalb, weil die USA das berechtigte Interesse haben, sie auch dann festzuhalten oder jedenfalls daran zu hindern, wieder in den Kampf gegen die USA einzutreten, wenn ihnen keine Verbrechen nachzuweisen sind.

    Das ist der Sinn, jedenfalls der primäre Sinn, einer Kriegsgefangenschaft. Feindliche Soldaten werden nicht deshalb inhaftiert, weil sie gegen Gesetze verstoßen hätten, sondern damit sie nicht weiterkämpfen können. Die Gefangenschaft endet mit dem Ende des Kriegs. Aber wann ist ein asymmetrischer Krieg gegen Terroristen zu Ende?

    Jedenfalls haben die USA ein berechtigtes Interesse daran, daß diese Personen nicht wieder Anschläge planen und verüben. Man wird sie also solange festhalten wollen, wie diese Gefahr besteht. Wie will man das aber unter die allgemeinen Gesetze subsumieren? Es gibt in einem demokratischen Rechtsstaat keine Präventivhaft, keine Haft auf Verdacht. (Gut, die deutsche Sicherungsverwahrung; die USA kennen so etwas nicht).



    Die 255 jetzt noch in Guantánamo einsitzenden Personen umfassen drei Gruppen:
  • Diejenigen, die für ein Strafverfahren in Frage kommen. Wieviele das sind, hängt davon ab, vor welche Art von Gericht sie gestellt werden sollen. Ein amerikanisches Bundesgericht? Militärgerichte? Die speziellen Gerichte (Military Commissions), die die Regierung Bush eingerichtet hat? Die Demokraten haben sie kritisiert. Wird Obama sie abschaffen? Durch welche Art von Gerichtsbarkeit ersetzen?

  • Die zweite Gruppe umfaßt ungefähr 60 Gefangene, die die USA gern an ihre Heimatländer übergeben würden. Das Problem ist, daß ihnen dort Mißhandlungen drohen könnten. (Diejenigen, die Guantánamo für eine Art KZ halten, werden das zynisch finden. Guantánamo ist aber keine Art von KZ).

  • Die dritte Gruppe umfaßt Kämpfer, denen keine individuellen Straftaten nachzuweisen sind, die freizulassen aber für die USA zu gefährlich wäre. Es muß bei diesen Leuten damit gerechnet werden, daß sie in ihre Gruppen zurückkehren und den Kampf gegen die USA wieder aufnehmen.
  • Mit allen diesen Schwierigkeiten, schreibt Wittes, haben sich Mitglieder der Regierung Bush in den vergangenen sieben Jahren herumgeschlagen. Man tue ihnen Unrecht, wenn man das nicht anerkenne.

    Und der neue Präsident? Er wird, meint Wittes, vor denselben Problemen stehen. Die simple Vorstellung, daß es zwischen den amerikanischen Werten und den nationalen Interessen der USA keinen Widerspruch gebe, könnte sich als "deadly wrong", als fataler Irrtum erweisen.

    Auch die neue Regierung werde, was die Behandlung der Gefangenen angeht, vor "wrenching choices with no easy answers" stehen; vor schmerzlichen Entscheidungen ohne einfache Antworten.



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