31. Juli 2008

Marginalie: Die nordrhein-westfälischen Kommunisten und der Ausschluß Wolfgang Clements aus der SPD

In Bochum, der Stadt Wolfgang Clements, gibt es eine der vielen von Kommunisten gesteuerten "Initiativen", die ein klassisches Mittel der kommunistischen Taktik sind und die innerhalb dieser Taktik zwei Funktionen haben: Erstens, als Vorfeldorganisationen den Einfluß der Kommunisten auf den linken Rand des politischen Spektrums zu stärken, also bei Unorganisierten, bei kleinen linken Gruppen, beim linken Flügel der SPD; zweitens, in der Bevölkerung Agitation zu treiben.

Dazu wählt man ein aktuelles Thema aus. Also früher, zu DKP-Zeiten, Themen wie "Nato-Raketen" und "AKWs". Im Augenblick bevorzugt alles, was sich unter "Hartz-IV" subsumieren läßt.

Die jetzige Initiative nennt sich "Aufruf Sozialticket für Bochum". Bittes schauen Sie sich die folgende Liste einmal an und achten Sie darauf, ob Ihnen etwas auffällt:
UnterstützerInnen des Aufrufes Sozialticket für Bochum" (Stand 28.4.2008, 22:00 Uhr):

*alternative liste an der Ruhr-Uni
*Arbeitskreis Erwerbslose in der IG Metall Bochum
*Arbeitsloseninitiative Werkschlag
*AStA der Ruhr Universität Bochum
*attac Bochum
*attac campus Bochum
*ausZeiten - Bildung, Information, Forschung und Kommunikation für Frauen
*Bahnhof Langendreer
*Beratungsstelle für Arbeitslose Bochum
*Beratungsstelle für Frauen und Mädchen Nora e.V.
*Betriebsrat Wi-Med Reinigung GmbH und Hauswirtschaft GmbH
*Bochumer Friedensplenum
*Bochumer Sozialberatung
*Bochumer Sozialforum
*Bochumer Suppenküche e.V.
*BODO e.V.
*Bündnis90/Die Grünen Kreisverband Bochum Wattenscheid
*Bündnis90/Die Grünen Ortsverband Wattenscheid
*DIDF – Bochum (Internationaler Kulturverein e.V.)
*DIE LINKE Bochum
*DIE LINKE. im Rat der Stadt Bochum
*DGB Kreisvorstand Bochum
*DGB Region Ruhr Mark
*DKP - Bochum
*Erwerbslosenausschuss ver.di Bezirk Bochum-Herne
*Erwerbslosenausschuss ver.di Bezirk Emscher Lippe Süd
*Frauen für den Frieden Bochum
*FrauenGesundheitsZentrum
*Freie Uni Bochum
*Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bochum
*G-8-Plenum Bochum
*Hartz IV Selbsthilfegruppe im Industrie- und Sozialpfarramt Gelsenkirchen
*IG Metall Bochum
*Jungsozialisten Bochum
*JungdemokratInnen/Junge Linke Bochum
*Kinder- & Familientheater Traumbaum
*Kinder- und Jugendring Bochum e.V.
*LabourNet Germany
*linksjugend-[’solid] Bochum
*Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum
*Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend e. V.
*MLPD Kreis Bochum
*Paritätischer Wohlfahrtsverband, Kreisgruppe Bochum
*Redaktion www.bo-alternativ.de
*SDAJ Bochum
*Soziale Liste Bochum
*Soziales Zentrum Bochum
*Sozialverband VdK - Kreisverband Mittleres Ruhrgebiet
*Unabhängige Sozialberatung Bochum
*Verein für psychosoziale Betreuung Bochum e.V.
*Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Bochum
*Verkehrsclub Deutschland Kreisverband Bochum & Gelsenkirchen e.V.
*Weglaufhaus Initiative Ruhrgebiet e.V.
*Klaus Amoneit, Progressiver Eltern- und Erzieherverband (PEV)
*Sevim Dagdelen, MdB DIE LINKE.
*Rainer Einenkel, Betriebsratsvorsitzender Opel-Werke Bochum
*Jürgen Klute, Pfarrer und Bundesvorstand DIE LINKE
*Rudolf Malzahn, SPD-Ortsverein BO-Hamme
*Fred Sobiech, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Bochum
*Michael Wenzel, Vorsitzender des Beirates Bochum- Agenda 21
Nun, haben Sie's gefunden?

Richtig, der Unterzeichner "Rudolf Malzahn, SPD- Ortsverein BO-Hamme" ist just derjenige, der das Verfahren zum Ausschluß von Wolfgang Clement aus der SPD ins Rollen gebracht hat. Von Malzahns Ortsverein - er ist nicht der Clements, aber jeder Ortsverein ist antragsberechtigt - wurde der Antrag auf Ausschluß gestellt, und dieser Ortsverein hat Berufung eingelegt, als die erste Schieds- Instanz nur eine Rüge ausgesprochen hatte.



Das ist die eine Seite: Die Initiative zum Ausschluß von Clement kommt aus dem linken, von den Kommunisten dominierten Milieu.

Die andere Seite ist, daß die SPD in Nordrhein- Westfalen, will sie zurück an die Macht, das aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit dem Ypsilanti- Modell wird schaffen können, also mit Unterstützung der Kommunisten.

Hannelore Kraft, die Vorsitzende der SPD von NRW, hat heute auf einer Pressekonferenz gemauert, was den Fall Clement angeht; das sei Sache der Schiedskommission. "Ich füge allerdings hinzu, daß ich es persönlich ausdrücklich bedaure, daß es soweit gekommen ist".

Was man als an Clement ebenso wie an die Kommission gerichtet interpretieren kann.

Mitte Februar, kurz nach der Wahl in Hessen, brachte die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" ein Interview mit Hannelore Kraft. Lesen Sie einmal, wie beharrlich sich Kraft weigert, zu erklären, daß sie eine Koalition mit "Die Linke" ausschließt:
Wäre in NRW statt in Hessen gewählt worden, sprächen wir jetzt mit der ersten von Rot-Grün-Rot getragenen Ministerpräsidentin?

Kraft : Wir sollten die Kirche im Dorf lassen, was die Linkspartei angeht. In Hessen ist sie nur ganz knapp reingekommen. Unsere Ziele für die Landtagswahl sind völlig klar: Wir wollen stärkste Partei werden und die Linkspartei raushalten.

Aber wenn Sie eine Koalition mit der Linken ausschließen, sitzen auch Sie nach der Wahl möglicherweise in der Ypsilanti-Falle.

Kraft : Ich sehe in Hessen nur die FDP in der Falle. Das ist die Partei, die sich jetzt bewegen muss.

Die Absage von Frau Ypsilanti an die Linkspartei war also richtig?

Kraft : Es ist gute Tradition, dass jeder SPD- Landesverband selbst entscheidet. Ich werde das also von NRW aus nicht kommentieren.

Aber wie ist Ihre Haltung zur Linkspartei? Die Wähler haben doch einen Anspruch darauf zu wissen, ob Sie Ihren Machtanspruch mit der Linken ausüben wollen oder nicht.

Kraft : Ja, aber das interessiert die Wähler nicht zweieinhalb Jahre vor der Wahl. Die Partei ist nach ihrer Gründung in NRW doch gar nicht mehr erkennbar. Ich kenne jedenfalls kein Programm von ihr.

Gewählt wird die Linke auch ohne Programm, und zwar auch von ehemaligen SPD-Mitgliedern.

Kraft : Dass einige von uns zur Linkspartei gegangen sind, tut weh. Aber wenn ich mir die Analysen von Hessen und Niedersachsen anschaue, sind viele auch ehemalige Grünen-, CDU- und sogar FDP-Wähler.

Kann NRW denn damit rechnen, dass Sie wenigstens ein halbes Jahr vor der Wahl sagen: So halte ich es mit der Linkspartei?

Kraft : Wir werden uns rechtzeitig entscheiden. Ich bin fest überzeugt, dass es uns gelingen kann, die Linke aus dem Parlament zu halten. Ich bin nicht bereit, den linken Rand abzugeben.
Da haben wir ihn, den Zusammenhang: Die SPD muß für die Wahlen in zwei Jahren die Partei fit machen für ein Zusammengehen mit den Kommunisten. Clement, ein überzeugter Demokrat, ein überzeugter Marktwirtschaftler, einer der letzten Repräsentanten der alten SPD, stört da.

Natürlich geht es nicht nur um die Person Clement. Es geht um eine Machtdemonstration der Linken in der SPD, um ein Signal an die Partei, wo es langgeht.



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Zitat des Tages: Wie wirken sich die Olympischen Spiele auf die Menschenrechtssituation in China aus? Sie haben sie verschlechtert

We've seen a deterioration in human rights because of the Olympics. (...) Specifically we've seen crackdowns on domestic human rights activists, media censorship and increased use of re-education through labour as a means to clean up Beijing and surrounding areas.

(Wir beobachten eine Verschlechterung bei den Menschenrechten wegen der Olympischen Spiele (...) Insbesondere beobachten wir Razzien gegen Menschenrechts- Aktivisten, Medienzensur und den verstärkten Einsatz von Umerziehung durch Arbeit als Mittel, um Peking und die Umgebung zu säubern.)

Roseann Rife, stellvertretende Programmdirektorin bei Amnesty International, über die Lage der Menschenrechte in China unmittelbar vor den Olympischen Spielen.

Kommentar: In "Spiegel-Online" berichtet der Peking- Korrespondent des "Spiegel", Andreas Lorenz, über diese Art, wie die chinesischen Kommunisten die Olympischen Spiele vorbereiten, und zeigt sich verwundert:
Zur Erinnerung: In der Nacht des 13. Juli 2001 schwebte Peking noch im Glück. Gerade hatte das IOC die chinesische Metropole als Austragungsort der Spiele 2008 erkoren (...)

Schon wuchs die Hoffnung auf ein toleranteres China, das zugleich transparenter, gerechter und freundlicher wäre - kurz: humaner und würdevoller, im Sinne der griechischen Erfinder der Spiele. Dieser Wunsch verband in jener Nacht viele Menschen in China und im Ausland. Doch das war ein grandioses Missverständnis. Die KP denkt überhaupt nicht daran, ihr Versprechen zu halten, mehr Freiheiten und mehr Gerechtigkeit zuzulassen. (...)

Mit unerbittlicher Härte verfolgt die KP-Führung noch Tage vor Beginn der Spiele politische Kritiker, unliebsame Rechtsanwälte, Arbeitervertreter, echte oder vermeintliche Störenfriede, Journalisten, Blogger.
Ja, was hatte man denn erwartet? Daß die Kommunisten etwa freie Demonstrationen erlauben würden? Daß sie ausgerechnet dann, wenn die ganze Welt zusieht, Proteste zulassen würden?

1936 hat man Hitler die Chance gegeben, seine Diktatur in den freundlichsten Farben zu malen. Jeder wußte, als die chinesischen Kommunisten sich bewarben, daß sie diese Gelegenheit genauso nutzen würden wie damals die Nazis.

Als die Spiele 1936 vorbei waren, war die Hitler- Diktatur nicht geschwächt, sondern gestärkt. So wird es auch mit der kommunistischen Diktatur in China sein.

Sich jetzt zu verwundern, gar von einem "Mißverständnis" zu sprechen, zeugt nicht eben von historischen Kenntnissen, zeugt nicht gerade von Einsicht in das Wesen von totalitären Systemen.



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30. Juli 2008

Marginalie: SPD will Andrea Ypsilanti ausschließen

Der Grund sind Äußerungen, die Frau Ypsilanti im hessischen Wahlkampf getan hatte.

Am 1. Januar 2008, vier Wochen vor der Wahl, sagte sie in einem Interview mit der "Welt": "Bei meinem Nein zu Rot-Rot bleibt es auch nach dem Wahlabend. Garantiert." Einen Tag später bekräftigte sie das im Deutschlandfunk: "Es wird mit der Linkspartei, so sehr sie sich auch anstrengt und anbiedert, keine Zusammenarbeit geben".

Mit diesen Äußerungen habe sich, so heißt es in der Entscheidung des Schiedsgerichts, Frau Ypsilanti parteischädigend verhalten, denn sie habe damit die Glaubwürdigkeit der SPD, die jetzt in Hessen die Zusammenarbeit mit "Die Linke" vorbereitet, schwer beeinträchtigt.



Nach dieser erdachten Meldung jetzt das, was heute Abend tatsächlich gemeldet wurde:
Die SPD in Nordrhein-Westfalen wird den Ex- Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nach Medieninformationen aus der Partei ausschließen. (...) Den Auschluss habe die Landesschiedskommission beschlossen, berichtete das ZDF-"Heute Journal" am Mittwochabend. Die Entscheidung werde an diesem Donnerstag bekanntgegeben.
Das Parteiordnungsverfahren, das jetzt offenbar - jedenfalls vorerst - zum Ausschluß aus der SPD geführt hat, geht zurück auf die folgende Äußerung von Clement, ebenfalls im Januar 2008:
Wer es wie sie will, der muss sich klar sein: Das geht nur um den Preis der industriellen Substanz Hessens. (...) Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann – und wem nicht.
"Sie", das ist Andrea Ypsilanti.

Prophetische Worte eines Insiders also, der besser wußte als diejenigen, die "Verantwortung für das Land zu vergeben" hatten, was von den Beteuerungen Ypsilantis zu halten war, die SPD werde garantiert nicht mit "Die Linke" zusammenarbeiten.



Wolfgang Clement ist mit der damaligen Warnung seiner Verantwortung für die Partei gerecht geworden, deren stellvertretender Vorsitzender er einmal war. Dafür soll er jetzt ausgeschlossen werden.

So, wie man Clement kennt, wird er noch nicht aufgeben und die Bundesschiedskommission seiner Partei anrufen. Aber das ist nur noch ein Nachgeplänkel.

Die Partei, deren heimliche Vorsitzende Andrea Nahles ist und in der niemand auf den Gedanken gekommen ist, Andrea Ypsilanti wegen ihres parteischädigenden Verhaltens auch nur zu rügen, ist ohnehin nicht mehr die politische Heimat eines Mannes wie Wolfgang Clement.



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Zitate des Tages: Rauchverbot - wer ist der Sieger?

Sieger ist der Nichtraucherschutz.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, soeben im ZDF- Mittagsmagazin über die Entscheidung des BVerfG zum Rauchverbot.

Diese Stimmung, die ich jetzt erlebt habe, war wunderbar.

Ein Kneipenwirt aus Ludwigsburg in derselben Sendung zur Reaktion seiner Gäste, die man im Hintergrund bereits wieder rauchen sah.

Kommentar: Ich fürchte, daß die Gäste der Pilsstube in Ludwigsburg am Ende sehr enttäuscht sein werden und daß die Drogenbeauftragte mit ihrer Stellungnahme richtiger liegt.

Denn wenn man den ersten Berichten trauen darf, dann hat der Erste Senat nicht etwa den Eingriff in die Freiheit der Raucher als verfassungswidrig untersagt, der mit einem Rauchverbot in Gaststätten verbunden ist. Er hat auch nicht generell einen solchen Eingriff in die Berufsfreiheit der Gastwirte untersagt.

Sondern er hat lediglich gerügt, daß Diskotheken nicht, wie andere Gaststätten, einen Raucherraum einrichten dürfen. Und er hat die Benachteiligung der Einraum- Kneipen gekippt, die einen solchen Raum nicht einrichten können, weil sie eben Einraum- Kneipen sind.

Das ist alles. In der "Süddeutschen Zeitung" hat es der gelernte Jurist Heribert Prantl zusammengefaßt:
Wenn aber, und das ist der Kern der Argumentation des Gerichts, durch Ausnahmevorschriften die Bedeutung des vom Gesetz an sich verfolgten Gesundheitsschutzes relativiert wird, dann muss auch die Kleingastronomie von diesen Ausnahmen profitieren.
Kurzfristig können die Wirte damit aufatmen. Die jetzigen Regelungen sind aufgehoben. Dann aber wird es den Versuch geben, ein Rauchverbot ohne Ausnahmen durchzusetzen. Die Gefahr, daß das gelingen wird, halte ich für groß, zumal das BVerfG für den Weg dorthin ein ganzes Scheunentor breit aufgemacht hat:
Verfassungsgemäß wäre dagegen ein absolutes Rauchverbot in allen Gaststätten. Der Erste Senat begründet das mit den schweren Schäden, die das Passivrauchen auslösen kann. (...) Der Schutz der Bevölkerung vor dem Passivrauchen sei ein "überragend wichtiges Gemeinwohlziel", so die Richter. Deshalb sei ein absolutes Rauchverbot in allen öffentlichen Gaststätten verfassungsgemäß. Die dann für alle Wirte geltende Einschränkung der Berufsfreiheit wäre dann verhältnismäßig.
Von der Freiheit des Rauchers, von seiner Mündigkeit, von seinem Recht, sich einem Gruppenzwang zu widersetzen oder ihm zu folgen, von seiner Menschenwürde also ist übrigens in dem, was von dem Urteil bisher bekannt wurde, nicht die Rede. Die Lektüre der Urteilsbegründung wird spannend sein.



Und noch ein Zitat, eben gefunden in "Zettels kleinem Zimmer" und verfaßt von C.:
Keine Sorge, der schützenden Hand der Volksgesundheitsideologen entkommt niemand, denn in einem gesundem Körper wohnt ein gesunder Geist, der allerdings nicht mehr benötigt wird, weil ihm das Denken und die Entscheidungsfreiheit genommen ist.



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Überlegungen zur Freiheit (8): Wie unmündig sind wir Nichtraucher? Heute erfahren wir es vom Ersten Senat des BVerfG

Dietmar Hipp, der juristische Korrespondent des "Spiegel" mit Sitz beim BVerfG in Karlsruhe, ist ein kenntnisreicher Fachjournalist; selbst studierter Jurist.

In "Spiegel- Online" kann man im Augenblick einen informativen Beitrag von ihm über die heute anstehende Entscheidung des BVerfG lesen. Es geht um Klagen von Wirten dagegen, daß in ihren Gaststätten nicht mehr geraucht werden darf.

Anders als der Artikel von Udo Ludwig und Conny Neumann zum selben Thema im gedruckten "Spiegel" dieser Woche (31/2008, S. 36), der an Einseitigkeit schwer zu überbieten ist, schildert Hipp sachlich und im Detail die juristischen Aspekte der heutigen Entscheidung.

Zentral wird es darum gehen, ob die jetzt geltenden Rauchverbote dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Ob also außer den berechtigten Interessen der Nichtraucher auch diejenigen der Raucher und der Wirte ausreichend berücksichtigt werden.

Es ist wohl im Deutschland des Jahres 2008 nötig, daran zu erinnern. Denn - der Artikel von Ludwig und Neumann liefert ein Beispiel - wir erleben ja in der öffentlichken Diskussion eine Tendenz, bei Interessenkonflikten dem Schutz von Gesundheit und Umwelt einen absoluten Vorrang über jeden anderen Gesichtspunkt einzuräumen.



Die Karlsruher Richter also werden heute entscheiden, ob die Rauchverbote in ihrer jetzigen Form wirklich notwendig sind, um Nichtraucher hinreichend zu schützen; oder ob dieses Ziel nicht auch durch gleich wirksame "mildere Mittel" erreicht werden kann. Also beispielsweise, wie in Spanien, mit einer Regelung, die es jedem Wirt freistellt, zu entscheiden, ob er seine Gaststätte als Raucher- oder als Nichtraucherlokal führt. Oder, wie es in Deutschland diskutiert wird, mit einer Ausnahmeregelung für Einraum- Kneipen, in denen der Wirt selbst am Tresen steht.

Eine kritische Rolle wird in dem Urteil die Frage spielen, was man denn - das ist jetzt meine Formulierung - einem erwachsenen, mündigen Nichtraucher an Selbstbestimmung zutrauen kann und darf. Hipp schreibt:
Dabei muss ein solches Verbot dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen - ob es die Raucher nun selbst in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betrifft oder Wirte in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit. (...) Das Verfassungsgericht muss dabei prüfen, ob ... der Druck auf Nichtraucher wachsen würde, zumindest in Gesellschaft von Rauchern ein Raucherlokal oder einen Raucherraum aufzusuchen.
Der letzte Satz ist es, der mich zu diesem Artikel veranlaßt.

Offenbar wird es von zumindest einigen Verfassungsjuristen - da vertraue ich der Sachkenntnis von Dietmar Hipp - tatsächlich als für diese Entscheidung relevant betrachtet, wie unmündig denn wir Nichtraucher sind.

Denn, nicht wahr, es ist doch meine freie Entscheidung als Nichtraucher, ob ich, weil ich die Gesellschaft meiner rauchenden Freunde X, Y und ganz besonders die meiner rauchenden Freundin Z schätze, in Kauf nehme, daß wir gemeinsam einen in einer Raucherkneipe heben gehen?

Wenn ich das ganz und gar nicht will, dann werde ich eben X, Y und Z überreden müssen, daß wir gemeinsam in ein Nichtraucher- Lokal gehen. Vielleicht machen wir es ja auch abwechselnd, als einen fairen Kompromiß.

Und wenn ich eigentlich nicht mit ins verräuchterte Lokal will, mich aber doch breitschlagen lasse - nicht wahr, zu diesem Nachgeben, zu dieser Schwäche habe ich doch auch ein Recht, als freier Bürger? Sie haben mir ja vermutlich keine K.O.-Tropfen eingeflößt, meine Freunde, bevor sie mich in das Raucherlokal einluden.

Aber diejenigen, die das von Dietmar Hipp referierte Argument vertreten, trauen mir, trauen generell uns Nichtrauchern soviel Mündigkeit offenbar nicht zu, in einer solchen Situation selbst eine Entscheidung zu treffen. Sie fürchten, daß ich, daß wir Nichtraucher dem "Druck" nicht würden standhalten können, mit unseren rauchenden Freunden in eine Raucherkneipe zu gehen.

Sie halten uns für infantil, diejenigen, die so argumentieren. Was man von jedem Vierzehnjährigen erwartet, wozu man seine Kinder erzieht - daß sie nicht jedem sozialen Druck nachgeben -, das trauen sie uns nicht zu.

Und wenn wir Bürger die unmündigen Deppen sind, für die sie uns halten, dann hilft freilich nur noch, daß der Staat, daß Polizei und Justiz ihre schützende Hand über uns halten. Auf daß wir nicht in unser Unglück rennen, in Gestalt einer verräucherten Kneipe.



Auf die heutige Entscheidung des BVerfG, und vor allem auf die Urteilsbegründung, darf man also wirklich gespannt sein.

Sollte sich der Erste Senat das Argument zu machen, daß wir Nichtraucher so unmündig sind, daß wir ohne ein striktes Rauchverbot dem Druck unsrer rauchenden Freunde hilflos ausgeliefert wären, dann allerdings stünde es wieder ein Stück schlechter um die Freiheit in diesem Land.



Links zu den bisherigen Folgen dieser Serie findet man hier. Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

29. Juli 2008

Der 44. Präsident der USA (7): Barack Obama auf dem Weg vom Erhabenen zum Lächerlichen, Teil 3

Wirklich lächerlich macht sich ein Erhabener noch nicht allein damit, daß er - durch sein Unwissen, durch Prahlerei, dergleichen - auch lächerliche Züge trägt. Mit Beispielen dafür hatten sich, was den erhabenen Barack Obama angeht, die ersten beiden Teile befaßt. Richtig lächerlich wird es aber erst, wenn die Erhabenheit selbst in solche Höhen steigt, daß sie ins Lächerliche kippt.

So weit ist es jetzt bei Barack Obama. Die Stilisierung zum Heiland, zum Retter der Nation und der Welt beginnt, statt Ergriffenheit Heiterkeit auszulösen. Obama ist in Gefahr, daß der Respekt in Auslachen umschlägt wie beim Professor Rat, aus dem der Professor Unrat wurde.

Daß diese Gefahr für Obama akut ist, dafür findet man in der Presse dieser Tage drei Beispiele.



Da ist erstens eine glänzende Satire von Gerald Baker, dem USA-Redakteur der London Times. Sie schildert im Stil der Biblischen Geschichte zuerst Obamas Biographie, zum Beispiel:
And it came to pass, in the eighth year of the reign of the evil Bush the Younger (The Ignorant), when the whole land from the Arabian desert to the shores of the Great Lakes had been laid barren, that a Child appeared in the wilderness.

Und es begab sich im achten Jahr, da der böse Bush der Jüngere (der Ignorant) regierte, als das ganze Land von den Wüsten Arabiens bis zu den Ufern der Großen Seen eine Ödnis war, daß in der Wildnis ein Kind erschien
und widmet sich dann der jetzigen Reise. Über den Abstecher in den Irak zum Beispiel lesen wir:
And lo, in Mesopotamia, a miracle occurred. Even though the Great Surge of Armour that the evil Bush had ordered had been a terrible mistake, a waste of vital military resources and doomed to end in disaster, the Child's very presence suddenly brought forth a great victory for the forces of the light.

Und siehe, in Mesopotamien geschah ein Wunder. Abwohl der Große Surge der Waffen, den der böse Bush befohlen hatte, ein furchtbarer Fehler gewesen war, eine Verschwendung militärischer Ressourcen und zum Scheitern in einem Desaster verdammt, brachte allein die Anwesenheit des Kindes einen großen Sieg für die Mächte des Lichts.
Und so fort. Über Berlin heißt es, "im Land der Königin Angela von Merkel" hätte sich viel Volkes versammelt, um Seine Stimme zu hören. Vom langen Warten aber sei das Volk hungrig geworden. Da hätte das Kind seine Jünger angewiesen, fünf Stücke Brot und ein Paar Frankfurter Würstchen zu nehmen und an die Menge zu verteilen. Und siehe, alle seien satt geworden.



Beispiel zwei ist keine Satire. Oder sagen wir, es ist Realsatire. Zuerst habe ich die Story am Samstag in einem Artikel von Rick Moran in der konservativen Internet- Zeitung American Thinker gelesen. Überschrift: "The Most Incredible Example of Obama Media Love Yet" - das bisher unglaublichste Beispiel für Obamas Affäre mit den Medien, frei übersetzt.

Es geht um etwas, von dessen Existenz ich gar nichts gewußt hatte - eine englische Internet- Ausgabe der "Bild- Zeitung"! Und darin findet sich der Artikel der (wie das Bild mit Obama zeigt) sehr jungen Judith Bonesky, die das Privileg hatte, Obama beim Fitness- Training zu beobachten und die darüber in diesem Stil berichtet:
Shortly after half past four and he actually arrives! Barack Obama is wearing a grey t-shirt, black tracksuit bottoms – and a great smile! "Hi, how’s it going?“ asks Obama in his deep voice. My heart beats. "Very good, and you?" I say. Obama replies: "Very good, thank you!" (...)

Quickly I ask: "Mr. Obama, could I take a photo?". "Of course!" he answers, before asking my name and coming over to stand next to me. "My name’s Judith" I reply. "I’m Barack Obama, nice to meet you!" he says, and puts his arm across my shoulder. I put my arm around his hip – wow, he didn’t even sweat! WHAT A MAN!

Kurz nach halb fünf, und er kommt wirklich! Barack Obama trägt ein graues T-Shirt, schwarze Trainingshosen - und ein breites Lächeln! "Hi, wie läuft's?" fragt Obama mit seiner tiefen Stimme. Mein Herz pocht. "Sehr gut, und Sie?", sage ich. Obama antwortet: "Danke, sehr gut!" (...)

Schnell frage ich: "Mr. Obama, dürfte ich ein Foto machen?". "Natürlich!", antwortet er, bevor er mich nach meinem Namen fragt und sich ganz nah zu mir stellt. "Ich heiße Judith", antworte ich. "Ich bin Barack Obama, sehr erfreut!" sagt er und legt seinen Arm um meine Schulter. Ich lege meinen Arm um seine Hüfte - wow, er schwitzte nicht einmal. WAS FÜR EIN MANN!"
WAS FÜR EIN SCHMUS!

Diese Begegnung - oder dieser Bericht? - ließ Obama offenbar nicht ruhen. Jedenfalls ging er in einem am Wochenende von der Kolumnistin Maureen Dowd in der New York Times publizierten Gespräch auf die "Bild"-Story ein. Lesen wir, was Frau Dowd berichtet:
Obama marveled: "I’m just realizing what I’ve got to become accustomed to. The fact that I was played like that at the gym. (...) We walk into the gym. She’s already on the treadmill. She looks like just an ordinary German girl. She smiles and sort of waves, shyly, but doesn’t go out of her way to say anything. As I’m walking out, she says: ‘Oh, can I have a picture? I’m a big fan.’ Reggie takes the picture."

I ask him if he found it a bit creepy that she described his T-shirt as smelling like "fabric softener with spring scent."

He looked nonplused: "Did she describe what my T-shirt smelled like?"

Obama staunte: "Ich merke jetzt erst, woran ich mich gewöhnen muß. Die Tatsache, daß ich beim Training in dieser Weise hereingelegt worden bin. (...) Wir gehen in den Fitnessraum. Sie ist schon auf dem Laufband. Sie sieht aus wie ein normales deutsches Mädchen. Sie lächelt und winkt, oder so ähnlich, schüchtern, aber macht keine Anstrengung, etwas zu sagen. Als ich hinausgehe, sagt sie: 'Oh, kann ich ein Bild haben? Ich bin ein großer Fan. Reggie [der Trainingspartner Obamas] macht das Bild."

Ich frage ihn, ob er es nicht ein wenig gruselig findet, daß sie den Geruch seines T-Shirts als "Weichspüler mit Frühlingsduft" beschrieben hätte.

Er guckte verlegen: "Hat sie beschrieben, wie mein T-Shirt roch?"
Na, ob dieser nachgeschobene Kommentar Obamas der Sache etwas von ihrer Peinlichkeit genommen hat? Ich würde ja sagen, er hat sie mit diesem Kommentar noch peinlicher gemacht, wenn das denn möglich war.

Vielleicht war der Gipfel der Peinlichkeit aber auch das, was Marc Pitzke in "Spiegel Online" dazu aus der Feder floß. Danach war das Geschichtlein sozusagen ein Sück Lernprozeß unseres naiven Parsifal Obama: "Die Lehre aus dieser Geschichte? Selbst Obama, der perfekte Menschenfänger, lernt noch dazu".



Und dann ist da drittens noch die Geschichte mit dem Präsidentensiegel. Die Geschichte, deren Kenntnis ich dem schon im zweiten Teil erwähnten Artikel von Matthias Rüb in der FAZ vom Wochende verdanke.

Schauen Sie sich bitte einmal dieses Bild an. Fällt Ihnen etwas auf? Daß Barack Obama ungewöhnlich nachdenklich aussieht? Ja, das auch. Aber sehen Sie sich einmal das Siegel an seinem Rednerpult an. Nicht wahr, das kommt Ihnen bekannt vor? In der Tat sieht es dem Siegel des Präsidenten der Vereinigten Staaten bemerkenswert ähnlich.

Daß Obama mit der Verwendung dieses Siegels - es wurde inzwischen zurückgezogen - versucht hatte, sich schon im Vorwahlkampf mit präsidialen Würden zu umkleiden, ist lächerlich genug.

Wirklich sehr, sehr lächerlich ist aber der Spruch, der darauf steht, auf diesem sozusagen nicht Presidential Seal, sondern Pretender's Seal. Beim Präsidenten steht E PLURIBUS UNUM, aus Verschiedenem das Eine. Als Motto festgelegt vom Kongreß im Jahr 1782. Und was steht bei Obama an der entsprechenden Stelle?

Sie ahnen es, oder Sie haben es gesehen: VERO POSSUMUS steht da. Wirklich und wahrhaftig. Also Yes we can auf lateinisch.

Geht es lächerlicher?



Mit Dank an Werner Stenzig. - Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. - Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

Zitat des Tages: Nicht verlesen

Verfassungsschutz für Linke nur "Randproblem".

Einen Augenblick dachte ich, da hätte ich mich verlesen. Diese Schlagzeile in der heutigen FAZ hätte doch sicher heißen müssen: "Die Linke für den Verfassungsschutz nur 'Randproblem'"?

Nein. Es steht tatsächlich so da.

Warum ist der Verfassungsschutz für "Die Linke" nur ein "Randproblem"?

Es geht um diese Partei in Hessen. Es geht - immer noch oder wieder, wie man will - darum, unter welchen Bedingungen sie bereit wäre, eine rotgrüne Regierung Ypsilanti mit zu installieren und dann zu unterstützen; zu "tolerieren", wie das seltsame Wort heißt (zu deutsch also: zu ertragen).

Ja, stellen sie denn Bedingungen, die Kommunisten? Keine leichte Frage. Denn das war und íst ganz verschieden, je nach taktischer Situation.

Als Ypsilanti nach den Wahlen zögerte, ob sie den Sprung in die Volksfront wagen sollte, wollten die Kommunisten ihr diesen Sprung natürlich so leicht wie möglich machen. Schon in der Wahlnacht, am 27. Januar, erklärte der Spitzenkandidat von "Die Linke", Willi van Ooyen, kurz und bündig: "Wir werden uns einer linken Mehrheit im Landtag nicht verweigern".

Als sich dann Andrea Ypsilanti, Kurt Beck im Rücken, Ende Februar für die Volksfront entschieden hatte, stiegen die Preise. Am 5. März berichtete "Focus":
Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, verlangte am Mittwoch unter anderem, SPD und Grüne müssten sich bei der Kabinettsliste mit der Linken abstimmen. Außerdem müsse die Beobachtung seiner Partei durch den hessischen Verfassungsschutz aufhören. Als weitere Voraussetzung für eine Tolerierung Ypsilantis nannte Gysi den Aufbau einer Gemeinschaftsschule. Außerdem forderte er die Abschaffung der Studiengebühren und eine Regelung, wonach öffentliche Aufträge künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden sollen, die Mindestlöhne zahlen.
Damals glaubten die Kommunisten, die SPD im Sack zu haben. Damals war der Verfassungsschutz kein "Randproblem". Aber dann kam die mutige Entscheidung der Abgeordneten Dagmar Metzger, dann kam eine erneute Diskussion innerhalb der SPD.

Jetzt überlegt Frau Ypsilanti wieder, ob sie springen soll. Also sind die Kommunisten, um ihr die Entscheidung ein zweites Mal leichter zu machen, wieder auf ihren anfänglichen Kurs eingeschwenkt: Keine Bedingungen.

Nicht nur der Verfassungsschutz ist jetzt zum "Randproblem" geschrumpft. Der bisherige Vorsitzende von "Die Linke" in Hessen, Ulrich Wilken, der in dem Artikel der FAZ jetzt als der "rechtspolitische Sprecher der Fraktion" vorgestellt wird, verkündete in dem Interview die aktuelle Linie:
Wesentlich sei, dass es in Hessen zu einem Regierungs- und Politikwechsel komme. Dafür sei die Linke bereit, Kompromisse zu machen. "Am Ende ist das alles immer noch besser als Roland Koch mit seiner Truppe." (...) Die Linke, so Wilken, werde für den Fall einer rot- grünen Minderheitsregierung keine Bedingungen in Sachen Verfassungsschutz stellen. Auch auf die Auswahl der Minister für eine Regierung Ypsilanti wolle man keinen Einfluss nehmen.
Diese Großzügigkeit hat, so darf man vermuten, genauso wie die Großzügigkeit unmittelbar nach der Wahl ein Verfallsdatum: Falls und wenn Frau Ypsilanti erklären wird, sie wolle sich einer Wahl zur Ministerpräsidentin stellen, wird der Preis für die Stimmen von "Die Linke" wieder steigen.

Und da sage noch einer, die Kommunisten seien nicht in der Marktwirtschaft angekommen.



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28. Juli 2008

Der 44. Präsident der USA (7): Barack Obama auf dem Weg vom Erhabenen zum Lächerlichen, Teil 2

Der erste Teil endete damit, daß Barack Obama sich vergangenen Mittwoch in Jerusalem der Arbeit "meines Komitees", des Senate BankingCommittee brüstete, dessen Mitglied er gar nicht ist.

Schwer zu erklären, was da in seinem Kopf vorging.

Hatte er einen solchen Ausfall seines Gedächtnisses, daß er nicht mehr wußte, in welchen Ausschüssen des Senats er eigentlich sitzt?

Dachte er, es merkt keiner, wenn er wieder mal ein wenig aufschneidet?

Oder sollen wir das "my committee" in einem höheren Sinn verstehen - irgendwie kann man ja alles, was in der US-Politik Gutes passiert, dem künftigen Retter der Nation attribuieren. "My committee" wäre dann in dem selben Sinn zu verstehen, in dem die Queen von "my government" spricht.

Wie dem auch sei - solche Erfindungen, die seine Erhabenheit noch ein wenig erhöhen sollen, findet man bei Obama häufiger.

Beispielsweise behauptete er, sein Vater sei im Jahr 1959 überhaupt nur dank der Großzügigkeit der Familie Kennedy in die USA gekommen, die das betreffende Programm für afrikanische Studenten mitfinanziert habe. Tatsächlich wurden die Kennedys erstmals 1960 um eine Spende für ein anderes derartiges Programm gebeten. Obama wollte offenbar eine Verbindung zwischen sich und Präsident Kennedy herstellen.

Nicht nur die Biographie seines Vaters, sondern auch seine eigene Existenz versucht Obama in den Kontext der großen Geschichte zu stellen. Über das Zusammentreffen seiner Eltern sagte er:
There was something stirring across the country because of what happened in Selma, Ala., because some folks are willing to march across a bridge. So they got together and Barack Obama Jr. was born.

Es war etwas Mitreißendes im ganzen Land wegen dessen, was sich in Selma, Alabama zugetragen hatte, weil einige Leute bereit sind, über eine Brücke zu gehen. So kamen sie zusammen, und Barack Obama jr. wurde geboren.
Barack Obama jr. wurde 1961 geboren. Der Vorfall in Selma - ein Marsch von Bürgerrechtlern über eine Brücke nach Montgomery, der von der Polizei brutal gestoppt wurde und der als eines der historischen Ereignisse im Kampf gegen den Rassismus gilt - fand erst vier Jahre später statt, am 7. März 1965.

Obama - oder seine Redenschreiber - benutzen offenbar sehr bewußt religiöse Klischees. Wenn ein Heiland geboren wird, dann nicht einfach, weil seine Eltern ihn zeugten. Sondern daß sie sich trafen, daß der Retter geboren wurde, ist Teil eines größeren Zusammenhangs.

Und wer geboren ist, sein Land und die Welt zu retten, den wird man nicht mit der schnöden Elle der Faktenhuberei messen.

Das folgende Beispiel entnehme ich der deutschen Presse. Denn es gibt jetzt den raren Fall, daß sich ein deutscher Journalist in einem Leitmedium kritisch mit Barack Obama befaßt. Auf das, was am vergangenen Wochenende Michael Rüb in der FAZ aus Washington berichtete, werde ich noch zurückkommen. Zunächst ein weiterer Ausrutscher von Obama, den Rüb erwähnt:

Am 13. Mai forderte er, nicht nur Kampftruppen aus dem Irak nach Afghanistan zu verlegen, sondern auch Übersetzer. Offenbar vermutete er, daß man in Afghanistan arabisch spricht.



Nun gut. Ich ahne, lieber Leser, was Sie jetzt denken: Das passiert doch jedem. Ein Politiker ist ein Politiker ist ein Politiker. Kein wandelndes Lexikon. Kein Superman, der es aushält, tagelang mit wenig Schlaf auszukommen und dann auf jede Frage immer mit perfektem Faktenwissen zu glänzen.

Recht haben Sie. Noch mehr Recht haben Sie, wenn Sie Präsident Bush dasselbe zubilligen, oder dem Senator McCain. Diesem passieren solche Ausrutscher ausgesprochen selten, aber auch der kleinste wird noch von der Presse an die große Glocke gehängt, und manchmal bimmelt das sogar bis nach Deutschland hinein, ja bis hinein in ein kleines Forum.

Also, soweit hält sich die Lächerlichkeit Obamas in den üblichen Grenzen. Sie wäre nicht erwähnenswert, wenn er nicht erstens in der Pose des Erhabenen aufträte; da ist die Fallhöhe nun einmal groß. Und wenn nicht eben zweitens anderen Politikern solche Aussetzer um die Ohren gehauen werden, während man sie bei Obama freundlich übersieht.

Was wirklich für Obama die Gefahr in sich birgt, daß er aus dieser seiner Erhabenheit in die Lächerlichkeit kippen könnte, das ist aber etwas anderes.

Es ist nicht, daß der Erlöser und Erretter sich als ein Mensch wie du und ich erweist, der nicht weiß, welche Sprachen man in Afghanistan spricht, der nicht immer weiß (oder glaubt, daß die anderen es nicht wissen), in welchem Ausschuß des Senats er Mitglied ist und dem, wie uns allen, der eine oder andere blöde Versprecher unterläuft.

Sondern es ist die Gefahr, daß die Erhabenheit derart erhaben wird, daß sie selbst es ist, die in Lächerlichkeit umschlägt. Dazu mehr im dritten Teil.

(Fortsetzung hier)



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Zitat des Tages: Keiner ist fähiger als Gordon Brown. Nur wozu? Nebst wieder einmal einer Anmerkung zu Kurt Beck

There is no one in the Labour Party who is capable of running the party worse than him.

(Es gibt niemanden in der Labour Party, der fähig dazu wäre, die Partei schlechter zu führen als er.)

Ein nicht genannter britischer Minister über den Ministerpräsidenten Gordon Brown, gestern zitiert von Scotland on Sunday, der Sonntagszeitung des Scotsman.

Kommentar: Traurig schaute er immer schon drein, der Gordon Brown. Aber nach einer Serie vernichtender Niederlagen der Labour Party, seit er Nachfolger von Tony Blair wurde, hat er inzwischen auch allen Grund dazu.

Nachdem Labour jetzt bei einer Nachwahl auch den eigentlich bombensicheren Wahlkreis Glasgow- Ost an die schottischen Nationalisten verloren hat, diskutiert die Partei "Selbstmord- Wahlen": Ein Kabinettsmitglied - gehandelt wird Jack Straw, den wir als Außenminister zur Zeit des Irak- Kriegs in Erinnerung haben - soll Gordon Brown ablösen und sofortige Neuwahlen ausschreiben.

Neuwahlen, die Labour, darüber macht man sich keine Illusionen, verlieren würde. Aber das sei immer noch besser, als bis zu dem spätesten Termin für Neuwahlen zu warten, das Jahr 2010, weil dann die Niederlage noch vernichtender ausfallen würde.



Die Labour Party hat es so gewollt. Man hat den erfolgreichen Tony Blair, vermutlich den fähigsten Labour- Ministerpräsidenten, den das UK je hatte, in die Wüste geschickt, weil man ihm die Solidarität mit den USA übel nahm und weil man seiner wohl auch einfach überdrüssig geworden war.

Statt seiner leistete man sich den ewigen Kronprinzen Gordon Brown, einen jener Leute, die der ideale Zweite Mann sind, die aber meist versagen, wenn sie an die Spitze müssen.

Inzwischen düfte mancher in der Labour Party sich Tony Blair zurückwünschen. So, wie in der SPD nicht wenige Franz Müntefering nachtrauern dürften.

Der gewiß nicht das Format Tony Blairs hatte, aber doch ein fähiger Vorsitzender war. Er wurde zum Opfer der Intrigen der Andrea Nahles.

Und nun hat die SPD den Kurt Beck. Ähnlich erfolglos, inzwischen äuch ähnlich unbeliebt wie Gordon Brown.

Nur - daß eine Partei Neuwahlen anstrebt mit dem Ziel, in die Opposition zu gehen und sich dort zu regenerieren, das gibt es wohl nur im UK. Jedenfalls nicht in Deutschland. Und schon gar nicht bei der SPD.



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27. Juli 2008

Der 44. Präsident der USA (7): Barack Obama auf dem Weg vom Erhabenen zum Lächerlichen, Teil 1

"Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas", soll Bonaparte gesagt haben; vom Erhabenen zum Lächerlichen sei es nur ein Schritt.

Kein Präsidentschaftskandidat in den USA seit Menschgedenken hat sich in solcher Erhabenheit präsentiert wie der Kandidat Barack Obama.

Er will nicht nur den "change", was man mit "Wandel" und nicht mit "Wechsel" übersetzen sollte. Er verkündet nicht nur: "We are the hope of the future", wir sind die Hoffnung der Zukunft. Sondern er will gar "heal this nation, repair this world", diese Nation gesunden lassen, diese Welt heil machen.

An dem Tag, an dem seine Nominierung feststand, hat er in St. Paul, Minnesota, gesagt:
I am absolutely certain that generations from now, we will be able to look back and tell our children that this was the moment when we began to provide care for the sick and good jobs for the jobless; this was the moment when the rise of the oceans began to slow and our planet began to heal; this was the moment when we ended a war and secured our nation and restored our image as the last, best hope on Earth.

Ich bin absolut sicher, daß wir Generationen später werden zurückblicken können und unseren Kindern sagen, daß dies der Moment war, als wir begannen, den Kranken Versorgung und den Arbeitslosen gute Jobs zu geben; daß dies der Moment war, als sich der Anstieg der Ozeane zu verlangsamen begann und als unser Planet gesund zu werden begann; daß dies der Moment war, als wir einen Krieg beendeten und unsere Nation schützten und unser Bild als die letzte, die beste Hoffung der Erde wieder errichteten.
Um es nochmal zu sagen: Der "Moment", von dem Obama da spricht, ist der seiner eigenen De- facto- Nominierung zum Kandidaten der Demokratischen Partei für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten.

Nicht wahr, das ist so erhaben, daß der Schritt zum Lächerlichen nicht sehr groß wäre? Und zumindest den Fuß scheint er gelegentlich zu heben, um diesen Schritt zu tun, der Barack Obama.



Da sind zum einen die lapses, die gaffes, die Aussetzer also. Bei jemandem wie Bush, dem die Medien nichts verzeihen, werden sie von diesen gesammelt und genüßlich als Bushisms zitiert. Bei Obama bleiben sie unbeachtet, diese Ausrutscher. Jedenfalls weitgehend, jedenfalls bisher, jedenfalls in Deutschland.

Obama hat beispielsweise versprochen, den "Präsidenten Kanadas" anzurufen, um mit ihm über die NAFTA zu sprechen. Staatsoberhaupt Kanadas ist bekanntlich die Queen.

Er hat am 25. Mai 2008 in New Mexiko am Gefallenen- Gedenktag (Memorial Day) gesagt:
On this Memorial Day, as our nation honors its unbroken line of fallen heroes -- and I see many of them in the audience here today -- our sense of patriotism is particularly strong.

An diesem Tag, wenn unsere Nation ihre bruchlose Kette gefallener Helden ehrt - und ich sehe viele von ihnen heute im Publikum - ist unser Gefühl des Patriotismus besonders stark.
Was für ein Lacher wäre das gewesen, hätte es Präsident Bush gesagt! Und was hätten sich die Kommentatoren an giftigen Bemerkungen ausgedacht, so à la "...marschier'n im Geist in unsren Reihen mit"!

Und dann gibt es Obamas Erkenntnis über die Zahl der US-Staaten: Er sei im Wahlkampf schon in 57 Staaten der USA gewesen, nur noch nicht in Alaska und Hawaii.

Auch ist da die Sache mit dem Senat. Ganz neu; er sagte das vergangenen Mittwoch in Jerusalem auf einer Pressekonferenz:
Now, in terms of knowing my commitments, you don't have to just look at my words, you can look at my deeds. Just this past week, we passed out of the U.S. Senate Banking Committee, which is my committee, a bill to call for divestment from Iran, as a way of ratcheting up the pressure to ensure that they don't obtain a nuclear weapon.

Nun, was die Kenntnis über meine Festlegungen angeht, sollten sie nicht nur auf meine Worte blicken, sie können auf meine Taten blicken. Gerade erst letzte Woche verabschiedeten wir im Banking Committee des US- Senats, das mein Komitee ist, ein Gesetz, das die Zurücknahme von Investitionen im Iran verlangt, als einen Weg, den Druck zu verstärken, um sicherzustellen, daß sie die Atomwaffe nicht bekommen.
Lobenswert, nicht wahr? Nur daß der Senator Obama diesem Banking Committee gar nicht angehört.

(Fortsetzung hier)



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25. Juli 2008

Zitat des Tages: "Der Mann will die Welt retten"

Nun wissen wir, der Mann will nicht weniger als die Welt retten.

Andreas Klinner in der heutigen ZDF-Sendung "Heute in Europa".

Kommentar: Schön, daß das, was hellsichtige US-Kommentatoren wie Jonah Goldberg und Charles Krauthammer seit einem halben Jahr schreiben, jetzt auch von deutschen Journalisten gemerkt wird.

Überhaupt scheint, wie die Presseübersicht in der heutigen "Süddeutschen Zeitung" zeigt, der Obama- Hype bei den deutschen Journalisten etwas nachzulassen.



"Let us ... remake the world once again" hat Barack Obama gestern in Berlin gesagt, laßt uns die Welt noch einmal neu erschaffen. Zur Erinnerung hier noch einmal, was er am 5. Februar 2008 in Chicago gesagt hat:
We know that we have seen something happen over the last several weeks, over the past several months. We know that what began as a whisper has now swelled to a chorus that cannot be ignored -- (cheers, applause) -- that will not be deterred, that will ring out across this land as a hymn that will heal this nation -- (cheers, applause) -- repair this world, make this time different than all the rest. Yes, we can.

Let's go to work. Yes, we can. Yes, we can. Yes, we can.

Wir wissen, daß wir über die vergangenen Wochen, über die vergangenen Monate etwas sich ereignen gesehen haben. Wir wissen, daß das, was als ein Flüstern begann, zu einem Chor anschwoll, der nicht ignoriert werden kann - (Jubel, Applaus) -, den nichts abschrecken kann, der quer über dieses Land erschallen wird als eine Hymne, die diese Nation gesunden lassen wird - (Jubel, Applaus) -, diese Welt heil machen wird, diese Zeit anders machen wird als jede andere. Yes, we can.

Machen wir uns an die Arbeit. Yes, we can. Yes, we can. Yes, we can.
Ich möchte Sie, lieber Leser, jetzt bitten, einen Augenblick nachzudenken, in Ihrem historischen Wissen zu kramen: Kennen Sie irgendein geschichtliches Beispiel dafür, daß jemand, der so redet, etwas anderes bewirkt hat als Unheil?



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Der 44. Präsident der USA (6): Obama in Berlin. Und auch bei McCain ging es gestern deutsch zu

Wer noch einmal im Original nachlesen will, was Barack Obama (jedenfalls laut Redemanuskript) gestern in Berlin gesagt hat, findet den Redetext auf der WebSite von Obama.

Obama, wie man ihn kennt, oder vielmehr seine Redenschreiber. Eloquent, pathetisch. Weniger pathetisch als seine Standard- Reden im Wahlkampf, aber vermutlich dennoch für den deutschen Geschmack etwas gewöhnungsbedürftig:
Tonight, I speak to you not as a candidate for President, but as a citizen – a proud citizen of the United States, and a fellow citizen of the world.

Heute Abend spreche ich zu Ihnen nicht als Kandidat für die Präsidentschaft, sondern als Bürger - ein stolzer Bürger der Vereinigten Staaten, und ein Mitbürger der Welt.
Ich stelle mir vor, wie der Kandidat der SPD, der kommendes Jahr gegen Angela Merkel antreten wird, in Washington eine Rede hält - nicht gleich vor dem Weißen Haus, aber, sagen wir, vor dem Lincoln Memorial, und darin sagt: Heute spreche ich zu Ihnen nicht als der Kanzlerkandidat Kurt Beck (Walter Steimmeier), sondern als Bürger - ein stolzer Bürger der Bundesrepublik Deutschland, und ein Mitbürger der Welt.

Und wie er dann schließt (ich adaptiere jetzt die Schlußpassage der Rede von Obama):
Menschen von Washington - Menschen der Welt -, wir stehen vor einer Herausforderung in großem Maßstab. Der Weg vor uns wird lang sein. Aber ich trete vor Sie, um zu sagen, daß wir die Erben eines Kampfs für die Freiheit sind. Wir sind ein Volk, welches das Unwahrscheinliche erhofft. Lassen Sie uns, mit Blick auf die Zukunft, mit Entschlossenheit im Herzen, der Geschichte gedenken, uns unserem Schicksal stellen und die Welt noch einmal neu erschaffen (remake the world once again).
Sprach's (so male ich es mir aus), der Kandidat Kurt Beck (Walter Steinmeier) und ging vielleicht in ein deutsches Restaurant in Washington, um, bevor er sich an die Neuerschaffung der Welt macht, der Kurt Beck (Walter Steinmeier), sich erst einmal von den Strapazen des Redens vor so vielen Menschen (zweihunderttausend) zu erholen.

Bei einem zünftigen Bier und, sagen wir, einer German Knockwurst zu $ 10,25, Alpine Chicken Spatzel zu $ 11,75, oder auch bei einem Weiner Schnitzel und Gravy, was für umgerechnet rund 9,50 Euro bereits das teuerste Gericht ist.

Jetzt habe ich mich, lieber Leser, aber von meiner Phantasie weit ins Imaginäre tragen lassen. Denn diese deutschen Köstlichkeiten gibt es nicht (jedenfalls habe ich dafür keinen Beleg) in Washington. Es gibt sie vielmehr in Columbus, Ohio. Genauer bei Schmidt's Restaurant und Sausage Haus, 240 E. Kossuth St. and Purdy Alley.

Und dort nun - Sie ahnen es, warum sonst sollte ich mich der Speisekarte von Schmidt's widmen - war John McCain gestern zu Gast, während Barack Obama vor den Berlinern sprach.

Nachdem er gespeist hatte - was, verraten meine Quellen wie zum Beispiel die Washington Post nicht, bis auf die cream puffs zum Nachtisch - , trat auch John McCain vor die Öffentlichkeit, die freilich nur durch einige Reporter repräsentiert war.

Und von denen fragte ihn einer, ob er, McCain, uns denn damit etwas sagen wolle, daß er just an dem Tag deutsch essen ging, an dem Obama in Berlin sprach. McCains Antwort:
Well I'd love to give a speech in Germany too -- a political speech -- or a speech that maybe the German people would be interested in. But I would much prefer to do it as president of the United States rather than as a candidate for the office of the presidency.

Also, ich würde sehr gern auch in Deutschland eine Rede halten - eine politische Rede - also eine Rede, die die Leute in Deutschland vielleicht interessieren würde. Aber ich würde das sehr viel lieber als Präsident der Vereinigten Staaten tun, statt als Kandidat für das Amt des Präsidenten.


Da haben wir sie, die beiden: Den pathetischen Obama vor der Siegessäule, der die Welt noch einmal neu erschaffen will, und den sehr unpathetischen John McCain bei Schmidt's in Columbus, Ohio, der mit leiser Ironie darauf verweist, daß eine solche Rede wie die Obamas vor der Siegessäule doch vielleicht dem Sieg bei den Wahlen etwas vorgreift.



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23. Juli 2008

Peking 2008 (1): Keine Peking-Ente - während der Olympischen Spiele darf demonstriert werden!

Demonstriert werden darf. Allerdings sind, so erfährt man aus einem Artikel von Jim Yardley in der heutigen International Herald Tribune, ein paar Formalien zu beachten:

Demonstriert werden darf nur in einer der drei dafür eingerichteten Zonen Ritan- Park, Weltpark Peking und Lila- Bambus- Park.

Hierzu ist natürlich eine Genehmigung erforderlich, die beim Pekinger Sicherheits- Büro mindestes fünf Tage im Voraus beantragt werden kann.

Bei der Beantragung muß detaillierte Auskunft über den Gegenstand der Demonstration, über eventuelle Slogans und die Zahl der erwarteten Teilnehmer gegeben werden.

Nicht genehmigt werden Demonstrationen, die der nationalen Einheit oder der sozialen Stabilität abträglich sein könnten oder die für separatistische Ziele eintreten.

"These prohibitions can be interpreted so broadly that most legal protests are not approved", diese Verbote könnten so weit ausgelegt werden, schreibt dazu Yardley, daß die meisten legalen Demonstrationen nicht genehmigt werden. (Illegale finden, so liest man in dem Artikel, ständig irgendwo in China statt).

Nicholas Bequelin von Human Rights Watch bemerkte dazu, daß chinesische Bürger vermutlich von dieser Möglichkeit legalen Demonstrierens kaum Gebrauch machen würden, denn sie müßten mit Repressalien nach dem Ende der Spiele rechnen.

Allenfalls ein paar Leute, die nichts mehr zu verlieren hätten, würden von diesem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, meinte Bequelin.



Kommentar: Die Anmeldung von Demonstrationen und Auflagen, die bei ihrer Durchführung zu beachten sind, gibt es auch in demokratischen Rechtsstaaten. Insofern können die chinesischen Behörden argumentieren, sie verhielten sich so wie die anderer Länder auch, zumal bei Olympischen Spielen.

Der eigentliche Unterschied - ob nämlich in der Praxis wirkliche Kritik erlaubt wird oder nicht - läßt sich kaum formal fassen. So, wie es auch in der DDR "politisches Kabarett" gegeben hatte, das "kritisieren durfte". Nur die jeweils erlaubte Dosis an Kritik bestimmten die Partei und das MfS.



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Der 44. Präsident der USA (5): Barack Obama - der Clement Attlee des Irakkriegs?

Als Churchill das Vereinigte Königreich gerettet hatte, haben ihn die Briten abgewählt. Zwei Monate nach der deutschen Kapitulation bereiteten die britischen Wähler Churchill eine große Niederlage; Clement Attlee wurde sein Nachfolger.

Waren sie undankbar, die Briten? Vielleicht. Vor allem aber war ihnen das Hemd näher als der Rock.

Sie hatten es Churchill zu verdanken, daß sie den Krieg nicht verloren hatten. Aber nun war Frieden. Nun wollten sie nicht länger einen Krieger an der Spitze, sondern einen Mann der sozialen Gerechtigkeit. Als dieser galt Attlee, der Vorsitzende von Labour.

Es könnte gut sein, daß Barack Obama der Attlee des Irak- Kriegs wird.

Er rühmt sich, diesen Krieg von vornherein abgelehnt zu haben. Er propagierte den Rückzug, als dies die sichere Niederlage bedeutet hätte. Er war gegen den Surge, der 2007 die Wende brachte. Das unterscheidet ihn von Attlee, der unter Churchill Vizepremier war und der dessen Kriegsführung unterstützte. Aber sieht man davon ab, so ist die Lage ähnlich wie im UK im Juli 1945.



Obama lag in Bezug auf den Irak so falsch, falscher geht's nicht.

Nur weil Präsident Bush die Charakterstärke hatte, nicht auf die Forderungen Obamas, der Kongreßmehrheit, der Leitmedien und zunehmend auch der Öffentlichkeit zu hören und in der schwierigen Situation im Frühsommer 2007 den Irak aufzugeben; nur weil Bush stattdessen dem Rat von John McCain folgte und das Unpopulärste tat, was er tun konnte, nämlich 30.000 weitere Soldaten in den Irak schicken - nur deshalb ist die heutige Situation eingetreten.

Eine Situation, in der die amerikanischen Wähler sich sehr gut so verhalten könnten wie die britischen 1945: Gut, es waren Bush und McCain, die die Arbeit gemacht haben. Aber nun ist ja alles im grünen Bereich. Nun brauchen wir einen Präsidenten, der den Frieden verwaltet, statt den Krieg fortzusetzen. So könnten viele Wähler denken.

In der Los Angeles Times hat Jonah Goldberg, mein Lieblingskommentator neben Charles Krauthammer in der Washington Post, ähnliche Überlegungen angestellt. Er rät McCain deshalb, im Wahlkampf nicht zu sehr die Irak- Karte zu spielen.

Er sollte das nicht tun, gerade weil er in Bezug auf diesen Krieg im Recht gewesen war, von vornherein im Recht gewesen war. Die Wähler fragen nicht, wer Recht hatte, sondern sie wählen den, von dem sie sich für ihre eigene Zukunft mehr versprechen.

Obama wird zwar so wenig den Change bringen und die Welt heilen, wie Attlee den Briten das sozialistische Paradies bescherte (Er legte mit seinen Verstaatlichungen und der Aufblähung der Bürokratie vielmehr die Basis für die Entwicklung des UK zum "Kranken Mann Europas", die erst Margaret Thatcher beendete).

Aber wenn ein Krieg vorbei ist oder, wie jetzt im Irak, jedenfalls das Ende absehbar ist, dann gibt es oft einen radikalen Stimmungswandel. Man will dann die Lasten des Kriegs vergessen und etwas von der "Friedensdividende" haben. Wer sie verspricht, der hat gute Chancen, gewählt zu werden. In den Umfragen liegt Obama seit Wochen stabil vor McCain.



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22. Juli 2008

Kurioses, kurz kommentiert: Habemus candidatam

Wir haben eine veritable Kandidatin.

Kurt Beck über die Kandidatin Gesine Schwan im Sommerinterview des ZDF am vergangenen Sonntag, das heute Nachmittag auf Phoenix wiederholt wurde.

Kommentar: Eine veritable Kandidatin ist sie freilich, die Gesine Schwan; kein Phantom, keine Fata Morgana. Fragt sich nur, ob auch eine formidable, präsentable, respektable, oder was immer dem Kurt Beck da an Fremdwörtern durch den Kopf gegangen ist.

Sollte man, darf man sich darüber mokieren, wenn für jemanden Fremdwörter Glückssache sind? Man darf gewiß. Man sollte in der Regel nicht. Hier aber, finde ich, schon.

Denn dieser Satz war bezeichnend für das ganze Interview, in dem sich eine Floskel an die andere reihte. Nichtssagend, unbeholfen formuliert, vermutlich auswendig gelernt. Mit Stilblüten wie "Was die CSU derzeit macht, das ist Furcht vor dem Wähler - nicht mehr und nicht weniger."

In der Rangliste deutscher Politiker im gedruckten "Spiegel" dieser Woche findet man Kurt Beck auf Platz 18 von 20 Plätzen. Einen Platz vor ihm steht Gregor Gysi, einen Platz hinter ihm Oskar Lafontaine.

Die von TNS Forschung Befragten haben, indem sie diese Plazierung lieferten, ein Ergebnis nicht ohne Symbolik hinbekommen: Eingeklemmt ist er zwischen den beiden Anführern von "Die Linke", der Kurt Beck.

Daß er sich als ein brillanter Intellektueller erweisen würde, hat niemand von Kurt Beck erwartet. Aber für einen soliden Charakter, für eine ehrliche Haut hat man ihn gehalten. Dieses Bild hat er gründlich beschädigt, als er sich hinter die Tricksereien der Andrea Ypsilanti stellte. Was bleibt da noch?



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Zitat des Tages: Was die "New York Times" von John McCain nicht drucken wollte, weil es kein Spiegelbild eines Textes von Barack Obama war

In 2007 he wanted to withdraw because he thought the war was lost. If we had taken his advice, it would have been. Now he wants to withdraw because he thinks Iraqis no longer need our assistance. (...)

I am also dismayed that he never talks about winning the war — only of ending it. But if we don’t win the war, our enemies will. A triumph for the terrorists would be a disaster for us. That is something I will not allow to happen as president.


(2007 wollte er den Rückzug, weil er dachte, daß der Krieg verloren sei. Wenn wir seinem Rat gefolgt wären, hätten wir ihn verloren. Jetzt will er den Rückzug, weil er denkt, daß die Irakis unsere Hilfe nicht mehr benötigen. (...)

Ich finde es auch bestürzend, daß er nie über den Sieg in diesem Krieg spricht - nur davon, ihn zu einem Ende zu bringen. Wenn aber nicht wir es sind, die diesen Krieg gewinnen, wird ihn der Gegner gewinnen. Ein Triumph für die Terroristen wäre ein Desaster für uns. Das werde ich als Präsident nicht zulassen.)

John McCain in einem Kommentar, den zu drucken die New York Times ablehnte.

Geschrieben hatte John McCain diesen Beitrag als Entgegnung auf einen Artikel von Barack Obama zur Irak- Politik. Dieser war vergangene Woche in der NYT erschienen.

Kommentar: Der Vorfall erregt in den USA beträchtliches Aufsehen. Ich habe davon gestern Abend bei CNN erfahren. Aufgedeckt hat die Sache der Drudge Report in einer Meldung von gestern Mittag, amerikanische Ostküsten- Zeit. Dort ist auch der von der NYT abgelehnte Artikel jetzt zu lesen.

In der Email, in der er dem Team von McCain die Ablehnung mitteilte, schrieb der zuständige Redakteur David Shipley, daß McCain ein geändertes Ms einreichen könne:
Let me suggest an approach. The Obama piece worked for me because it offered new information (it appeared before his speech); while Senator Obama discussed Senator McCain, he also went into detail about his own plans. It would be terrific to have an article from Senator McCain that mirrors Senator Obama's piece.

Lassen Sie mich einen Ansatz vorschlagen. Der Text von Obama funktionierte aus meiner Sicht, weil er neue Informationen bot (er erschien vor seiner Rede); Senator Obama äußerte sich zwar zu Senator McCain, ging aber auch in Bezug auf seine eigenen Pläne ins Detail. Es wäre toll, einen Artikel von Senator McCain zu bekommen, der ein Spiegelbild des Textes von Obama ist.
John McCain hat immer betont, daß es falsch sei, einen detaillierten Plan zum Verhalten der USA im Irak zu veröffentlichen, während Obama das mit seiner Festlegung auf einen Rückzug innerhalb von 16 Monaten bekanntlich getan hat. Von McCain zu verlangen, er solle ein "Spiegelbild" zu Obamas Artikel abliefern, damit die NYT bereit sei, seinen Text zu drucken, ist also eine ziemliche Unverfrorenheit.

So sehen das jedenfalls die Republikaner. "The paper's decision to refuse McCain's direct rebuttal to Obama's 'My Plan for Iraq' has ignited explosive charges of media bias in top Republican circles", schreibt der Drudge Report. Die Entscheidung hätte "innerhalb der Spitze der Republikaner knallharte Anschuldigungen der Einseitigkeit" bei der NYT hervorgerufen.



Das Interessanteste ist aus meiner Sicht weniger das parteiliche Verhalten der NYT (David Shipley war früher als Berater des demokratischen Präsidenten Clinton tätig und gehörte zu seinen hauptsächlichen Redeschreibern). Sondern bemerkenswert finde ich, daß ein solches Verhalten in den USA als so kritikwürdig gesehen wird.

Die NYT ist das Leitmedium der amerikanischen Linken. Aber man erwartet dennoch von ihr, daß sie den republikanischen Kandidaten genauso fair behandelt wie den Kandidaten Obama, den sie schon jetzt inoffiziell unterstützt und den sie nach seiner Nominierung offiziell unterstützen wird.

So ist das in den USA. Man schätzt klare Meinungsäußerungen. Aber vor allem wird Fairness geschätzt und verlangt.



Hier übrigens können Sie den Artikel von Barack Obama vom Montag vergangener Woche lesen. Wo die "neuen Informationen" stecken, die der Redakteur Shipley in ihm fand, hat sich mir nicht erschlossen.

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21. Juli 2008

Radovan Karadžić verhaftet

Das meldete soeben Al Jazeera.
Schön wär's, wenn es diesmal stimmte.



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Zitat des Tages: Totalitäres Denken, in einem Satz griffig formuliert

Es ist Aufgabe der Politik, die Regeln so zu setzen, daß der einzelne leben kann, ohne sich viele Gedanken zu machen.

Der Leiter des Büros Berlin des "Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie", der Jurist Hermann E. Ott, heute auf der vom Sender "Phoenix" übertragenen Diskussionsrunde des Jugendforums "Klimaschutz - Verantwortung für Generationen".

Kommentar: Ich bin mit dem Begriff "faschistisch", mit dem andere schnell bei der Hand sind, vorsichtig; er hat ja eine bestimmte historische Bedeutung. Aber "totalitäres Denken" scheint mir doch die angemessene Bezeichnung für das zu sein, was dieser Jurist da gesagt hat.

Als ich der Serie zu diesem Thema die Überschrift "Deutschland im Öko- Würgegriff" gegeben habe, war ich nicht sicher, ob das nicht ein wenig sehr plakativ ist. Inzwischen fürchte ich, daß es nur allzu realistisch ist.



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Marginalie: Wie die Amerikanische Physikalische Gesellschaft mit einem Klimaskeptiker verfuhr

Es geht nur um eine kurze Notiz in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift. Aber was im American Thinker Marc Sheppard am Samstag beschrieben hat, ist doch ein kleiner Skandal.

Jedenfalls wirft der Vorgang ein Schlaglicht auf die Art, wie in der Scientific Community mit Autoren umgegegangen wird - oder sagen wir vorsichtiger: umgegangen werden kann -, die eine "klimaskeptische" Position einnehmen. Womit bekanntlich nicht gemeint ist, daß sie dem Klima skeptisch gegenüberstehen, sondern daß sie Zweifel an der Standard- Story von der vom Menschen verursachten, auf einem Treibhauseffekt basierenden globalen Erwärmung artikulieren.



Was mich angeht - ich bin kein Klimaskeptiker in diesem Sinn. Ich verstehe nichts von Klimaforschung und sehe mich außerstande, in Bezug auf ein so hochspezialisiertes, interdisziplinäres und mit komplexen mathematischen Modellen arbeitendes Forschungsgebiet eine Meinung zu haben.

Also bin ich kein Klimaskeptiker, sondern ein Klimagnostiker: Ich traue mir kein Urteil darüber zu, ob sich das Klima gegenwärtig erwärmt (wofür wohl viel spricht), ob es sich künftig erwärmen wird (was die meisten Modelle vorhersagen; vielleicht stimmen sie, vielleicht nicht) und wenn ja, wieweit dafür ein menschengemachter Treibhauseffekt ursächlich ist.

Das alles weiß ich nicht. Ich weiß aber so ungefähr, wie Wissenschaft funktioniert. Nämlich unter anderem so, daß es zu bestimmten Themen häufig das gibt, was man "das Standardmodell", "conventional wisdom", "a widely held view", die "herrschende Auffassung" und dergleichen nennt - eine Auffassung, die von der Mehrheit der Fachleute zu einem bestimmten Zeitpunkt geteilt wird.

Manchmal erhärtet sich diese wissenschaftliche Position im Lauf der Forschung so, daß sie nah an Gewißheit heranreicht; wie zum Beispiel bei der Darwin'schen Evolutionstheorie. Manchmal erweist sie sich als irrig, wie beim Äther, dessen Existenz bis zum Experiment von Michelson und Morley im Jahr 1887 als sicher galt. Am Häufigsten ist es, daß ein solches Standard- Modell in seinem Kern Bestand hat, aber modifiziert und differenziert wird, wie etwa das Atommodell von Niels Bohr.

Welches dieser möglichen Schicksale einem Standard- Modell, einer herrschenden Meinung widerfährt, das ist trivialerweise offen. Es entscheidet sich erst im weiteren Forschungsprozeß.

Folglich gehört es es zu dessen Grundregeln, daß diejenigen, die der herrschenden Meinung skeptisch gegenüberstehen, dieselbe Stimme, gleiche Publikationsmöglichkeiten, dasselbe Anrecht auf vorurteilsfreie Diskussion ihrer Argumente haben wie seine Anhänger. Nur so kann ja herausgefunden werden, wie es mit der Richtigkeit dieses Modells, dieser Meinung bestellt ist.

Das gilt für Fachwissenschaftler; aber es gilt auch für Laien, die sich in die betreffende Materie eingearbeitet haben und die sich ein Urteil zutrauen. Es gilt zum Beispiel für Al Gore, der kein Klimatologe ist, der aber das Recht hat, daß seine Meinung zur globalen Erwärmung ernstgenommen wird. Ebenso gilt es für einen seiner Antipoden, den britischen Viscount Christopher Monckton of Brenchley.



Soweit eine kleine Erinnerung an das, was eigentlich so selbstverständlich sein sollte, daß es überflüssig sein müßte, daran zu erinnern.

So ist es aber nicht.

Vergangenes Jahr war hier zu lesen, wie das Umwelt- Bundesamt mit der Meinung von Klimaskeptikern verfährt: Nämlich so, wie die römische Inquisition mit dem Galileo Galilei verfahren ist; wenn auch vorläufig ohne deren Machtmittel.

Und jetzt also der Fall in den USA, über den Marc Sheppard berichtet. Es geht um einen Aufsatz im Forum on Physics and Society, einer Internet- Zeitschrift, die von der American Physical Society (APS) herausgegeben wird, der wissenschaftlichen Vereinigung amerikanischer (und vieler internationaler) Physiker.

Die Herausgeber dieser Zeitschrift hatten Autoren eingeladen, ihre Thesen zur globalen Erwärmung in jeweils einem Aufsatz zusammenzufassen; auf der einen Seite die Anhänger des Standard- Modells David Hafemeister und Peter Schwartz und auf der anderen Seite den Klimaskeptiker Christopher Monckton of Brenchley. Wie gesagt, kein Klimaforscher; er hat Altphilologie und Jurnalistik studiert. In der Klimadebatte spielt er, jedenfalls im UK, eine ähnliche Rolle wie Al Gore, nur eben auf der anderen Seite.

Bevor Sie weiterlesen, möchte ich Ihnen vorschlagen, auf diese WebSite zu gehen. Dort finden Sie den Artikel, um den es geht. Und ganz zu Beginn finden Sie das Skandalöse, nämlich einen redaktionellen Vorspann, rot gedruckt:
The following article has not undergone any scientific peer review. Its conclusions are in disagreement with the overwhelming opinion of the world scientific community. The Council of the American Physical Society disagrees with this article's conclusions.

Der folgende Artikel ist nicht von Experten begutachtet worden. Seine Schlußfolgerungen stehen im Widerspruch zu der überwältigenden Meinung der weltweiten Gemeinschaft der Wissenschaftler. Der Beirat der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft stimmt mit den Folgerungen dieses Artikels nicht überein.
Da haben wir ihn, den Skandal.

Es steht einer Zeitschrift frei, einen eingereichten oder eingeladenen Artikel einem wissenschaftlichen Begutachtungsverfahren zu unterziehen und ihn dann, wenn die Gutachten negativ ausfallen, abzulehnen. Sie kann selbstverständlich auch dann, wenn sie einen Artikel als kontrovers einstuft, einen Beitrag anderer Autoren hinzusetzen, der die Gegenmeinung vertritt. Der Leser kann sich dann frei seine Meinung bilden.

Aber einen Artikel zur Publikation anzunehmen und dann ex kathedra in einem Vorspann ein negatives Urteil zu fällen - das ist nicht nur völlig unüblich, sondern es ist inakzeptabel. Zumal, so berichtet Marc Sheppard, dieser Vorspann erst nach einigen Tagen dem Artikel vorangestellt wurde. Da dürfte also ein Hintergrund aufklärungsbedürftig sein.

Und zumal Monckton vehement bestreitet, daß sein Manuskript nicht begutachtet worden sei. Er habe ein ausführliches Gutachten von einem Physiker erhalten, dessen Kritik und Verbesserungsvorschläge er bei der Revision des Manuskripts Punkt für Punkt berücksichtigt habe.

Der Brief Moncktons, in dem das steht, ist am Ende des Artikels von Sheppard zu finden. Darin stellt Monckton auch die sehr berechtigten Fragen, wer auf welcher Sitzung des Beirats der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft das vernichtende Verdikt über seinen Artikel gefällt habe und welche von dessen Schlußfolgerungen denn eigentlich von diesem Beirat zurückgewiesen würden.



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20. Juli 2008

Zitat des Tages: "Gegen die Wand". So sah es in Deutschland vor drei Jahren aus. Vielleicht ein Ausblick auf die Zeit nach den Wahlen 2009

1998 trat Kanzler Gerhard Schröder an - mit dem Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Sechseinhalb Jahre später sind mehr Deutsche arbeitslos als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Was immer der Kanzler in der Zwischenzeit unternahm, um die Probleme zu lösen - es hat nichts gebracht. Die Kräfte der Globalisierung waren stärker, und sie wirken weiter: Arbeitsplätze werden verlagert, Billiglöhner wandern zu.

Beim Aufräumen ist mir der "Spiegel", Heft 10/2005 vom 7.3. 2005 in die Hände gefallen, in dessen Inhaltsverzeichnis dieser Text zur Titelgeschichte steht. Deren Überschrift lautet "Kanzler ohne Fortune", und in der Unterzeile heißt es: "Der Sturm der Globalisierung hat den deutschen Arbeitsmarkt verwüstet - die Industriejobs gehen, die Billig- Dienstleister kommen."

Kommentar: Die "Kräfte der Globalisierung" sind heute nicht schwächer, sie sind vermutlich stärker als damals. Und in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit drei Jahre nach dem Erscheinen dieser Titelgeschichte so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr.

Ich fand es lehrreich, diesen Artikel jetzt noch einmal zu lesen. Kompetent geschrieben, von acht Autoren des Hauptstadtbüros, darunter dessen damaligem Leiter Gabor Steingart. So beschreiben sie die damalige Lage:
Alle zentralen Anzeigen der Volkswirtschaft - die Staatsverschuldung, die Arbeitslosigkeit, die Sozialkassen - drehten in den roten Bereich. Es ist, als hätte die Führung des Landes die Kontrolle über die Volkswirtschaft verloren. (...)

Das Wirtschaftswachstum hat seit drei Jahren die Nullmarke nur unwesentlich verlassen. Das Pro- Kopf- Einkommen ist abgestürzt hinter das Niveau von Frankreich und Großbritannien. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen liegt höher als in vielen Ländern Europas. Vor allem die Zahl der regulären Jobs sinkt in raschem Tempo. (...)

Deutschland hat sich von der internationalen Konjunkturentwicklung praktisch entkoppelt. (...) Ohne die Staatsschulden würde das Sozialprodukt des Landes schrumpfen. (...) "Die öffentlichen Finanzen", hielt erst jüngst Sachverständigenratschef Bert Rürup dem Kanzler vor, "fahren gegen die Wand." (...)
Deutschland war nicht mehr die Lokomotive Europas, es war zum Schlußlicht geworden. Das war das Ergebnis von sechseinhalb Jahren rotgrüner Politik.

Knapp drei Monate nachdem dieser Artikel erschienen war, Ende Mai 2005, warf Schröder das Handtuch und erklärte, er strebe vorzeitige Neuwahlen an.



Im Rückblick ist offensichtlich: So schonungslos damals die Autoren des "Spiegel" die Situation beschrieben, so unzutreffend war es, die damalige Misere darauf zurückzuführen, daß die "Kräfte der Globalisierung stärker" gewesen waren.

Sondern die damalige Regierung hatte schlicht die falsche Politik gemacht. Bis Schröder im letzten Augenblick die Fahrt in den Untergang seiner Regierung durch die aus der Tasche gezauberte "Agenda 2010" zu bremsen versucht hatte.

Am Ende des Artikels wird eine Sitzung des SPD-Parteivorstands geschildert, in der sich "ungewöhnliche Szenen" abespielt hätten:
"Wir müssen Politik machen und nicht Statistiken erklären", rief Andrea Nahles den Würdenträgern der Sozialdemokratie zu. Parteivize Heidemarie Wieczorek- Zeul, sonst eher stille Beobachterin, sprang ihr zur Seite: "Wir brauchen eine politische Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit." (...)

Als dann noch in die laufende Sitzung die Meldung hineingereicht wurde, Clement halte an der Senkung der Unternehmensteuer fest, geriet die Tonlage kurzzeitig aus dem Takt. "Wolfgang, wie sollen wir mit dir noch solidarisch sein?", giftete Wieczorek-Zeul. Clement blickte betreten auf die Tischplatte. (...)

Unverdrossen forderten vor allem die Parteilinken ein Milliardenprogramm zur Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit. "Doch - das diskutieren wir jetzt hier", ließ sich eine trotzige Nahles vernehmen.
Anders als die Schilderung der damaligen Wirtschaftslage klingt dies heute allerdings nicht wie ein Bericht aus einer anderen Welt.

Oder vielleicht doch. Damals hatte die SPD ihre verheerende Politik betrieben, obwohl Andrea Nahles und ihre Gefolgsleute in der Partei noch in der Minderheit waren. Heute ziehen sie dort die Strippen.

Schöne Aussichten also für den Fall, daß es nach den Wahlen 2009 zu einer Neuauflage einer Linkskoalition kommt; in welcher Konstellation auch immer.



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Gedanken zu Frankreich (25): Ein Hamburger in Paris. Nebst Erinnerungen an fünfzig Jahre Speisen in Frankreich

"The land of foie gras takes to the 3-star hamburger" lautet die Überschrift; das Land der Gänsestopfleber wendet sich dem Hamburger mit drei Sternen zu. Dieser Artikel von Jane Sigal ist so, wie man es in der International Herald Tribune liebt:

Für Amerikaner geschrieben, die Europa mögen. Für Europäer geschrieben, die die USA mögen. Und vor allem für Franzosen geschrieben, die sich die IHT kaufen, um diese seltsamen Amerikaner besser zu verstehen.

Und geschrieben natürlich für den Amerikaner in Paris, der sich die IHT kauft, erstens weil er sich daran erinnert, wie Jean Seberg sie in "À bout de souffle" so umwerfernd charmant verkauft hat (damals noch als New York Herald Tribune). Und zweitens weil ja auch er seinerseits die Franzosen besser verstehen will, und weil nirgends die Franzosen besser erklärt werden als eben in der IHT.

Also, es geht um einen clash of cultures; einen, gegen den der Zusammenprall zwischen amerikanischer und britischer Kultur in Oscar Wildes "The Canterville Ghost" nur ein sanftes Sich- Berühren gewesen ist.

Und nirgends prallen sie natürlich so heftig aufeinander, die amerikanische und die französische Kultur, wie beim Essen.

Für das der kultivierte Franzose niemals das ordinäre Wort manger verwenden würde. Man geht zum déjeuner, meist aber heutzutage zum dîner; man nimmt den repas.

Und der Amerikaner, lui? Er spricht vom food und meint damit leider nicht nur die Dosen für seine pets. Ja, wenn er jemanden einlädt, dann kündigt er gar an "We will feed you". Welchem Franzosen, der die IHT liest, fällt da nicht das ein, wofür wir Deutsche das Wort "Abfüttern" haben?

Abfüttern gegen Dinieren. Fast Food gegen die eineinhalb Stunden, die in Frankreich ein ordentliches Essen mindestens dauert. Die Speise, im Stehen heruntergeschlungen, gegen ein Menü mit gebührend langen Pausen zwischen den plats, in denen man dem Genossenen nachsinnen, sich auf den nächsten Gang freuen, vor allem aber mit den Tischgenossen, den convives plaudern kann; wörtlich also den Mitlebenden.



So, lieber Leser, will es das Klischee. Und so war es ja auch einmal.

So war es, als ich vor ziemlich genau fünfzig Jahren, kurz vor dem Ende der Vierten Republik, das erste Mal in Paris war. Wenn der in Paris lebende Onkel den Schüler zum Essen einlud, dann ging es so geruhsam, so aufwendig, so französisch zu. Und selbst wenn man sich - das begann damals gerade - im self service zu Mittag sein Essen selbst an der Theke zusammenstellte, bestand es aus mindestens vier Gängen, und man trank ein Fläschlein Wein dazu.

Das war aber nur eine Notlösung für den Mittag. Die meisten, die in Paris arbeiteten, gingen auch Mittags in ein Bistrot; und Abends nahm man das traditionelle Menü:

Zum Auftakt das hors d'oeuvre - wörtlich also das, was außerhalb des eigentlichen Werks ist; die Vorspeise. Meist kalt; die terrine du chef etwa, eine Pastete nach Art des Hauses.

Dann (oder statt des hors d'oeuvre) eine Suppe. Keine dicke Suppe (soupe), sondern meist eine leichte, klare Brühe, der consommé. Sodann kam eine entrée; oft ein Fischgang oder Meeresfrüchte. Und dann der Hauptgang, gefolgt vom Käse.

Auch in kleinen Restaurants gab es einen Käsewagen, mit dem der garçon oder die Kellnerin, oft auch der patron selbst erschien. Nur Unzivilisierte und Deutsche nutzten die Einladung, sich nach Belieben zu bedienen, um hier über Gebühr zuzulangen. Man nahm ein Stückchen von einem, allenfalls von zweien der angebotenen Käse.

Am Schluß das dessert; oft Obst oder ein gâteau, ein sehr süßer Kuchen. Nicht dazu, sondern anschließend war der café unvermeidlich; dazu vielleicht Cognac.



Wie konnte man so viel essen? Zum einen, weil es nicht so viel war. Die Portionen waren klein. Zweitens, weil man sich ja Zeit ließ. Und drittens, weil es in Frankreich üblich ist, den Teller nicht leer zu essen. Kein Wirt käme dort auf die Idee, den Gast, der sich von einem nicht leergeräumten Teller trennt, zu fragen: "Hat's nicht geschmeckt?", wie man das in Deutschland erleben kann.

Tja, so war das damals, vor einem halben Jahrhundert. Es gibt solche Menüs natürlich auch heute noch. Aber sie sind nicht mehr die Regel. Wie überhaupt das Essen in Frankreich sich drastisch geändert hat. Und zwar in vielfacher Hinsicht.

Zum einen haben natürlich auch nach Frankreich fremde Küchen ihren Einzug gehalten. "Einzug" ist nicht ganz richtig, denn auch vor fünfzig Jahren konnte man in Paris von der vietnamesischen über die russische bis zur maghrebinischen Küche alles bekommen, was das Herz an Exotik begehrte.

Aber das waren doch Ausnahmen, außer in den Vierteln der betreffenden Einwanderer. Heute hingegen wimmelt es überall von Italienern, von chinesischen Lokalen, im Quartier Latin von griechischen Restaurants vor allem für Touristen, die ganze Straßen dominieren.

Zweitens gibt es auch in Frankreich inzwischen, wie überall auf der Welt, Fast- Food- Angebote aller Art. Die MacDonaldisierung halt, gegen die sich Frankreich anfangs gewehrt hatte.

Drittens hat sich ein Netz von Restaurant- Ketten wie Le Bistrot Romain, Hippopotamus und Léon de Bruxelles über Paris ausgebreitet; mit einer Einheits- Speisekarte, auf der wenige, standardisierte Speisen stehen. Dort geht es um schnellen Umsatz. Zwischen den - in ihrer Zahl geschrumpften, siehe unten - Gängen bleiben kaum noch Pausen; der Tisch soll ja schnell wieder für die nächsten Gäste frei werden.

Und viertens und hauptsächlich hat sich auch in den traditionellen französischen Restaurants, die es immer noch in großer Zahl gibt, die Speisekarte drastisch geändert. "Au XXIe siècle, le nombre de plats d'un repas a beaucoup diminué" kann man in der französischen Wikipedia lesen; im Einundzwanzigsten Jahrhundert sei die Zahl der Gänge eines Essens sehr geschrumpft.

In der Tat. Einen maßgeblichen Grund dafür habe ich in einem früheren Artikel beschrieben: Das Bedienungspersonal ist, vor allem aufgrund der gesetzlichen 35-Stunden-Woche, so teuer geworden, daß es sich für die Wirte nicht rechnet, den Gästen viele Gänge zu servieren. Das geht nur noch in den teuersten Restaurants.

Also hat man die Zahl der Gänge reduziert. Das hors d'oeuvre ist weitgehend im entrée aufgegangen; und dieses wird in den einfachsten Menüs, die jetzt gern la formule genannt werden, oft alternativ zum dessert angeboten.

Damit die Gäste dennoch satt werden, sind die Teller heutzutage in Paris genauso vollgepackt wie in Berlin oder Köln. Also bestellt man, selbst wenn man es vorzieht, à la carte zu essen, kaum noch mehr als drei Gänge.



Und wie ist das nun mit dem Hamburger in Paris? In Gestalt der Hamburger von McDonald's und Burger King haben sie Paris schon längst ebenso erobert wie die zahllosen Pizzerien und Gyros- Griechen. Aber nicht davon ist in dem Artikel von Jane Sigal in der IHT die Rede, sondern von einer anderen Entwicklung: Die französischen Köche sind dabei, nolens volens den Hamburger, nun ja, zu schlucken. If you can't beat'em, join'em.
But as French chefs have embraced the quintessentially American food, they have also made it their own, incorporating Gallic flourishes like cornichons, fleur de sel and fresh thyme. These attempts to translate the burger, or maybe even improve it, strongly suggest that it is here to stay.

Aber indem die französischen Köche das schlechthinnige amerikanische Essen übernahmen, haben sie es sich zugleich zu eigen gemacht, indem sie gallische Schnörkel wie Cornichons, Meersalz und frischen Thymian hinzufügen. Diese Versuche, den Burger zu übersetzen, ihn vielleicht gar zu verbessern, legen es eindeutig nahe, daß er sich festsetzen wird.
Der Beginn also einer wunderbaren Freundschaft? Vielleicht. Denn so richtig hätte, schreibt Jane Sigal, diese neue kulinarische Mode sich in Paris erst in den letzten neun Monate entwickelt.

Also ungefähr, seit Nicolas Sarkozy, der Freund der USA, das Amt des Staatspräsidenten von Jacques Chirac übernommen hatte. Ein Hamburger, für 35 Euro von dem Drei- Sterne- Koch Yannick Alléno in seiner kleinen Kneipe Le Dali auf den Tisch gebracht - undenkbar im Frankreich Chiracs. Ein Stück Wende unter Sarkozy.



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