7. Juni 2007

"Ja, ist das denn noch Kunst?" Ein erster Blick auf die Documenta 12

Die "Zeit" erscheint neuerdings wieder mit einer Beilage im Stil des unvergessenen "Zeit- Magazins". Sie heißt jetzt "Leben"; das war der Name des Gesellschafts- Ressorts in der magazinlosen Zeit gewesen.

Fein, sehr fein. Das Lösen des Kreuzworträtsels wird wieder komfortabel. Und viel Schönes zu sehen gibt's. Und der sehr kluge Peter Bieri hat eine monatliche Kolumne.

Das aktuelle Heft schwelgt in Bildern. Kein Wunder, denn das Hauptthema ist die "Documenta 12", die in knapp zwei Wochen öffnet.

Mich haben diese Fotos sehr überrascht. Ästhetische Objekte und Installationen; ornamentale Tafelbilder. Eine Plastik von Zheng Guogu stellt einen Wasserfall dar, aus Wachs geformt. Eine Skulptur aus Edelstahl und Plastikbahnen, von einer brasilianischen Künstlerin in einen halbdunklen Raum gestellt. Alte, geschnitzte Holzstühle, gegen einen hohen Fenster- Vorhang aufgereiht.



Vor mir liegt der Katalog der "Documenta 11" von 2002; ein ziemlicher Trumm von etlichen Kilo. Zum Mitnehmen in die Ausstellung ungefähr so geeignet wie ein Überseekoffer als Wandergepäck. Also gedruckt zum Vor- und Nachbereiten.

Ich schlage dieses Werk von fast 600 Seiten aufs Geratewohl auf; Methode Bibelstechen. Es trifft Fabian Marcaccio. Seine Bilder, mit Anklängen an den Expressionismus, zeigen wilde Gestalten, Soldaten, Blut, Schreiende.

Dann suche ich gezielt. Ich suche in dem Katalog nach einem Künstler, der mir besonders gut in Erinnerung ist: Thomas Hirschhorn. Zu seinem Werk wurde man in einem Pendelbus gefahren. Es bestand in einer Art Schuppen oder Pavillon, in dem junge Leute allerlei Verrichtungen vornahmen. Es gab Bücher, Dokumente, Videos.

Was das ganze sollte, hat sich mir nicht erschlossen - aber jedenfalls war es schwer sozial engagiert, war es durch und durch politisch. So, wie diese ganze "Documenta 11".

Ich hatte damals den Eindruck, daß die Gegenwartskunst - wenn denn die "Documenta" sie dokumentierte -, ein Art engagé ist, wie es sie so dominant noch nie gegeben hat. Kunst aus ästhetischen Gründen, Kunst als nach formalen Kriterien zu beurteilen - das schien graue Vergangenheit zu sein.



Offenbar war das grottenfalsch gewesen. Denn wenn das aktuelle Heft von "Leben", mit den ersten Fotos von der "Documenta 12" und mit einem begleitenden Artikel von Hanno Rautenberg, nicht täuscht, dann gibt es diesmal wenn auch nicht L'art pour l'art zu sehen, so doch eine Kunst, die sich von der Politik, von der Gesellschaftskritik wieder entfernt:
... bei aller Politisierung: Niemals rutscht die Documenta 12 ab in ein wohlfeiles Weltverbesserungsgehabe. Davor bewahrt sie ihr beharrliches Fragen nach dem Eigensinn der Formen. Sie interessiert sich für die Geschichte des Ornaments, für Textilkunde, für hauchfein hingezeichnete Schraffuren ...
Für "Kleinbürgerlichen Formalismus" also, für Ästhetik.

Mit anderen Worten, für Kunst.



Es ist schon interessant:

Die "Documenta 11" von 2002 war eine Ausstellung gewesen, die vor dem Anschlag vom 11.9. 2001 konzipiert worden war; die Vorbereitung einer solchen Mammutshow dauert ja Jahre.

Die also in politisch ruhigen Zeiten gestaltet worden war; ruhig jedenfalls, gemessen an den Turbulenzen, die wir seither erlebt haben, und deren Auswirkungen in diesen Tagen um Heiligendamm herum zu besichtigen sind.

Und wie war die Kunst, die damals für diese Weltausstellung ausgewählt worden war, in diesen recht friedlichen Zeiten? Sie war politisch, kämpferisch, anklagend.

Und heute, wo wir in ständiger politischer Aufgeregtheit leben, da wird uns eine "Documenta" geboten, die offenbar - jedenfalls überwiegend, jedenfalls vom Konzept her - viel eher "klassisch" ist, weniger politisch.



Zum Teil liegt das sicher an den jeweiligen Ausstellungs- Machern. Aber es könnte doch auch einen allgemeineren Grund haben:

Kunst ist halt, wenn sie gute Kunst ist, nicht "zeitgemäß". Gute Künstler folgen nicht dem "angesagten" Trend; sie setzen ihn höchstens.

Also schockiert Kunst, sie verstößt gegen Erwartungen. Das war so, als die Impressionisten ihren ersten Salon veranstalteten; es war seither bei jeder neuen Kunstrichtung so. "Ist das noch Kunst?" - diese Frage begleitet jede originäre künstlerische Leistung. Es kann gar nicht anders sein.

Also werden sich vermutlich viele Besucher der aktuellen "Documenta", die mit der politisierten Kunst aufgewachsen sind, fragen:

"Ja, ist das denn noch Kunst, wenn sie gar kein gesellschaftliches Anliegen hat?"